PDS-Tabus (2.): Linke Legenden zur Wiedervereinigung

Über den Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung

Alte DDR-Legenden über böse Wiedervereinigungsplaner bescherte der Nikolaus Ende 2004 gläubigen "Neues Deutschland"-Lesern...

In der Redaktion von "Neues Deutschland" könnte man, wenn der Papierkorb nicht praktischer wäre, eine Sammlung meiner unveröffentlichten Leserbriefe auf dortige Beiträge, die mich zum Widerspruch provozierten, anlegen. Gerade weil ich das ND-Projekt für die Linke schätze, insistiere ich auf Veröffentlichung - also kommt hier die Serie PDS-Tabus, neue Folge...:

"Leser fragen - ND antwortet" vom 10.12. über den "Grauen Plan" der BRD zur Wiedervereinigung ist ein Beispiel für das, was mir (ND-Abonnent seit Anfang der 90-er Jahre) die Lektüre des Blatts langweilig, mitunter unerträglich macht.

Da werden Leserbriefschreiber wie zu DDR-Zeiten als Stichwortgeber für die Verkündung ewiger Wahrheiten mißbraucht. Als hätte es Jahrzehnte historischer Forschung nicht gegeben, wird uns eine Antwort zugemutet, die - inklusive Auslassungen "..." - lediglich aus einer DDR-Propagandaschrift des Jahres 1967 ("graubuch - Expansionspolitik und Neonazismus in Westdeutschland") abgeschrieben ist. Die Mischung aus selektiver Dokumentation und Agitation wird deutlich, wenn in jenem "Graubuch" Franz-Joseph Strauß als "neonazistisch" bezeichnet wird - nach der absurden Lesart wären der maroden DDR in den 80-er Jahren beim Milliardenkredit Neonazis zu Hilfe gekommen.

Die ND-Antwort ist eher Stimmungsmache als Information, so daß ein Unkundiger den Eindruck bekommt, der "Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung" hätte 1989/90 vorbereitet und gemäß eines "Grauen Plans" durchgezogen. Das mag der Ressentimentpflege alter ND-Leser dienen (verwiesen sei - wie unlängst hier von einem Anderen - auf den "Spiegel"-Artikel über ND-Probleme), für Informierte und Westlinke, die die Alt-BRD vor 1989 noch kennen, ist das nur lächerlich oder gar ärgerlich. Warum nicht gleich die Mitropa-Mentholzigaretten-Story aus Wendezeiten wieder auffrischen!?

Da wird zur Charakterisierung des "Forschungsbeirats" der schon 1960 gestorbene Friedrich Ernst genannte - Johann Baptist Gradl, der damals schon, insgesamt viel länger und bis zum Schluß Vorsitzender war, bleibt unerwähnt, eignet er sich doch weniger für das Altnaziklischee. Wenn es um historische Einordnungen von DDR-Institutionen geht, wird ansonsten gerügt, daß Vergleiche mit BRD-Praktiken usw. usf. fehlen - hier aber kein Wort etwa zum in der DDR existierenden "Staatssekretariat für westdeutsche Fragen", dessen Dienste ich noch Anfang der 70-er Jahre schätzen lernte; keineswegs deplaziert wäre, nicht nur die Gründung des "Forschungsbeirats" 1952, sondern auch das im gleichen Jahr in Ostberlin mitgestaltete "Programm der nationalen Wiedervereinigung" der KPD zu erwähnen - beide Seiten verstanden sich als Piemont.

Obskur auch die Methode: als würde man die Geschichte der DDR anhand irgendwelcher Beschlüsse und Planungen von Politbüros oder Wissenschaftlichen Räten schreiben und deren Papiere mit der Realität verwechseln. Unerörtert bleibt, ob vielleicht der "Forschungsbeirat als Spielwiese für politisch nicht eben sehr klare Köpfe" fungierte, die Adenauers gegen die Wiedervereinigung gerichtete Politik nicht stören sollten - so immerhin die Einschätzung des rechten Publizisten Hans Georg von Studnitz 1974 im Leitorgan der westdeutschen Konservativen.

Kein Wort davon, daß drei Wochen vor dem 25. Jahrestag der DDR - also 1974 - der "Forschungsbeirat" sang- und klanglos aufgelöst wurde. Kein Wort vom im Juli 1969, also nach jenem famosen DDR-"Graubuch", erschienenen fünften und letzten Tätigkeitsbericht in grauem Umschlag; kein Wort davon, daß der Beirat - das könnte die PDS jetzt gegen Bundespräsident Köhlers Aussagen zitieren - die "Angleichung" der Lebensverhältnisse in beiden Teilen Deutschlands auf dem Wege der "Gleichberechtigung" gefordert hat; daß keineswegs pauschal die Eigentumsprivatisierung oder ein Rückschritt hinter die Bodenreform favorisiert wurde; daß man im Hinblick auf die industriegesellschaftliche Entwicklung nicht nur in Umweltfragen eine Problemlösungsgemeinschaft nahen sah; daß über den Zusammenhang von Währungsreform und Massenarbeitslosigkeit nachgedacht wurde; daß es etwa im 2. Bericht 1954/56 hieß: "Für die Übergangszeit muß eine Regelung gefunden werden, die es den VEB ermöglicht, selbständig und verantwortlich marktwirtschaftlich tätig zu sein."

Ach, hätte es doch 1989/90 in BRD oder DDR oder beiden Staaten noch Planungen zur Wiedervereinigung gegeben! Statt dessen wurde in der BRD der für den Rüstungshaushalt verantwortliche CDU-Bundestagsabgeordnete Bernhard Friedmann, als er Mitte der 80-er Jahre eine "operative Wiedervereinigungspolitik" forderte, von Bundeskanzler Kohl mit der Verdikt "blühender Unsinn" ins Abseits befördert. Immerhin scheint Korea, wo es sogar ein Ministerium für die Wiedervereinigung gibt, aus deutschen Erfahrungen zu lernen. Dort liest man vielleicht - statt wie ND mit dem "Graubuch" im Jahre 1967 einzurasten und neue Forschungen sogar aus Thüringen und Sachsen zu ignorieren - das 2004 erschienene, über dreihundert Seiten dicke Buch über den Forschungsbeirat von Roland Wöller, Volkswirtschaftslehre-Professor in Dresden, oder die Studie des Jenaer Historikers Dirk van Laak über diesen Beirat, die 1997 in dem von Enno Bünz 1997 herausgegebenen Sammelband "Der Tag X in der Geschichte" erschienen ist.

Im Hinblick auf den 2007 beovorstehenden 50 Jahrestag des Beitritts des Saarlands zur Bundesrepublik Deutschland möchte man auch an segensreiche Vorarbeiten aus den Reihen des Forschungsbeirats erinnern. Zu Zeiten, als das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen der BRD nicht nur für die SBZ/DDR, sondern auch für das Saargebiet zuständig war, erarbeitete Forschungsbeiratsmitglied Werner Bosch 1953 ein "Gutachten über wirtschaftliche Struktur und Volkseinkommen des Saarlandes"; 1954 erschien in Heidelberg seine Studie "Die Saarfrage - Eine wirtschaftliche Analyse". Damals wetterte die etablierte Bonner Politik gleichermaßen gegen das separatistische Ulbricht- wie gegen das (saarländische) Hoffmann-Regime. Aber, ach, hätte es doch in Bezug auf die Vereinigung mit der DDR ähnlich gründliche wissenschaftliche Vorarbeiten gegeben wie beim Beitritt des Saarlands.