PDS-Tabus (1.): Salvador Allende Gossens’ Tod am 11. September 1973

Mord oder Selbstmord?

Es scheint, ein Held der Linken dürfe keinen Suizid begehen...

In der Redaktion von "Neues Deutschland" könnte man, wenn der Papierkorb nicht praktischer wäre, eine Sammlung meiner unveröffentlichten Leserbriefe auf dortige Beiträge, die mich zum Widerspruch provozierten, anlegen. Gerade weil ich das ND-Projekt für die Linke schätze, insistiere ich auf Veröffentlichung und ein Ende der unseligen Leserbrief-Kampagnen, bekannt aus SED-Zeiten. Man vergleiche einmal das gros der in ND veröffentlichten Leserzuschriften, bei denen man noch den Schaum vorm Mund der Schreiberlinke sieht, mit dem Meinungs- und Faktenstreit der "Briefe an die Herausgeber" in der FAZ... Aus "Platzgründen" blieben meine Briefe (und einige hier im LINKSNET nun veröffentlichte Artikel) gewiß nicht unveröffentlicht, denn den faktenreichen Zuschriften wurden für die Veröffentlichung meist Jubelzuschriften, in denen sich nicht mehr als eine Meinung bzw. ein halsstarriger, von Fakten nicht zu beindruckender Glaube ausdrückte, wurden also Zuschriften "treuer ND-Leser" vorgezogen. Also geht's wohl um PDS-Tabus, an denen man im Hinblick auf die allmählich wegsterbende Ex-SED-Rentnerleserschaft nicht rütteln mag. Zum Glück gibt's das Internet - also kommt hier die Serie PDS-Tabus, neue Folge...:

Es ist gut, daß es noch Zeit-Genossen gibt, die beim Stichwort "11. September" nicht nur an den Vorwand für den "War against Terror" der USA denken, sondern sich des Terrorregimes Pinochet erinnern, das mit Unterstützung der USA am 11. September 1973 in Chile gegen den Sozialisten Salvador Allende Gossens putschte. Weniger gut, daß einige sich allen neuen Informationen zuwider Allende weiterhin als von den putschenden Militärs erschossenen Präsidenten meinen stilisieren zu müssen. Darf ein linker Held sich nicht selbst töten? "Pagaré con mi vida la lealtad del pueblo" ("Ich werde für die Treue des Volkes mit meinem Leben bezahlen"), sagte Salvador Allende in seiner letzten, eindringlichen Rundfunkansprache, von der man heute weiß, daß sie nicht improvisiert, sondern schon länger vorbereitet war, da sein Scheitern für Allende absehbar war. Allende entschloß sich, als er die ihm fehlende Unterstützung der Kräfte, auf die er gebaut hatte, sowie die Attacke der Militärs sah, zu einer Abschiedsrede und stellte eine Verbindung zum Radiosender Magallanes her. Zwar drängten Leibwächter ihn zur Flucht, doch er, der sich schon in seiner Jugend mit einem politischen Kontrahenten duelliert hatte, weil für ihn, Freimaurer seit 1929, auch in der Politik ein spezifischer Ehrbegriff galt, lehnte ab. Schon der Leibarzt von Allende sprach von einem Selbstmord, ausgeführt mit einem von Fidel Castro geschenkten Maschinengewehr. Der aus den Reihen der DKP kommende Journalist Wilfried Huismann, lange Zeit Mitarbeiter des Fernsehmagazins "Monitor", hat für seinen Film "Verrat in Santiago", der am 15. September 2003, also anläßlich des 30. Jahrestags des Pinochet-Putsches, um 21.45 Uhr in der ARD lief, sechs Monate in Chile, Washington und Moskau recherchiert; im Anschluß an jenen Film zeigte der WDR auch Huismanns Recherchen über Augusto Pinochets Militärregime: "Eiskalt". Allendes einstiger Leibwächter Pablo Zepeda vertraute Huismann an: "Er setzte sich, stellte das Gewehr zwischen die Beine und legte das Kinn auf die Mündung. Die Hand glitt nach unten zum Abzug, und er drückte ab. Es kam völlig unerwartet. Wir waren starr vor Schreck." Huismann recherchierte: "Die wenigen Augenzeugen von Allendes Selbstmord gingen nach Kuba und waren fortan vom dortigen Regime abhängig, auch finanziell. Der Druck, die Wahrheit zu verschweigen, war immens, denn die Wahrheit paßte nicht zur politischen Linie Kubas." Man sehe zu Allendes Ende auch den Film von Michael Trabitzsch "Der letzte Tag des Salvador Allende", eine Koproduktion des RBB mit Unterstützung von ZDF/3sat, aus dem letzten Jahr (2004). Darin die Aussage von Juan Seoane, einem Polizeioffizier, der verantwortlich war für die Sicherheit des Präsidenten, den er auch auf allen Auslandsreisen begleitet. Am 11.September 1973 war er immer in direkter Nähe des Präsidenten. Seoane wird von den Putschisten verhaftet, konnte aber am 10.Dezember nach Argentinien fliehen und lebte seit September 1974 in Kuba. Nach Seoane sagte der Präsident, "‚Allende ergibt sich nicht, Scheiße.Â’ Dann setzte er die Kalaschnikow an den Kopf und drückte ab." Schließlich gibt es noch "Requiem pour un président Salvador Allende", den Dokumentarfilm von Patricio Guzman, eine Koproduktion aus Frankreich, Belgien, Chile, Mexiko und Deutschland, gezeigt auf dem "Humanité"-Pressefest in Paris Anfang September 2004.