Gewerkschaften und die Große Koalition

Bislang noch keine grundsätzliche Kritik an der Koalition

in (18.04.2006)

Bisher haben die Gewerkschaften eher abwartend auf die Große Koalition reagiert und keine grundsätzliche Kritik an den Vorhaben der neuen Regierung angemeldet. Wäre nicht das Gegenteil angemessene

"Wichtige Anliegen der Gewerkschaften wurden umgesetzt. Allerdings hätten wir uns eine gerechtere Verteilung der Lasten und deutlichere Impulse für die Konjunktur gewünscht", so der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer, in seinem Statement zum schwarz-roten Koalitionsvertrag.

Wenn er allerdings von "wichtigen Anliegen" spricht, muss klar werden, dass der DGB die Latte vor der Bundestagswahl eher niedrig gehängt hatte (dies gilt nur eingeschränkt für die IG Metall und ver.di). So wird z.B. als Erfolg präsentiert, dass die Tarifautonomie erhalten geblieben ist.
Die Tarifautonomie ist aber nicht irgendein Bonbon, das abhängig Beschäftigten seitens der Regierung gewährt wird, sondern vielleicht die wichtigste institutionelle Voraussetzung für gewerkschaftliche Interessenvertretung in der Bundesrepublik. Ihre Abschaffung hätte die totale Entmachtung der organisierten ArbeiterInnenschaft bedeutet - Ähnliches gilt für den Erhalt der Mitbestimmung (die die FDP per Gesetz abschaffen wollte). Die politischen Kräfteverhältnisse haben sich im Parteienspektrum trotz Auftreten des Linksbündnisses aus PDS und WASG nicht zugunsten der Beschäftigten verschoben.

Dass DGB-Chef Sommer die angekündigte Überarbeitung der "geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse" (Mini- und Midijobs) begrüßt, könnte sich schnell als Eigentor erweisen, da die CDU noch in diesem Jahr den Niedriglohnsektor massiv ausweiten möchte - gegen Gewerkschaftsinteressen, denn ein Ausbau dieser Jobs ist bisher noch immer auf Kosten von Vollzeitstellen erfolgt.
Auch das Warten auf eine Mindestlohnregelung könnte vergebens sein.

Verteilungspolitisch missfällt den Gewerkschaften neben der Fortsetzung der neoliberalen Politik bei der Einkommensbesteuerung auch die geplante Anhebung der Mehrwertsteuer. Das angekündigte Konjunkturprogramm der Bundesregierung begrüßt der DGB zwar im Grundsatz, findet die geplante Ausgabensumme mit jährlich 2,5 Milliarden Euro jedoch zu niedrig angesetzt.

Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik werden seitens des DGB vor allem die Fortführung von Hartz IV, die Aufweichung des Kündigungsschutzes und die schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre kritisiert. Obwohl ostdeutsche Langzeitarbeitslose nun auch in den "Genuss" des 15 Euro höheren "West-Regelsatzes" kommen, bleiben die Erwerbslosen die Verlierer des schwarz-roten Koalitionsvertrags: Die aktive Arbeitsmarktpolitik wird im Zuge der angedrohten Einsparungen weiter zusammengestrichen. Für Erwerbslose bedeutet dies, dass sie künftig noch weniger Anrechte auf Qualifikationsmaßnahmen haben werden. Geringe Beachtung finden bei den Gewerkschaften leider die massiven Rechtseinschränkungen, denen Menschen ohne Job durch Hartz IV ausgesetzt werden: Die Ausweitung von Bespitzelungen oder die größeren Möglichkeiten Geldleistungen zu kürzen finden vergleichsweise nur geringfügig Widerhall in der gewerkschaftlichen Beurteilung.

Etwas weniger verhalten gehen die Gewerkschaften in die anstehenden Tarifrunden - so fordert die IG Metall für den nächsten Abschluss durchschnittlich 5 % mehr Lohn und Gehalt. Dabei kann sie sich sogar auf unterstützende Statements von Bundeswirtschaftsminister Glos (CSU) freuen. Die Beschäftigten sind anscheinend nicht mehr gewillt, ohne weiteres Lohn- oder Gehaltseinbußen hinzunehmen, nachdem gerade in den letzten Jahren selbst große Zugeständnisse an die Unternehmen (z.B. durch Arbeitszeitverlängerung, Verzicht auf Weihnachtsgeld, Zuschläge usw.) diese nicht von weiterem Arbeitsplatzabbau abhalten konnten. Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich gibt es (zumindest offensiv) allerdings allein von Seiten der Gewerkschaftslinken.

Die Strategie der Gewerkschaften außerhalb der Tarifkämpfe ist also defensiver denn je - Frei nach dem Motto: Es darf nicht noch schlimmer
werden.