Internierungslager am Rande der Sahara?

Flüchtlingsschutz

in (10.12.2004)

Schily geht es nicht um Humanität - sondern um die Auslagerung des Flüchtlingsschutzes. Europa soll flüchtlingsfrei gemacht werden.

Als im Sommer die Aufsehen erregende Aktion der Cap Anamur das Sterben im Mittelmeer in das Bewusstsein der Öffentlichkeit rückte, hätte die Reaktion des Bundesinnenministers nicht absurder ausfallen können. Schily forderte, Flüchtlinge aus Afrika im Mittelmeer abzufangen und in Flüchtlingslager in Nordafrika zu verfrachten.

Die Asylverfahren sollen laut Schily in den Lagern von EU-Beamten durchgeführt werden. Eine gerichtliche Kontrolle der Entscheidungen soll es nicht geben - ebenso wenig wie einen Anspruch auf Einreise in die EU. Schily gab vor, ihm ginge es darum die Menschen vor dem Ertrinken im Mittelmeer zu bewahren. Es ist jedoch offensichtlich, dass sich niemand von der Überfahrt nach Europa abhalten lassen wird, weil er stattdessen nordafrikanische Lager aufsuchen könnte. Schily geht es nicht um Humanität - sondern um die Auslagerung des Flüchtlingsschutzes. Europa soll flüchtlingsfrei gemacht werden.

Die Empörung über Schilys Vorschlag war groß. Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl kritisierten, dass derartige Lager in Nordafrika völkerrechtswidrig und grundgesetzwidrig seien. Staaten wie Libyen haben nicht einmal die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet. Verschiedene europäische Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen haben sich in einem Appell vom 12. Oktober 2004 gegen die Errichtung von Lagern an den europäischen Grenzen gewendet und es sich nicht nehmen lassen, "Camps" zu nennen, was einige europäische Innenminister "assistance centers" nennen würden.
Massive Kritik gab es sogar von konservativer Seite: Wolfgang Schäuble wandte sich gegen die "Internierungslager am Rande der Sahara". So treffend die Kritik war, so trotzig und jähzornig fiel die Reaktion Schilys daraufhin aus.

In einer Empfehlung des Europaparlaments vom 14.10.2004 lehnt die Mehrheit der EU-Abgeordneten Flüchlingslager außerhalb der Europäischen Union ab. Das Parlament weist damit die Pläne des deutschen und italienischen Innenministers zurück und stellt stattdessen klar: "Flüchtlingslager" außerhalb der Union bringen die "offensichtliche Gefahr" mit sich, dass "die Grundrechte verletzt werden". Vorerst hat sich Schily mit seinem Vorschlag nicht durchgesetzt.
Die Kommission der EU soll den Vorstoß prüfen. Zu befürchten ist allerdings, dass einzelne EU-Mitgliedstaaten schon jetzt anfangen mit nordafrikanischen Staaten über Modellprojekte zu verhandeln. Noch bevor sich die EU zu einer offiziellen Haltung durchgerungen hat, könnten so Fakten geschaffen werden.

Manche EU-Mitgliedstaaten schrecken nicht davor zurück, im Alleingang europäische Asylpolitik in die Hand zu nehmen. Italien ging im Sommer sogar so weit, offen gegen internationales und ita- lienisches Recht zu verstoßen. Noch während sich Europa mit dem so genannten Schily-Pisanu-Vorschlag auseinandersetzte, Auffanglager in Nordafrika zu errichten, hat Schilys Achsenpartner aus Italien bereits kurzen Prozess gemacht. Ohne Prüfung der Fluchtgründe wurden über tausend Menschen nach Libyen abgeschoben - in ein Land, das die Genfer Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet hat. Neben dem Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention hat Italien die Europäische Menschenrechtskonvention und die EU-Charta der Grundrechte verletzt.

Die deutsche Bundesregierung hat dieses Vorgehen nicht kritisiert. Außenminister Fischer fühlt sich nicht zuständig. Dies, obwohl es sich Europapolitik als Profilierungsschwerpunkt auf die Fahnen geschrieben hat. Eine glaubwürdige Menschenrechtspolitik sieht anders aus. Schily wird versuchen, sein Lagerkonzept auf EU-Ebene durchzusetzen. Die deutliche Kritik von den verschiedenen politischen Akteuren war richtig und notwendig. Nun müssen die politischen Konsequenzen gezogen werden. Schily muss seinen Vorschlag zurückziehen!