''Gefälligkeitsdiktatur'' oder mörderische Leistungsgesellschaft?

Götz Alys simplifizierende Faschismusdeutung

Christoph Lieber setzt sich mit Alys Faschismusanalyse und seinen geschichtspolitischen Thesen auseinander.

"Die Ideologie des Nationalsozialismus steht und fällt mit seiner angeblichen Leistungskraft." (Franz Neumann, 1941)

Mit seinem Buch "Hitlers Volksstaat - Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus" (Frankfurt a.M. 2005)[1] ist Götz Aly auf breite Resonanz in Fernsehen, Publizistik und öffentlichen Diskussionsveranstaltungen gestoßen und hat neben politisch-kulturellen und wissenschaftlichen Kontroversen sicherlich auch manche Debatten und Gespräche zwischen Zeitzeugen und Nachgeborenen in deutschen Wohnzimmern ausgelöst. Das hängt zum einen an dem geradezu "faustischen" Gestus, mit dem Aly sich der Grundfrage jedweder Faschismusanalyse stellt - "Ich will wissen, was das nationalsozialistische Deutschland im Innersten zusammenhielt" -,[2] zum anderen an der Art und Weise ihrer Beantwortung, die in der Beweisführung von vielen als wahrhaft "materialistisch" gepriesen wird.

Die Herrschaftsform des deutschen Faschismus erschöpfte sich nicht in Repression und Terror. Jede Analyse muss sich deshalb gleichermaßen der Herausforderung stellen, das Maß an Zustimmung der deutschen Gesellschaft zum NS-Regime zu erklären. Das schließt ein, gegenüber einem einfachen Typus von NS-Schergen als Erklärungsmuster ein differenzierteres Bild der politischen Akteure zu zeichnen. Das weiß auch Aly: "Das Bild vom autoritär durchformten Führerstaat ist falsch. Innerhalb politisch und gewaltsam gezogener Grenzen bewahrte das NS-System eine bemerkenswert lebendige Differenz der Ansichten und politisch-fachlicher Vorschläge. Das erzeugte Spannung und - im Wortsinn - Geistesgegenwart. Die Politiker wären ohne fortlaufende Korrektur durch die Fachleute sofort im Währungs- und Schuldenchaos versunken. Hätten jedoch die Politiker die Fachleute nicht gezügelt und von Fall zu Fall den Primat der Politik durchgesetzt, wäre die Massenloyalität schnell ruiniert worden. Erst das kontroverse Zusammenwirken beider Kräfte sicherte die stets gefährdete Balance. Der auf rationalistische Selbstverwirklichung drängende, politisch nicht festgelegte Sachverstand der Experten verband sich mit der völkisch-sozialstaatlichen Beglückungsideologie für die kleinen Leute. Aus der reaktiven Verbindung dieser zwei für sich genommen nur mäßig gefährlichen Elemente gewann der nationale Sozialismus seine zerstörerische Potenz." /353/

Die substanzielle Unterfütterung und Einlösung dieser Thesen erfordert eine differenzierte Darstellung, die den Spannungsbogen von ökonomischen, politischen und ideologischen Faktoren bei der Erklärung faschistischer Herrschaft aushält. Hier verschafft Aly sich und dem Publikum Erleichterung, indem er in monokausalen und simplifizierenden Erklärungsmustern das vielschichtige und widersprüchliche Agieren von NS-Führung, politisch-weltanschaulichen Kadern, Wehrmacht und Bevölkerung in einfache "Stimmungspolitik" und eine "völkisch-staatliche Beglückungsideologie für die kleinen Leute" umdeutet und die Wirklichkeit des Krieges mit ihrer brutal forcierten Rüstungsproduktion im Inneren und den Verbrechen in den überfallenen und okkupierten Ländern hinter einer "Goldgräberstimmung" einfacher Soldaten auf Hamsterfahrt verschwinden lässt. Was bietet Aly dabei als angeblich "materialistischen" Erklärungszusammenhang?

Alys Deutungsangebot

Bei Aly finden sich dazu im Wesentlichen drei Argumentationsbausteine und eine Konklusion, um die der Text anhand von Fallbeispielen der besetzten Länder, Quellenmaterial der Reichsbank bzw. des Reichsfinanzministeriums und Briefzeugnissen des Wehrmachtssoldaten und späteren Literaturnobelpreisträgers und Aktivisten der bundesdeutschen Friedensbewegung der 1980er Jahre, Heinrich Böll, kreist.

Keine Kriegssteuern

Auf seine Ausgangsfrage nach der inneren Konsistenz des NS-Regimes zielend setzt Aly gegen die Auffassung, "in Deutschland habe sich ein spezieller, ein exterminatorischer Antisemitismus und Fremdenhass früh entwickelt" - für die in Alys Augen jede empirische Basis fehlt /35/ - die These: "Bei aller Unduldsamkeit gegenüber Sozialisten, Juden und Abweichlern empfanden die Deutschen Hitler nicht - wie sich im Rückblick leicht vermuten ließe - als unerbittlichen Ausgrenzer, sondern als großen Integrator." /25/ Dieses "hohe, den heutigen kaum erklärbare Maß an innenpolitischer Integration" /36/ rechtfertigt für Aly die Charakterisierung der NS-Herrschaft als "Gefälligkeits- bzw. Zustimmungsdiktatur". Ihre Bewährungsprobe fand sie in einer dem inneren Zusammenbruch Deutschlands am Ende des Ersten Weltkrieges (Novembertrauma) diametral entgegengesetzten Innenpolitik unter Kriegsbedingungen: Verhinderung jeglicher Versorgungs- und Lebensmittelkrise, keine kriegsbedingte Inflation, keine Kriegssteuern, sondern bewusst großzügig gestaltete Unterhaltsregelungen für Familien eingezogener Wehrmachtssoldaten. Man kann "ohne weiteres sagen, dass die deutschen Arbeiter wie große Teile der Angestellten und Beamten bis um 8. Mai 1945 nicht einen Pfennig direkter Kriegssteuer bezahlten." /68/ Im Gegenteil: "Kontinuierliche sozialpolitische Bestechung bildete die Grundlage des innenpolitischen Zusammenhalts in Hitlers Volksstaat." /89/ Aber woher dann die Mittel zur Kriegsfinanzierung nehmen, wenn nicht stehlen?

Besatzungskosten

"Die Haager Landkriegsordnung erlaubt es, besetzten Ländern die Okkupationskosten aufzubürden und entsprechende Kontributionen zu fordern." /97/ Auch wenn Deutschland hierbei kodifiziertes Völkerrecht gebrochen hat, hebt Aly darauf ab, dass die NS-Besatzungspolitik "die deutsche Kriegsfinanzierung grundlegend (verbesserte). Bis zum Sommer 1944 konnten, wie schon gesagt, 50% aus laufenden Einnahmen gedeckt werden, während im Ersten Weltkrieg 87% der Kriegsausgaben auf Kreditbasis finanziert worden waren. Zustande gebracht hatten die 'gewaltige Verbesserung der Deckungsrelationen' deutsche Finanzfachleute auf Kosten anderer." /98/ Mit den "geräuschlosen bankmäßigen Mitteln und Methoden" (Reichsbankvizepräsident Emil Puhl, 11.4.1942) der sog. Reichskreditkassenscheine erschloss sich NS-Deutschland in den besetzten Ländern entsprechende Finanzressourcen für kriegswirtschaftliche Zwecke. Diese RKK-Scheine waren von der deutschen Reichsregierung bereits im September 1939 geschaffen worden und dienten als Hilfswährung für die Wehrmacht in den besetzten Gebieten. Die Ausgabe dieser "Scheine"[3] durch deutsche Behörden war faktisch ein von den okkupierten Ländern erzwungener Kredit. "Damit hatte das Reichsbankdirektorium eine Technik des individuellen Bezahlens entwickelt, die das schleichende kollektive Enteignen ermöglichte. Die Reichsbank garantierte die Stabilität der Reichsmark, indem sie die Währungen im besetzten Europa aufweichte." /113/ Diese Kontributionen wanderten dann unter Regie der Wehrmachtintendanten der jeweils besetzten Ländern in die Truppenkassen, bildeten als Bargeld in jeweiliger Landeswährung die "ökonomische" Basis der "habituellen Raffsucht deutscher Soldaten" /124/, die dann mit ihrer angeblichen Schnäppchenjägerei "Kahlfraßzonen" /198/ hinterließen und so zum "seither sprichwörtlichen Otto Normalverbraucher" /206/ mutierten - in Alys Augen später die zentrale ökonomische Charaktermaske in der konsumistischen Erfolgsstory der späteren BRD.

Daneben besserten die von deutschen Betrieben einbehaltenen und an die Reichshauptkasse abgeführten (Zwangs-) Ersparnisse von Ostarbeitern sowie "Tribute" aus den brutalen Zwangsarbeitereinsätzen (Lohnabschöpfungen) die Kriegskasse des Deutschen Reiches auf - alles nichts anderes als "weitere Variante(n) der Sozialisierung fremden Eigentums." /187/

Enteignung der Juden

Aly schließt auf Basis z.T. erstmaliger Quellenforschung in ehemals besetzten Ländern Staatsraub und Antisemitismus argumentativ zusammen. Er rekonstruiert den Raub jüdischen Eigentums in Serbien, Ungarn, Norwegen, Belgien, den Niederlanden, Frankreich, der Slowakei, Bulgarien und Griechenland. In diesen Ländern vollzog sich das "Prinzip Staatsraub" /209ff./ stets auf dieselbe Weise. Die NS-Besatzungsorgane, in der Regel die Wehrmacht, übten Druck auf die dortigen Regierungen aus, antijüdische Maßnahmen zu ergreifen. Das daraufhin enteignete Vermögen (vom Geldvermögen bis zur Briefmarkensammlung) der einheimischen Juden gelangte dann in den Staatshaushalt der besetzten und kollaborierenden Länder, von wo aus es wieder auf die deutschen Besatzungskonten zurückfloss. Auch hierbei landeten letztlich die via (Zwangs-) Enteignung "eingetauschten Gegenwerte in (den) Mägen deutscher Soldaten." /308/

Konklusion

Neben der These, dass der Holocaust unverstanden bleibt, "sofern er nicht als der konsequenteste Massenraub der modernen Geschichte analysiert wird" /318/, führt Aly am Schluss seine Ausführungen zur NS-Steuerpolitik, Kriegsfinanzierung, Besatzungskosten sowie Enteignung und Massenraubmord an den europäischen Juden zu übergreifenden Thesen zusammen, die die Eingangsfrage nach der innergesellschaftlichen Integrationspolitik der politischen Klasse des NS-Staates beantworten: "In historisch beispielloser Weise entfaltete sie dafür die Mittel des modernen Sozialstaates." /338/ So entwickelten nationalsozialistische Sozialpolitiker in diesem geschichtlichen Kontext "einer Mischung aus milder Steuerpolitik (und) guter Versorgung" /360/, die die "Deutschen mehrheitlich weder in Fanatiker noch in überzeugte Herrenmenschen, (sondern) zu Nutznießern und Nutznießerchen (machte)" /361/, "die Konturen des seit 1957 in der Bundesrepublik selbstverständlichen Rentenkonzepts" /20/. Damit ist einem ersten Erfordernis des "zeitdiagnostischen" publizistischen Erfolgs Genüge getan: Es wird ein Deutungsangebot für den bundesdeutschen Nachkriegskonsens geliefert.

Aber damit lässt es Aly nicht bewenden. Seine Konklusion erklimmt weltgeschichtliche Höhen: "In den Methoden unterschiedlich, doch nicht selten zu Lasten Dritter, zählt die soziale Aufwärtsmobilisierung der Massen zum Kernbestand der politischen Ideen des 20. Jahrhunderts. Der nationale Sozialismus der NSDAP gehört in dieses Kontinuum. Man mag die rassistisch formulierte Gleichheitsidee als pervertiert bezeichnen. Doch erstens zeichnete die Geringschätzung der individuellen Freiheit und das Missachten der persönlichen Integrität viele Formen des Egalitarismus aus. Zweitens vertrat die NS-Bewegung das nicht nur in Deutschland wirkungsvolle Konzept, die soziale mit der nationalen Homogenisierung zu verknüpfen. So erklärt sich, aus welcher innen- und gesellschaftspolitischen Konstellation Hitlers Volksstaat seine verbrecherische Energie bezog. (...) Die Einheit von Sozial- und Rassenpolitik, das im zeitgenössischen Vergleich beispiellose sozialpolitische Appeasement, festigte das Massenvertrauen immer wieder neu." /360/

Und als Schlusssatz des ganzen Unternehmens lässt es sich Aly auf Basis dieser zeitgeschichtlichen Gesamtbilanz nicht nehmen, Max Horkheimers Diktum - "Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen" (aus: Die Juden und Europa, 1939) - zu konterkarieren: "Wer von den Vorteilen für die Millionen einfacher Deutscher nicht reden will, der sollte vom Nationalsozialismus und vom Holocaust schweigen." /362/ Wurde der kapitalismuskritische Impetus der Horkheimer-Formel bislang vornehmlich von rechts zu desavouieren versucht - "Wer vom Gulag nicht reden will, soll vom Faschismus schweigen" (Nolte) -, wird nun mit Aly von einer ehemals linken Position aus der Erklärungswert eines Zusammenhangs von Kapitalismus und NS-Geschichte grundlegend in Frage gestellt.

Geschichtspolitischer Reduktionismus

Mit seiner Faschismusdeutung reiht sich Alys Buch in die "geschichtspolitischen" Auseinandersetzungen um den Nationalsozialismus seit Anfang der 1980er Jahre, dem Beginn der neokonservativen bzw. neoliberalen Hegemonie, ein. Erinnert sei z.B. an den Historikerstreit zwischen Nolte, Habermas, Wehler u.a., Daniel Goldhagens Buch über "Hitlers willige Vollstrecker - die gewöhnlichen Deutschen und der Holocaust" (1996) oder Ian Kershaws Studie über Hitlers charismatischen Aufstieg, dem erstem Band einer umfassenden Hitlerbiographie (1998), und in jüngster Zeit die Forschungen und mediale Aufbereitung zur Rolle der deutschen Wehrmacht im Ostkrieg und bei der Judenvernichtung.

Die Faschismusforschung in Deutschland seit den 1950er Jahren durchlief ganz unterschiedliche Konjunkturen und wissenschaftspolitische Konstellationen, veränderte und erweiterte Fragestellungen und Forschungsfelder, räumte mit der lange währenden Tabuisierung der Judenvernichtung und ethnischen wie "rasse-biologischen" Säuberung als wesentlichem Bestandteil des deutschen Faschismus auf und lieferte mit hervorragenden gesellschaftsbiographischen Studien zur politisch-weltanschaulichen Führungselite des NS[4] ein überzeugend neues Täterbild gegenüber dem bis dato gängigen, vor allem durch Hannah Arendts Eichmann-Studie geprägten Bild von der "Banalität des Bösen".

Aber diese Forschungsergebnisse, bei deren wünschenswerter Popularisierung sich wahrlich "aus der - und für die - Geschichte lernen" ließe, dringen niemals in vergleichbarer Weise wie die geschichtspolitischen "Großereignisse" meinungsbildend in relevante Dimensionen gesellschaftlicher Öffentlichkeit vor. Geschichtspolitische Virulenz können Bücher zum Nationalsozialismus dann erzielen, wenn sie gleichermaßen eine "komplexitätsreduzierende" Erklärung des Zusammenhangs von politischem System des NS mit der deutschen Gesellschaft der Zwischenkriegszeit, eine "geschichtsphilosophisch" aufgeladene Verortung des deutschen Faschismus im "Jahrhundert der Extreme" sowie eine Anschlussfähigkeit zur BRD- bzw. DDR-Geschichte zu liefern im Stande sind. Darüber hinaus dürfen sich ihre Autoren nicht scheuen, ihre gewonnenen Thesen gegen die gängigen Erklärungen und Urteile der politischen Linken (z.B. Horkheimer-Diktum) oder des Bürgertums (z.B. Noltes europäischer Bürgerkrieg und das epochale Problem der Verängstigung kleinbürgerlicher Mittelklassen in modernen Massengesellschaften) über diesen "Zivilisationsbruch" (möglichst provozierend) in Stellung zu bringen und damit nolens volens politischen Gegenwartsströmungen zugeschlagen zu werden.

Wer in der Auseinandersetzung (nicht nur) mit Aly den rationellen Kern eines gesellschaftsgeschichtlichen Konnexes von Kapitalismus und Faschismus retten will, muss deshalb den Zusammenhang von Klassencharakter und Sozialpolitik im deutschen Kapitalismus der Zwischenkriegszeit, der bei Aly nur diffus vorkommt, selber explizieren und ins Zentrum der Kritik an "Hitlers Volksstaat" rücken.

Sozialpolitische Selektion und mörderische Leistungsgesellschaft

Aly blendet für seine These einer inneren Verwandtschaft der innenpolitischen Integrationspolitik des NS und des bundesdeutschen Sozialstaats nicht nur die eigentliche (Be)Gründungsphase moderner Sozialpolitik in Deutschland, die Weimarer Republik, aus, sondern auch die formative Phase des deutschen Faschismus bis 1936 sowie die binnenwirtschaftliche Krise und den Staatsbankrott 1937/38, und springt mit seiner "Beweisführung" gleich in die Periode der Kriegswirtschaft, die er dann aber für die ganze Wahrheit ausgeben will. Zur ganzen historischen Wahrheit gehört aber, dass - wie vermittelt auch immer - der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges eine Krisenlösung gravierender Verwerfungen des kapitalistischen Reproduktionsprozesses in Deutschland darstellte.[5] Die, wenn auch noch brüchige, Sozialstaatsentwicklung zu Beginn der 1920er Jahre war ja gerade im Rückblick auf das 20. Jahrhundert gesehen der Einstieg in eine Politik der sozialen Zivilisierung des Kapitalismus zur Vermeidung gesellschaftlicher Krisen. Dieser Transformationsprozess geriet schon Ende der Weimarer Republik in die Krise und durch den Faschismus in die zerstörerische Katastrophe. Der Zusammenhang von "Barbarei und Zivilisation" ist mithin kein originäres Produkt des Faschismus, wie Alys reduktionistisches Analyseverfahren nahelegt, sondern auf komplexe Weise in den Ambivalenzen und Widersprüchen der Modernisierung der bürgerlichen Gesellschaft in der Zwischenkriegszeit selbst angelegt.

Gerade der krisenhafte Verlauf der Wohlfahrtspolitik in der Weimarer Republik belegt, wie die ökonomischen Zwänge die angestrebte Rationalität sozialpolitischer Gestaltung im Sinne sozialen Ausgleichs wieder deformieren können: "Da aber trotz aller Einsparungen die zur Verfügung gestellten Mittel für eine hinreichende Versorgung aller auch auf niedrigstem Niveau nicht ausreichten, wurden andererseits Überlegungen angestellt zur Klassifizierung und Beschränkung der viel zu großen Zahl der Hilfsbedürftigen. Der einzelne wie die einzelnen Gruppen wurden dabei zunehmend hinsichtlich ihrer gegenwärtigen oder zukünftigen gesamtwirtschaftlichen Nützlichkeit bewertet."[6] Schon früh hat der Historiker Detlev Peukert einen unverzichtbaren forschungsleitenden Zusammenhang zwischen dem "Janusgesicht der Moderne" in den 1920er Jahren und damit dem Kapitalismus und dem deutschen Faschismus hergestellt: "Der Umschlag vom Rationalisierungsdiskurs in den Selektionsdiskurs radikalisierte sich im Verlauf der Krise in vielen Ländern. Die deutsche Besonderheit lag darin, daß mit den Nationalsozialisten der Selektionsdiskurs im Rassismus seine theoretische Legitimation und in der Diktatur sein radikales Instrument erhielt."[7] Also: Selektion, nicht Gleichmacherei wie bei Aly, ist der "besondre Äther" (Marx), der das spezifische Gewicht aller Einzelmaßnahmen der von Aly ausgemachten NS-Sozial- und Beglückungspolitik bestimmt. Eine vergleichbare Kritik trifft Alys These über die angeblich egalitären Züge in der Arbeits- und Sozialwelt des deutschen Faschismus. Aly nimmt hierbei Elemente der NS-Ideologie für sozialgeschichtliche und sozialstrukturelle Realität der 1930er und 40er Jahre: völkisches Gleichheitsversprechen, nationalistischer Binnensozialismus, Rasse schlägt Klasse etc. Unerwähnt bleibt, dass ein Resultat kritischer (marxistischer) Faschismusforschung der 1970er Jahre war, gerade jenseits der einseitigen und unzulänglichen Dimitroff-Formel vom Faschismus als der aggressivsten Herrschaftsform des Finanz- und Monopolkapitals, die soziale Massenbasis des Faschismus differenzierter in den Blick zu bekommen. So hatte bspw. Timothy Mason in seiner Studie "Arbeiterklasse und Volksgemeinschaft" (1975) den ausbaufähigen Versuch unternommen, die "volksgemeinschaftlich" verhüllten Klassenverhältnisse und sozialen Antagonismen der NS-Diktatur bloßzulegen. In Untersuchungen zur NS-Sozialpolitik wurde dies weiter ausdifferenziert unter Berücksichtigung der neuen sozialplanerischen und sozialdemagogischen Hebel der faschistischen Herrschaftsvermittlung. Im Ergebnis dieser Forschungen lässt sich festhalten, dass es dem NS in erster Linie gelang, festgefügte soziokulturelle Milieuzuordnungen, die schon in der Weimarer Republik poröser wurden, weiter zu sprengen und politisch auszunutzen. Aber weder gelang dem NS die beabsichtigte Zerstörung klassengesellschaftlicher Integrationsformen, noch die intendierte dauerhafte Politisierung und Ideologisierung des gesellschaftlichen Alltags. Vielmehr wurden durch die Dynamisierung, Rationalisierung und ansatzweise Modernisierung des gesellschaftlichen Produktionsprozesses unter repressiven Strukturen Privatisierungs- und Individualisierungstendenzen innerhalb der Arbeiterschaft befördert.[8] Die Zerstörung kollektiver Interessenvertretung auf betrieblicher und gesamtgesellschaftlicher Ebene und die zwangsweise Aufwertung des Betriebes als Lebensmittelpunkt führte eher zu einem Rückzug ins Private, auf die Kleinfamilie etc., da kollektiv geteilte sozialmoralische Räume nicht mehr zur Verfügung standen und KdF, NSBO, DAF etc. keinen gleichwertigen Ersatz darstellten und oft ideologisch aufgesetzt waren. Da Aly diese sozialstrukturellen Differenzierungen nicht aufnimmt, entgeht ihm auch eine entscheidende real wirksame Gegentendenz zum behaupteten NS-Egalitarismus: Der Slogan des "Rechts auf Arbeit", mit dem der NS gegen die Massenarbeitslosigkeit der Weimarer "Systemzeit" (NS-Jargon) antrat, zielte darauf, die Anarchie kapitalistischer Wirtschaft durch ein Primat der Politik zu brechen, die verschleuderten und brachliegenden Potenziale der nationalen Wirtschaft voll zu mobilisieren und damit dem Faktor "Arbeit" eine spezifische Bedeutung zu geben.

Der ideologisch aufgewertete "Adel der Arbeit" prämierte Leistung statt Hierarchie, hatte die Leistungsfähigkeit des Einzelnen innerhalb dieser volksgemeinschaftlichen und egalitären Arbeitsgesellschaft im Visier und konnte nach Bedarf sowohl die Ungleichheit individueller Fähigkeiten und Begabungen rassebiologisch durch Exklusion untermauern, als auch eine "Kriegsmobilisation dieser Leistungsgesellschaft" (Broszat) ab 1939 insgesamt vornehmen.

Ideologisch zielte das Gleichheitsversprechen in der Tat auf eine Gesellschaft der "Überwindung von Klasse und Stand" (so ein Grundsatzartikel im DAF-Organ Neue Internationale Rundschau der Arbeit 1941), verschmähte aber immer eine Gleichheitsidee aus dem "Geist von 1789": "Sozialismus im deutschen Sinnne bedeutet nun allerdings keineswegs Gleichmacherei etwa nach dem Beispiel des Kommunismus, wohl aber, daß jedem die Wege geöffnet werden sollen, die den in ihm schlummernden Fähigkeiten entsprechen. Das gilt für Personen wie für die Völker. Erst wenn das erreicht ist, ist der Weg zur Lösung der sozialen Frage endgültig beschritten. Das Gefühl der ausgenützten Leistungsmöglichkeiten wird die Grundlage einer wirklichen Zufriedenheit bilden. Auf dieser Grundlage verliert der geistige Materialismus den letzten Rest von Anziehungskraft. Denn Materialismus ist schließlich nichts anderes als der Wunsch, mehr zu erhalten als man leistet. Dieser Wunsch entspringt einerseits dem jüdisch-spekulativen Denken; er fällt zudem aber auf um so fruchtbareren Boden, je enger die dem Leistungswillen des einzelnen entgegenstehenden Grenzen sind. Solche unübersteigbaren Grenzen bestimmten bisher das soziale Bild der europäischen Völker. Klassen und Stände gaben Vorrechte oder Nachteile, Zufälligkeiten der materiellen Lage bestimmten Bildungsgang und Berufswahl, wirtschaftliche oder politische Zufälle konnten Millionen arbeitswillige Hände zum Feiern bringen."[9] Der Faschismus machte auf zivilisationszerstörerische Art und Weise Schluss mit "Feiern", entgrenzte den Leistungswillen der Einzelnen und der Gesellschaft und militarisierte die Arbeit.

Leerstelle Kriegswirtschaft

Vor diesem Hintergrund grenzt Alys Charakterisierung von Hitler-Deutschland im Krieg als Umverteilungsstaat an Euphemie, da die sozialpolitischen Planungen der Deutschen Arbeitsfront[10] zur Sicherung oder gar Hebung des Lebensstandards der Lohnabhängigen schon Ende der 1930er Jahre immer eine erfolgreiche Kriegsbeute unterstellten und somit als Nachkriegsplanungen konzipiert waren. Selbst für bürgerliche Sozialreformer wie Ludwig Preller hatte die These von Robert Ley (Führer der DAF) - "Das Kriegsziel Deutschlands ist kein imperialistisches, sondern ein soziales" - etwas Verführerisches: Im künftigen Europa der Arbeit, erklärte Preller 1940, werde der Grundzug der Wirtschaftspolitik die Pflege der Arbeit und nicht der Dienst am Kapital sein. Aber es kam anders, und auch Aly thematisiert nicht, dass spätestens nach der Phase der "Blitzkriege" ab 1941 die Sozialpolitik vollständig der Arbeitseinsatzpolitik untergeordnet wurde. Der Zusammenhang von Umverteilung und Kriegswirtschaft erfordert also eine andere Lesart als bei Aly. Die Erfassung des komplexen Zusammenhangs von Sozialstruktur, ökonomischen Verwerfungen des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses und Ideologie bringt Aly auf eine biedere Anschauung herunter: "Es ist nichts gewöhnlicher als die Vorstellung, in der Geschichte sei es bisher nur auf das Nehmen angekommen." (Marx/Engels)[11] Aly ergänzt das Nehmen um das Geben, was seinen Vulgärmaterialismus nicht besser macht.

Neben seiner ersten großen Vereinfachung faschistischer Sozial- und (Leistungs-) Lohnpolitik auf "steuerpolitische Stimmungspolitik" liegt in der Ausblendung der Realökonomie der faschistischen Kriegswirtschaft die zweite Simplifikation. Das Politikprinzip des NS-Regimes während des Zweiten Weltkrieges, das Göring auf die prägnante Formel "Kanonen statt Butter" brachte, besaß seinen materialistischen Unterbau eben nicht in Alys vielzitierten Reichskreditkassenscheinen oder steuerpolitischen "Wohltaten", sondern in einer handfesten und brutalen "Intensivierung der Menschenökonomie im Kriege".[12] Hier wurden in tagtäglicher Produktion und Reproduktion eine Kriegsmaschinerie hergestellt, ausgebessert und "erneuert", ohne die die Raubkriege und damit Wehrmachtssoldaten auf "Hamsterfahrt" (Aly) gar nicht möglich und denkbar waren. "Goldgräberstimmung", wie Aly sie sich ausmalt, sieht anders aus. "Die Wirtschaft hatte die enormen Frontverluste an Kriegsmaterial wettzumachen, sollte aber zugleich etwa 30% ihres Bestandes an uk-gestellten Fachkräften allein zur Wiederauffüllung des Heeres abgeben. Das 'Dilemma des Menschenmangels' drohte unlösbar zu werden."[13] Die Bemühungen um eine effektive Umsetzung aller Ressourcen in die Rüstungsindustrie und damit einer Anpassung an den totalen Kriegseinsatz gaben Deutschland immer mehr das Aussehen einer perfekt organisierten totalen Arbeitsgesellschaft, "in der es eines nicht gab: einen Lohn der Arbeit in Form von Wohlstand, Prosperität und sozialer Sicherheit."[14]

Das Janusgesicht faschistischer "Menschenökonomie" besitzt eine politische wie sozio-ökonomische Flanke, die in Alys Diktum von der "Gefälligkeitsdiktatur" mitnichten erfasst sind. Symbolische Angebote der NS-Führung korrespondierten immer mit physischem Zwang wie mit materieller Lockung. Der gleichzeitige Einsatz dieser Mittel gilt nicht nur für die ersten Monate des deutschen Faschismus, sondern kennzeichnet grundsätzlich faschistische Herrschaft. Das trifft erst recht auf den kriegswirtschaftlichen Alltag der (Zwangs-) ArbeiterInnen zu, der hinter Alys immer gern zitierten Feldpostbriefen Heinrich Bölls fast vollständig in Unkenntlichkeit verschwindet. "Kooperation der betrieblichen 'Herren' bzw. Vorgesetzten mit den öffentlichen Gewalten bezeichnet jene Seite alltäglicher Repression im Arbeiterleben, die von staatlicher Autorität gleichermaßen 'gehärtet' wie 'geglättet' wurde."[15] Aly kappt das Zusammenspiel von Furcht und Bestechung in der Politik des NS-Regimes um die Seite der Furcht, löst das Ganze in Bestechung auf und verschiebt dabei geschickt den Fokus auf die "Zirkulationssphäre". "Mason zeigte uns ein Regime, das gefangen war zwischen den widersprüchlichen Imperativen in der Produktion: rigide Arbeitsdisziplin einerseits, zu der Lohnkontrollen, die Steuerung des Einsatzes von Arbeitskräften, strenge Beaufsichtigung bei der Arbeit etc. gehörten, und potentiell schädliche Konzessionen an dieser 'Front' andererseits. Dagegen sieht Aly eine Bevölkerung aus 'gewöhnlichen Deutschen', die sich infolge von Bestechung in der Distributionssphäre fügen. Dies ist der Schauplatz seiner Argumente von der Verminderung von Ungleichheit. Hier geht 'Produktion' in Plünderung auf, und Löhne verschwinden hinter Steuerpolitik."[16]

Mentalität des bystanding

Die angeblich "klassenbewusste" Verteilung der Kriegslasten fasst Aly als "Arisierung"[17] für alle. Aber aus der Tatsache, dass für einen Teil der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft - die jüdischen Bürger - die Aneignungsgesetze gewaltsam außer Kraft gesetzt wurden, kann nicht geschlussfolgert werden, dass im Resultat des Krieges der Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus aufgehoben gewesen wäre. Erinnert sei hier an das erstaunliche und aufschlussreiche Dokument, mit dem Goldhagen seine Studie zu den "ganz gewöhnlichen Deutschen und dem Holocaust" eröffnet: "Ein Offizier, unter dessen Führung seine Leute bereits Zehntausende Juden ermordet hatten, hielt es für einen Affront, wenn irgendjemand annahm, er und seine Männer könnten den Polen Lebensmittel stehlen!" Auch die "habituelle Raffsucht" von Alys einfachen Soldaten wahrte in den "geräuschlosen bankmäßigen Mittel und Methoden" /113/ des Warentausches die tiefsitzenden (klein)bürgerlichen Eigentümerinstinkte und -gesetze. Hier zeigt sich im Kleinen, was auch im Großen gilt. Der Erhalt oder gar die Vermehrung des Anlagevermögens auf Kapitalseite am Kriegsende belegen, dass der faschistische Staat die bürgerlich-kapitalistischen Aneignungsgesetze auch durch kriegsbeuterische Umverteilung zum Wohle aller Deutschen nicht auszuhebeln vermochte. Der Umfang der Investitionen in der deutschen Industrie hat sogar die Bomben- und anderen Kriegsschäden bei weitem aufgewogen. "Die deutsche Industrie verfügte am Ende des Krieges über ein stärkeres Potential als bei Kriegsbeginn, noch dazu mit einem verhältnismäßig neuen Anlagefonds."[18]

Auch unter Wahrung seines allgemeinen Charakters der Reproduktion besitzt der Kapitalismus Spielräume in den Verteilungsverhältnissen. Dass der Übergang auf ein geschichtlich entwickelteres Niveau des Soziallohns als zu Bismarcks Zeiten in Deutschland durch zwei Katastrophen und barbarische "Eigentumsrevolutionen" (Aly) mit der physischen Vernichtung ganzer Bevölkerungsgruppen einherging, ist nicht zwangsläufig, aber in den bürgerlich-kapitalistischen Verhältnissen immer latent angelegt. Und dass die gesellschaftlichen Akteure in Deutschland diese Katastrophe nicht verhindert haben, hat sehr viel mit dem deutschen Kapitalismus zu tun. Dies kann nicht einfach der "Kraft der Gleichheitsidee" (Aly) im 20. Jahrhundert zugeschrieben werden.

Es waren die krisenhaften kapitalistischen Reproduktionszusammenhänge, deren Stabilisierung mit einer Politik schleichender Ausgrenzung schon am Ende der Weimarer Sozialpolitik und dann mit sich brutal radikalisierender Ausmerzung "Gemeinschaftsfremder" während des Faschismus versucht wurde. Über diese Ausgrenzungspolitik wurde aber der Kern bürgerlicher Eigentumsgesetze, die ja gerade die zugrundeliegenden Ungleichheiten der Lohnabhängigen weiter mit einschließen, zu sichern versucht. Dazu wurden in einem ideologisch-politischen Herrschafts- und Herrenrassendiskurs viele Deutsche auf Kosten Behinderter, jüdischer und ausländischer MitbürgerInnen, Fremd- und ZwangsarbeiterInnen und vieler anderer Bevölkerungsgruppen "gleicher" gemacht als diese "Anderen" und "Fremden". Aber auch diese Ausmerzungs- und Ausgrenzungspolitik wäre ohne das Verhalten vieler Deutscher als bystander[19] nicht möglich gewesen.

Auch heute geht der Abbau sozialstaatlicher Errungenschaften und Sicherheiten mit massiver Ausgrenzung, entwürdigenden Bedürftigkeitsprüfungen und "Enteignung" der Hartz IV-Betroffenen einher und wieder herrscht auf Seiten der nicht betroffenen "Eigentümer" eher eine Mentalität des bystanding. Dagegen sensibilisiert Alys "Volksstaat" nicht. Vielmehr befördert dessen "Subtext", der den Sozialstaat als "faschistische Errungenschaft" denunziert, einmal mehr diese für den deutschen Kapitalismus so typische und für die jüngere und jüngste deutsche Gesellschaftsgeschichte so verhängnisvolle Mentalität.

Im Resultat bleibt somit in Alys "Gefälligkeitsdiktatur" ein zentraler Begründungszusammenhang dafür, "was das nationalsozialistische Deutschland im Inneren zusammenhielt", unbegriffen, den Max Horkheimer, dessen Faschismusthese Aly "mit links" konterkarieren wollte, so eindrücklich auf den Punkt brachte: "Die antisemitische Behauptung, ein Teil der Gesellschaft bestehe aus Parasiten, die sich auf Kosten der anderen Gesellschaftsschichten durchfressen..."[20]

Christoph Lieber ist Redakteur von Sozialismus.

[1] Zitate daraus im Folgenden in Schrägstrichen.
[2] Götz Aly, "Nicht falsch, sondern anders gerechnet", in: die tageszeitung vom 15.03.2005, S. 17.
[3] Schon Carl Friedrich Goerdeler hat in seiner Denkschrift zum Stand der Finanzen vom Juli 1940 den wahren "Schein"-Charakter der Reichskreditkassenscheine treffend benannt: "Mit dem Scheinpapier ist eine rein militärische Kriegskraft geschaffen; die innere Volkskraft entspricht ihr aber nicht ... auf wirtschaftlichem ... Gebiete." (ders., Politische Schriften und Briefe Band 2, Hrsg. von Sabine Gillmann und Hans Mommsen, München 2003, S. 791) Dagegen finden sich bei dem (Wirtschafts)Historiker Aly kaum tiefergehende Reflexionen darauf, dass Prinzipen von Äquivalenz und Proportion im volkswirtschaftlichen Austausch unter kriegswirtschaftlichen Bedingungen weitgehend aufgehoben sind und Reproduktionszusammenhänge einer Kriegswirtschaft daher nur bedingt mit ökonomischen Formbestimmungen erfasst werden können. Vgl. dazu auch Sozialistische Studiengruppen, Nationalsozialistische Wirtschaftspolitik. Wirtschaftsentwicklung und Wirtschaftsplanung im Faschismus, in: Sozialismus 3 u. 4/1981.
[4] Vgl. Karl Heinz Roth, Intelligenz und Sozialpolitik im "Dritten Reich". Eine methodisch-historische Studie am Beispiel des Arbeitswissenschaftlichen Instituts der Deutschen Arbeitsfront, München 1993; Ulrich Herbert, Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903-1989, Bonn 1996; Michael Wildt, Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 2002. Auch Götz Aly hat hier mit einer früheren Arbeit seine Verdienste, vgl. ders./Susanne Heim, Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung, Hamburg 1991.
[5] Vgl. zur Analyse dieser inneren Kriegsursachen, die in der (bürgerlichen) Forschung immer noch nicht so recht zur Kenntnis genommen werden will: Werner Röhr/Brigitte Berlekamp/Karl Heinz Roth, Der Krieg vor dem Krieg. Politik und Ökonomik der "friedlichen" Aggressionen Deutschlands 1938/39, Hamburg 2001.
[6] Uwe Lohalm, Die Wohlfahrtskrise 1930-1933. Vom ökonomischen Notprogramm zur rassenhygienischen Neubestimmung, in: Zivilisation und Barbarei. Die widersprüchlichen Potentiale der Moderne, Hrsg. von Frank Bajohr, Werner Johe und Uwe Lohalm, Hamburg 1991, S. 214f.
[7] Detlev Peukert, Max Webers Diagnose der Moderne, Göttingen 1989, S. 81.
[8] Franz Neumann notierte schon 1942 in seinem Aufsatz "Mobilisierung der Arbeit in der Gesellschaftsordnung des Nationalsozialismus": "Zerstörung sämtlicher genuiner Zusammenhänge, die der gesellschaftliche Charakter der Arbeit erzeugt, und Manipulierung der Arbeiterklasse durch ihre Atomisierung." In: ders., Wirtschaft, Staat, Demokratie. Aufsätze 1930-1954, Hrsg. von Alfons Söllner, Frankfurt a.M. 1978, S. 264.
[9] Neue Internationale Rundschau der Arbeit, 1. Jg., Heft 4, 1941, S. 374.
[10] Vgl. dazu Roth, Intelligenz und Sozialpolitik (wie Anm. 4).
[11] dies., Feuerbach und Geschichte. Entwurf und Notizen 1845/46, in: Die deutsche Ideologie, Marx-Engels-Jahrbuch 2003, Berlin 2004, S. 85.
[12] Vgl. Eckart Reidegeld, Krieg und staatliche Sozialpolitik, in: Leviathan 4/1989, S. 479-526.
[13] Dietrich Eichholtz, Die deutsche Kriegswirtschaft 1944/45. Eine Bilanz, in: ders. (Hrsg.), Krieg und Wirtschaft. Studien zur deutschen Wirtschaftsgeschichte 1939-1945, Berlin 1999, S. 326.
[14] Mit dieser These beschließt Martin H. Geyer seine Überlegungen zum Verhältnis von Arbeitsideologie und Sozialpolitik im "Dritten Reich". Vgl. ders., Soziale Sicherheit und wirtschaftlicher Fortschritt, in: Geschichte und Gesellschaft 3/1989, S. 406.
[15] Alf Lüdtke, Wo bleibt die "rote Glut"? Arbeitererfahrungen und deutscher Faschismus, in ders., Eigen-Sinn. Fabrikalltag, Arbeitererfahrungen und Politik vom Kaiserreich bis in den Faschismus, Hamburg 1993, S. 236.
[16] Jane Caplan, Cui bono?, in Sozial.Geschichte, 3/2005, S. 89. Die Beiträge von Angelika Ebbinghaus, Rüdiger Hachtmann, Christoph Buchheim, Thomas Kuczynski und Michael Wildt in diesem Heft liefern differenzierte sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Argumente gegen Alys "Geldillusionen", statistische Doppelzählungen und seinen Vulgärmaterialismus vom "plündernden" Nehmen und "steuerpolitischen" Geben.
[17] Der Historiker Frank Bajohr weist hier auf eine spezifische Ignoranz bei Alys Fassung von Arisierung hin, die andere Forschungsresultate der Arisierungsforschung einfach ausblendet. Der Leser erfährt "nichts über den Verkauf jüdischer Unternehmen - in der Regel deutlich unterhalb des Marktwerts -, nichts über die "Arisierung" von Grundstücken, nichts über zigtausendfache Liquidierung jüdischer Unternehmen seit 1938/39, die den Konkurrenzdruck für den "arischen" gewerblichen Mittelstand massiv reduzierte. Nutznießer dieses Prozesses war freilich in erster Linie das mittlere und gehobene Bürgertum, was Alys Desinteresse an der "Arisierung" als Besitztransfer (H.v.CL) einigermaßen plausibel macht, denn diese hätten sich nicht in seine Grundthese vom "Volksstaat" eingefügt." (in: sehepunkte 5/2005)
[18] Eichholtz, Deutsche Kriegswirtschaft, a.a.O., S. 346.
[19] Vgl. Raul Hilberg: Täter, Opfer, Zuschauer. Die Vernichtung der Juden 1933-1945, Frankfurt a.M. 1992.
[20] Max Horkheimer, Forschungsprojekt über den Antisemitismus (1941), in: ders., Gesammelte Schriften Band 4: Schriften 1936-1941, Frankfurt a.M., S. 401.

Aus: Sozialismus 12 /2005, S. 30-36.

Weitere Beiträge in diesem Heft: Redaktion Sozialismus: Misstrauens-Koalition. Das Regierungsprogramm von CDU / CSU / SPD | Horst Schmitthenner: Politisches Mandat der Gewerkschaften. Zum gewerkschaftlichen Einfluss in den politischen Arenen | Bernd Riexinger: Re-Regulierung des Sozialen und der Arbeitsbeziehungen | Heinz-J. Bontrup: Arbeitszeitverkürzung statt Wachstumsfetischismus | Joachim Bischoff: Wirtschaftliche Stagnation, sozialer Verfall und neoliberale Hegemonie | Jörg Wollenberg: Georg Elser und "Hitlers Volksstaat" | Regina Viotto / Andreas Fisahn: Oligarchisierung politischer Entscheidungen. Wie Privatinteressen die Politik erobern | Bernhard Sander: Der Neoliberalismus zerstört die Gesellschaft. Zu den Unruhen in Frankreich | Hermann Dworczak: Wahlen in Wien - eine böse Überraschung | Stefan Schmalz: Das Ende des Hühnerflugs? Die brasilianische Regierung "Lula" am Scheideweg | Rainer Holze: Deutsche Frauen in der Résistance (zur Dokumentation von Ulla Plener) | Veranstaltungen & Internet-Links | Antje Trosien: "Stolz und Vorurteil" / "Liebe lieber indisch" (Filmkritik)