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Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften

Standortwettbewerb als gewerkschaftliche HerausforderungDer Kampf gegen die Verlagerung an Niedriglohnstandorte ist derzeit einer der großen Abwehrkämpfe, den die deutschen Gewerkschaften führen.

Was die Gewerkschaft als Standortwettbewerb abzuwehren versucht, verfügt über eine gesamtgesellschaftliche Relevanz, die nicht nur deutlich macht, dass Gewerkschaftspolitik mehr ist als Tarifpolitik, sondern auch, dass Strategien gegen den globalen Wettlauf nach unten auch neue Bündnisstrategien erfordern. Dies soll hier am Beispiel der Arbeitsbedingungen in der globalen Computerproduktion diskutiert werden.

Standortwettbewerb als gewerkschaftliche Herausforderung
Der Kampf gegen die Verlagerung an Niedriglohnstandorte ist derzeit einer der großen Abwehrkämpfe, den die deutschen Gewerkschaften führen. Zwar ist die globale Arbeitsteilung an sich nichts Neues, doch die Fragmentierung des Produktionsprozesses und die Überwindungen von Entfernungen im High-Tech-Kapitalismus führen zu einer Netzwerkökonomie, in der das Kapital weltweit mobil ist, wogegen die Beschäftigten örtlich gebunden sind. Zentral für Standortentscheidungen sind dabei nicht nur die Löhne und die Regulierung der industriellen Beziehungen, sondern auch Umweltgesetze, Steuern, Infrastruktur und staatliche Subventionen. Im Wettbewerb der Standorte werden Beschäftigte weltweit zueinander in Konkurrenz gesetzt, und spätestens mit dem Offshoring von IT-Dienstleistungen ist der globale Standortwettbewerb nun auch zu einer Herausforderung für ver.di geworden. Bemerkenswert ist, dass selbst in jenen Branchen wie z. B. dem Einzelhandel, in dem die Erbringung der Verkaufsdienstleistung an den Ort gebunden ist und eine Filiale nicht verlagert werden kann, Lohnkonkurrenz zwischen den Standorten an Bedeutung gewinnt. So werden auch Beschäftigte im Einzelhandel in Deutschland mit ihren Kolleginnen in Polen oder Russland verglichen. Ihnen wird eingeredet, dass sie im internationalen Vergleich zu teuer seien und die Gewinne schon lang nicht mehr in Deutschland, sondern im Ausland generiert werden.

Bündnispolitik, aber mit welchem Ziel?
Dieser Standortwettbewerb ist zu einem globalen Wettlauf nach unten geworden. Weltweit ordnen Regierungen Menschen- und Arbeitsrechte, Umweltgerechtigkeit und Steuereinnahmen dem Anwerben von Investitionen unter. In Deutschland wird China derzeit Bewunderung für sein enormes Wirtschaftswachstum gezollt - gleichzeitig inszenieren Politik und Medien das Land als Bedrohung, und das nicht selten unter Rückgriff auf rassistische Stereotype. Die Entwicklung von Handlungsstrategien kann hier nicht allein an die Gewerkschaften delegiert werden. Die Durchsetzung von Arbeitsrechten und Umweltgerechtigkeit ist nur in Bündnissen und Netzwerken von Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und sozialen Bewegungen zu erreichen.

Ein erster positiver Ansatz, wie diese Gegenmacht gebündelt werden kann, stellt das Zusammenspielen der Lidl-Kampagne von ver.di und attac im Bündnis mit NGOs dar. Ein weiteres Beispiel ist die Kampagne für saubere Kleidung. Der Streit für Arbeitsrechte weltweit wird als gesamtgesellschaftliche Herausforderung formuliert, Verbraucher sollen Verantwortung übernehmen und auf die Unternehmensleitung von Lidl, Tchibo, Adidas u.a. Druck ausüben, eine Verhaltensänderung der Konzerne zu bewirken. Allerdings stehen Kooperationen von Gewerkschaften und NGOs erst am Anfang. Es fehlen Instrumente, mit denen der Aufbau von Druck in eine Stärkung von Arbeitsrechten auf globaler Ebene transformiert werden kann. Dies soll im Folgenden am Beispiel der Computerindustrie diskutiert werden.

Verhaltenskodexe als Handlungsinstrument?
Die NGO Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung (WEED e.V.) startete 2006 das Projekt "PC global - Arbeit, Umwelt und Entwicklung in der Computerindustrie". Im Jahr 2005 waren weltweit 880 Millionen PCs in Betrieb - über 34 Millionen allein in Deutschland. Entgegen der Immaterialität des Cyberspace ist die Computerproduktion ein höchst materieller Vorgang, der in modernen HighTech-Niedriglohnfabriken in Asien stattfindet. Verbraucher sollen im Rahmen des Projekts über die Umweltauswirkungen und Arbeitsbedingungen in der Computerindustrie informiert werden, die als weitgehend "sauber" gilt - wogegen beim Thema Kaffee oder Textilien eine größere Sensibilität für die weltweiten Arbeitsbedingungen in der Produktion dieser Waren besteht.

Um jedoch auf eine ungleich größere Konsumentenmacht zu setzen und auch die Politik mit einzubeziehen, darf sich ein Appell nicht nur an die individuellen Konsumenten richten, sondern muss auch die öffentlichen Beschaffer in die Pflicht nehmen. So könnten NGOs und Gewerkschaften z.B. eine Kampagne zu entwickeln, die darauf zielt im öffentlichen Dienst, in Gemeinden und Universitäten das Bewusstsein für die globalen Arbeitsbedingungen in der Computerindustrie zu schaffen. EU-weit (ohne die neuen Beitrittsländer) werden sich im Jahr 2008 öffentliche Investitionen in Informations- und Kommunikationstechnologie auf 50 Millionen US-Dollar belaufen. Durch die Umsetzung der reformierten Europäischen Beschaffungsrichtlinie sind durchaus Möglichkeiten eröffnet, Sozial- und Umweltkriterien bei öffentlichen Ausschreibungen zu berücksichtigen.

Allerdings kann der Druck nur wirken, wenn es auch effiziente Instrumente gibt, mit denen weltweit Arbeitsrechte durchgesetzt werden können. Genau diese Instrumente sind jedoch relativ schwach. Um dies am Beispiel der Computerbranche festzumachen: Es besteht die Möglichkeit, dass die Internationale Metallgewerkschaft (IMF) mit Unternehmen wie Fujitsu-Siemens, Hewlett Packard oder Dell ein internationales Rahmenabkommen abschließt. Diese Abkommen bieten den zentralen Vorteil, dass sie a) die Kernarbeitsnormen der ILO in sich aufgenommen haben und als Standard setzen und b) die Möglichkeit eines Beschwerdeverfahrens existiert. Allerdings sind die Aussichten auf den Abschluss solcher Rahmenabkommen gering. Das setzt nämlich zuerst einmal starke Gewerkschaften auf nationaler Ebene voraus, die Druck ausüben können. Der Organisierungsgrad in der Elektronikindustrie ist jedoch weltweit sehr niedrig und generell viel schwächer als in den alten Industrien wie der Stahl- oder Automobilindustrie.

Ein weiteres Instrument sind unternehmensinterne oder branchenweite Verhaltenskodexe. Ihr gravierender Nachteil ist, dass die in ihnen festgeschriebenen Standards oft weit hinter den ILO-Kernarbeitsnormen zurückbleiben und zudem keine Kontroll- geschweige denn Beschwerdeverfahren existieren, um Verstöße zu registrieren bzw. dagegen vorzugehen. Die Kodexe sind zudem nicht rechtlich bindend. Das trifft in der Elektronikindustrie auch auf den von NGOs durchgesetzten Electronic Industry Code of Conduct EICC zu. Der EICC bleibt nicht nur hinter den ILO-Kernarbeitsnormen (in ihm ist z.B. das Recht auf Organisierung nicht uneingeschränkt verankert), sondern z. T. auch hinter dem nationalen Arbeitsrecht der jeweiligen Länder zurück. Kein Wunder, dass ihn alle großen Markenfirmen, mit Ausnahme von Fujitsu-Siemens, und sogar Kontraktfertiger wie Foxconn gerne unterzeichneten. So droht der Kampagnenerfolg am Ende nur ein "Reinwaschen" der Markennamen hervorzubringen.

Doch wäre es falsch, Verhaltenskodexe an sich rundweg abzulehnen - und sei es nur aus einem Mangel an Alternativen: In Ländern, in denen, wie in China, keine freie gewerkschaftliche Organisierung erlaubt ist, oder aber in denen Gewerkschaften ihre Funktion als Interessensvertretung nicht übernehmen, wie in Teilen Mexikos, sind Verhaltenskodexe oft eines der wenigen Instrumente, die bleiben und für unabhängige Organisationen einen Zugang zu den Unternehmen sowie eine Verhandlungsbasis schaffen können. So sind bis heute Verhaltenskodexe der Mechanismus, den NGOs wählen, um Arbeitsrechte zu verbessern.

Allerdings ist eine kritische Diskussion notwendig, wie dieses Instrument eingesetzt und genutzt werden kann. Hier sind mehrere Dinge zentral: Es bedarf einfacher Forderungen an konkrete Unternehmen, deren Einhaltung unmittelbar überprüft werden können. So wie z.B. die Forderung "eine Arbeiterin - ein Vertrag" in China. Eine Durchsetzung dieser Forderung für den Kontraktfertiger Foxconn beträfe immerhin 200 000 Beschäftigte und hätte darüber hinaus Ausstrahlungskraft auf andere Firmen. Offensichtlich ist, dass sich solche Forderungen nicht einfach durchsetzen lassen. Nötig ist vor allem, Kräfte zu bündeln und die Durchsetzungsmacht zu stärken. Im Kern geht es darum, die Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften, NGOs und sozialen Bewegungen auszubauen. Dabei gilt es, von den jeweiligen Stärken der beiden Akteure zu profitieren und die jeweiligen bestehenden Schwächen abzumildern.

Gewerkschaften und NGOs
NGOs haben den Vorteil, dass sie als Kind der Globalisierung nicht der Standortlogik zum Opfer zu fallen. Sie sind den Gewerkschaften in internationaler Vernetzung und im Denken internationaler Zusammenhänge voraus. Dafür sind sie z. T. ignorant, was die sozialen Kämpfe vor der eigenen Haustür angeht. Außerdem fehlt ihnen die nötige Basis, um Forderungen z.B. nach Verhaltenskodexen nachhaltig durchzusetzen. Hierfür setzt man in Kampagnen v.a. auf die viel beschworene Konsumentenmacht. Konsumentenkampagnen kranken jedoch oft daran, nur sehr kurzfristig und temporär Druck aufzubauen. Ihre Wirkungsmacht kann daher schnell verpuffen.

Die Schwachpunkte der Gewerkschaften sind, dass sie zu oft im nationalen Standortdenken verhaftet bleiben. Zwar interessieren sich viele einzelne Gewerkschafter für die hier angesprochenen Fragen, im Alltagsgeschäft der Gewerkschaften muss jedoch zuerst die nationale Mitgliedschaft vertreten werden. Und die hat - bedroht vom Arbeitsplatzverlust - mit ganz anderen Problemen zu kämpfen, als sich für die Organisierung internationaler Solidarität entlang der Wertschöpfungskette einzusetzen. Und wenn die internationale Solidarität ein Thema wird, dann oft erst zu spät, nämlich dann, wenn die Standortverlagerung konkret ins Haus steht.

Sarah Bormann ist Mitarbeiterin bei WEED, Arbeitsbereiche: Wertschöpfungsketten (Einzelhandel und PCs), Handels- und Investitionspolitik.