Münte goes Marx

Glosse

in (01.11.2005)

Müntes "Kapitalismuskritik für Arme" in der Kritik: Heuschrecken vs. die Anständigen mit allem Antiamerikanismus und Antisemitismus der bedient wird - so einfach ist das nicht

Vor der NRW-Wahl im Mai äußerte sich SPD-Chef Franz Müntefering vor GenossInnen der Programmkommission seiner Partei empört über Finanzmärkte und die Macht des Kapitals. Seinem Unmut über die modernen Verhältnisse, der mittlerweile sogar im FAZ-Feuilleton zu finden ist, machte Münte Luft, indem er spekulative US-amerikanische Investmentfonds mit einer Heuschreckenplage verglich, die über − vor allem deutsche − Unternehmen herfallen. Mehr WählerInnen hat dieses Manöver effektiv nicht gebracht.

Kaum war dieses bilderreiche Gejammer heraus, schon stiegen Andere in die Pseudodebatte über "Kapitalismus" ein. Ex-Minister Clement (SPD) forderte einen "modernen Patriotismus" statt Flucht deutscher Unternehmen ins Ausland. Die damalige Vizechefin der SozialdemokratInnen Ute Vogt meinte, KonsumentInnen sollten bei ihren Kaufentscheidungen berücksichtigen, ob die Unternehmen in Deutschland für Arbeitsplätze sorgten oder nicht. Arbeitgeberpräsident Dieter Hund fand die ganze Angelegenheit "zum Kotzen". Müntefering sah die SPD als "Schutzmacht der Anständigen, der anständigen Unternehmer und der anständigen Arbeitnehmer".
Anständig oder nicht, die Argumentation ist falsch: Erst wird das raffgierige amerikanische Finanzkapital angeklagt und dann das deutsche, Arbeitsplatz schaffende Unternehmertum in die nationalistische Pflicht genommen. Dabei handeln Unternehmen nicht nach SPD-Moral, sondern maximieren ungehindert ihre Profite. Das können sie international tun, denn neoliberale Globalisierung ist nicht erst seit gestern Programm europäischer Regierungen.
Kritik an Müntefering gab es noch aus anderer Richtung: Mit antijüdischer Hetze der Nazis verglich der Münchener Historiker Wolffsohn das Heuschreckenbild. Zwar liegt Wolffsohn richtig, dass der Vergleich von Finanzunternehmen mit gefräßigen Tieren einer Reihe problematischer − und vor allem falscher − Kritiken Tür und Tor öffnet. Doch hat Müntefering noch nichts explizit Antisemitisches gesagt: Nur der erkennbare Bezug auf ein imaginiertes jüdisches Wesen ist antisemitisch, auch wenn jede Steilvorlage problematisch genug ist.
Die Redaktion des IGM-Magazins "metall" titelte "US-Firmen in Deutschland - Die Aussauger" und einer riesigen in stars and stripes gekleideten Mücke. Amerikanische "raffende" Finanzinvestoren werden hierbei deutschen "schaffenden" Unternehmen gegenübergestellt. In dieser Gewerkschaftszeitung ist der Antiamerikanismus ausformuliert, der Antisemitismus angelegt.

Wer Kapitalismus kritisieren will, sollte das auf eine Weise tun, die keine Identifizierungsmöglichkeiten für Antiamerikanismus und Antisemitismus bietet. Die politische Ökonomie muss als Ganzes begriffen werden, auch wenn mensch beim Bier drüber quatschen kann, wie gemein doch Alle sind. Im Kapitalismus werden Ausbeutung, Herrschaft und Krisen nicht durch einzelne Willensakte, sondern durch sozio-ökonomische Strukturen immer wieder hervorgebracht.
Es wäre schön, wenn eine Kritik an Massenentlassungen, hohen ManagerInnengehältern und spekulativer Investitionspolitik in Forderungen nach Wertschöpfungsabgaben und internationalen Gewerkschaften münden würden. Falsch aber ist ein Standortnationalismus, der deutsche Beschäftigte gegen polnische ausspielt, denn beide sind schließlich in gleicher Weise davon abhängig, ausgebeutet zu werden.
Literaturtipp: Karl Marx, Das Kapital