Standard-Bildung

Wie Bildung für den Markt standardisiert wird

PISA, Iglu, DESI, Lernstand 9 etc pp schockierten weniger aufgrund ihrer Ergebnisse, denn diese bestätigen nur die Diskussion, die innerhalb der SPD schon seit über 100 Jahren geführt wird.

Götz Godowski, stellv.Vorsitzender ProMS Nord, ist Lehrer und lebt in Lübeck
Die Bildungsdebatte ist in vollem Gange, könnte man meinen. Der jetzt-nicht-mehr Parteivorsitzende ließ sich in einer Elite-Schule gemeinsam mit dem jetzt-bald-Vorsitzenden Beck ablichten und beide redeten von Zukunftssicherung und Chancengleichheit. Die Replik von Ernst-Dieter Rossmann in spw 147 war zwar nützlich, sie greift aber zu kurz.
Die Verkürzung der bildungspolitischen Diskussion auf die Einführung der Studiengebühren und die prognostizierte Proletarisierung einer ganzen Akademikergeneration -nicht zuletzt auch im spw Schwerpunkt als "kritische Intellektuelle" -mag vielleicht für die jugendliche sozialdemokratische Linke spannend sein, sei es, da sie selbst noch studentisch beschäftigt ist, sie als Elternteil befürchtet dem-nächst selbst zahlen zu müssen oder sie selbst im akademischen Betrieb in prekären Beschäftigungs-verhältnissen steckt. Doch sie blenden den tatsächlichen Konflikt in der derzeitigen Bildungspolitik aus.
PISA, Iglu, DESI, Lernstand 9 etc pp schockierten weniger aufgrund ihrer Ergebnisse, denn diese bestätigen nur die Diskussion, die innerhalb der SPD schon seit ihrer Gründung vor über 100 Jahren geführt wird. Der Schock besteht darin, dass viele von einer humanistisch geprägten Aussage der OECD Studie ausgehen und die ökonomisch marktradikalen Interessen dahinter ausblenden. Die OECD ist jedoch eine Organisation, die vor allem Regeln für den Austausch von Waren organisieren soll. Diese soll sich auch auf den Bereich der Bildung erstrecken. Es sollte daher nicht verwundern, dass das Ziel von PISA-und auch aller darauf folgenden Studien, wie zuletzt DESI und Lernstand 9- weniger die Vervoll-kommnung des bürgerlichen Subjektes der Moderne ist, sondern die Standardisierung von Bildungs-zielen und -systemen um zukünftig eine größtmögliche Handelbarkeit von Bildung ermöglichen soll.
In der Bundesrepublik ist die Privatisierung der Bildung im beruflichen Bereich schon weit gediehen. Auch in den anderen Bildungsbereichen werden Strukturen zur Privatisierung von Bildung deutlich. Es geht dabei einerseits um die Abschiebung öffentlicher Dienstleistung in den Bereich des Privaten, et-wa Nachhilfestunden statt Förderunterricht, andererseits um die weitere Affirmation gesellschaftlicher und ökonomischer Herrschaft.
Im folgenden soll an Hand von vier Beispielen die Privatisierungs- und Affirmationstendenzen gezeigt werden, um auf mögliche Eingriffsmöglichkeiten gegen weitere Bildungsungleichheit hinzuweisen.
1. Bildungsstandards
Die Durchsetzung der Bildungsstandards soll die Diskussion parteiübergreifend auf eine neue Ebene der wissenschaftlich begründeten Bildungspolitik heben. Sehr schnell, zumindest in der Auffassung der Medien, wurden diese Standards nach den ersten PISA Ergebnissen als Heilmittel gegen die Bil-dungsmisere der erstaunten Öffentlichkeit präsentiert. Durch die Definition von Standards nach Klasse 4, Klasse 9 und auch Klasse 10 soll bundeseinheitlich die Bildung von der "Outputseite" gesteuert wer-den. Die bisherige lehrplanorientierte Schule ist demnach "input"orientiert. Die Unterscheidung bei-der Sichtweisen, dem ökonomischen Sprachgebrauch entlehnt, ist auch bei näherer Betrachtung nicht ersichtlich. Die Definition von zu erreichenden Bildungszielen wird von beiden Konzepten in den Vor-dergrund gestellt. Die althergebrachte Orientierung ist jedoch so ehrlich und legt die Ressourcen of-fen, wie Schulgebäude, -ausstattung, Lehrerstunden etc. Die Bildungsstandards definieren einen Soll -Zustand, der zu erreichen ist. Die aufgewendeten Mittel bleiben undiskutiert und undurchsichtig.
Tatsächlich ist die Idee der Bildungsstandards unabhängig von der PISA Diskussion angestoßen wor-den. Bereits in den 90er Jahren entwickelte sich die Zielsetzung über einheitliche Standards die Bil-dungsabschlüsse vergleichbar zu machen. Doch die aktuellen nunmehr verbindlichen Bildungsstan-dards halten bei weitem nicht, was sie versprechen, sondern entwickeln sogar ein antinomisches Ei-genleben.
Die Standards stehen in einem nicht aufzulösendem Spannungsverhältnis zu den landeseigenen Lehrplänen. Ob diese noch Geltung haben, wenn ja wie, wird nicht beantwortet. Während die alten Lehrpläne noch Bildungsinhalte und -methoden definierten, die in einem politisch konsensualen Pro-zess definiert wurden, sind die Standards für den Schulgebrauch unhandlich, da sie sich genau der ge-sellschaftlichen Konsensfindung der Bildungsinhalte durch lediglich vergröberte Grobkompetenzen entziehen. Zum zweiten sind die aus den Bildungsstandards abgeleiteten zentralen Vergleichsprüfun-gen, etwa nach der 4. Klasse oder dem "Lernstand 9" aus NRW, so kleingearbeitet, dass etwaige Mes-sungen, bei bekannten Aufgabentypen nicht mehr Fähigkeiten und Kompetenzen abfragen, sondern im Unterricht eingetrichterte kognitive Reflexe. Dies wird vor allem in Ländern mit zentralen Ab-schlussprüfungen deutlich. Letzteres fördert eine Verlegung von Bildung auf das Repetitorium, das umso besser absolviert, wer die finanziellen Möglichkeiten des Elternhauses besitzt.
Zum letzten schreiben die Bildungsstandards, die auch von sozialdemokratischen Bildungspolitikern eingeführt wurde, unmissverständlich das dreigliedrige Schulsystem fort, indem die Standards gerade für die Schaltstellen vorgibt, die diese Dreigliedrigkeit definieren-zur Separation nach Klasse 4, für das Hauptschulzeugnis und die Realschulprüfung. Die bundeseinheitliche Beschreibung des Abiturs ist hingegen schon gang und gäbe.
Die Durchdeklination der Privatisierung auch der Schule wird in Großbritannien eingeübt und sicher-lich interessiert beobachtet. Durch ein neues Schulgesetz wird die Labour Regierung Schulen in pri-vatwirtschaftlich agierende Unternehmen überführen, die nicht mehr Staatsbesitz, sondern Stiftungs-besitze sein werden. Ziel der Schulen ist Abnahme einer Prüfung, eines Abschlusses (in der BRD Bil-dungsstandards) in öffentlichem Auftrag. Der Weg wird dann handelbar.
II. Das 12-jähriges Abitur
In vielen Bundesländern, auch mit sozialdemokratischen Regierungsanteil, wird die 12-jährige Schul-zeit, wie sie in den Neuen Bundesländern bereits praktiziert wird, in den nächsten Jahren durchge-setzt. Durch die Verkürzung der Schulzeit versprechen sich die Kultusbehörden einen haushaltstech-nischen Effekt, d.h. eine Einsparung von Stunden und damit Einsparungen bei den Personalausgaben. Lässt man die Tatsache außer acht, dass bei einer Verkürzung der Schulzeit in einem bestimmten Zeit-fenster von ca. zwei Jahren eine deutlich überdurchschnittliche Anzahl von AbiturientInnen auf die Universitäten strömen werden,-da der Prozess innerhalb der nächsten vier Jahre von allen Bundeslän-dern übernommen werden wird-bleibt als Ergebnis, dass dem integrativen Schulsystem damit der komplette Garaus gemacht werden wird.
Am Beispiel Niedersachsens und Schleswig-Holsteins lässt sich dies eindruckvoll sehen. Die große Koa-lition in Schleswig-Holstein wird in den nächsten Jahren-so wie in Niedersachen-das 12-jährige Abitur einführen. Dies mit ausdrücklicher Zielvorgabe der stellvertretenden Ministerpräsidentin und Bil-dungsministerin Erdsiek-Rave (SPD) die gymnasialen Standorte zu stärken. Die Umsetzung dieser Ziel-vorgabe, die inzwischen schon in den Regelkanon jeder offiziellen Bildungspolitik gehört, ist technisch defizil. Da nach der KMK Vereinbarung die gymnasiale Oberstufe stets dreijährig konzipiert ist (beste-hend aus einem Einführungsjahr und zwei Qualifikationsjahren) muss notwendiger Weise in der Se-kundarstufe I, die das 5-10 Schuljahr umfasst, ein Jahr eingespart werden. Für die Gymnasien bedeutet dies den Übergang in die Oberstufe nach neun Schuljahren und die Komprimierung der Stunden für die SchülerInnen und Schüler von sechs auf fünf Schuljahre. Damit wird eine Ganztagsschule zwar zwangsläufig eingeführt werden müssen, das ist wünschenswert, da aber der Ausgrenzungscharakter des Gymnasiums bleiben wird, wird der Druck auf die SchülerInnen wachsen kognitive Fähigkeiten in den Vordergrund rücken. Zum Erreichen des Klassenzieles werden Nachhilfestunden fällig werden. Somit wird bereits in der Sek I die Bildung auf den Privatbereich verschoben.
In integrierten Systemen ist es strukturell notwendig alle drei Bildungsabschlüsse anzubieten. Da der Sek-I-Abschluss, als Realschulabschluss, jedoch erst nach Klasse 10 abgelegt werden kann, entsteht die absurde Situation, dass das Abitur an Gesamtschulen erst nach dem 13. Schuljahr abgelegt wer-den kann. Dies ist politisch auch so gewollt, wenn man hierzu die Erlasse Niedersachsens und Ham-burgs liest. Auch bisherige Gesamtschulen können sich anschließen, wenn auf den integrierten Unter-richt ab einer bestimmten Klassenstufe-wahrscheinlich eher früher als später-verzichtet wird. Dann je-doch handelt es sich nicht mehr um integrierte, sondern um differenzierende Systeme. Somit werden Gesamtschulen für Eltern der gehobenen Mittelschicht, deren Kind auf Grund der ökonomischen Situ-ation mit größerer Wahrscheinlichkeit das Abitur machen wird, deutlich uninteressanter, die Gymnasi-alausbildung bevorzugter, da sie schlicht ein Jahr einspart. Damit läuft das Schulwesen auf eine Zwei-gliedrigkeit hinaus.
3. Volksfinanzierte Studiengebühren
PISA hat gezeigt, dass vor allem die Kinder der gehobenen Mittelschichten und Oberschichten die Hochschulzugangsberechtigung erlangen. Das korreliert mit den Zahlen, dass der mit großem Ab-stand überwiegende Teil der Studierenden aus eben dieser Klasse kommt. Die Selbstreproduktion ist im System des gegliederten Schulsystems schon angelegt und dürfte eigentlich nicht so sehr erstau-nen, wie man es häufig aus dem Munde berufener Journalisten, deren Kinder wohl ebenso wie sie selbst das Abitur ablegen werden, und noch berufenerer PolitikerInnen, die als Gewinner der 70er Jah-re Bildungsoffensive ihren Kinder ebenso das Abitur mit anschließendem Studium ermöglichen wol-len, hört.
Ist die Reproduktion der eigenen Klassenzugehörigkeit oder der Aufstieg in die nächste Klasse gepaart mit dem Wunsch nach einer ökonomisch gesicherten Zukunft das Ziel des Individuums, so ist die In-novation und weitere technische Entwicklung das Interesse der Gesellschaft am Studium. Jedoch ist der Ausschluss ganzer Gesellschaftsgruppen vom Studium, eben aufgrund der Abwehr durch das Bil-dungssystem, kein Grund für die Gewinner des Bildungswettlaufs, sich dieses Studium nicht von gera-de diesen Ausgeschlossenen bezahlen zu lassen. Tatsächlich werden Universitäten und freies Studium somit zu einer steuerfinanzierten Abwehr von bildungsfernen Schichten, auch das belegt ehrlichkeits-halber die PISA Studie.
Schon Karl Marx - man kann ihn nicht oft genug zitieren - nannte die Forderung nach freiem Zugang zur höheren Bildung als abgefeimte Forderung der höheren Klassen sich ihre Ausbildung durch die Allgemeinheit finanzieren zu lassen7. Die tatsächlichen drückenden und existentiellen Studienkosten, die Lebenshaltungskosten, werden dem privaten Bereich zugeschrieben. So kommt es dann, dass durch die BaföG Regelung Absolventen, die sich das Studium durch Kredite finanzieren mussten, wohlgemerkt wegen der Lebenshaltungskosten, durch Rückzahlung dieser Darlehen die nächste Ge-neration derjenigen, die sich die Lebenshaltungskosten nicht leisten können, finanzieren. Söhne und Töchter von Eltern, die über ausreichende finanzielle Mittel verfügen oder günstige Ferienjobs bei be-freundeten Unternehmern organisieren können, beteiligen sich grundsätzlich nicht an den Kosten des Studiums. Die Privatisierung dieser Kosten ist der Riegel vor dem Studium.8
Zu diesem Bereich gehört auch die Privatisierung des gesamten berufsbildenden Sektors. Schon jetzt werden Berufsschulen in private Trägerschaften überführt und müssen sich auf dem Bildungsmarkt etablieren. Somit wird der staatlichen Zugriff auf diese Schulen immer geringer. Der Staat entzieht sich seiner Verantwortung für die Jugendlichen, deren Chance auf eine weitere Beschäftigung ungleich geringer ist als die von Studierenden.
4. Schuld der Eltern
Die neueste Nachricht aus der PISA Studie ist die Abhängigkeit der Bildungsabschlüsse von der finan-ziellen Stellung der Eltern. Diese ist allerdings ein Produkt der Klassengesellschaft und reproduziert sich durch-Bildungsabschlüsse, die wiederum konstitutiv für die Gehälter sind. Schlicht ausgedrückt streben also die Eltern der gehobenen Mittelschicht und der Oberschicht ein System an, das die eige-nen Kinder vor der Konkurrenz schützt. Was kann man auch von einer Klassengesellschaft anderes er-warten, als dass sie sich selbst reproduziert?
Doch die Schuldzuweisung an die Eltern wäre genauso falsch wie einseitige Schuldzuweisungen an die Lehrkräfte, bei aller berechtigten Kritik, und SchülerInnen, die auch nur das Produkt ihrer Gesell-schaft sind. Durch die Diskussion, dass nun alle an einem Strang ziehen sollen, Eltern, LehrerInnen und SchülerInnen wird der Klassencharakter des Bildungssystems der BRD aus den Augen verloren. Klappt die angestrebte Neuorientierung nicht, sind Schuldige schon ausgemacht. Trotz Ganztagsprogramms, Bildungsstandards, Vergleichsarbeiten etc. wenn es nicht funktioniert hat eine Personengruppe ver-sagt, vielleicht die Bürokratie, vielleicht auch die Politik, sicherlich aber nicht das Bildungssystem. Die gebetsmühlenartig wiederkehrende Forderung auch sozialdemokratischer Bildungspolitiker man müsse nun die Qualität von Bildung heben und um Gottes Willen nicht in die Schulstrukturdebatte der 1960er Jahre zurückfallen, soll genau von dieser falschen Weichenstellung ablenken.
Insofern ist bei zynischer Betrachtung tatsächlich die biologistische Erklärung die eigenen Gene (Kin-der) vor der Konkurrenz schützen zu wollen (Beibehaltung des bildungspolitischen status quo) der An-triebsmotor der Qualitätsdebatte.
Am Besten würde dies gelingen, wenn die Separation auf Grundlage des Einkommens durch privati-sierte Bildungsbetriebe durchgesetzt würde. Die Zunahme von freien Schulen scheint dafür ein Indiz zu sein. Vergleiche mit dem Vereinigten Königreich und Frankreich bieten sich hier besonders an. Die Abwendung der dortigen oberen Klassen vom Gesamtschulsystem zeigt nur allzu deutlich, wie nivel-lierend und im Sinne von Chancengleichheit erfolgreich diese Systeme funktionieren, wenn man sich entkoppeln muss, um wenigstens den sozialen Status der Sprösslinge halten zu können.
5. Forderungen und Möglichkeiten
Die derzeitige Diskussion öffnet bei aller Kritik jedoch Möglichkeiten für einen Neuanfang in der Bil-dung. Ein integriertes Bildungssystem, in dem allgemeinbildende Teile und berufsbildendende Pha-sen gleichberechtigt nebeneinander stehen und sich gegenseitig ergänzen ist die aller erste Forde-rung.
Die bisherige Praxis der kulturellen Länderhoheit gehört als erstes abgeschafft. Bildung ist eine natio-nale Aufgabe, Wettbewerb von Schulsystemen schadet nur dem Ziel der Chancengleichheit, da sich nicht das Bessere durchsetzt, sondern das System insgesamt reproduzierend wirkt. Hinzu muss die Reduktion von Bildungsabschlüssen kommen. Ein mittlerer Bildungsabschluss nach Klasse 9 und die anschließende weiterführende Oberstufe muss obligatorisch sein, sie ist berufsspezifisch und kann zur Hochschulreife führen. Dabei ist die Ausbildung rein staatlich zu organisieren. Nur hier ist die nötige Breite der Ausbildung gewährleistet, kann mithin auf das "lebenslange Lernen" hingearbeitet werden.
Die Berufsbildung ist somit integrierter Bestandteil schulischer Bildung. Die Steuerung der Ressourcen geschieht dann planerisch, qualifiziert und initiiert damit auch Neuerungen. Die berufliche Bildung kann nicht betriebswirtschaftlich organisiert sein, was durch die privatisierten Berufsschulzentren schon geschieht, sondern muss volkswirtschaftlich geplant sein. Das bedeutet auch die frühzeitige Be-rufsorientierung in der Sekundarstufe 1.
Die Bildungsfinanzierung misst sich an sozialen Gesichtspunkten. Wenn das bisherige Schul- und Stu-diensystem Ungleichheit festschreibt, so folgt daraus, dass die Nutzer und Nutzerinnen des Systems sich ihrer Stärke nach beteiligen. Was im Steuersystem richtig ist, kann für den Sektor der demnächst Besserverdienenden seine Geltung nicht verlieren. Getreu dem Marx-Satz, dass freie Bildung nicht heißen darf die Bildung der höheren Klassen aus dem allgemeinen Steuersäckel zu finanzieren. Die Umkehrung der Finanzierung, d.h. die Aufstockung der Mittel für Frühförderung auch zu Lasten der Mittel für universitäre Ausbildung, ist nachgewiesener Maßen effektiver als das bisherige bundesdeut-sche System.
Bundeseinheitliche Bildungsstandards sichern den Weg zu einem bundeseinheitlichem Schulsystem. Doch im Gegensatz zu ihrer jetzigen Verwendung müssen diese Standards gleichzeitig auch Hilfestel-lung sein zu ihrer Erreichung. Niemand wird ernsthaft in Frage stellen, dass eine Gesamtschule Berlin-Neukölln mit demselben Stundenschlüssel wie eine Gesamtschule im Herzen Münsters, bei allem eh-renwerten Engagement der KollegInnen, auskommen wird. Diese Ressourcen Verteilung kann nur der Staat leisten - und zwar zentral.
Allerdings hat der Staat nur die Mittel bereit zu stellen. Wie Marx in seiner Kritik am Gothaer Programm ausführt, darf die Erziehung und Ausbildung an der Schule staatlich gefördert sein, sie darf aber nicht durch den Staat geschehen. Bildung ist professionell, wissenschaftlich fundiert und geplant durchzu-führen.
Sollten die bestehenden Ungerechtigkeiten des Bildungssystems weiterlaufen wie bisher, so ist der Privatisierung der Bildung, wie von der OECD gewollt, und damit einer weiteren Zersplitterung der Gesellschaft Tor und Tür geöffnet. Sollte der Zugang zum sozialen Aufstieg, der in den entwickelten kapitalistischen Gesellschaften vor allem durch Bildung möglich wird, weiterhin eingeschränkt wer-den, so sind die Grundfesten des gesellschaftlichen Zusammenhalts erschüttert. Ein nivellierendes Bil-dungssystem hat sich Deutschland bisher nur im Zuge undemokratischer Vorzeichen durchgesetzt, das sollte zu denken geben und macht die Notwendigkeit schnellen Handelns deutlich.
Literatur
Christoph Ehmann: Bildungsfinanzierung und soziale Gerechtigkeit. Vom Kindergarten bis zur Weiter-bildung. Bielefeld, 2003
Torsten Feltes/Marc Paysen, Nationale Bildungsstandards Von der Bildungs- zur Leistungspolitik, Ham-burg 2005
Frankfurter Rundschau 2. März 2006 S. 6, und die Debatte im Guardian, nachzulesen im internet unter http://education.guardian.co.uk/ Berichte über "school bill")
Josef Kraus: Der Pisa Schwindel, 2005
Karl Marx: Karl Marx/Friedrich Engels-Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 19 (bitte präzisieren)
Ernst-Dieter Rossmann, Die Platzeck-Linie, spw 147, 1/2006, S. 6
SPD Niedersachsen, Beschlüsse "Zukunft der Bildung" (www.spd-niedersachsen.de/content/09326.php?a=4&b=2) sowie hierzu die Replik der niedersächsischen GEW (gew-nds.de/meldungen/trennung_gabriel-politik.php).

Quelle: spw 149 (Mai/Juni 2006)