"Baby Schock"

Mehr Mütter fürs Vaterland!

in (16.08.2006)

Ursula von der Leyen und die gesamte Große Koalition fordern: "Wir wollen mehr Kinder in den Familien und mehr Familie in der Gesellschaft. (Â…) Denn Deutschland braucht mehr Kinder". Aber warum?

Dass die Deutschen aussterben und dies ganz schrecklich sein soll, wird schon seit vielen Jahren als Horrorvision heraufbeschworen. Obwohl sich schon seit dreißig Jahren an einer Quote um die 1,4 Kinder pro Frau in Deutschland nichts geändert hat, wurde das Thema "Demografie" unerwartet wieder hof- und schlagzeilenfähig. Im April schafften es Meldungen über Geburtenzahlen auf die Titelseiten der Zeitungen, es wurde wieder einmal ein Rekordtief verkündet: "Deutschland verzeichnet die niedrigste Geburtenrate in Europa". Tatsächlich liegt die Geburtenrate nach Angaben der EU-Statistiken (EUROSTAT) in 10 der 25 EU-Mitgliedsstaaten niedriger als in Deutschland. Und hierzulande lag sie 1983 bis 86 deutlich unter dem aktuellen Niveau.

Mit weder neuen noch exakten Daten wie "40% der weiblichen Akademikerinnen kinderlos" waren die Schuldigen an der Misere unseres schönen Landes gefunden: Die Frauen, oder exakter: Die gebildeten Frauen, denen nicht nur Wissen, sondern auch Selbstsucht und Karrierefixierung unterstellt wird, sind schuld am Niedergang unserer Sozialsysteme, denn sie vernachlässigen ihre Pflicht, Mutter vieler deutscher Kinder zu werden, die dann die Rente zahlen und die Alten pflegen sollen.

Dass im Schulleistungsvergleich PISA herauskam, dass Kinder von Akademikerinnen bessere Bildungschancen haben, passt zum Ansatz der offiziellen BRD Frauenpolitik: Akademikerinnen sollen besonders ermuntert werden Kinder zu bekommen, die besonders gute Chancen haben.Staatssekretär Gerd Hofe postuliert: "Die Zukunft der Familie ist die Zukunft unseres Landes." Und Frank Schirrmacher weiß, dass soziale Kompetenz, Einfühlung, Altruismus und Kooperation von Müttern in der Familie gelehrt werden. Mit "einer Gesellschaft von Egoisten" drohte "Der Spiegel" folgerichtig im März, statt Hilfsbereitschaft wachse mit der "Ein-Kind-Familie" das Konkurrenzdenken.

"Liebe begünstigt Geburten, Arbeit vereitelt sie." meint Schirrmacher und verschweigt, dass ohne Arbeit nun mal Armut droht und dass sein geforderter Altruismus bislang hauptsächlich Abhängigkeit vom Ehemann bedeutet und in Altersarmut von Frauen mündet. Oder wollte Schirrmacher an die Väter appellieren, sich mehr bei der Kinderversorgung einzubringen? - Mitnichten. Alle diese Thesen und Appelle zielen mehr oder weniger auf die lebenslang gebundene Ein-Ernährer-Familie, in der einer (lohn)arbeitet und eine die Kinder betreut. Sie bauen auf Sicherheiten, die es schon lange nicht mehr gibt. Überstunden, Jahresverträge, prekäre Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und Hartz I-IV sind gesellschaftliche Umstände, gegen die man mit Kindern deutlich schlechter gewappnet ist.

Auch die "Reformen" der großen Koalition wie das Elterngeld ändern das nicht - sie wirken nur da, wo ohnehin ein gewisser Grad an Absicherung und Wohlstand vorhanden sind, denn die Ersparnis ist um so größer, je höher das Einkommen liegt.20 Prozent der Familien sind von diesem Steuergeschenk ausgeschlossen, weil sie zu wenig verdienen und keine Steuern zahlen.
Mini-JobberInnen brauchen offenbar keine Anreize zur Familiengründung. ÄusländerInnen ebenso wenig. Bei Kindern ausländischer Mütter, die durch die Vaterschaftsanerkennung eines deutschen Mannes die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben, soll die Vaterschaft nach einem aktuellen Gesetzesentwurf aus dem Hause Zypries überprüft werden - und Kinder und Mütter damit eventuell aus Deutschland abgeschoben werden.

Man ahnt: In der Debatte um mehr Kinder geht es eigentlich gar nicht um mehr Kinder.
Geburtenraten sind nur Aufhänger, Chancenverteilung in dieser Gesellschaft zu thematisieren und um das Lebensmodell der emanzipierten Frau, die die Entscheidungen über ihr Berufsleben und ihre Kinderzahl selbst trifft, zu torpedieren. Es ist kein Zufall, dass Männer offenbar nichts mit der Geburtenrate zu tun haben.Frauen werden zu anbetungswürdigen Wesen stilisiert, deren Erfüllung in Mutterschaft und Familie liegt, die durch diese - unbezahlte - Arbeit das Land retten. "Die Glorifizierung des weiblichen Charakters schließt die Demütigung aller ein, die ihn tragen." stellte Adorno einst fest. Wie wahr - die Schuldzuweisung und Aufforderung an Frauen ist Rhetorik und feuert den Rollback gegen die Emanzipation der Frau weiter an. Schließlich ist die Debatte um die Kinderlosigkeit bestens geeignet, Frauen in die überwunden geglaubte Rolle als Ehefrau und Mutter in der Gesellschaft und aus dem Arbeitsmarkt zu drängen.