Baby-Bataillone

Demografisches Aufmarschgebiet: Von Müttern, Kinderlosen und der 'Schuld' der Emanzipation

in (13.03.2007)

Deutschland hat die Demographie entdeckt. Seit einiger Zeit ist es hierzulande wieder in Mode gekommen, ja geradezu schick geworden, sich der Bevölkerungsfrage zu widmen...

Nachdem die Gesundheits'reform' gerade mit Mühe verabschiedet wurde, ist die nächste Sozialbaustelle in Berlin bereits markiert, denn 2007 stehen die Sanierungsarbeiten an der Pflegeversicherung ganz oben auf der Agenda. Schon heute ist absehbar, dass die kleinteilige politische Opposition in Berlin - insbesondere die FDP und die Bündnisgrünen - darauf rühriger reagieren wird als auf den von vielen Interessen durchkreuzten, politisch unwägbaren und seine medialen Ermüdungserscheinungen kaum verhehlenden Gesundheitsstreit.(1) Denn wird mit dem Verdacht einer sich verschärfenden 'Zwei-Klassen-Medizin' der Sozialstaat herausgefordert, formiert sich das Thema Pflege viel eindeutiger um den Begriff der 'Generationengerechtigkeit' und den Gegensatz von Alt und Jung, kinderlosen Menschen und solchen, die Nachwuchs haben. Wenn aber nicht soziale, sondern biografische Lebenslagen die Position im Konfliktfeld bestimmen, neigen Diskurse dazu, das Problem personalistisch zu verengen, um sie am Ende unzulässig zu verallgemeinern.

Auffällig ist weiterhin, dass die Debatte um 'Überalterung' und 'aussterbende Deutsche' nicht etwa zu der Zeit einsetzte, als der zahlenmäßige Geburtenrückgang als langfristigere Tendenz bereits absehbar wurde, also Anfang/Mitte der achtziger Jahre(2), sondern mehr als ein Jahrzehnt später(3); ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als sich die 'alte' Bundesrepublik die 'neuen' (jungen?) Länder der vormaligen DDR einverleibt hatte und den größten Bevölkerungszuwachs ihrer Geschichte verzeichnete. Von einem 'Aussterben der Deutschen' konnte also wahrlich keine Rede sein. Diese verzögerte Kenntnisnahme hat sicherlich politische Gründe(4), doch wenn man sich die normalisierte Rede über die demografische Entwicklung etwas näher anschaut - der 'vergreisende' Osten erhält von den Demografen fast durchweg die schlechtesten Noten (vgl. Berlin-Institut 2006) -, wird deutlich, dass Demografie immer dann zur Rede steht, wenn eigentlich ganz andere Dinge verhandelt werden: sei es die Zukunft der Sozialsysteme, die Transferleistungen für den deutschen Osten oder gar die Nebenwirkungen weiblicher Emanzipationsmodelle. Anders gesagt: Die Demografie ist ein willkommenes Vehikel, um die Bürgerinnen und Bürger in den anstehenden Sozialabbau einzuüben; gleichzeitig lenkt sie von den hierfür Verantwortlichen ab, weil die 'Schuldigen' nun entweder im Osten und/oder unter Frauen auszumachen sind.

Seit spätestens der Jahrtausendwende jedenfalls erlebt das Land eine 'demografische Mobilmachung' ohnegleichen. War meine Generation - also die in den fünfziger Jahren Geborenen - in ihrer Jugend noch mit der Phantasmagorie der 'Zeitbombe Mensch'(5) groß geworden - verbunden mit der Furcht vor globaler Überbevölkerung, schwindenden Nahrungsressourcen und verwüsteter Umwelt -, wird die jüngere einem Dauerbombardement ausgesetzt, in dem Babyschwund, Greisenrepublik und soziale und emotionale Verödung die Munition bilden. Seit den siebziger Jahren dienen Entwicklungspolitiker Frauen in der 'Dritten Welt' Fertilitätsprogramme aller Art an, wovon die Pille noch das harmloseste, Zwangssterilisation oder das chinesische Ein-Kind-Programm zu den rigoroseren gehören (vgl. Mertens 1991). Dass Kontrazeption in Ländern, wo Kinder nach wie vor die Altersversorgung sichern, weit weniger 'durchschlägt' als in den Industriestaaten, gehörte zu den paradoxen Erfahrungen von dreißig Jahren globaler Bevölkerungspolitik und mündete in der Einsicht, dass Familienplanung ein Kennzeichen fortgeschrittener Entwicklung ist (Hummel 2006: 31ff.). Aus diesem Grund hat sich die 'Zwei-Kind-Familie', darauf machen Bevölkerungshistoriker aufmerksam, auch nicht zufällig ausgerechnet nach dem Ersten Weltkrieg durchgesetzt (Ehmer 2004: 68ff).(6)

Nicht von ungefähr ist das von der Bevölkerungswissenschaft bereit gestellte Metaphernfeld dem Militär entlehnt: In ihm sprechen sich nicht nur die angstbesetzten Überwältigungsphantasien vor fremden, bevölkerungsstarken Nationen aus, die Kampfrhetorik soll vielmehr auch den Widerstand gegen den prognostizierten demografischen Untergang mobilisieren. Jedenfalls versetzt der bevölkerungswissenschaftliche Jargon die Menschen in ständige Alarmbereitschaft, die mit Schuldgefühlen (zu viel oder zu wenig Kinder in die Welt gesetzt zu haben) und der Bereitschaft zur sozialen Sühne korrespondiert. Und wie für militärische Aufmarschpläne üblich, ist auch der Demografie-Diskurs undenkbar ohne das positivistische Zahlenwerk (wie viele Bataillone Babys stehen bereit für die Zukunft?) und bunte Landkarten, wie sie uns regelmäßig das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung bereit stellt, nur dass statt der die üblicherweise Militäraktionen symbolisierenden expansiven Pfeile eine Art Bevölkerungskataster das Schwundniveau unserer Zukunft vorführt.

Ist man ein bisschen verspielt und bemüht nun Kluges Etymologisches Wörterbuch, stellt man fest, dass der Begriff Kataster unmittelbar vor dem Begriff Katastrophe steht; und wo das eine herkunftssprachlich auf das italienische catasta (Steuer- und Zinsregister) zurückgeht, bedeutet Katastrophe 'Unheil' und impliziert die 'Umkehr' und 'Wendung' eines unausweichlich erscheinenden Schicksals: Gibt es keinen Nachwuchs, so gibt es keine und keinen, der Steuern und Zinsen (und Sozialbeiträge) erarbeitet - und das ist eine schlichte Katastrophe.

Genauso will FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, der wie kein anderer den demografischen Alarmismus in Szene setzte und dessen Drehbücher lieferte, seine Pamphlete verstanden wissen. Es sind, wie alle guten Pamphlete, Publikumsbeschimpfungen und Aufrufe zur Selbstkasteiung und Umkehr in einem. Wählte er in Methusalem-Komplott noch die trockenen, wenig sex appeal versprühenden Datenritter (von Meinhard Miegel bis Herwig Birg) als Geländer in den greisen Abgrund der Republik, bemüht er in Minimum die Methode seines ausdrücklichen Vorbildes, des Bestseller-Autors Michael Crichton.

Aus einer perspektivisch grenzenlos angenommenen Lebenserwartung(7) und dem ebenso grenzenlosen Egoismus der jüngeren Generation - der 'Hass auf das Alter und die Angst vor ihm sind Urgewalten' (Schirrmacher: 2004: 63) - zimmert Schirrmacher in Methusalem-Komplott das Szenario eines 'Kriegs der Generationen' (50). Der 'biologische Code des Menschen' und 'die Abneigung der Natur gegen das Altern' (31) sorge dafür, dass die Alten aus der Gesellschaft eliminiert würden. Gegen diesen Fortpflanzungsegoismus 'der Natur' (142) gelte es, sich zur Wehr zu setzen: 'Wir müssen Selbstverteidigungsstrategien entwickeln, Methoden alternativer Kriegsführung, die es einem erlauben, auch als schwacher Alter zu überleben: von der Partisanentätigkeit bis zum Hacker-Angriff' (115). Was bei Schirrmacher zunächst als durchaus berechtigte Kritik am 'Altersrassismus' daherkommt, wird allerdings getilgt durch den darwinistisch vorgestellten Konflikt zwischen Alt und Jung, der den Forderungen einer zum Subjekt erhobenen 'Natur' gehorcht.

Verliert sich Schirrmacher im Methusalem-Komplott im Gestrüpp des aufgerufenen Zahlenmaterials, sucht er in Minimum die exotischen Weiten des amerikanischen Kontinents, wo er auf Schicksalsgemeinschaften stößt, an denen er die bevorstehende demografische Erkältung exemplifiziert. Als Versuchspersonal dient ihm ein Siedlertreck, der im Jahre 1846 auf dem Donnerpass in einen Schneesturm geriet und auf sich selbst gestellt war. Dabei stellte sich heraus - so jedenfalls deutet Schirrmacher die überlieferten Quellen - dass die mutigen, kräftigen und von Verpflichtungen freien Männer sich als weniger überlebensfähig erwiesen als die networkenden Frauen, die um das Überleben der Sippe, der Familie, bemüht waren. Für den Autor ist dieses Ereignis ein Indiz für die Familie als 'Urgewalt' (Schirrmacher 2006: 22), die nur bei Strafe des Untergangs zerstört werden darf. Dass den Frauen Haus- und Beziehungsarbeit nicht etwa nur in die Wiege gelegt, sondern irreversibel ins Hirn gepflanzt wird und sie deshalb naturwüchsig auf Empathie gepolt sind, bringt ihn zu seiner famosen Schlussfolgerung: 'Die Natur', dekretiert er, setze 'mit einer ziemlichen Entschlossenheit aufs ewig Weibliche' (Schirrmacher 2006: 142).

Es ist viel Kritisches gesagt und geschrieben worden zu Schirrmachers Aufstand der Alten gegen die Jungen und dem von ihm unterstellten, kruden 'Fortpflanzungsegoismus der Natur', der sich angeblich gegen das Alter austobt und es eliminiert. Mehr noch wurde polemisiert gegen seine verquere Vorstellung einer Überlebensgemeinschaft in der demografischen Eiszeit, diesem unserem selbst gezimmerten Eisschrank, der zwar Nahrung, Kleidung und eine unwirtliche Wohnstatt bereithält, aber sonst wenig gegen die Absenkung der sozialen Temperatur zu bieten hat.

Man könnte den 'wissenschaftlich' gewendeten Biologismus ('biologische Programmierung') getrost den raschen medialen Verfallszeiten überlassen, würde Schirrmachers Erbauungsliteratur nicht auch interessante Einsichten liefern, die sich seiner konsequent ökonomistischen Wahrnehmung verdanken. Wenn Schirrmacher etwa von der 'Überlebensfabrik Familie' spricht, die 'emotionalen Rohstoff' für die 'Gemeinschaft produziert. der in der kapitalistischen Gesellschaft als 'soziales Kapital' nachgefragt wird und eine gravierende 'Marktlücke' schließt, dann verweist er, wenn auch aus fragwürdigem Grund, auf den blinden Fleck der Politischen Ökonomie, der in den siebziger Jahren vor allem von Feministinnen mühsam frei gelegt wurde, die Tatsache nämlich, dass die unentgeltlich und in der Regel von Frauen geleistete Familienarbeit unabdingbare Voraussetzung jedweder Marktökonomie ist. Gleichzeitig neigt der Markt dazu, diese letzten Residuen seiner Logik zu unterwerfen, was begünstigt wird durch die 'demographische Vergletscherung'. Denkt man dies 'demografisch' zu Ende, fehlt es also an (weiblichem) Nachwuchs, um die marktunabhängigen Netzwerke zu knüpfen, die das emotionale Überleben der Gattung sichern.

Wie gesagt, neue Einsichten sind das nicht, aber offenbar rinnt auch diese feministische Erkenntnis wie so viele andere nur mit erheblicher Zeitverzögerung und reichlich verdreht in das abgesunkene Kulturgut. Ob das künftige Elterngeld noch den politischen Stachel der 'Lohn-für-Hausarbeit-Debatte'(8) oder der Vergesellschaftungsprojekte in sich trägt, darf bezweifelt werden. Unbestreitbar hatten die politischen Utopien der 1970er Jahre allerdings auch nicht so viel Strahlkraft, dass sich die Frauen mit einem Stall voller Kinder auf eine unsichere Zukunft hätten vertrösten lassen. Und es war sicher auch kein Zufall, dass ausgerechnet die auf den Jahrgang 1955 folgenden, von der Bildungsreform profitierenden jungen akademischen Aufsteigerinnen wenig gewillt waren, die optionsreiche Gegenwart einem ungewissen Morgen zu opfern.

Diese nun zwanzig, dreißig Jahre älteren, oft kinderlosen Frauen dürften von Elaboraten aus der Schirrmacher-Konfektion einigermaßen unbeeindruckt bleiben, nicht zuletzt, weil seiner Rede unverkennbar die Furcht eingeschrieben ist, es könnten zu wenig Frauen bereit stehen, die in die Jahre gekommenen Männer zu versorgen. Doch es gibt Daten und Erfahrungen, die auch diese durch soziale Bewegungen, mäandernde Berufsbiografien und deutsche Einheit gestählte Generation verunsichern: Nach neueren Schätzungen wird ein Drittel aller Frauen ohne Kinder bleiben, darunter sind Akademikerinnen überproportional vertreten.(9) Dauerhaft kinderlose Frauen müssen sich schon heute damit auseinandersetzen, dass sich keine eigenen Kinder im Alter um sie kümmern werden, so wenig, wie sie sich selbst auf die Großmutterrolle zurückziehen können. Gleichzeitig geraten sie unter Rechtfertigungsdruck: Wer keine Kinder hat, macht sich verdächtig und muss damit rechnen, 'Ablass' zu leisten.(10) Das hat Folgen für das Selbstbild dieser Frauen und ihre künftige Rolle in der Gesellschaft; schon heute ist absehbar, dass die Spaltung zwischen Müttern und kinderlosen Frauen tiefer werden wird.

Dieser angebliche 'Preis der Emanzipation' hat sich mittlerweile zum Bashing-Thema gemausert(11). Während Fernsehmoderatorin Eva Herman - selbst Emanzipations-Profiteurin - den Verkäuferinnen, Putzen und Kassiererinnen das Glück hinterm heimischen Herd andient, malt ZEIT-Redakteurin Susanne Gaschke ihresgleichen eine düstere Zukunft in kinderloser Einsamkeit aus. Dass ein in der Putzkolonne oder hinter der Aldi-Kasse verbrachter Tag anstrengend, schlecht bezahlt und mit wenig beruflichen Aufstiegserwartungen verbunden ist und manch eine der Alleinerziehenden oder 'Mitverdienerinnen' gelegentlich vielleicht gerne ins 'Hausfrauendasein' flüchten würde, mag vorkommen und in die Vorstellung einer Akademikerin passen, die 'Beruf' vor allem mit Selbstentfaltung und Gratifikation verbindet. Dennoch zeigen einschlägige Befragungen immer wieder, dass sich viele Frauen zwar wünschen, Mutter zu sein, aber keineswegs 'Nur'-Hausfrau (Engelhardt 2004: 3). Das trifft im deutschen Osten, wo die Erwerbsorientierung der Frauen besonders stark ausgeprägt ist, noch deutlicher zu als im Westen (Roloff 2005; Mingerzahn 2005; Cornileßen 2006: 148ff.).

Dass für besser ausgebildete Frauen das anachronistische 'Hausfrauenmodell' noch weniger attraktiv ist als für Frauen, die prekär beschäftigt sind und schlecht verdienen, weiß natürlich auch Susanne Gaschke. Sie richtet sich an eine Klientel, die selbstbewusst genug ist, um auf seine Ansprüche zu bestehen, und setzt, ganz im Gegenteil, an deren 'Egoismus' an. Der in den siebziger Jahren einsetzende 'Gebärstreik', so Gaschke, schade 'uns' und 'der Gesellschaft' (Gaschke 2005: 166). 'Uns', weil das Leben mit Kindern einfach gewinnbringend sei und Kinder nun einmal 'eine Versicherung gegen die Einsamkeit des Alters' (49) darstellen. Der Gesellschaft, weil diese ohne Kinder unsozialer und 'kälter würde und natürlich niemand da sein wird, der 'unsere' Sozialbeiträge erwirtschaftet. Zwar deutet Gaschke - im Unterschied zu Eva Herman, die ausschließlich die von der Frauenbewegung propagierte Emanzipation für die ausbleibenden Babys verantwortlich macht - zart an, dass die Fortpflanzungsfrage nicht ausschließlich an der Frau hängt (11), doch auch für sie ist die 'demografische Krise' reine 'Frauensache': 'Wir müssen uns klarmachen, dass unser Bestand nicht gesichert ist und es letztlich (...) die jungen Frauen sind, und niemand sonst, die den Trend zur Entvölkerung noch verlangsamen können' (44/Hv. SG). Diana Hummel weist zu Recht darauf hin, dass die Demografiedebatte, ganz ähnlich wie die Katastrophenszenarien über die 'Bevölkerungsexplosion', nur einen einzigen Adressaten kennt, nämlich die Frauen (vgl. Hummel 2006: 27f).

An sie richten sich aber nicht nur die Schuldzuweisungen, sondern auch in erster Linie die pronatalen Maßnahmen: Das 'Vereinbarkeitsproblem' hat ein ebenso 'weibliches' Antlitz wie der Erziehungsurlaub und die öffentliche Kinderbetreuung. Auch die 'richtige' Erziehung ist immer noch 'Müttersache'. Die unablässige 'fürsorgliche Belagerung' der jungen Frauen fahndet nach Einstellungen und Motiven, die sie am Kinderkriegen hindern, es wird in geradezu behavioristischer Manier darüber spekuliert, welche Anreize sie fortpflanzungsfreudiger machen und sie werden getadelt, wenn die Kinder, die dann einmal da sind, nicht in Turbo-Geschwindigkeit zur Hochschulreife gelangen. Susanne Gaschke etwa rechnet die 'Opportunitätskosten'(12) gut ausgebildeter Frauen gegen die Kosten auf, die der Gesellschaft zufallen, wenn sie Kinder aus 'bildungsfernen' Schichten angemessen ausbilden will (Gaschke 2005: 81). Die gewünschte 'bürgerliche Leitkultur' (163) ist nach Gaschkes Vorstellung von Akademikerinnen eben leichter zu vermitteln als von den von ihr porträtierten überforderten Mädchen aus dem sozialen Brennpunkt, die nichts von gesunder Ernährung und konsequenter Erziehung wissen. Wo es um den zukünftigen Nachwuchs geht, winken bildungsbürgerlicher Dünkel und Rassismus übern Elternzaun: Erwünscht sind keineswegs alle, sondern eben nur ganz bestimmte Kinder.(13)

Doch diejenigen, die das Gewünschte 'produzieren' sollen, lassen sich viel weniger 'animieren' als angenommen: Nicht von Kinderbetreuung oder Familien'urlaub' und schon gar nicht dadurch, dass ihnen immer wieder vorgehalten wird, den notwendigen 'Bestand' nicht zu erhalten. Zwar bestätigen viele junge Frauen, dass sie bei besserer Infrastruktur und Unterstützung gerne Kinder haben würden (vgl. Roloff 2005: 220ff.); doch gerade dort, wo das Angebot vergleichsweise groß ist wie in den ostdeutschen Ländern, ist die Geburtenrate besonders niedrig. Dass im Osten der Republik ein kompliziertes Geflecht von objektiven Faktoren (Arbeitsplatzangebot, Lebensbedingungen etc.) und persönlichen Einflüssen (Qualifikationsniveau, Berufsorientierung, Netzwerke) zu einer verstärkten Abwanderung führt und die ohnehin schwache Geburtenrate in vielen Regionen weit unter das Bundesniveau drückt (Dienel 2005: 14ff.), lässt darauf schließen, dass schlichte 'pronatale' Angebote an der Lebensrealität der Frauen (und Männer) vorbeigehen (Dackweiler 2006).

Für diese Erkenntnis spricht auch, dass kinderlose Frauen immer wieder angeben, auch dann auf Kinder verzichten zu wollen, wenn sie sich finanziell stärker unterstützt fühlten (Roloff 2005: 221). Die Belastung durch Kinder fürchten eher die Männer; für die jungen Frauen sind stabile Partnerbeziehungen und die Möglichkeit, berufstätig zu bleiben, ausschlaggebender (Cornelißen 2005: 152f). Deshalb, schlussfolgert Cornelißen, wird bei der Realisierung von Kinderwünschen das 'timing' zunehmend schwieriger, weil ein Kind in 'die Lebensentwürfe zweier Menschen in ein und derselben Zeitspanne passen' muss (153/Hv. WC). Günter Burkart untermauert diese Feststellung mit einer weiteren Beobachtung: Er glaubt, dass die 'Kultur der Selbstreflexion', die in der Nachhut von 1968 ausgebildet worden sei, zu einer mehr oder minder gewollten Kinderlosigkeit geführt habe (Burkart 2006: 112ff). Insbesondere die aufstiegsorientierten Mittelstandstöchter seien von hohen Ansprüchen an eine gelungene Lebensführung einerseits und den damit verbundenen, immer währenden Zweifel angefressen worden. Das habe den 'permanenten Aufschub der Elternschaft' gefördert - und dieser werde heute als einer der wichtigsten Gründe für Kinderlosigkeit erkannt (122).

Unabhängig davon, welche Gründe man dafür annimmt, dass sich Frauen (und natürlich auch Männer) in den letzten 30 Jahren gegen eigenen Nachwuchs entschieden haben - die Tatsache als solche bleibt unhintergehbar. Selbst wenn man oder frau sich immunisiert gegen das mediale Bedrohungsszenario und sich den damit verbundenen Schuldkonstruktionen verweigert, kann man davon ausgehen, dass es aufgrund der geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Lebenserwartung in zwanzig oder dreißig Jahren mehr alte Frauen als alte Männer geben wird, die keine Kinder haben (unabhängig davon, ob man sich von ihnen eine 'Versicherung' fürs Alter versprechen darf). Und diese Frauen werden nicht nur kinderlos alt werden, sondern viele auch arm, denn im Unterschied zur Entwicklung in den letzten beiden Jahrzehnten zeichnet sich schon heute ab, dass die Altersarmut (wieder) weiblich sein wird.(14)

In einer angenehm unaufgeregten Studie macht Elisabeth Niejahr eingangs darauf aufmerksam, dass Frauen anders altern als Männer. Sie erlebten ihren körperlichen Verfall früher, länger und auch bewusster, und sie müssten sich häufiger dafür rechtfertigen, keine Kinder zu haben (Niejahr 2004: 26). Eine Generation, für die Jugendlichkeit immer unverbrüchlich zum Image gehörte, erlebt diesen Prozess besonders schmerzhaft, und er wird verstärkt durch einen juvenilen Arbeitsmarkt, der Menschen ab 45 bereits dem 'alten Eisen' zurechnet. Für Frauen, die sich ihren beruflichen Aufstieg mühsam erkämpft haben, ist die Erfahrung, 'frei gesetzt' zu werden, besonders bitter. Niejahrs Durchgang durch die gesellschaftlichen Segmente (Arbeitsmarkt, Bildung, Wohnen, Gesundheit und Pflege) nimmt der 'grauen Revolution' zwar ein wenig den Schrecken, aber auch sie sieht dramatische Verteilungskonflikte zwischen Alt und Jung, vor allem aber auch innerhalb der Generationen voraus, den Erben von morgen nämlich und jenen, die sich mit rückläufigen Sozialleistungen begnügen müssen (183).

Doch was bedeutet diese Entwicklung speziell für die (alternden) Frauen? Gerade an dieser Frage wird deutlich, wie ungenau und schief eine ausschließlich auf 'Generation' abstellende Politikdiskussion wird. Für die gut ausgebildeten und im Job verankerten Frauen dürfte das Rentenproblem leichter wiegen als für die vielen, die sich, unabhängig vom Bildungsgrad, durchs Leben 'gewurstelt' haben. Doch abgesehen von Status und Ressourcen werden beide Gruppen - berücksichtigt man, dass 90 Prozent der privat Pflegenden immer noch Frauen sind - möglicherweise mit pflegebedürftigen Eltern oder Schwiegereltern konfrontiert sein, deren Versorgung mit der eigenen Berufstätigkeit so wenig zu vereinbaren ist wie die Kindererziehung. Verschärfen könnte sich die Situation, wenn sich der Trend zur Spätgeburt weiter durchsetzt und die Frauen selbst noch in der Kinderphase sind, also zu der so genannten 'Sandwich-Generation' gehören, an die von zwei Seiten Ansprüche gestellt werden.

Aus ihrer Aufopferungsbereitschaft(15) können Frauen jedoch nicht unbedingt eigene Ansprüche ableiten: Bleiben sie kinderlos, sind sie ohnehin auf die Unterstützung des Partners oder, wahrscheinlicher, auf fremde Hilfe im Alter angewiesen. Aber selbst wenn sie Kinder haben, sind die räumlichen und zeitlichen Lebenszusammenhänge mittlerweile so zerrissen, dass Kinder, selbst bei bestem Willen, nicht selbstverständlich einspringen können. Schon heute sind drei Viertel aller pflegebedürftigen Heimbewohner weiblich. Altersforscher sagen indessen voraus, dass die Heimunterbringung in absehbarer Zeit viel zu teuer werden wird und fordern eine Veränderung und Stärkung des häuslichen Pflegearrangements (Rothgang 2005: 141).

Da liegt es nahe, gerade Frauen ohne familialen Anhang 'zivilgesellschaftlich' in Dienst zu nehmen. Wenn das 'Altenproblem' professionell nicht mehr zu lösen ist, war kürzlich auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde zu erfahren, müssen 'quartiersbezogene Lösungen' bereitgestellt werden. Nicht von ungefähr hat die Propaganda für ehrenamtliche soziale Hilfsdienste in den letzten Jahren eine außerordentliche Konjunktur erlebt. Und wer, wenn nicht die ohnehin qua 'weiblichem Arbeitsvermögen' prädestinierten Frauen wären bereit, sich um ihre älteren Mitmenschen in der Nachbarschaft zu kümmern, um sich, wenn schon nicht auf dem Arbeitsmarkt, wenigstens in diesem Bereich sinnvoll zu betätigen?(16) Es ist schon etwas paradox: Je mehr die Frauen selbst 'in die Jahre' kommen, desto unentrinnbarer scheint ihr soziales Schicksal, am Ende - selbst wenn sie sich vorher gegen Kinder entschieden haben - doch noch in die Betreuungspflicht genommen zu werden.

Nun ließe sich einwenden, dass gegen zivilgesellschaftliches Engagement wenig einzuwenden ist. Allerdings, auch darauf macht die Pflegewissenschaft aufmerksam, ist die Bereitschaft, Pflege oder andere Hilfsdienste zu übernehmen, in den verschiedenen sozialen Milieus sehr unterschiedlich und in den Mittelschichten weit weniger ausgeprägt als dort, wo 'prekäre' Lebenslagen die Menschen ohnehin dazu zwingen, sich zu vernetzen und gegenseitig zu unterstützen. Das spricht dafür, dass die Schattenseiten des Individualisierungstrends gerade Frauen aus den Mittelschichten im Alter besonders trifft: Wer gewohnt ist, sein Leben weitgehend selbstbestimmt zu organisieren und Dienstleistungen gegebenenfalls auf dem Markt zu kaufen, wird größere Probleme damit haben, sich im Alter auf einen Lebenszuschnitt einzustellen, der Zurücknahme und Gegenseitigkeit voraussetzt.(17) Der Druck, da ist Niejahr beizupflichten, wird auf kinderlosen Frauen schwerer lasten als auf Männern - oder Müttern, die sich künftig wohl einer größeren Wertschätzung erfreuen dürfen (Niejahr 2004: 169).(18)

Die Autorin macht ein interessantes politisches Gedankenexperiment auf. Im Kapitel 'Von der Frauenbewegung lernen' fragt sie, wie solidaritätsfähig alte Menschen als gesellschaftliche Gruppe sein werden und zieht Parallelen zu der Zeit, als Frauen aus unterschiedlichen sozialen Schichten begannen, gemeinsam für ihre Rechte einzutreten. Die Alten von morgen, meint sie, könnten von der Frauenbewegung lernen, dass 'wer Interessen durchsetzen will, [...] sich entscheiden [sollte], ob er seine prinzipielle Andersartigkeit oder eher die Gleichartigkeit betonen will' (168). Wer sich als schutzbedürftig stilisiert und in die Rolle des Opfers flüchtet, könne vielleicht Mitleid erwarten, ein besonders attraktives Rollenmodell stelle dieser Entwurf jedoch nicht bereit.

Das Erstaunlichste am gegenwärtigen Demografie-Palaver ist vielleicht, dass sich Frauen - und insbesondere jene, die sich der feministischen Bewegung zurechne(te)n - kaum daran beteiligen, obwohl das Thema Frauen enorm betrifft und sie, wie sich zeigte, auch direkt angesprochen werden. Es gibt einige wenige Stellungnahmen in Zeitschriften und Zeitungen, aber - wenn man von den Auftritten Alice Schwarzers einmal absieht - keine einschlägige politische Auseinandersetzung, ganz zu schweigen von Entwürfen für ein (weibliches) Altern jenseits von Kindern und Familie.(19) Zum einen mag darin eine spontane Verweigerungshaltung gegenüber Anwürfen und Zumutungen eines revitalisierten Biologismus zum Ausdruck kommen. Wenn im Jahre 2006 die 'große Erzählung' von der 'Urmutter' reaktiviert und auf die politische Breitwand gehoben wird, kann frau schon geneigt sein, die Geschichte vom Untergang der Gattung nur noch als Farce zu bestaunen.

Es könnte allerdings auch sein, dass die unter Legitimationsdruck geratenen Frauen selbst schon einen Teil der normalisierenden Rede über den 'demografischen Kollaps' verinnerlicht haben. Unter Dauerbeschuss gesetzt und die soziale 'Wüste' unmittelbar vor Augen, steckt der Stachel der Schuld vielleicht tiefer als manch einer lieb ist. Denn wie die so genannte 68er-Generation im Allgemeinen muss sich auch die Frauenbewegung fragen lassen, welche attraktiven (und lebbaren) Vorbilder und Modelle sie für die Jüngeren entwickelt hat. Es muss nicht beunruhigen, dass Urlaute aus der Patriarchen-Steinzeit durch Viagra-versteifte Hörner tönen; doch es sollte zu denken geben, dass sie auf Gefolgschaft hoffen dürfen und öffentliche Aufmerksamkeit erregen.

Endnoten:

1) Insbesondere die Bündnisgrünen bemühen sich derzeit, das Thema politisch zu besetzen. Sie haben schon im Vorfeld der Diskussion das von ihrer Partei vorbereitete Reformkonzept zur Pflegeversicherung von Experten prüfen und auf einer öffentlichen Tagung im Dezember 2006 begutachten lassen.

2) Im Januar 1979 publizierte Joachim Nawrocki in der Wochenzeitung 'Die Zeit' zwei richtungsweisende Dossiers mit den Titeln 'Kinder unerwünscht' und 'Die Angst der Eltern von dem Säugling', in dem er die heutigen demografischen Prognosen zumindest in groben Linien vorwegnahm.

3) Die Bundestags-Enquete 'Demographischer Wandel' wurde Anfang der neunziger Jahre eingesetzt und legte nach zwei Zwischenberichten 1994 und 1998 im Jahre 2002 schließlich ihren Abschlussbericht vor.

4) Auf die verfehlte Einheitspolitik der Kohl-Regierung und die damit verbundene Überforderung der Sozialsysteme ist vielfach hingewiesen worden.

5) Der Begriff fand im Zusammenhang mit den Weltbevölkerungskonferenzen in Bukarest (1974), Mexico City (1984) und Kairo (1994) Eingang in den medialen Diskurs.

6) Das änderte sich nicht einmal unter dem ideologischen Dauerbeschuss der Nationalsozialisten. Die 'Jahrgänge, die ihre Kinder in den 1930er und 1940er Jahren geboren hatten (...), haben die Gesamtzahl ihrer Kinder (im Durchschnitt um 1,9) trotz der bevölkerungspolitischen Maßnahmen und trotz der Inanspruchnahme der angebotenen Vergünstigungen nicht erhöht' (P. Marschalck, zitiert nach Ehmer 2004: 70).

7) Allerdings scheint die auf 'das Fünffache steigende Lebenserwartung' (Schirrmacher 2004: 193) nur eine 'dramaturgische' Funktion zu erfüllen, die Bevölkerungshistoriker sehen die Entwicklung anders: Es hat 'den Anschein', schreibt etwa Josef Ehmer, 'dass die ‘physiologische Lebenserwartung‘, also die dem Menschen von der Natur gesetzte Grenze, relativ konstant bei einem Maximum von 85 bis 90 Jahren liegt. Der Wandel betrifft die ‘ökologische Lebenserwartung‘ wie die unter den jeweiligen natürlichen und gesellschaftlichen Bedingungen tatsächlich realisierbare Lebensspanne bezeichnet wird.' (Ehmer 2004: 34)

8) Die feministische 'Lohn-für-Hausarbeit-Debatte' nahm ihren Ausgang in den USA und fokussierte den ökonomischen Hintergrund der Produktions- und Reproduktionsverhältnisse. In einem einflussreichen Beitrag forderte die italienische Feministin Mariarosa Dalla Costa 1972 einen Lohn für Hausarbeit; sie rief die Arbeiterfrauen gleichzeitig zum Hausfrauenstreik auf und wandte sich damit gegen die Vorstellung, dass Arbeit überhaupt imstande sei, Frauen zu befreien. Die Hausarbeitsdebatte ist für den hier verhandelten Zusammenhang insofern interessant, weil es im Demografie-Diskurs - unter der Hand - auch um das Verhältnis von Privathaushalt und kapitalistischer Ökonomie geht und die Frage, ob die häusliche Sphäre am Ende ökonomisch subsumiert wird oder sich als (notwendige) Instanz, die den Erhalt des Nachwuchses und der Arbeitkraft sichert, behaupten kann.

9) Allerdings, darauf macht die Rostocker Demografin Michaela Kreyenfeld aufmerksam, basiert die derzeitige Diskussion um das Ausmaß von Kinderlosigkeit auf einer unzureichenden Datengrundlage, weil die Rangfolge einer Geburt in Deutschland nur nach der 'Rangfolge in der bestehenden Ehe' dokumentiert wird, nicht aber nicht-eheliche Geburten. Da auch im Mikrozensus nur Kinder erfasst werden, die noch im Haushalt leben, liefert dieser keine verlässlichen Angaben über die tatsächliche Anzahl der Kinder, die eine Frau in ihrem Leben geboren hat. Ebenfalls verzerrt der Trend zur 'Spätgeburt' gerade unter Akademikerinnen die statistischen Annahmen: So waren im Jahre 2000, schreibt Kreyenfeld, '45 Prozent der westdeutschen Frauen mit Hochschulabschluss mit 35 Jahren kinderlos, wenn man das Kriterium ‚im Haushalt lebende KinderÂ’ heranzieht. Im Alter von 45 Jahren trifft das aber nur auf 32 Prozent zu.' Deshalb vermutet Kreyenfeld, dass 'weniger Akademikerinnen in Westdeutschland kinderlos sind als allgemein angenommen.' Generell, so Kreyenfeld, sei die Kinderlosigkeit in Deutschland im europäischen Vergleich allerdings immer noch sehr hoch (vgl. Kreyenfeld 2004: 4).

10) Der seit 1.1. 2006 erhöhte Beitrag zur Pflegeversicherung für Kinderlose ist der erste Vorbote dieser 'Strafbeiträge'. Kürzlich trat der Unternehmensvordenker Hans-Werner Sinn mit seinem Vorschlag an die Öffentlichkeit, die Rente für Kinderlose künftig zu halbieren.

11) Das Magazin 'Spiegel' hat im Frühjahr 2006 eine besonders perfide Version der 'vergreisten Republik' abgeliefert: Im Zentrum stehen neben der demografisch versagenden 68er-Generation die (wenigen) Kinder, die derzeit zu kleinen Egoisten herangezogen werden oder von ihren Eltern an Leib und Seele überfordert werden. Diesen Kindern werden die Alten, so die Suada weiter, später erbarmungslos ausgeliefert sein.

12) Unter Opportunitätskosten versteht man die Kosten, die Kinder verursachen, zum Beispiel, wenn (in der Regel) Frauen ihren Beruf aufgeben, aber auch wenn sie bis zu einem gewissen Grad ihr selbst bestimmtes Leben aufgeben müssen, um sich der Erziehung der Kinder zu widmen. Das Gutachten der Bertelsmann-Stiftung hält es schon aus volkswirtschaftlicher Sicht für wünschenswert, diese Opportunitätskosten zu mindern (Bertelsmann-Stiftung 2003: 10).

13) Damit verlängert sich eine historische Entwicklung, die bis in die Zeit der Weimarer Republik zurückreicht, wo rechte wie linke Eugeniker dem 'Volkskörper' durch einwandfreien Nachwuchs aufhelfen wollten, worauf der Bevölkerungshistoriker Joseph Ehmer aufmerksam macht. Völlig widersinnig ist es deshalb auch, wenn Gaschke einen Zusammenhang zwischen Faschismus und (heutiger) Kinderlosigkeit konstruiert (Gaschke 2005: 62) im dem Sinne, dass die ungute Erinnerung an die nationalsozialistische Bevölkerungspolitik spätere Generationen vom Kinderkriegen abgehalten habe. Dagegen war für die NS-Bevölkerungspolitik gerade kennzeichnend, pro- und antinatal zu operieren; es sollten ja keineswegs alle Frauen Kinder bekommen, sondern nur ganz bestimmte ('arische') Frauen. Es scheint im Zusammenhang mit der modernen Reproduktionstechnologie - gerade im Hinblick auf die Pränatal- und Präimplantationsdiasgnostik - deshalb vieles für die Kontinuität der antinatilistischen NS-Politik zu sprechen. Bislang gibt es kaum Untersuchungen darüber, welche Rolle die moderne Reproduktionsmedizin und die Vorstellung vom 'Designer-Kind' auf den Kinderwunsch hat und ob möglicherweise nicht auch die Angst vor einem behinderten oder anderweitig 'abweichenden' Kind den Frauen Zurückhaltung auferlegt.

14) Dafür sorgen nicht nur die prekären Arbeits- und Einkommensverhältnisse von Frauen (2005 erhielten 2,1 Mio. Frauen Hilfeleistungen nach Hartz IV); die eigenständigen Rentenansprüche (westdeutscher) Frauen sind seit den 60er Jahren nicht gestiegen und erreichen ungefähr die Hälfte der Rentenhöhe der Männer. Oft bleiben Frauen auch ledig, sodass sie keine 'abgeleitete' Rente mehr erwarten dürfen (bislang erhalten noch 5,1 Mio. Frauen Hinterbliebenenrente). Auch von den Betriebsrenten profitieren nur 19% Frauen, und ihre Renten liegen durchschnittlich bei nur 60% der männlichen Betriebsrentenbezüge. Die verfügbaren Daten lassen darauf schließen, dass viele Frauen auch in Zukunft keine bedarfsdeckende Alterssicherung erwartet (Frauendatenreport 2005). Diese Situation verschärft sich durch die bereits beschlossenen Änderungen des Rentenrechts (z.B. die verminderte Anrechnung von Ausbildungszeiten, die mit dem Demografiefaktor gekoppelte Senkung des Sicherungsniveaus und die Erhöhung des Rentenzugangsalters von Frauen).

15) Der Freiburger Pflegewissenschaftler Thomas Klie weist nachdrücklich darauf hin, dass ausschließlich die enorme weibliche Pflegebereitschaft bislang den Exodus der Pflege verhindert hat. Gleichzeitig sei aber - auch unter Gender-Gesichtspunkten - damit zu rechnen, dass dieses Engagement zurückgeht.

16) Ein Blick in den letzten Freiwilligen-Survey (Gesamtbericht 2001) bestätigt, dass auch in punkto Ehrenamt die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung funktioniert: Männer engagieren sich im Sportverein oder bei der Freiwilligen Feuerwehr, während in den sozialen Diensten fast ausschließlich Frauen zu finden sind.

17) Es bleibt abzuwarten, ob die WG-erfahrenen Mittfünfziger später 'kollektivtauglicher' sein werden als ihre Eltern, wie Niejahr meint (Niejahr: 2004: 153). Ein erfülltes Alter in der Groß-WG, wie es der ehemalige Bremer Bürgermeister Henning Scherf in bunten Farben ausmalt, ist an materielle und möglicherweise auch mentale Voraussetzungen gebunden, die künftig kaum für das Gros der Betroffenen zutreffen werden. Einige möglicherweise realisierbarere Modelle hat Gabriele Gerngroß-Haas zusammengetragen (Gerngroß-Haas 2005).

18) Ob die ideologische Aufwertung der Mütter allerdings dazu führt, dass sie auch in der Realität höher geschätzt werden, bleibt abzuwarten. Wer die Debatte um das von den grünen Frauen Mitte der achtziger Jahre initiierte 'Müttermanifest' erlebt hat, das ebenfalls zum Ziel hatte, die gesellschaftliche Position der Mütter zu stärken, weiß um die Fallen, die mit Auf- und Umwertungsprozessen dieser Art verbunden sind.

19) Einen Anstoß für eine solche Debatte hat vor über zehn Jahren die Redaktion der Zeitschrift 'Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis' mit dem Heft 'AltersWachSinn' (33/1993) gegeben, wobei sie das 'Demografie-Problem' (und die mögliche 'Verantwortung der Frauenbewegung am Geburtenrückgang) allerdings nicht besonders herausstellte. Soweit ich es verfolgt habe, wurde der Ball innerhalb der Bewegung kaum aufgenommen, es sei denn im Hinblick auf speziellere Themen (Wohnprojekte, Alterssexualität und ähnliches). Die erste fachsoziologische Problematisierung des demografischen Wandels aus Gender-Perspektive haben kürzlich Peter A. Berger und Heike Kahlert vorgestellt (Berger/Kahlert 2006).

Literatur
Berger, Peter A./Kahlert, Heike, Hg. (2006): Der demographische Wandel. Chancen für die Neuordnung der Geschlechterverhältnisse. Frankfurt.
Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung (2006): Die demografische Lage der Nation. Wie zukunftsfähig sind Deutschlands Regionen? München.
Bertelsmann-Stiftung (2003): Die demografische Bedrohung meistern. Gütersloh.
Enquete-Kommission 'Demografischer Wandel - Herausforderung unserer älter werdenden Gesellschaft an den Einzelnen und die Politik' (2002): Abschlussbericht. Berlin.
Burkart, Günter (2006): Zaudernde Männer, zweifelnde Frauen, zögernde Paare. Wer ist Schuld an der Kinderlosigkeit? In: Berger/Kahlert, 110-36.
Cornelißen, Waltraud (2006): Kinderwunsch und Kinderlosigkeit im Modernisierungsprozess. In: Kahlert/Berger, 137-64.
Dackweiler, Regina-Maria (2006): Reproduktives Handeln im Kontext wohlfahrtsstaatlicher Geschlechterregime. In: Berger/Kahlert, 81-110.
Dienel, Christiane, Hg. (2005): Abwanderung, Geburtenrückgang und regionale Entwicklung. Ursachen und Folgen des Bevölkerungsrückgangs in Ostdeutschland. Wiesbaden.
Ehmer, Josef (2004): Bevölkerungsgeschichte und historische Demographie 1800-2000. München.
Engelhardt, Henriette (2004): Frauen wollen Mutter, aber nicht Hausfrau werden. In: Demografische Forschung, Vol. 1, Nr. 3, 3.
Freiwilliges Engagement in Deutschland. Ergebnisse der Repräsentativerhebung zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und bürgerschaftlichem Engagement. Gesamtbericht (2001). Hg. Vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Stuttgart.
Gaschke, Susanne (2005): Die Emanzipationsfalle. Erfolgreich, einsam, kinderlos. München.
Gerngroß-Haas, Gabriele (2005): Anders leben als gewohnt. Wenn verschiedene Frauen unter ein Dach ziehen. Königstein.
Hummel, Diana (2006): Demographisierung gesellschaftlicher Probleme? Der Bevölkerungsdiskurs aus feministischer Sicht. In: Berger/Kahlert, 27-52.
Jansen, Stephan A./Priddat, Birger P./Stehr, Nico, Hg. (2005): Demographie. Bewegungen einer Gesellschaft im Ruhestand. Multidisziplinäre Perspektiven zur Demographieforschung. Wiesbaden.
Kerschbaumer/Schroeder, Hg. (2005): Sozialstaat und demographischer Wandel. Herausforderungen für Arbeitsmarkt und Sozialversicherung. Wiesbaden.
Kreyenfeld, Michaela (2004): Politikdiskussion fehlt verlässliche statistische Grundlage. In: Demografische Forschung, Vol. 1, Nr. 3, 4.
Lippe, Holger von der/Bernardi, Laura (2006): Zwei deutsche Ansichten über Kinder und Karriere. In: Demografische Forschung, Vol. 3, Nr. 3, 1f.
Mertens, Heide (1991): Wunschkinder. Natur, Vernunft und Politik. Münster.
Mingerzahn, Frauke (2005): 'Ich will beides. Beruf und Familie'. Lebenslagen von Mädchen in Sachsen Anhalt zwischen Wunsch und Wirklichkeit. In: Dienel, 83-92.
Niejahr, Elisabeth (2004): Alt sind nur die anderen. So werden wir leben, lieben und arbeiten. Frankfurt
Roloff, Julianne (2005): Geburtenverhalten und Familienpolitik - west und ostdeutsche Frauen im Vergleich. Eine empirische Studie. In: Dienel, 217-29.
Rothgang, Heinz: Demografischer Wandel und Pflege(ver)sicherung. In: Kerschbaumer/Schroeder, S. 119-46.
Scherf, Henning (2006): Grau ist bunt. Was im Alter möglich ist. Freiburg.
Schirrmacher, Frank (2004): Das Methusalem-Komplott. München.
Schirrmacher, Frank (2006): Minimum. München.

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Dieser Artikel erschien zuerst in: PROKLA (2007): 'Bevölkerung' - Kritik der Demographie, Nr. 146, März 2007, S. 25-37.
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