Die Freiheit eines Hartz-IV-Empfängers

in (05.09.2005)

Mein Freund Ralf hat als ausgebildeter Facharbeiter lange Zeit auf dem Bau gearbeitet und danach sieben Jahre in einem Metallbetrieb gutes Geld verdient. Als vor drei Jahren der Betrieb ...

... infolge Besitzerwechsels "restrukturiert" wurde, mußte Ralf gehen, zusammen mit mehreren Kollegen. Im Betrieb war man gewerkschaftlich gut organisiert, so daß ihr Betriebsrat noch ordentliche Abfindungen aushandeln konnte - die ihnen allerdings zum Teil bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes mindernd angerechnet wurden. Seitdem ist Ralf arbeitslos, mehr als siebzig Bewerbungen blieben ohne Erfolg. Sein Berater beim Arbeits-amt verlor bald jede Hoffnung für ihn, da er ja schon 50 Jahre alt sei...

Seit Anfang dieses Jahres soll Ralf mit den Sozialhilfesätzen nach Hartz IV auskommen. Zuständig ist nun die "Arge" (Arbeitsgemeinschaft der Arbeitsagentur und der Kommune), und da muß er noch mehr als zuvor um seine schon arg beschnittenen Rechte besorgt sein.

Er lebt in zwei kleinen Zimmern mit Küchenzeile und Mini-Bad, die als Gästewohnung zum Wohneigentum einer Frau gehören - ist das etwa eine "Bedarfsgemeinschaft", wie die Arge-Beamten in ähnlichen Fällen vermuten? Die Frau hat neben dem Immobilienbesitz auch noch einen Job - ihr arbeitsloser Mitbewohner könnte da ganz schnell auf Null gesetzt werden und auch seinen Krankenversicherungsschutz verlieren.

Doch Ralf weiß sich zu wehren. So hat er inzwischen seine Zimmer, die zum Glück im oberen Stockwerk unter der Dachschräge liegen, "Hartz IV-fest" gemacht, wie er das nennt: Am Treppenende kann er eine abschließbare Tür mit nochmaligem Klingelschild vorweisen, die eingebaute Spüle vom Baumarkt funktioniert und enthält immer unabgewaschenes Geschirr, im Kleiderregal neben der Bettstatt hängt das Notwendige. Trotzdem würde Ralf, wenn es plötzlich klingeln sollte und ein Arge-Kontrolleur vor der Tür stünde, ihn nicht ohne weiteres hereinlassen; der müßte schon einen richterlichen Durchsuchungsbefehl vorlegen! Oder sollte jetzt auch das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 GG) für Arbeitslose außer Kraft gesetzt sein? Eine Kopie des Mietvertrages hat er schon abgeben müssen. Auch noch Kontoauszüge mit den monatlichen Überweisungen wie verlangt bei der Arge vorzulegen, wäre für Ralf ungefährlich (er hat eh immer Miete gezahlt), doch er wird sich dazu erst bereit finden, wenn der Berater ihm die entsprechende Rechtsverordnung mit richterlicher Anweisung präsentiert - oder gilt das Bankgeheimnis nur für Reiche?

Nicht von ungefähr kennt Ralf seine Rechte und weiß um sie zu kämpfen. Seit über dreißig Jahren Gewerkschaftsmitglied, davon viele Jahre IG-Metall-Vertrauensmann, hat er manche Gewerkschaftsfortbildung mitgemacht und in den letzten zehn Jahren mehrmals selber organisiert. Er arbeitet im Forum linker Gewerkschafter mit und hat auch viele Jahre Erfahrung in Parteiarbeit. Seine Arbeitslosigkeit läßt ihm mehr Zeit für seine sozialpolitischen Aktivitäten.

Doch jetzt muß er erleben, daß für Arbeitslose inzwischen auch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) nicht mehr gelten soll. Bei seinem letzten "Besuch" in der Arge drohte ihm der Berater die Kürzung der Unterstützungszahlungen an. Begründung: Er wirke nicht aktiv an seiner Arbeitsvermittlung mit, wozu er verpflichtet sei, sondern behindere sogar eine eventuelle Anstellung, und zwar durch vermittlungsschädigende Aktivitäten. Zum Beweis zog der Beamte eine Akte hervor, in der Ausschnitte aus der Lokalzeitung über Veranstaltungen mit Ralf zusammengestellt waren. Vor allem enthielt sie einen Leserbrief, in dem mein Freund darlegte, weshalb er nach langen Jahren aus der SPD ausgetreten ist und nunmehr als Wahlkreiskandidat für die WASG in der Linkspartei antritt. Damit würde er doch jeden potentiellen Arbeitgeber abschrecken!

Ralf hat hell empört reagiert und dem Beamten mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde gedroht. Um hierfür Material zu sammeln, hat er den Vorgang als Beschwerde zunächst an den Bundesbeauftragten für den Datenschutz gesandt und um Rechtsauskunft gebeten; die Antwort steht noch aus. Auch die Rechtsabteilung seiner Gewerkschaft wird er einschalten. Bisher hat die Arge nicht gewagt, ihm die Unterstützung zu kürzen.

Ja, Ralf weiß sich zu wehren. Aber die anderen Betroffenen? Wie viele knicken ein, niedergedrückt von den vielfältigen Schikanen und Einschüchterungsversuchen der Behörden, oder wirken gar in vorauseilendem Gehorsam an ihrer Entrechtung mit. Hier sind die Gewerkschaften gefordert. Sie müssen Seminare veranstalten, regelmäßige Treffen, lockere Zusammenkünfte. Im Nahbereich einer jeden Arbeitsagentur oder Arge-Einrichtung. Auch für ihre Nicht(mehr)-Mitglieder. Zum Einüben von Selbstbewußtsein und Solidarität. Sie müssen sich endlich darüber klar werden: Hartz IV ist ein staatlich organisiertes Programm zum Abbau von Grundrechten, das alle ArbeitnehmerInnen einschüchtern soll. Zwecks ihrer besseren Verwertbarkeit für das Kapital.

erschienen in: Ossietzky 18/05