Im Schatten der Aufklärung

Editorial zum Themenschwerpunkt (iz3w Nr. 286)

Im Fernsehen kann man sich in Krimi-Serien, Actionfilmen und Thrillern tagein, tagaus endlos Morde ansehen - um die 500 Mordszenen pro Woche allein in deutschen Kanälen. Und auch in einer überbordenden Menge von Romanen geht es um Verbrechen und deren Aufklärung durch InspektorInnen, PrivatdetektivInnen, JournalistInnen oder Angehörige. Jährlich erscheinen in Deutschland rund 700 neue Kriminalromane. Die Art der in Literatur und Film erzeugten Spannung und Unterhaltung ist - trotz des globalen Erfolgs der Fernsehserie Derrick - höchst unterschiedlich ausgeprägt. Literarisch ist das Genre in vielen Ländern der so genannten Dritten Welt - vor allem in Afrika und Asien - eher neu, während aktuelle AutorInnen in Lateinamerika an eine lange Krimi-Tradition anknüpfen. Doch derzeitig scheint der Krimi von China bis Angola und von Brasilien bis Algerien einen Boom zu erleben. Fast überall (wenn nicht im eigenen Land, dann oft aus dem Exil) werden Krimis verfasst, auch wenn die Buchmärkte in vielen Ländern häufig sehr klein sind. Und auch der hiesige Markt scheint die "Dritte Welt" entdeckt zu haben, wählen doch immer mehr westliche AutorInnen Länder des Südens als Schauplatz ihrer Kriminalgeschichten.

Warum aber die "Dritte Welt"? Helfen die exotischen Schauplätze, eine sich einschleichende Ermüdung am Genre Krimi zu vertreiben? Wirken die Geschichten im spannenden Süden authentischer als im "satten" Norden? Oder sind es gar wirkliche Auseinandersetzungen mit den Realitäten in der Dritten Welt, die westliche (Drehbuch-)AutorInnen dazu bringen, Geschichten aus der südlichen Hemisphäre auf den hiesigen Markt zu bringen? Es stellen sich noch eine ganze Reihe mehr Fragen, die auch auf den 20 Seiten dieses iz3w-Schwerpunktes nicht zur Genüge beantwortet werden können. Geht es doch in der Literatur, zumal in der Kriminalliteratur, um gesellschaftlich höchst brisante Fragen, deren Darstellung - je nachdem ob sie von innen (aus dem jeweils eigenen Land) oder von außen (durch die Brille westlicher AutorInnen) betrachtet werden - sehr unterschiedlich sein kann.
Es geht dabei um interkulturelle Bezüge und Rassismus, um das Verhältnis von Protagonistinnen zu Protagonisten, um Geschlechterkonstruktionen in den Rollen von Opfern und TäterInnen. Und es geht nicht zuletzt um die Auseinandersetzung mit Kriminalität, die mal im Sinne gesellschaftlicher Aufklärung die ‚Normalität' selbst problematisiert, mal eine ‚gesunde' Gesellschaft zeichnet, die von ‚kranken' Kriminellen bedroht wird.

Die verschiedenen AutorInnen unseres Schwerpunktes sind sich darin einig, dass der Krimi ein besonderes kritisches Potential hat. Möglicherweise lässt sich (insbesondere in repressiven Gesellschaften) besser in Form von Krimis über Gewalt, Korruption und Missstände schreiben, weil keine "echten" Namen genannt werden, SchriftstellerInnen mithin sicherer als EnthüllungsjournalistInnen leben. Und die LeserInnen hier wie dort werden im Krimi eben nicht mit Antworten eingedeckt, die ‚objektive Wahrheit' liefern. Vielmehr sind es die offenen Fragen, die die Ermittlungen antreiben und in die unterschiedlichsten Ecken der Gesellschaft führen. Und das wiederum ist ganz in unserem Sinne, ermöglicht das Themenfeld doch eine kritische Auseinandersetzung, die gleichermaßen für Analyse wie für Spannung sorgt.

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