Das Nuklearprogramm des Iran

- zivil oder militärisch?

Es gibt keine Beweise für die Existenz eines Kernwaffenprogramms im Iran. Allerdings hat der Iran vor Oktober 2003 seine Verpflichtungen aus dem Safeguards-Abkommen verletzt...

Es gibt keine Beweise für die Existenz eines Kernwaffenprogramms im Iran. Allerdings hat der Iran vor Oktober 2003 seine Verpflichtungen aus dem Safeguards-Abkommen verletzt und zahlreiche verdächtige Aktivitäten betrieben, ohne sie zu melden und überwachen zu lassen. Alle nuklearen Materialien und Anlagen, die im Iran entdeckt wurden, werden heute von Inspekteuren der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) überwacht. Sorge bereitet, dass es möglicherweise weitere geheime Nuklearaktivitäten im Iran geben könnte und dass diese militärischen Zwecken dienen. Diese Sorge gewinnt an Gewicht auf Grund der Erfahrung, dass die IAEO die meisten ungemeldeten Aktivitäten nicht ohne Hilfe von außen aufdecken konnte. Daher werden Bemühungen intensiviert, durch neue Messtechnik die Fähigkeit der Inspektionsbehörde zu verbessern, heimliche nukleare Aktivitäten aufzuspüren.
Der Iran hat nach Artikel IV des Nichtverbreitungsvertrages (NVV) das uneingeschränkte Recht zur Beschaffung und zum Betrieb ziviler Kerntechnik. Damit stellt sich das Problem der zivil-militärischen Doppelverwendbarkeit dieser Technologie.
Dieser Artikel beschränkt sich auf technische Fakten und versucht sich nicht in einer Analyse politischer Aussagen und Vorgänge, durch die der Iran ins Zwielicht rückte und wegen derer der iranischen Regierung vielfach die Absicht unterstellt wird, das zivile Nuklearprogramm als Vorwand oder Tarnung eines eigentlich militärisch motivierten Vorhabens aufzubauen. Auch ohne derartige Unterstellungen und ohne Misstrauen können deutliche und weitgehende Schlussfolgerungen gezogen werden.

Kein Beleg für Atomwaffenprogramm

Zwar gibt es Indizien, die für mögliche militärische Intentionen des iranischen Nuklearprogramms sprechen. Die IAEO hat jedoch bisher keine Belege dafür gefunden, dass der Iran kernwaffenfähige Spaltstoffe heimlich produziert oder entwendet hätte.1 Es gibt keinen Beweis dafür, dass der Iran tatsächlich Kernwaffen herstellen würde, und nur dies wäre ein Bruch von Art. II des NVV.

Die bisher brisanteste Entdeckung wurde in der Kala Electric Company in Abali bei Teheran gemacht. Die IAEO hat Spuren von hoch angereichertem Uran in Wischproben nachweisen können, die Inspektoren im August 2003 auf der Oberfläche von Maschinenteilen für die Urananreicherung genommen hatten. Der Iran hatte zuvor die Anreicherung von Uran bis maximal 1,2% Uran-235 deklariert. In der Folge blieb zwei Jahre lang umstritten, ob mit dem Nachweis von Spuren hoch angereicherten Urans ein Verstoß gegen den NVV aufgedeckt worden sei. Der Iran erklärte, dass die gefundenen Spuren beim Import der Anlage von Pakistan als Kontamination mit eingeschleppt worden seien. Dies konnte zunächst nicht geklärt werden, da es analytisch schwierig ist, das Alter der gefundenen Uranspuren zu bestimmen. Im August 2005 kam dann jedoch die Entwarnung. Ein internationales Team von Experten konnte den Nachweis erbringen, dass die Isotopenzusammensetzung der im Iran gefundenen Uranspuren mit pakistanischen Proben übereinstimmen, die diesen Experten zur Verfügung standen. Damit war endlich die Erklärung des Iran bestätigt. Diese Nachricht blieb von den Medien weitgehend unbeachtet, und nur wenigen Beobachtern wurde deutlich, dass somit keinerlei Spuren auf eine Hochanreicherung von Uran im Iran hinweisen. Somit kann die IAEO dem Iran also keinen Bruch seiner Verpflichtungen unter Artikel II des NVV vorwerfen.

Verletzungen des Safeguards-Abkommens

Die IAEA wirft dem Iran vor, mehrfach seine Verpflichtungen gegenüber der IAEO nicht eingehalten zu haben, die sich aus dem Safeguards-Abkommen ergeben.2 Sowohl nukleare Materialien als auch Anlagen hätten deklariert werden müssen. Die folgende Aufzählung enthält auch Anlagen, in denen noch kein nukleares Material vorhanden war und die daher nicht unter die Deklarationsverpflichtung des Safeguards-Abkommens fielen, sondern erst durch das im Dezember 2003 unterzeichnete Zusatzprotokoll frühzeitig zu deklarieren waren.
- In Natanz hat der Iran Uranhexafluorid (UF6) in eine Urananreicherungsanlage eingebracht und angereichert, ohne dies der IAEO zu melden. Dazu wäre der Iran verpflichtet gewesen. Diesen Verstoß hat die IAEO im Februar 2003 entdeckt. Der Iran entschuldigt dieses Verhalten damit, dass nur geringe Mengen UF6 zu Testzwecken verarbeitet worden seien.
- In Lashkar Abad bei Karaj wurde ab 2000 eine Pilotanlage für Laseranreicherung gebaut, aber der IAEO nicht gemeldet. Die IAEO hat die Anlage 2004 besucht und ihre nukleare Verwendung bestätigt.
- Die Kala Electric Company in Abali bei Teheran wurde zur Installation von Zentrifugen genutzt, die der Iran aus Pakistan importiert hatte. Weder diese Anlage noch der Bau der Urananreicherungsanlage von Natanz noch der Bau einer Schwerwasserproduktionsanlage bei Arak wurden der IAEO gemeldet.
- Der Import von Natururan in 1991 war nicht gemeldet worden. Auch die Verarbeitung und der Gebrauch dieses Materials sowie die dabei entstandenen Überträge in Abfall wurden nicht gemeldet.
- Die Anreicherung von importiertem UF6 in der Kala Electric Company in Abali bei Teheran, die sowohl 1999 und 2002 zu Testzwecken durchgeführt wurde, hätte gemeldet werden müssen.
- Der Import von Uranmetall in 1993 und dessen Anreicherung in der Laseranreicherungsanlage in Lashkar wurde nicht gemeldet.
- Die Produktion von Targets3 aus Uranoxid im Nukleartechnologiezentrum Isfahan sowie deren Bestrahlung im Forschungsreaktor von Teheran mit anschließender Abtrennung von 0,2 Milligramm Plutonium zwischen 1988 und 1992 hätte gemeldet werden müssen.
- Die Produktion verschiedener Uranoxide, Uranfluoride und von Ammoniumuranylkarbonat hätte ebenfalls berichtet werden müssen.
Ähnliche Verstöße und Fehler sind auch von zahlreichen anderen Ländern bekannt geworden, ohne dass dies – mit der Ausnahme vom Irak und Nordkorea – eine nennenswerte internationale Reaktion hervorgerufen hätte. Die Häufung und zeitliche Ausdehnung von derartigen Vorkommnissen im Iran sowie die Intensität und der Umfang seines ehemals versteckten Nuklearprogramms stellen jedoch eine Besonderheit dar.
Nach dem Aufdecken dieser Fehler bemüht sich der Iran seit Oktober 2003, mit reiner Weste zu erscheinen. Die Kooperation mit den IAEO-Inspektoren wurde verbessert und mehr Transparenz hergestellt, wenngleich Hinhaltemanöver und widersprüchliche Angaben zu weiterer Skepsis Anlass geben. Die erforderlichen Deklarationen wurden nachgeholt. Für alle genannten Anlagen wurden die Design-Informationen zur Verfügung gestellt. Inventarlisten, Materialbilanzen sowie Informationen über Importe und Transfers wurden detailliert erstellt. Für alle Materialien und Anlagen wurden IAEO-Inspektionen zur Verifikation des Inventars und des weiteren Betriebes zugelassen. Alles deklarierte Material konnte verifiziert werden, und es wurde keinerlei Entwendung entdeckt.
Der Iran hat das freiwillige Zusatzprotokoll am 18. Dezember 2003 unterzeichnet und bereits vor seinem Inkrafttreten dessen Anwendung erlaubt.4 Sobald Anlagen entdeckt oder vermutet wurden, durfte die IAEO in den meisten Fällen Inspektionen vornehmen oder solche wurden zumindest in Aussicht gestellt. Offene Fragen sieht die IAEO derzeit noch in der Geschichte des Imports von Zentrifugentechnologie direkt und über Mittelsmänner aus Pakistan. Im Fall der Forschungsarbeit zur Laseranreicherung wurden alle Aktivitäten beendet und die Anlagen abgebaut. Nachdem eine Baustelle in Isfahan bekannt wurde, in der angeblich Zentrifugen getestet werden sollten, hat der Iran die Bauarbeiten beendet und eine IAEO-Inspektion dort zugelassen. In Verhandlungen mit der EU-3 Gruppe (Großbritannien, Deutschland, Frankreich) gestand der Iran zunächst zu, alle Nuklearaktivitäten einzufrieren. Ferner gestattet der Iran der IAEO mittels Sondermaßnahmen, die über übliche nukleare Safeguards hinaus gehen, die Einhaltung des eingefrorenen Zustands zu verifizieren.

Vereinbarungen mit der EU

Eine entscheidende Wende nahm die Iran-Krise mit der gemeinsamen Erklärung von Teheran mit den Außenministern der EU-3 im Oktober 2003 und dem Abschluss des Pariser Abkommens zwischen dem Iran und den EU-3 im November 2004. In letzterem verpflichtet sich der Iran,
– alle zum so genannten Brennstoffkreislauf gehörenden Aktivitäten zu suspendieren,
– das Zusatzprotokoll zu ratifizieren,
– alle Anlagen, Aktivitäten und Materialien zu deklarieren und den IAEO-Inspektoren zur Verifikation zu öffnen.
Als Gegenleistung werden dem Iran Kooperation in Fragen der regionalen Sicherheit und der zivilen Nutzung von Kerntechnik sowie ökonomische und technische Unterstützung zugesagt, die noch im Detail auszuhandeln sind. Auch das Angebot der EU-3 für ein langfristiges Abkommen, das dem Iran am 5. August 2005 vorgelegt wurde, bot wenig mehr als wenig spezifische Versprechen sowie die Bestätigung von Zusagen, zu denen ohnehin bereits völkerrechtliche Verpflichtungen bestehen. Ein wichtiger Gewinn für den Iran besteht darin, dass Großbritannien und Frankreich im Angebot vom August 2005 negative Sicherheitsgarantien zusagen (d.h. kein Nuklearangriff der beiden Länder auf Iran).
Dem Iran wird vorgeworfen, seine Zusage, das Nuklearprogramm einzufrieren, gebrochen zu haben. Anfang August kündigte der Iran an, die Produktion von UF6 in der Urankonversionsanlage von Isfahan wieder aufzunehmen. Diese Maßnahme wurde angekündigt und mit den folgenden drei Argumenten begründet:
- Der Iran hat das Recht auf zivile Nukleartechnik gemäß Artikel IV des NVV, dies sei ihm schon seit den frühen 80er Jahren ungerechterweise vorenthalten und torpediert worden;
- Der Iran habe seine Verpflichtungen des Pariser Abkommens voll eingehalten, die EU-3 hätten jedoch praktisch nichts gegeben, sie hätten nur Zeit gewinnen wollen, durch lang sich hinziehende Verhandlungen;
- Die UF6-Produktion fällt nicht unter das in der Teheraner Erklärung von Oktober 2003 vereinbarte Einfrieren, da es selbst keine Anreicherungsaktivität ist. Der Verzicht auf diesen die Anreicherung vorbereitenden Schritt wurde dem Iran erst im Pariser Abkommen vom November 2004 abgerungen.
Die Produktion hat der Iran dann jedoch erst am 16. November 2005 wieder aufgenommen. Die Terminierung der Ankündigung und des Vollzugs deutet daraufhin, dass damit ein klares politisches Signal gesetzt werden sollte. Das Entfernen der Siegel wurde am 1. August, nur wenige Tage vor der geplanten Vorlage eines Angebots der EU-3 entsprechend ihren Verpflichtungen nach dem Pariser Abkommen, angekündigt. So sehr die Terminierung auch provozieren mag, die Handlungen stellen keinen Bruch des NVV dar. Sie können als Bruch des zusätzlichen Zugeständnisses gegenüber den EU-3 im Pariser Abkommen vom November 2004 angesehen werden, wobei der Iran den Standpunkt vertritt, die EU Staaten hätten vorher schon ihre Verpflichtungen aus diesem Abkommen nicht eingehalten.
In seiner Resolution vom 24. September 2005 hat der IAEO-Gouverneursrat festgestellt, dass die schon seit einem bis zwei Jahren bekannten Fehler und Tatbestände der Nichteinhaltung des Safeguards-Abkommens nun als Verstoß im Sinne von Artikel XII.C des IAEO-Statuts zu behandeln seien. Die Resolution droht auch explizit mit der Befassung des UNO-Sicherheitsrates mit den offenen Fragen hinsichtlich der rein friedlichen Intentionen des iranischen Nuklearprogramms.

Militärische Absichten?

Neben den genannten klaren Verstößen gegen Abkommen gibt es Indizien und Vermutungen, die zwar keine Beweise für ein heimliches Kernwaffenprogramm des Iran darstellen, trotz entlastenden Erklärungen erschüttert die große Anzahl von Anhaltspunkten aber die Glaubwürdigkeit des Iran.
- Derzeit besitzt der Iran kein Kernenergieprogramm, für das angereichertes Uran als Brennstoff benötigt wird. Die Dimensionierung der in Natanz in Bau befindlichen Urananreicherungsanlage wäre nur verständlich, wenn zahlreiche Kernkraftwerke damit versorgt werden sollten. Skeptiker halten das vom Iran geplante Kernenergieprogramm für nicht glaubwürdig, da der Iran über große Erdölreserven verfügt. Allerdings sollte man vorsichtig damit sein, die Glaubwürdigkeit eines Programms in Frage zu stellen, nur weil es nicht als konsistent mit dem nationalen Energieversorgungskontext erscheint.
- In Arak wird ein 40–Megawatt-Schwerwasserrektor gebaut, der besonders gut für die Produktion von Plutonium geeignet ist.
- Ein Teil der Urananreichungsbemühungen wird vom Verteidigungsministerium betrieben. Der Iran erklärt das damit, dass das iranische Militär an anderen kommerziellen Industriebetrieben beteiligt sei.
- Die Gebäude in Natanz, in denen die Urananreicherungsanlage installiert werden soll, wurden komplett unterirdisch gebaut. Die Oberfläche wurde mit Erde bedeckt, als solle die Anlage versteckt werden. Der Iran erklärt dies mit dem Anliegen, die Anlage gegen Gefährdungen aus der Luft zu schützen.
- Die Firma Kala Electric Company in Abali bei Teheran, in der die von Pakistan gekaufte Uranzentrifuge getestet wurde, war als Uhrenhersteller registriert.
- Noch bevor Inspektoren im Jahre 2004 im Technologieforschungszentrum Lavizan-Shian eine vermeintliche Biowaffenforschungseinrichtung besuchen konnten, wurde das Gebäude vollständig abgerissen und sogar Boden abgetragen. Der Iran behauptet, das Gelände würde der Stadt gehören und zu einem Park umstrukturiert. Nachprüfungen bestätigten, dass diese Angaben glaubwürdig sind.
- Als die IAEO im Jahre 2004 die Laseranreicherungsanlage in Lashkar Abad besuchen wollte, wurde sie zunächst zu einem nahe gelegen Ort geführt, offenbar in der Absicht, der IAEO vor Augen zu führen, wie unzuverlässig die Angaben der Oppositionsorganisation NCRI sei. Schließlich führt der Iran die Inspektoren jedoch an den richtigen Ort.
- Immer noch steht die Inspektion einer militärischen Anlage in Lavizan aus. Dort werden verschiedene Aktivitäten im Zusammenhang mit Urananreicherung vermutet. Unter anderem könnte das in Lashkar Abad demontierte Experiment zur Laseranreicherung dort wieder aufgebaut worden sein.
- Kleine Proben metallischen Wismuts sind mit Neutronen bestrahlt worden. Dabei entsteht Polonium-210. Dies kann in einem Gemisch mit Beryllium als Neutronenquelle verwendet werden. Diese könnte in Kernwaffen für den Start der Kettenreaktion zum Einsatz kommen. Der Iran erklärte, dass es sich um Forschungen zu zivilen Zwecken gehandelt habe, die nicht abgeschlossen wurden und zudem bereits 13 Jahre zurück lägen. Man hätte das Polonium-210 für die Herstellung von nuklearen Batterien auf der Basis von Radioisotopen verwenden wollen.
- Noch nicht von der IAEO bestätigt: Der Versuch, Tritium in Südkorea zu beziehen, Beryllium aus China und hochreines Graphit aus Dubai.
- Wenige Tage vor der IAEO-Gouverneursratssitzung am 24. November 2005 wurde bekannt, dass der Iran technische Unterlagen an die IAEO übergeben hat, in denen die mechanische Bearbeitung von metallischem Uran und insbesondere die Herstellung von Halbkugeln beschrieben wird. Hierfür ist keine zivile Anwendung vorstellbar. Dies ist eine eindeutig militärische Technik, die zur Herstellung der zentralen nuklearen Komponente einer Kernwaffe verwendet werden kann. In den Medien wird die voreilige Schlussfolgerung gezogen, es sei ein neuer und besonders ernst zu nehmender Hinweis auf ein weit fortgeschrittenes Kernwaffenprogramm entdeckt worden. Ganz im Gegensatz dazu wertet die IAEA die Übergabe der Dokumente als einen positiven Schritt zur Erfüllung der geforderten Transparenz und sieht im bekannt werden dieser Unterlagen keinen Vertrauensbruch. Tatsächlich befanden sich die beschriebenen Unterlagen in einem Stoß zahlreicher Dokumente, die der Iran bereits vor rund zehn Jahren vom A.Q. Khan-Netzwerk aus Pakistan unaufgefordert im Zuge der Lieferung von Zentrifugen erhalten hatte. Der Iran beteuert, diese für den Kernwaffenbau wichtigen Informationen weder bestellt noch verwendet zu haben.
Für alle hier aufgeführten Indizien, die vor allem in ihrer Häufung die Vermutung von Kernwaffenambitionen nahe legen, hat der Iran Erklärungen abgegeben, die mit der Unschuldsvermutung vereinbar sind.

Mögliche Positionen

Angesichts der nuklearen Situation im Iran muss jeder Akteur in zweierlei Hinsicht eine Positionsentscheidung vornehmen. Erstens kann man entweder an die Unschuld des Iran glauben, oder man vermutet ein geheimes Atomwaffenprogramm. Zweitens kann man hinsichtlich des NVV entweder den Standpunkt vertreten, der Vertrag sei nicht-diskriminierend anzuwenden, oder man befindet, dass ein Staat der den Vertrag verletzt hat, strenger zu kontrollieren ist und bestimmte Rechte aus dem Vertrag verwirkt hat. Tabelle 2 demonstriert die vier Standpunkte, die sich aus der Kombination dieser zwei antagonistischen Positionen ergeben.
Der Iran sieht sich selber als Opfer eines bereits Jahrzehnte andauernden und sich verschärfenden Verstoßes gegen Artikel IV des NVV, weil ihm der Zugang zu Nukleartechnologien durch die meisten Anbieterländer verwehrt wird.
Sowohl die EU-3 und Russland als auch die USA bestehen auf einer dauerhaften Einschränkung des iranischen Nuklearprogramms. Sie bieten dem Iran nun eine Lösung an, bei der in Russland ein mit dem Iran gemeinsam betriebenes Urananreicherungsprogramm installiert wird. Die Urankonversion in UF6 dürfte der Iran weiter betreiben, müsst aber das UF6-Gas nach Russland liefern. Dort würde Anreicherung und Brennstoffherstellung erfolgen. Der Iran würde an den Gewinnen durch die weltweite Vermarktung beteiligt. Ende Dezember hat der Iran diesen Vorschlag abgelehnt und sein Vorhaben bekräftigt, im eigenen Land Uran anreichern zu wollen.

Dual-Use ist die Quelle der Eskalation

Falls der Iran wirklich ein heimliches Kernwaffenprogramm betreibt oder zumindest betrieben hat, so ist dessen Tarnung aufgrund der Dual-Use-Charakteristik der betreffenden Nukleartechnologien möglich. Dadurch werden eine Entdeckung der wahren Absichten und deren unumstößlicher Beleg zu einer extrem schwierigen Aufgabe.
Falls der Iran wirklich kein heimliches Kernwaffenprogramm betreibt, dann ist die Dual-Use Problematik der betreffenden Nukleartechnologien die Ursache für eine immens friedensgefährdende Eskalation. Im Fall eines unbegründeten Verdachts wütet außerhalb des Iran eine nicht beruhigbare Angst, während innerhalb des Iran eine zunehmende Wut über die ungerechte Behandlung aufsteigt. Wenn die Angst eine Eskalation betreibt, in der sie immer mehr demütigende Behandlungen des Iran einfordert, wird die Wut im Iran unweigerlich einen Trotz heraufbeschwören, der zu einem Ende der Kooperationswilligkeit führt. Die Wiederaufnahme der Urankonvertierung ist bereits ein derartiger Schritt. Im Vorfeld der November-Sitzung des IAEO-Gouverneursrats drohte der Iran mit der Einstellung aller freiwilligen Kooperationen mit den Inspektoren und die Beschränkung auf eine Art Dienst nach Vorschrift gegenüber den Inspektoren, sollte der Fall vor den UNO-Sicherheitsrat gebracht werden.

Was ist zu tun?

Strikte Einhaltung
aller Safeguards-Verpflichtungen
Die aufgedeckten Verstöße der Vergangenheit sollten für die IAEO Anlass sein, bei der weiteren Überwachung des Iran alle Möglichkeiten – insbesondere Sonderinspektionen – auszuschöpfen, die das Safeguards-Abkommen und das Zusatzprotokoll bieten. Alle noch bestehenden offenen Fragen und Widersprüche müssen rückhaltlos aufgeklärt werden.
Aber die Erfahrungen zeigen, dass es selbst bei voller Ausschöpfung aller Verifikationsmittel eine äußerst schwierige Aufgabe bleibt, ungemeldete Anlagen und Materialien zu entdecken. Oftmals bedarf es der Hinweise von außen, damit nicht deklarierte Nuklearaktivitäten bekannt werden und inspiziert werden können.
Verbesserung der nuklearen Safeguards
Das Potential bestehender Methoden und Technologien für Safeguards bedarf offenbar bezüglich der Entdeckungschancen nicht-deklarierter Aktivitäten einer weiteren Verbesserung.
Daher hat die Generalversammlung der IAEO im Jahre 2004 beschlossen, die Entwicklung neuer Methoden und Technologien insbesondere zur Implementierung des Zusatzprotokolls zu forcieren. Zur Umsetzung dieses Beschlusses hat die Behörde in 2005 alle Mitgliedsstaaten dazu aufgerufen, sie bei der Suche und Entwicklung neuer Technologien zu unterstützen, durch die undeklarierte nukleare Materialien und Anlagen zu deren Produktion entdeckt werden können. In erster Linie geht es um die Entdeckung des undeklarierten Betriebes von Wiederaufarbeitungs- und Urananreicherungsanlagen.

Eindeutige Zeichen eines Kernwaffenprogramms als Vertragsbruch werten

Ein gravierender Schwachpunkt des NVV-Verifikationssystems liegt darin, dass der Bau von Kernwaffenkomponenten, die nicht spaltbare Materialien beinhalten, offiziell nicht als Beleg für eine Vertragsverletzung verwendet werden können, weil sich die Verifikation ausdrücklich nur auf die nuklearen Materialien bezieht. Die Doppelverwendbarkeit macht es sehr schwer, einen eindeutigen Beleg auf Kernwaffenherstellung zu finden.
Die IAEA darf einschlägige Indizien für ein mögliches Kernwaffenprogramm lediglich zum Anlass nehmen, die ihr zugestandenen Kontrollen der kernwaffenfähigen nuklearen Materialien besonders genau auszuführen. Erst ein Beleg für die Entwendung von Plutonium oder hoch angereichertem Uran darf von der IAEO als Verstoß gegen den NVV angezeigt werden. Wenn ein derartiger Sachverhalt vorliegt, wird allerdings keine Ausrede mehr akzeptiert. Daher würde jegliche nachgewiesene Entwendung von mindestens einer signifikanten Menge waffenfähigen Nuklearmaterials als Verstoß gegen Artikel II des NVV gewertet. Allerdings gibt es Wiederaufarbeitungsanlagen, in denen gelegentlich sogar mehrere signifikante Mengen bei einer Materialbilanzierung unerklärt bleiben. Die Hypothese einer möglichen Entwendung wird nicht ausgesprochen, wenn diese Menge aufgrund statistischer Überlegungen auf Messfehlern beruhen kann.

Verbot oder freiwilliger Verzicht?

Von vielen Seiten wird gefordert, dem Iran den Betrieb von Urananreicherungs- und Wiederaufarbeitungsanlagen zu verwehren. Neben der Doppelverwendbarkeit gibt es aber noch ein anderes Argument für eine derartige Maßnahme. Sollte ein ziviles Nuklearprogramm existieren, könnte ein geheimes Kernwaffenprogramm weit fortschreiten, bevor es zum Einsatz von spaltbaren Materialien kommt. Sobald der Zugriff auf das Spaltmaterial zum Bombenbau geschieht, wäre es entscheidend, die Materialentwendung sehr schnell zu erkennen. Die IAEO arbeitet mit strikten Zeitvorgaben als Entdeckungsziel, die sich danach richten, wie schnell das Material für den Bau einer Kernwaffe verarbeitet werden kann. Eine zeitkritische Situation möchten manche Beobachter vermeiden, indem im Iran kein direkt verwendbares nukleares Material vorhanden oder produzierbar sein soll.
Ein Verbot bestimmter ziviler Nuklearaktivitäten würde aber gegen Art. IV des NVV verstoßen. Dies sehen manche Experten anders. Sie meinen, dass ein Staat, der in Verdacht steht – und insbesondere wenn er das Safeguards-Abkommen verletzt hat – sein volles Recht nach Art. IV verwirkt hätte. Dem wird sich der Iran nicht beugen.
Das Dilemma zwischen Einhaltung von Art. IV und der militärischen Verwendbarkeit von als zivil deklarierten Anlagen und Materialien könnte gelöst werden, wenn der Iran freiwillig auf deren zivile Nutzung verzichtet. Mittelfristig erscheint es jedoch aussichtslos, einen freiwilligen Verzicht des Iran zu erhalten, selbst wenn er mit Gegenleistungen motiviert wird.

Internationalisierung kritischer Anlagen?

Die Hoffnungen liegen nun auf dem Vorschlag, den Betrieb kritischer Nuklearanlagen zu internationalisieren. Idealerweise soll dann kein einzelnes Land mehr die alleinige physische Kontrolle über das Nuklearmaterial haben. Das ist allerdings in den schon existierenden internationalen Kooperationen zur Urananreicherung wie Eurodif und Urenco nicht realisiert. Sowohl der frühere Vorschlag von Südafrika als auch der neuere von Russland sehen vor, den Iran an der Urananreicherung zu beteiligen, diese jedoch nicht auf seinem Territorium auszuführen.
Man sollte aber nicht vergessen, dass der Iran mit einem ähnlichen Vorhaben schlechte Erfahrungen gemacht hat. Der Iran hat 1974 einen Nuklearkooperationsvertrag mit Frankreich geschlossen und sich als Partner in das europäische Uran-Anreicherungskonsortium Eurodif eingekauft. Als der Iran 1991 angereichertes Uran beziehen wollte, kam es zu einem Rechtsstreit mit Frankreich, weil der Iran seine Zahlungsverpflichtungen in den 1980er Jahren nicht eingehalten hatte. Seither hat der Iran seinen finanziellen Anteil an Eurodif nicht zurück erstattet bekommen und Frankreich hat den USA versprochen, an den Iran kein angereichertes Uran aus dessen Ansprüchen herauszugeben. Wenn Frankreich nun gemeinsam mit anderen Ländern vom Iran verlangt, selbst kein Uran anzureichern, kann man sich vorstellen, wie dies aufgenommen wird. Die offizielle Ablehnung dieses Ansinnens wurde vom Iran Ende Dezember 2005 bekannt gegeben.

Eine internationale Verzichtsnorm

Die einzige Lösung, die über aktuelle Schadensbegrenzungsversuche hinaus geht, besteht darin, eine globale Norm zur Nichtverfügbarkeit von nuklearwaffenfähigen Materialien zu schaffen und die kernwaffenfreie Welt zu realisieren.
Die Technologieverweigerung gegenüber einem einzelnen Land wie dem Iran würde dann weder als Verstoß gegen Artikel IV aufzufassen sein, noch würde ein Land diskriminiert werden.
Das Ziel einer derartigen Verzichtsnorm müsste es sein, den Zugriff auf direkt waffenfähige Nuklearmaterialien über national kontrollierte zivile Programme unmöglich zu machen. Das sollte die folgenden Maßnahmen beinhalten:
– Keine Wiederaufarbeitung und keine Plutoniumnutzung mehr.
– Keine Forschungsreaktoren mehr mit HEU betreiben.
– Die Bestände an unbestrahltem Plutonium durch Abbrand in geeigneten Reaktoren verbrauchen.
– Die Bestände an HEU durch Vermischung mit Natururan zu niedrig angereichertem Uran konvertieren.
– Die Urananreicherung auf internationalisierte Anlagen beschränken.
– Verbliebene Bestände von HEU und Plutonium in mehrfachen Barrieren lagern, die den Zugriff so schwierig wie möglich machen.
Diese Maßnahmen sind bereits früher vorgeschlagen worden, beispielsweise im Konzept für eine Konvention zum umfassenden Ausschluss spaltbarer Materialien (Comprehensive Cutoff Convention)5 und im Modell einer Kernwaffenkonvention (Model Nuclear Weapons Convention).6
Der Aspekt der Nicht-Diskriminierung durch den NVV könnte noch besser realisiert werden, wenn die Kernwaffenstaaten ihre Verpflichtung aus Artikel VI einlösen würden, ihre Kernwaffen zügig und vollständig abzurüsten.
Anmerkungen
1)
Die Abtrennung von 0.2 Milligramm Plutonium wird hier aufgrund der geringen Menge nicht als Produktion von Plutonium gewertet, sondern als Test der Plutoniumproduktion. Dieser mögliche Zugang zur kernwaffenfähigem Spaltmaterial wurde jedoch 1992 beendet.
2)
Das Safeguards-Abkommen wurde am 15. Mai 1974 zwischen der IAEO und dem Iran abgeschlossen. Ähnliche Abkommen, mit deren Hilfe die Abzweigung atomwaffentauglicher Materialien aus zivilen Nuklearprogrammen ausgeschlossen werden soll, hat die IAEO mit der Mehrzahl aller Staaten vereinbart.
3)
Ein Target ist Material, auf das man Strahlung auftreffen lässt, um in der Materie Kernumwandlungen hervorzurufen.
4)
Das Zusatzprotokoll (Additional Protocol) wurde von der IAEO zur weiteren Stärkung von Safeguards 1998 eingeführt und ist für die Staaten gedacht, die mit der IAEO zuvor bereits ein Safeguards-Abkommen geschlossen haben. Ein solches Protokoll tritt üblicherweise nach der Ratifizierung in Kraft.
5)
Siehe Kalinowski, M.B.: Outline of a Comprehensive Cut-Off Convention. In: Kalinowski, M.B. (Hrsg.): Global Elimination of Nuclear Weapons, Nomos Verlag: Baden-Baden 2000.
6)
Siehe Datan, M.; Ware, A.; Kalinowski, M.; Scheffran, J.; Seidel, V.; Burroughs, J.: Sicherheit und Überleben. Argumente für eine Nuklearwaffenkonvention, herausgegeben von IPPNW/IALANA/INESAP, Übersetzung durch Regina Hagen, Berlin 2000.

Martin Kalinowski wird im März die Carl-Friedrich von Weizsäcker-Professur für Naturwissenschaft und Friedensforschung an der Universität Hamburg antreten, nachdem er sieben Jahre bei der Teststoppvertragsorganisation in Wien und zehn Jahre bei IANUS an der TU Darmstadt tätig war.