Emanzipation in der Politik

Deutschland bekommt nun eine Frau als Regierungschefin. Sie kommt aus dem Osten, hat nach der Wende aus dem Nichts eine politische Karriere gemacht. Erste Frau im Staate, in zweierlei Hinsicht, ...

... wird sie jedoch nicht, weil sie sich für den Osten oder die Frauenemanzipation besonders engagiert hätte oder die Ostdeutschen und die ostdeutschen Frauen sie besonders präferiert hätten, sondern weil sie unbeirrt ihren Weg ging, der im Laufe der Zeit die bekannte Richtung angenommen hat.

Sie konnte ihn gehen, weil sie schon emanzipiert war, als sie 1991 erstmals in eine Regierung eintrat. Worin bestand diese Emanzipation? Sie stellte sich zu keiner Zeit je die Frage - wie dies auch ihr erster Chef der letzten DDR-Regierung nicht tat -, ob sie denn als Frau dies könne, ob sie als Frau einen solchen Weg gehen, ob sie denn als Frau sich gegen die Männer durchsetzen könne, ob sie als Frau nicht anders leben müsse und so weiter. Aufgrund dieses vielen ostdeutschen Frauen innewohnenden Bewußtseins, daß es völlig unerheblich ist, welchen Geschlechts man ist für eine bestimmte Tätigkeit oder Karriere, konnte sie soweit kommen. Keiner der sie umgebenden Männer hatte vermutet, daß in Frauen ein so unerschütterliches Grundverständnis von Selbstverwirklichung stecken könnte.

Denn sie alle hingen einem konservativen Frauenbild an und hatten von ostdeutscher Emanzipation keinen blassen Schimmer. Ebensowenig wie die westdeutschen Frauen. Jetzt wird Angela Merkel sogar von Alice Schwarzer bewundert, dafür, daß sie es in ein Spitzenamt geschafft hat. Die künftige Kanzlerin wurde im Vorfeld der Wahl in Porträtsendungen einem breiteren Publikum vorgestellt. Die Herren, die sich zu ihr äußerten, erklärten sich den Aufstieg mit "Machtbewußtsein" und "Unterschätzung" sowie "analytischem Denken als Naturwissenschaftlerin". Alles Charakteristika, die man, insbesondere Westdeutsche, bei jemandem, der keine klassische politische Karriere gemacht hat, der aus dem Osten kommt und noch dazu bei einer Frau, nicht vermutet. Frauen sind auch in der DDR nicht gerade in Spitzenämter geschoben worden, waren aber stets gut vorbereitet und konnten jederzeit zugreifen, wenn sich eine Gelegenheit dafür bot.

Doch was wird nun aus der selbstverständlichen emanzipatorischen Herangehensweise dieser Frau an ihre eigene Karriere in einer Regierung, der sie als Bundeskanzlerin vorsteht? Gleich am ersten Tag nach den Sondierungsgesprächen wurde die Richtlinienkompetenz der künftigen Kanzlerin in Frage gestellt, sowohl von der SPD, namentlich von Franz Müntefering, und von der CSU, von Edmund Stoiber. Mit der ihr eigenen Unbeirrbarkeit ließ sie die Männer wissen, daß die Richtlinienkompetenz immer beim Kanzler liegt, auch wenn dieser weiblich ist.

Die mit Frauen zu besetzenden Ressorts sind das Entwicklungshilfeministerium, das Ministerium für Bildung, das Frauen-/Familienministerium, das Gesundheitsministerium und das Justizministerium. Drei für die SPD und Familie und Bildung für die CDU. Beides Ministerien, wo die Union ganz besonders konservativ auftritt. Zwar hat Annette Schavan in Baden-Württemberg das Zwölfjahresabitur eingeführt, doch bundespolitisch will man in der Bildung nicht viel tun, denn hier haben die Länder den Erstzugriff. An diesem Umstand war die Föderalismusreform letztlich gescheitert. Annette Schavan steht all den CDU-Länderchefs gegenüber, die schon mitgeteilt haben, daß es mit ihnen keine Verringerung der Bildungskompetenz der Länder geben werde. Im Wahlprogramm der Union, als Regierungsprogramm 2005 bis 2009 Deutschlands Chancen nutzen. Wachstum. Arbeit. Sicherheit betitelt, gibt es auf 47 Seiten zwei zu Familien - unter dem Leithema Zukunft für Familien - Bildung und Erziehung. Betont wird: "Wir werden die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärker fördern. Â… Wir befürworten die Möglichkeit von Teilzeitbeschäftigung für Kindererziehung und Pflege", womit die Rolle der Frauen klar umrissen ist, denn die Männer sind nicht teilzeitbeschäftigt.

Darüber hinaus plädiert die Union für "ein familienfreundliches Klima in unserer Gesellschaft, das Eltern bei der frühkindlichen Bildung und Erziehung stärkt und ermutigt", womit die Frauen auch hier auf ihre Rolle in der Familie verwiesen werden, wenngleich der Grundtenor auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie gestimmt ist. Die "Ganztagsangebote" sollen "bedarfsorientiert" ausgebaut werden, in den unionsgeführten Ländern sei man schon dabei.

Dafür steht eine andere Frau, Ursula von der Leyen, die das Familienministerium übernehmen soll. Sie ist erst 1990 in die CDU eingetreten und begann ihre eigentliche politische Karriere 1999. Zwischen 1977 und 1987 hat sie studiert, Volkswirtschaft und dann Medizin, 1991 folgte die Promotion in Medizin. Bevor sie in die niedersächsische Landesregierung als Ministerin für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit im Jahr 2003 eintrat, hatte sie sieben Kinder geboren. Das jüngste Kind geht noch nicht zur Schule. Verheiratet ist sie mit einem Professor der Medizin. Wofür steht ihr Lebenslauf? Für die westdeutsche Variante der Emanzipation der Frauen? Eher nicht. Ein Blick in ihren wissenschaftlichen, beruflichen und politischen Werdegang zeigt eine Reihe ungewöhnlicher, ja elitärer Aspekte. Als Frau, Mutter und Medizinerin hat sie den Zugang zu den Politikfeldern gewonnen, die sie heute bestellt. In einem Interview mit dem Tagesspiegel im August 2004 meinte sie, daß eben diese biographischen Faktoren Frauen zu Sozialpolitik im weitesten Sinne befähigen und daß Frauen in ihrer Eigenschaft als Mutter wesentliche Fähigkeiten für die Politik erwerben wie "schnell kluge Kompromisse zu schließen, die die Gemeinschaft weiterbringen". Gewiß ist Frau von der Leyen eine emanzipierte Frau; aber hat sie sich auch von dem Rollenbild der CDU emanzipiert, oder bedient sie es nicht geradezu in perfekter Weise?

Im übrigen hatte die Gleichstellungs- und Frauenministerkonferenz (GFMK) Anfang Juni 2005 mit den Stimmen der unionsregierten Länder ihre eigene Auflösung beschlossen. Durch Zusammenlegung mit der Jugendministerkonferenz will man sich vor allem dem Thema Familienpolitik widmen. Von Frauenemanzipation ist weder bei der zukünftigen Kanzlerin noch bei der designierten Fachministerin die Rede.

in: Des Blättchens 6. Jahrgang (VI) Berlin, 7. November 2005, Heft 23