"Wer zu Spieth kommt..."

DGB Thüringen diskutierte die Zukunft der Gewerkschaften

Ein Unternehmer-Albtraum: "Wer zu Spieth kommt, den bestraft das Leben", kalauerte ein Kabarettist, der letztes Wochenende den Gewerkschaftslinken auf einer DGB-Konferenz verabschiedete...

Das "Ende einer Ära" verkündete Ende letzter Woche die "Thüringer Allgemeine" (TA). Die Schlagzeile der in Erfurt erscheinenden Zeitung galt dem bevorstehenden Abtritt des DGB-Landesvorsitzenden Frank Spieth, der sich nicht zur Wiederwahl stellte.

Während die Zeitung in der Landeshauptstadt, die aus dem einstigen SED-Bezirksorgan "Das Volk" hervorging, die Leistungen des aus Hessen stammenden Gewerkschaftsvorsitzenden seit der Wiedervereinigung würdigte, giftete das von der "Volksstimme" zur "Ostthüringer Zeitung" (OTZ) gewendete Geraer Bezirksorgan, nur könne Spieth "auf neuer Ebene weiterstänkern". Seit der vorgezogenen Wahl im letztem Herbst gehört Spieth als Parteiloser zur Linksfraktion im Bundestag.

Die - wie TA und OTZ ebenfalls zum WAZ-Konzern gehörende - TLZ, die "Thüringische Landeszeitung", hatte 2002 Spieths Lebensabend noch ganz anders ausgemalt: "2006 will er in den Ruhestand gehen und ist voller Pläne. Neben ausgedehnten Europareisen will er sich voll bei der Naturfreundejugend einbringen".

Hessen-Trio: Bodo Ramelow (Die Linke.PDS), Frank Spieth und Dietmar Hexel vom DGB-Bundesvorstand verfolgen amüsiert, was ein Kabarettist mit "spiethzer" Zunge formuliert (Foto: von links nach rechts)

Der 1947 geborene technische Zeichner des Buderus-Eisenwerks in Wetzlar kam nach Stationen als Gewerkschaftsfunktionär in den Kreisen Gießen, Fulda und Vogelsberg nach Thüringen. Gegen einen vom DGB-Bundesvorstand favorisierten CDU-Mann gewann Spieth im zweiten Wahlgang am 23. Mai 1992.

Als DGB-Landesvorsitzender war er dann ein profilierter Linker in SPD und Gewerkschaft, der über die Landesgrenzen hinaus Aufsehen erregte. So als er Arbeiterrechte im DDR-Arbeitsgesetzbuch lobte oder Arbeitsmarktreformen unter Bundeskanzler Gerhard Schröder als neuen Reichsarbeitsdienst charakterisierte. Während der zweiten Amtszeit Schröders gab er sein SPD-Parteibuch zurück. Es überraschte nicht mehr, daß er - wie sein ebenfalls aus Hessen nach Thüringen gewechselter Gewerkschaftskollege Bodo Ramelow - 2005 für die PDS zum Bundestag kandidierte. Für die Linksfraktion im Bundestag wirkt Spieth nun als gesundheitspolitischer Sprecher.

Mit der Thüringer Landesregierung lag er oft im Clinch, konnte aber mit dem früheren CDU-Ministerpräsidenten Bernhard Vogel besser reden als mit dessen Nachfolger Althaus - während diese nur neoliberale Auffasunngen vertrete, hätten jenem soziale Werte noch etwas bedeutet.

Auf der DGB-Landeskonferenz am 21. Januar 2006 in Erfurt erinnerte Spieth daran, wie er noch in den letzten Tagen der DDR auf Einladung des FDGB nach Erfurt kam. Im März 1990 wurde dort ein hessisches Beratungsbüro ("aus eigener Tasche finanziert") eingerichtet. Und in einer Rede vor Beschäftigten des DDR-Textilindustriezentrums Apolda habe er damals schon gewarnt, "durchs Fegefeuer des Kapitalismus gejagt" werde die Branche vernichtet. "Da wurde ich ausgepfiffen und beschimpft: Du bist wohl ein bezahlter Agent des ZK der SED", erinnert sich Spieth.

Als Westlinker sei er mit Illusionen in die DDR gekommen, meint Spieth: "Ich hatte geglaubt, ich treffe auf eine hochmotivierte, hochpolitisierte Arbeiterschaft". Aber dann habe er erkennen müssen, daß die erst bereit war zu kämpfen, "wenn ihr das Wasser Kante Oberlippe stand". Die Protestaktion "Fünf vor zwölf - Thüringen brennt" und die berühmte Liste mit den Namen erhaltungsfähiger Unternehmen halfen noch Schlimmeres zu verhindern.

Spieths Nachfolger, der 40 Jahre alte Erfurter Steffen Lemme, verkündete die Beteiligung am Volksbegehren gegen die von der CDU-Landesregierung geplante "Familienoffensive". Von 79 Delegiertenstimmen war eine ungültig, 55 stimmten für den ohne Gegenkandidat angetretenen Lemme, 23 gegen ihn. Der bisherige DGB-Regionalvorsitzende Mittelthüringens und frühere DGB-Jugendsekretär hatte sich schon 1983, während seiner Ausbildung zum Kfz-Mechaniker, in der Betriebsgewerkschaftsleitung beim FDGB engagiert. Sein Ziel sei, "die Trendwende in der Mitgliederentwicklung zu schaffen". Von den 600.000 Mitgliedern vor 15 Jahren gibt es, nach Arbeitsplatzabbau und Abwanderung in Thüringen, nur noch 200.000.

Noch schlimmer als der Mitglieder- sei der Imageverlust, meinte der Schriftsteller und frühere Juso-Vorsitzenden Johano Strasser, der, zu einem Grundsatzreferat eingeladen, bemängelte, die Gewerkschaften seien zur Dienstleistungsorganisation degeneriert - "wie meine SPD von der programmatisch-diskutierenden Mitgliederpartei zum PR-gesteuerten Wahlverein".

Weder der New-Economy-Crash noch die mit der attac-Bewegung verbundene Antikapitalismus-Renaissance hätten den Gewerkschaften geholfen - im Gegenteil: jeder zweite Bundesbürger spreche sich dafür aus, den Einfluß der Gewerkschaften auf die Politik zurückzudrängen. Statt "eine erstzunehmende gesellschaftspolitische Debatte zu führen", fänden allzu oft "semantische Schlachten" von "halsstarrigen Traditionalisten" mit "prinzipienlosen Reformern" statt. Da brandete Beifall im Versammlungssaal auf, und man darf gespannt sein, wie die Gewerkschaften Thüringens zukünftigen Stürmen begegnen.