Krieg

Wenn jemand nach langer Abwesenheit von hier jetzt auf unsere Fernsehschirme schaut, könnte er den Eindruck gewinnen, daß Israel von einer Militärjunta regiert wird. Auf allen Fernsehkanälen ...

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erscheinen jeden Abend eine Reihe hoher Offiziere in Uniform. Sie erklären nicht nur die militärischen Aktionen des Tages, sondern kommentieren auch politische Dinge und legen die politische und propagandistische Linie fest. Während all der anderen Stunden des Fernseh- und Radioprogramms wiederholen frühere Generäle immer wieder die Botschaft der Armeekommandeure.

Natürlich leben wir in einer Demokratie. Die Armee ist vollkommen dem zivilen Establishment untergeordnet. Nach dem Gesetz ist das Kabinett der "Oberste Kommandeur" der Armee - die in Israel die Flotte und die Luftwaffe einschließt. In der heutigen Praxis aber sind es die Offiziere, die über alle politischen und militärischen Angelegenheiten entscheiden. Wenn Dan Haluz den Ministern sagt, die Armee habe diese oder jene Operation entschieden, wagt kein Minister, dagegen zu stimmen.

Ehud Olmert präsentiert sich als der Erbe Churchills: Blut, Mühsal Schweiß und Tränen. Das klingt sehr pathetisch. Amir Peretz steht mit stolzgeschwellter Brust da und verteilt nach allen Richtungen Drohungen - auch das ist pathetisch. Er ähnelt nichts so sehr wie einer Fliege, die auf dem Ohr eines Ochsen sitzt und prahlt: "Wir pflügen!"

Der Generalstabschef verkündete in der vorigen Woche mit Befriedigung: "Die Armee erfreut sich der vollen Unterstützung der Regierung." Die Armee entscheidet, und die Regierung steht "hinter ihr".

Nun ist es kein Geheimnis mehr: Dieser Krieg war schon lange im voraus geplant. Die Militärkorrespondenten verkündeten stolz, die Armee habe diesen Krieg seit Jahren bis ins Detail vorbereitet. Erst vor einem Monat habe es ein großes Kriegsspiel gegeben, um den Einmarsch der Landtruppen in den Südlibanon einzuüben - das war zu einer Zeit, als Politiker wie Generäle erklärten, daß "wir nie wieder in den Libanonsumpf hineingehen. Wir werden niemals mehr mit Landtruppen dort einmarschieren." Nun sind wir mitten in diesem Sumpf.

Auch die andere Seite hatte sich seit Jahren vorbereitet. Sie baute nicht nur Verstecke für tausende Raketen, sie hat auch still ein raffiniertes System aus Bunkern, Höhlen und Tunneln gebaut. Unsere Soldaten werden diesem System nun auf die Spur kommen und dafür einen hohen Preis zahlen. Unsere Armee hat wieder einmal gemeint, "die Araber" mit Verachtung behandeln zu dürfen, und so deren militärische Fähigkeiten falsch eingeschätzt.

Das ist eines der Probleme militärischer Mentalität. Das Töten von hunderten libanesischer Zivilisten, die verschiedenen ethnisch-religiösen Gemeinschaften angehören, das Verwandeln des Lebens der anderen in eine Hölle und die Zerstörung der lebensnotwendigen Infrastruktur der libanesischen Gesellschaft werden zur Quelle für Wut und Haß gegen Israel - und nicht etwa gegen die Hisbollah, deren Kämpfer als Helden angesehen werden, die ihr Leben opfern, um andere zu retten. Die Folge wird eine strategische Stärkung der Hisbollah sein. Möglicherweise wird dies das wichtigste Ergebnis des Krieges.

Jahre eines Besatzungsregimes in den palästinensischen Gebieten haben unter unseren Militärs eine schreckliche Abgebrühtheit verursacht; das Töten von zehn oder zwanzig Palästinensern pro Tag, wie es jetzt im Gazastreifen geschieht, rührt niemanden mehr. Es kommt nicht einmal mehr in die Schlagzeilen.

Nun wird auch im Libanon diese Abgebrühtheit deutlich. Luftwaffenoffiziere sitzen ruhig und bequem vor den Kameras und sprechen über "Bündel von Zielen", als ob sie über ein technisches Problem plaudern würden und nicht über das Leben von Menschen. Sie sprechen über die Vertreibung von hunderttausenden Menschen aus ihren Häusern als militärischem Ziel, und sie verbergen auch nicht ihre Zufriedenheit vor Menschen, deren ganzes Leben zerstört worden ist. Das zur Zeit beliebteste Wort unter Generälen lautet "pulverisieren": Wir pulverisieren, sie wurden pulverisiert, Stadtteile wurden pulverisiert, Gebäude wurden pulverisiert, Menschen werden pulverisiert.

Wir begannen einen Krieg, der ein paar Tage dauern sollte - er wurde zu einem Krieg von Wochen. Jetzt sprechen wir schon von einem Krieg von Monaten. Ganze Brigaden kämpfen dort, und nun wurden Reservisten en masse einberufen wie bei der Großinvasion von 1982.

Es gibt Beobachter, die eine Konfrontation mit Syrien voraussehen. Alle Zeichen deuten darauf hin, daß die USA Israel zu einem Krieg mit Syrien drängen - einem Land, das über ballistische Raketen mit chemischen und biologischen Sprengköpfen verfügt.

Was auch immer geschieht, die Hisbollah wird gestärkt aus diesem Krieg hervorgehen. Sollte jemand in der Vergangenheit gehofft haben, der Libanon werde langsam ein normales Land, in dem die Hisbollah keinen Vorwand mehr habe, eigene militärische Kräfte zu unterhalten, so hat Israel jetzt der Hisbollah eine perfekte Rechtfertigung geliefert: Israel zerstört den Libanon, und nur die Hisbollah kann kämpfen und das Land verteidigen.

Dieser Krieg bringt nichts Gutes hervor - weder für Israel noch für den Libanon und noch für Palästina. Der "Neue Nahe Osten" wird für seine Bewohner nach diesem Krieg ein weniger guter Ort zum Leben sein.

Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, von der Redaktion gekürzt

In Des Blättchens 9. Jahrgang (IX) Berlin, 7. August 2006, Heft 16

Aus dem Inhalt
Uri Avnery, Tel Aviv: Krieg; Kurt Merkel: Das Rachemuster durchbrechen; Jörn Schütrumpf: Breker statt Lenin; Henryk Goldberg: Tübke & Handke; Kai Agthe: Schleef und Sangerhausen; Detlef Kannapin: Die kommunistische Perspektive; Maria Szyszkowska, Warschau: Unzeitgemäße Wahrheit; Klaus Hart, São Paulo: Terror-Hymnen; Helmut Höge: Briefe öffnen; Peter Panter: Ein deutsches Volkslied; Klaus Hansen: Chapeau, Deutschland! Thomas Heubner: Wadenkrampf; Max Hagebök: Natürlicher Irrsinn; Heinrich Heine: Schöne Witterung