Neue Inhalte für die Naturwissenschaften

Degendering Science: Curriculum in Hamburg

Gender, Science und Technology-Analyse als Studiums-Module stellen Robin Bauer und Helene Götschel dar

Nicht zuletzt ist für die Gender & Science Studies, die aus der feministischen Naturwissenschaftskritik hervorgegangen sind, eine kritische Haltung gegenüber den Naturwissenschaften unabdingbar. Es geht nicht nur darum vorzuführen, dass diese Wissenschaftsdisziplinen ein soziales Unterfangen wie andere auch sind, und damit bewusster umzugehen, sondern auch um eine grundlegende Kritik an der Rolle, die die Naturwissenschaften an der Konstruktion und Erhaltung der Kategorien Geschlecht, Sexualität, "Rasse", "Behinderung" usw. und den damit verbundenen gesellschaftlichen Machtverhältnissen spielen. Es geht darum, die Naturwissenschaften zu entmythologisieren, zu dezentralisieren und letztlich zu ändern, und das auch auf der Ebene der Wissensproduktion selbst.
Die feministische Wissenschaftshistorikerin Donna Haraway entwirft eine alternative Erkenntnistheorie naturwissenschaftlichen Wissens, in der bei der Wissensproduktion sowohl soziale und diskursive als auch materielle Aspekte, die nicht einfach im Diskurs aufgehen, eine Rolle spielen1. Haraway ermöglicht so eine Sichtweise auf die Naturwissenschaften, bei der eine tiefgreifende Kritik und Dezentrierung im Mittelpunkt steht, ohne dabei die geisteswissenschaftliche Perspektive als überlegen aufzufassen. Ein Transfer solcher Ergebnisse der Gender & Science Studies in die Curricula der Naturwissenschaften selbst steht noch aus. Dieser Rückbezug und der dafür notwendige Dialog mit den Lehrenden der Naturwissenschaften ist jedoch erforderlich, um die Erkenntnisse der Gender & Science Studies für eine geschlechtergerechte Entwicklung der naturwissenschaftlichen Fächer zu nutzen.
Eine Demokratisierung der Naturwissenschaften ist nicht nur aus erkenntnistheoretischen Überlegungen heraus wichtig, sondern auch aus gesellschaftspolitischen Gründen. Die Partizipation derzeit unterrepräsentierter Gruppen wie Frauen, ethnischen und anderen Minderheiten in den Naturwissenschaften ist eine zentrale Voraussetzung, um eine große Bandbreite von Erfahrungen und Perspektiven in die Produktion und Anwendung naturwissenschaftlichen Wissens einzubringen. Nur so kann ein Wissen entstehen, das nicht einzig gesellschaftlich privilegierten Gruppen dient, sondern Hierarchien abbaut und die Gesellschaft weiter demokratisiert. Bisherige Initiativen und Förderprogramme in Deutschland haben zum Ziel, junge Menschen zu einer späteren Berufstätigkeit in Natur- und Technikwissenschaften zu ermutigen. Unterrepräsentierte Gruppen werden jedoch nicht explizit angesprochen. Christiane Erlemann analysierte treffend in ihrem Resümee zum Jahr der Technik, dass sich in den Werbematerialien vor allem Begriffe und Assoziationen des zivilen Wettrüstens und kommunikativer Einbahnstraßen zwischen autoritären Machern und beeindrucktem Publikum fänden. Erlemann stellt fest, dass sich so ökologisch und sozial interessierte junge Menschen nicht ansprechen ließen.2 Um Frauen und andere für die Naturwissenschaften zu gewinnen, ist es daher notwendig, u.a. die Geschlechterperspektive in die Fachinhalte und das Curriculum der Naturwissenschaften zu integrieren.

Das Projekt Degendering Science

Im Projekt Degendering Science - Erweiterung des Wissenschaftsverständnisses und Curriculums der Naturwissenschaften verfolgen wir die Doppelstrategie, den Blick nicht nur auf Frauen und Männer in der Wissenschaft, sondern auch auf die Geschlechtlichkeit der Naturwissenschaften selbst zu richten. Die Erweiterung der Naturwissenschaften um die Genderperspektive erfordert die soziale, historische und erkenntnistheoretische Kontextualisierung der vermeintlichen Gesellschafts- und Geschlechtsneutralität naturwissenschaftlicher Theorien und Forschungsergebnisse sowie deren Produktions- und Vermittlungsformen in traditionell männlich geprägten Wissenschaftsstrukturen. Derzeit gibt es, von einzelnen Lehrveranstaltungen zur Wissenschaftsgeschichte oder Techniksoziologie einmal abgesehen, keine Orte, an denen diese kritische Reflektion von Naturwissenschaft und Technik an unserer Hochschule möglich ist. Die Lehrveranstaltungen von Degendering Science bieten daher den Studierenden die Chance, sich in interdisziplinären Lernsituationen mit naturwissenschaftlichen Thematiken in ihrem gesellschaftlichen Kontext auseinander zu setzen. Der Projekttitel Degendering Science bezieht sich auf die von Judith Lorber formulierte paradoxe Strategie, "die Kategorie Geschlecht zu benutzen, um sie zu überwinden"3 und ist gleichzeitig ein ironischer Umgang mit der unter NaturwissenschaftlerInnen weit verbreiteten Auffassung, Naturwissenschaft und Geschlecht hätten nichts miteinander zu tun.
Das Projekt Degendering Science ist am Fachbereich Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg angesiedelt. Im Projekt entwickeln wir Lehrveranstaltungen an der Schnittstelle von naturwissenschaftlicher Ausbildung und Gender Studies. Das Wissenschaftsverständnis der Naturwissenschaften erweitern wir, indem wir die Kategorie Geschlecht auf den Ebenen der Fachinhalte und der Fachkulturen thematisieren. Das Curriculum erweitern wir, indem wir einzelne Lehrveranstaltungen zum Thema "Gender Studies und Naturwissenschaften" konzipieren und erproben. Gleichzeitig ist es unser Ziel, Ergebnisse der Gender Studies in die Naturwissenschaften und naturwissenschaftliche Fragestellungen in die Gender Studies hinein zu tragen. Daher haben wir uns in hochschulpolitischen Gremien für die Ausformulierung eines Lehrschwerpunktes "Technoscience" in den Gender Studies, für die Öffnung des Teilstudiengangs gegenüber Diplomstudierenden sowie für die Anerkennung der Gender Studies als Wahlfach bzw. Nebenfach an allen naturwissenschaftlichen Fachbereichen eingesetzt und uns für die Einrichtung von Professuren für "Gender und Mathematik" (Universität Hamburg), "Technik, Arbeit und Geschlecht" (TU Hamburg) und "Gender und Medientechnik" (Hochschule für Angewandte Wissenschaften) engagiert.

Technoscience - Teil der Gender Studies

Der Teilstudiengang Gender Studies an der Universität Hamburg kann von allen Magister-Studierenden als Nebenfach studiert werden. Außerdem kann Gender Studies als Nebenfach zu einem Diplomstudium gewählt werden, wenn die Prüfungsordnung des Hauptfachs dies vorsieht oder ermöglicht. In Bezug auf die naturwissenschaftlichen Fachbereiche hieß das, deutlich zu machen, dass es sinnvoll ist, wenn Diplomstudierende der Mathematik, Physik, Biologie, Informatik oder Geographie sich prüfungsrelevant mit Gender Studies beschäftigen. Außerdem musste die Studienordnung des Teilstudiengangs Gender Studies für Dip-lom-studierende so gestaltet werden, dass das Curriculum und die Leistungsnachweise mit den Vorgaben des jeweiligen Diplomhauptfaches in Einklang gebracht werden konnte. Mit Ausnahme der Chemie, welche laut Diplomprüfungsordnung keine Nebenfächer/Wahlfächer zulässt, konnten alle naturwissenschaftlichen Fachbereiche überzeugt werden, Gender Studies als Wahlfach anzuerkennen. Besonders erfreulich ist, dass unsere Verhandlungen mit den Fachbereichen Physik und Informatik erfolgreich verliefen. Denn diese zählen (nicht nur) an der Universität Hamburg zu den mit Abstand unbeliebtesten Fächern bei Studentinnen, deren Anteil in Physik und Informatik lediglich 12 bis 15% beträgt, während die Zahl weiblicher Studierender an der Universität im Durchschnitt aller Fächer bei etwa 53% liegt.
Für alle Gender Studies-Studierende ist im Grundstudium eine Veranstaltung aus dem Grundlagenfach Technoscience verpflichtend. Im Hauptstudium besteht die Möglichkeit, die Studienrichtung Technoscience in Haupt- und Projektseminaren zu vertiefen. Die im Projekt Degendering Science entwickelten Seminare sind zentraler Bestandteil von Technoscience.
Für Studierende der Informatik, die Gender Studies als Ergänzungsfach wählen, bedeutet das beispielsweise, dass sie im Grund- und Hauptstudium jeweils 12 Semesterwochenstunden (SWS) belegen müssen. Zwei Einführungsveranstaltungen mit jeweiligem Tutorium mit den Schwerpunkten "Feministische Theorienbildung" und "Subjektbegriff und Machtverhältnisse" sind Pflicht, sowie eine Veranstaltung aus dem Grundlagenbereich "Geschichte sozialer Bewegungen", in der u.a. verdeutlicht wird, dass innovative wissenschaftliche Ideen in einem konkreten gesellschaftlichen Kontext (z.B. der Frauenbewegung) entstehen. Im Grundlagenbereich Technoscience wählen sie eine Veranstaltung, die einem der drei möglichen Bereiche "Zugänge zu Naturwissenschaft und Technik", "(De-)Konstruktion und Wissenschaftsanalyse" oder "Technikgestaltung und -Anwendung" zugeordnet ist. Im Hauptstudium sieht der standardisierte Studienplan Gender Studies Diplom nur vier Lehrveranstaltungen vor. Studierende der Informatik müssen hier aufgrund der Vorgaben ihres Faches weitere Seminare besuchen. Diese können Sie nach Interesse aus einem reichhaltigen Angebot von Lehrveranstaltungen auswählen, und es besteht die Möglichkeit, die Beschäftigung mit Technoscience in Projekt- und Hauptseminaren zu vertiefen.4
Mit der Verknüpfung von Naturwissenschaften und Gender Studies im Sinne der Strategie der Zweibahnstraße ist schon viel erreicht. Doch angehende LehrerInnen studieren ebenfalls Naturwissenschaften. Als Studierende, die einen Staatsexamensabschluss anstreben, können sie sich zwar in ihrer Ausbildung mit Genderfragen beschäftigen, jedoch zumeist beschränkt auf Fragestellungen zu Sozialisation und Erziehung. Dabei sollten sie als zukünftige MultiplikatorInnen besonders darin geschult werden, in Bezug auf Naturwissenschaften Genderkompetenz zu erwerben. Darüber hinaus ist es auch für andere pädagogische Berufsgruppen wichtig, die Naturwissenschaften aus einer Genderperspektive zu reflektieren. Deshalb ist es von Vorteil, dass das Projekt Degendering Science am Fachbereich Erziehungswissenschaft angesiedelt ist und Studierende der Erziehungswissenschaften unsere Lehrveranstaltungen besuchen können. In der Tat sind die Mehrzahl der Studierenden in unseren Seminaren Lehramtsstudierende mit naturwissenschaftlichen Fächern. Ihr Bedarf, die eigene Rolle als VermittlerInnen der Inhalte und Methoden der Naturwissenschaften zu reflektieren, scheint in der herkömmlichen Ausbildung weder in der Fachdidaktik noch in der Fachwissenschaft abgedeckt zu werden.
Die von uns entwickelten Lehrveranstaltungen richten sich also insbesondere an vier Zielgruppen:
1.
Studierende der Gender Studies mit naturwissenschaftlichen Hauptfächern,
2.
Studierende der Gender Studies mit nichtnaturwissenschaftlichen Hauptfächern,
3.
Lehramtsstudierende mit naturwissenschaftlichen Unterrichtsfächern,
4.
Studierende der Erziehungswissenschaft auf Diplom, Magister und Lehramt mit nichtnaturwissenschaftlichen Unterrichtsfächern.

Modul "Gender Studies und Naturwissenschaften"

Vor diesem Hintergrund der unterschiedlichen Interessen und Voraussetzungen, die die Studierenden mitbringen, entwickeln wir derzeit ein Curriculummodul "Gender Studies und Naturwissenschaften", das anschlussfähig sein soll an die geplanten Bachelor- und Master- Abschlüsse am Fachbereich Erziehungswissenschaft sowie an das zukünftige Masterstudium Gender Studies. Die Überführung der bislang im Projekt evaluierten Lehrveranstaltungen aus dem Bereich Gender & Science Studies in eine modulare Studienstruktur bietet dabei die Chance, das Stoffgebiet in einzelne, systematisch aufeinander aufbauende bzw. einander ergänzende Lehrveranstaltungen zu unterteilen. Eine Struktur mit einführenden, weiterführenden und vertiefenden Veranstaltungen ist vor allem deshalb für unser interdisziplinäres Forschungsfeld vorteilhaft, da die Teilnehmenden aus einer Vielzahl von Studienfächern stammen und entsprechend unterschiedliches Vorwissen in die Veranstaltungen einbringen (vgl. Tabelle).
Den jeweiligen Mikromodulen (Lehrveranstaltungen) sollen zu einem späteren Zeitpunkt Credit Points zugeordnet werden. Zurzeit wird jedoch am Fachbereich Erziehungswissenschaft noch eine Unterteilung in Semesterwochenstunden vorgenommen (SWS), wobei das Modul "Gender Studies und Naturwissenschaften" insgesamt 8 SWS umfasst. Es setzt sich zusammen aus Basismodulen, Aufbaumodulen und Praxismodulen, welche jeweils aufeinander Bezug nehmen (s. Tabelle). Die Studierenden belegen zunächst ein Basismodul, welches in die Thematik einführt. Im Anschluss daran wählen sie eventuell ein weiteres Basismodul oder gleich ein Aufbaumodul, um ausgewählte Aspekte des Forschungsfeldes zu vertiefen. Je nach Wunsch können sie anschließend ihre Kenntnisse in einem Praxismodul mit eigenständigem Forschungsanteil anwenden oder eine eher theoretische Ausrichtung des Stoffgebietes mit weiteren Basis- und Aufbaumodulen wählen. Auf der Ebene der Basismodule werden im Projekt Degendering Science zwei gleichwertige Lehrveranstaltungen angeboten. Eine thematisiert eine Systematik für den Zusammenhang von Naturwissenschaften und Geschlechterverhältnissen und führt mit der Analyse der Situation von Frauen in Naturwissenschaften in diese Systematik ein. Die andere thematisiert schwerpunktmäßig die Kategorie Geschlecht als biologisch und gesellschaftlich konstituierte Größe. Hier erfolgt der Einstieg über die Erörterung ethischer oder sozialwissenschaftlicher Fragen in den Naturwissenschaften. Auf der Ebene der Aufbaumodule sind drei Bereiche als für die Zielgruppe besonders relevant herausgearbeitet worden, welche vertiefend eher wissenschaftshistorische, wissenschaftstheoretische oder sozialisationstheoretische Fragestellungen thematisieren: "Naturwissenschaftliche Kontroversen", "Naturwissenschaftliches Wissen" und "Sozialisation in den Naturwissenschaften". Die Reflexion naturwissenschaftlicher Praxis erfolgt in einem Praxismodul, welches im Vergleich zu den vorangegangenen Mikromodulen arbeitsintensiver ist und daher mit 4 SWS veranschlagt wird. Es bietet Studierenden die Möglichkeit, das bereits Gelernte praktisch zu vertiefen und eine kleine Forschungsarbeit durchzuführen.5

Anforderungen an die Lehre

Die Durchführung der Lehrveranstaltungen und die Auswertung der von den Seminarteilnehmenden ausgefüllten Evaluationsfragebogen hat gezeigt, dass das Forschungsfeld Gender & Science Studies nicht als "Frauenfrage" abqualifiziert, sondern von allen Geschlechtern als interessant eingestuft wurde.
Gleichzeitig werden unsere Seminare häufig von Studierenden besucht, die ein gene-relles, eher unbestimmtes Bedürfnis einer kritischen Auseinandersetzung mit ihren naturwissenschaftlichen Disziplinen an uns herantragen und sich bislang nicht mit der Genderperspektive beschäftigt haben. Teilweise entdecken Studierende diese nach anfänglicher Skepsis für sich. Andererseits behalten einige Studierende ihre ablehnende Haltung gegenüber feministischen Inhalten bei, was die Spannungen unter der ohnehin sehr heterogenen Zusammensetzung von SeminarteilnehmerInnen potenziell erhöht und hohe Anforderungen an die didaktische Ausgestaltung der Lehrveranstaltungen stellt.
Studierende, die feministischen und -Gender-Perspektiven skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen, sind häufig der Meinung, das Thema habe nichts mit ihnen zu tun. Oder sie vertreten die Ansicht, dass solche Themen nichts in der Lehre zu suchen hätten, weil sie gegen das Gebot einer objektiven, wertneutralen Wissenschaft verstoßen und unzulässig politische oder ethische Aspekte einbringen würden. Dem Vorurteil, dass Geschlecht in ihrem Leben keine Rolle spiele, kann teilweise mit Recherche-Aufträgen oder entsprechender Literatur (z.B. zur Situation von Frauen in den Naturwissenschaften) oder dem Einbezug eigener Erfahrungen der Studierenden (z.B. als einzige Studentin im Physikhörsaal) begegnet werden.
Die Kritik der Annahme, die Naturwissenschaften seien ein wertneutrales Unterfangen, ist bereits inhaltlicher Bestandteil unserer Seminare. Aus dieser wesentlichen Erkenntnis der Wissenschaftsforschung und insbesondere der Gender & Science Studies muss daher konsequenterweise ein alternativer Umgang mit naturwissenschaftlichem Wissen im Seminaralltag resultieren. Lehrende und Studierende sollten bei ihren alltäglichen Interaktionen im Seminar immer wieder daran erinnert werden, die Ergebnisse naturwissenschaftlicher Forschung kritisch zu hinterfragen und möglichst alternative Konzepte von Objektivität anzuwenden. Dieser Transfer theoretischer Erkenntnisse auf die Interaktion im Seminar selbst wird jedoch häufig nicht geleistet und gerade naturwissenschaftliches Wissen wird immer wieder als von gesellschaftlichen Faktoren unabhängig wahrgenommen und dargestellt. Hierbei handelt es sich unserer Meinung nach um eine jahrelang ansozialisierte Sichtweise, die Naturwissenschaften als "objektiv" anzusehen. Diese aufzubrechen bedarf einer tiefergehenden Reflexion, die in der Regel nicht in einem Semester zu leisten ist und zugleich eine grundsätzliche Offenheit voraussetzt, eigene Denkstrukturen zu hinterfragen. Eine vordringliche Aufgabe für die Lehrenden ist es daher, eine Situation zu fördern, in der die Studierenden ihr unterschiedliches Vorwissen konstruktiv miteinander in den Dialog bringen können, um gegenseitig voneinander zu lernen.
Die Entwicklung eines Moduls zum historischen Zeitpunkt des Bologna-Prozesses ist eine strategische Entscheidung. Daher muss das Modul nicht nur Sachkriterien, sondern auch hochschulpolitischen Kriterien gerecht werden. Die Umstrukturierung in Bachelor- und Master-Studiengänge ist auf der einen Seite eine einmalige Chance, Gender & Science Studies-Inhalte in reformierte Studiengänge hineinzubringen. Auf der anderen Seite birgt sie die Gefahr, bereits Erreichtes wieder zu verlieren und unfreiwillig Akzeptanz für den Bologna-Prozess zu schaffen, obwohl die damit einhergehenden Veränderungen teilweise sehr kritisch bewertet werden müssen. Denn es steht zu befürchten, dass die Umstellung auf das Bachelor/Master-System zu diesem historischen Zeitpunkt wissenschaftskritischen Unterfangen wie den Gender & Science Studies eher neue Steine in den Weg legt. Umso dringender ist es, den Hochschulreformprozess gerade in Hinblick auf die Erweiterung des Wissenschaftsverständnisses und Curriculums der Naturwissenschaften mitzugestalten.

Anmerkungen

1) Vgl. Haraway, Donna (1995): Situiertes Wissen - Die Wissenschaftsfrage im Feminismus und das Privileg einer partialen Perspektive, in: Dies., Die Neuerfindung der Natur, Frankfurt/M. u.a.: Campus, S. 73-97.

2) Christiane Erlemann: Jahr der Technik - Ein Rück-blick. In: Rundbrief "NUT - Frauen in Naturwissenschaft und Technik e.V.", Berlin, Januar 2005, S. S. 31-41.

3) Judith Lorber: Using Gender to undo Gender. A Feminist Degendering Movement. In: Feminist Theory - An International Interdisciplinary Journal, 1(2000), Heft 1, S. 79-95.

4) Ähnliches gilt für den Fachbereich Physik. Siehe Helene Götschel: Physik und Gender Studies - Zwei Welten begegnen sich im Projekt "Degendering Science". In: Käthe und Clara e.V. (Hg.) (2004): standard:abweichung. Dokumentation 29. Kongress von Frauen in Naturwissenschaft und Technik. Kirchlinteln, S. 271-275.

5) Beispiele für durchgeführte und evaluierte Lehrveranstaltungen finden sich in Helene Götschel, Robin Bauer: Gender Studies und Naturwissenschaften - Ein modulares Curriculum an der Schnittstelle der Wissenschaftskulturen. In: Heike Kahlert, Barbara Thiessen, Ines Weller (Hg): Quer denken - Strukturen verändern. Gender Studies zwischen den Disziplinen (VS-Verlag, im Erscheinen).

Robin Bauer hat Erziehungswissenschaft, Philosophie und Chemie studiert und promoviert derzeit in Soziologie. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hamburg, Institut für die Didaktik der Mathematik, Naturwissenschaften, Technik und des Sachunterrichts, Projekt Degendering Science. Sein Arbeitsgebiet sind Queer Studies in den Naturwissenschaften. - Dr. Helene Götschel ist Diplom-Physikerin und promovierte Historikerin. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hamburg, Institut für die Didaktik der Mathematik, Naturwissenschaften, Technik und des Sachunterrichts, Projekt Degendering Science. Ihr Arbeitsgebiet: Technikkompetenz und Männlichkeit.

Aus: Forum Wissenschaft 2/2005