Irgendwie anders deutsch

in (01.12.2005)

Plötzlich nicht mehr deutsch sind zahlreiche Bürgerinnen und Bürger ausländischer Herkunft aufgrund der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts zum 1. Januar 2000

Kommentar
Irgendwie anders deutsch
"Ahmet B. versteht die Welt nicht mehr. Vor einigen Tagen ist er mit seiner in der Türkei geheirateten Frau bei der deutschen Botschaft in Ankara gewesen, um für sie ein Einreisevisum für Deutschland zu beantragen. Als er die Heiratsurkunde, weitere Unterlagen und seinen deutschen Pass vorlegt, wird der Botschaftsmitarbeiter plötzlich stutzig. Seinen schönen roten EU-Pass hat Herr B. nicht wiederbekommen, [Â…]"

Herr B. ist der tragische Held einer Broschüre des Bundesinnenministeriums mit dem Titel, "Plötzlich nicht mehr deutsch?". Plötzlich nicht mehr deutsch sind zahlreiche Bürgerinnen und Bürger ausländischer Herkunft. Die Angaben schwanken zwischen 50.000 und 100.000 Menschen. Betroffen sind vor allem Deutsche türkischer Abstammung, hier geht man allein von 48.000 aus.

Ursache des Problems ist die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts zum 1. Januar 2000. Zur Erinnerung: 1998 wollte rot-grün ein neues, besseres Staatsbürgerschaftsrecht vorlegen. Eine Jahrhundertreform sollte es werden: Schluss mit dem Blutrecht, wonach nur Deutscher sein darf, wer von deutschem Blute ist, und auch der Doppel-Pass sollte her, das Recht also, seine ursprüngliche Staatsbürgerschaft zu behalten und trotzdem Deutscher zu werden.

Die Revolution blieb aus - Roland Koch scharrte mit der Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft alle RassistInnen um sich und obgleich Rot-Grün in der Folge immer wieder eindrucksvoll demonstrierte, dass sie jeden außerparlamentarischen Protest aussitzen können, hatten sie damals das Ohr am Puls der Bewegung.

Als der Bierdunst der Stammtische verzogen war, präsentierte die Bundesregierung ein Staatsbürgerschaftsrecht, das wenig besser aber vieles schlechter machte. Drastisch ist die neue Regelung zur doppelten Staatsbürgerschaft. Hieß es bis dahin, "Ein Deutscher, der im Inland weder seinen Wohnsitz noch seinen dauernden Aufenthalt hat, verliert seine Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit, wenn dieser Erwerb auf seinen Antrag (Â…) erfolgt", wurde im neuen Gesetz die Inlandsklausel gestrichen.

Jetzt gilt, jeder Deutsche, der ohne die Erlaubnis deutscher Behörden ein andere Staatsangehörigkeit beantragt und nach dem 1. Januar 2000 erlangt hat, ist von diesem Tage an kein Deutscher mehr und zwar egal, ob er in Deutschland lebt oder nicht. Will er weiterhin hier leben, benötigt er eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Das einzige Problem, dass die deutschen Behörden jetzt noch haben, ist zu ermitteln, wer noch Deutscher ist und wer nicht. Der Bundesinnenminister Schily hat bei der türkischen Regierung angeklopft und verlangt Auskunft. Sie soll einfach eine Liste rüberschicken und all diejenigen Deutschen bekannt geben, die in den letzten Jahren die türkische Staatsbürgerschaft beantragt haben.

Bis dahin ist Kreativität gefragt: In Hamburg wurden im Juni ca. 6000 türkischstämmige HamburgerInnen angeschrieben und aufgefordert, ihren staatsbürgerlichen Status offen zu legen. Angeblich geht es darum, die Wählerverzeichnisse vor der Bundestagswahl auf den neuesten Stand zu bringen. Wer auf die Anfrage nicht antwortet, so die Ankündigung der Innenbehörde, wird aus dem Wählerverzeichnis gelöscht und als TürkInnen weitergeführt. Dann ist man vielleicht noch deutsch, aber wählen darf man erstmal trotzdem nicht - irgendwie halt anders deutsch.