Volkszählung die Zweite

in (13.04.2006)

Mehr denn je sind Erwerbslose Zielscheibe der detektivischen Anwandlungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) und anderer zuständiger Ämter

Ende 2005 zog der scheidende Wirtschaftsminister Clement aus einer unrepräsentativen Telefonbefragung von EmpfängerInnen von Arbeitslosengeld II (ALG II) die Folgerung, dass bei der Leistungsvergabe Missbrauch in großem Umfang stattfände. Clement initiierte daraufhin die Kampagne "Vorrang für die Anständigen - Gegen Missbrauch, Abzocke und Selbstbedienung im Sozialstaat".

ALG II EmpfängerInnen müssen tiefe Einschnitte in ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung ertragen. Gemäß SGB II werden Daten über Vermögen, Einkommen, Wohnen, Arbeit, Familiensituation, Gesundheit und vieles mehr für die Bedürftigkeitsprüfung und die Vorbereitung der "passgenauen Eingliederung" benötigt. Realistisch gesehen, dienen diese Daten der Suche nach staatlichen Einsparungspotentialen und der Bevormundung Erwerbsloser.

Datenschutz? Was ist das?
Das Gesetz steht ob seiner umfangreichen Datensammlung und seiner desolaten Umsetzung in der Kritik der DatenschützerInnen. Schon der Antrag auf ALG II birgt Mängel. So enthielt die erste Auflage keine Ausfüllhinweise und es fehlte die Datenschutzbelehrung. Bei einer Vielzahl der Fragen war unklar, inwiefern sie für die Antragsbewilligung relevant seien.
So werden zum Beispiel die Einkommensverhältnisse Dritter, wie "geschiedener Ehegatte, Eltern, Kinder, Verschwägerte, sonstige Verwandte" abgefragt. Dies ist rechtswidrig und zudem überflüssig. Angehörige sind nicht per se unterhaltspflichtig, sondern lediglich, wenn der Antragsteller den Unterhalt einfordert. Außerhalb der Bedarfsgemeinschaft sind nur Eltern gegenüber ihren Kindern unterhaltsverpflichtet, solange diese unter 25 Jahren und ohne Erstausbildung sind. Darauf wird nicht hingewiesen.

Erst auf die scharfe Kritik des Bundesbeauftragten für Datenschutz (BfD) Peter Schaar hin, veröffentlichte die BA Ausfüllhinweise im Internet und überarbeitete die zweite Auflage der Anträge datenschutzkonformer. Interessant ist auch, dass Peter Schaar erst nach Beginn ihrer Verschickung und nur auf eigenes Drängen in deren Erstellung mit einbezogen wurde.

Die eigens entworfene Software bietet keine Möglichkeit Zugriffe zu beschränken und zu protokollieren. De facto hat jeder Sachbearbeiter und Fallmanager uneingeschränkte Zugriffsrechte auf alle bundesweiten Daten.
Doch nicht nur sie bekommen Einblick in das Leben der Erwerbslosen, sondern wahlweise deren Vermieter oder Arbeitgeber, denn von einigen Ämtern wird ein Mietkostennachweis durch den Vermieter oder eine vom Arbeitgeber ausgestellte Verdienstbescheinigung verlangt.

Datenmessis mit Paranoia
Verschiedenste Behörden und Ämter gleichen ohne Wissen der Betroffenen deren Daten ab. Auch Einwohnermeldeamt und KFZ-Meldestellen werden befragt. Dieses Vorgehen wurde erst Mitte 2005 durch die Bundesregierung abgesegnet.
Es wird unter anderem nach Indizien geforscht, ob AntragstellerInnen in einer eheähnlichen Gemeinschaft zusammenleben und damit eine Bedarfsgemeinschaft bilden. Um diesen Umstand weiter zu klären, werden Hausbesuche gemacht und Nachbarn befragt, Schränke geöffnet und das Schlafzimmer begutachtet. Diese entwürdigende Prozedur ist nicht notwendig, da auch die Feststellung eines gemeinsamen Bettes nach dem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1992 nicht ausreicht um eine eheähnliche Gemeinschaft zu attestieren. Dies hält die Ämter nicht ab dieses entwürdigende Prozedere weiter durchzuführen.

Die eingangs erwähnte Telefonbefragung soll ab Januar 2006 Schule machen. In einem Anschreiben wird den Erwerbslosen angekündigt, dass sie Montag bis Freitag in der Zeit von 8-19 Uhr von einem Mitarbeiter der BA angerufen werden. Sinn soll sein, ihre "Kundendaten" zu überarbeiten. Der Hinweis auf das Recht der Auskunftsverweigerung am Telefon ist angehängt. Sollten Erwerblose von diesem Recht Gebrauch machen, werden sie zu einem persönlichen Gespräch zitiert. Das steht nicht in dem Schreiben. So wird vorgegangen, nachdem der BfD die letztjährige Telefonbefragung gestoppt hatte: Damals wurden die Erwerbslosen unangekündigt von einem beauftragten Call Center angerufen. Die Telefonnummern wurden hierbei zweckentfremdet benutzt. Eigentlich dienen sie der schnellen Angebotsvermittlung.

Clements Vorwürfe waren übrigens haltlos. Die unzähligen Auskunftsverweigerer wurden einfach als potentielle Missbraucher gewertet.
Fazit: Grundrechte gelten nicht angesichts leerer Kassen und für Sündenböcke.