Groß- oder Kleinungarn?

Wie die ungarische Opposition weiterhin von alter Größe träumt.

Am Sonntag, dem 5.Dezember 2004 scheiterte in Ungarn ein Referendum zur doppelten Staatsbürgerschaft für "Auslandsungarn". Auch scheiterte eine zweite Abstimmung, die sich gegen die Privatisierung..

Am Sonntag, dem 5.Dezember 2004 scheiterte in Ungarn ein Referendum zur doppelten Staatsbürgerschaft für "Auslandsungarn". Initiiert wurde die Volksabstimmung von der national-konservativen Fidesz-MPSZ-Partei, des vormaligen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, dem oppositionellen Ungarisch-Demokratischen-Forum (MDF) und dem Weltverband der Ungarn. Hätte das Referendum die erforderliche Mehrheit gefunden, hätten ungarischstämmige Rumänen, Serben, Slowaken und Ukrainer auf ungarische Pässe hoffen können.

Gleichfalls scheiterte eine zweite Abstimmung, die sich gegen die Privatisierung des ungarischen Gesundheitssystems wandte.

Die höheren Wellen hatte allerdings das Referendum zur Doppelstaatsbürgerschaft im voraus geschlagen. Dennoch war es den Organisatoren allem Anschein nach nicht gelungen, die eigene Bevölkerung von der Dringlichkeit einer ungarischen Staatsbürgerschaft für sämtliche "Auslandsungarn" zu überzeugen.

Hierzu muß man wissen, daß insgesamt mehr als drei Millionen Ungarn in den Nachbarländern leben. Die Gründe hierfür liegen weit zurück - im Ersten Weltkrieg sowie dem folgenden Friedensvertrages von Trianon (1920). Dabei verlor das Land 67% seines Territoriums sowie 59 % seiner Bevölkerung. Und trotz der vielen Jahre, weint ein Großteil der Ungarn diesen längst verlorenen Ländereien weiter hinterher.

Besonders vehement äußern sich diese Gefühlswallungen allerdings erst seit dem Zusammenbruch des Kommunismus. Nun können Gefühle und Klischees endlich wieder bedient werden, die nur anzusprechen während der sozialistischen Bruderschaft einem Sakrileg gleichgekommen wären.

Wie sehr die ungarische Seele ob der verlorenen Gebiete schmerzt, läßt sich an jeder beliebigen Wetterkarte ablesen. Ganz gleich, ob diese im Fernsehen oder in den Printmedien auftaucht: Die Wettervorhersagen beziehen sich stets auf das gesamte Karpatenbecken. Eben alle Gebiete, in welchen unter anderem auch Ungarn wohnen.

Natürlich spielt das Aufflammen nationaler Gefühle in allen post-kommunistischen Ländern eine Rolle, nicht nur in Ungarn. Zwei Politiker, von äußerlich recht unterschiedlicher Couleur, nahmen sich in dem Donauland dieser ‚BestimmungÂ’ an. Einmal István Csurka, Vorsitzender der dezidiert antisemitisch und fremdenfeindlich auftretenden MIÉP-Partei. Zum anderen Viktor Orbán, der von 1998-2002 Ministerpräsident des Landes war. Seine Fidesz-Partei gibt sich gerne als Vertreter des kleinen Mannes und scheut auch davor nicht zurück, die Werte der ungarischen Nation bei jeder Gelegenheit hervorzukehren. Im Gegensatz zu Csurka, der wahrlich kein Blatt vor den Mund nimmt, mimt Orbán den Biedermann. Und reiht sich somit in eine lange Reihe geistiger Brandstifter ein. All dies hinderte die CSU freilich nicht, ihn im Jahre 2001 mit dem "Franz-Josef-Strauß-Preis" auszuzeichnen.

Solche Ehrungen können indes nicht darüber hinwegtäuschen, daß Orbán bei seinen direkten Nachbarregierungen viel weniger wohlgelitten ist. Trotz vornehmer Zurückhaltung der Verantwortlichen, verhehlte kaum jemand in Bratislava oder Bukarest seinen Unmut über die national-inspirierten Pläne des Ungarn. Nicht von ganz ungefähr kommt also, daß slowakische Zeitungen im Scheitern des Referendums vor allem ein Scheitern Orbáns erkannten.

Anhand eines Erfolges hätte er sich gegenüber dem neuen sozialistischen Ministerpräsidenten, Ferenc Gyurscány, endlich profilieren können. Dessen Start ins Amt war alles andere als reibungslos verlaufen. Nicht politisch-programmatische Fragen interessierten Land und Leute, sondern des Premiers finanzielle Verhältnisse. Für einen der reichsten Männer Ungarns gewiß kein leichter Parcours, zumal er das Gros seines Vermögens nach der Wende erwirtschaftet hat. Aus welchen Quellen seine Investitionsmittel damals stammten, bleibt im Dunkeln. Zudem verquicken sich bei Gyurscány unternehmerische mit politischen Interessen: Der Ministerpräsident fungiert als Vermieter jenes Gebäudes, in welchem sich sämtliche Abgeordnetenbüros der Parlamentarier befinden.

Dabei wäre der als jugendlich-agiler Typ auftretende Ex-Sportminister und Unternehmer, Gyurcsány, gerne besser gestartet. Als Ministerpräsident versprach er, den Wohlstand aller Gesellschaftsschichten merklich anheben. Doch auch solch vollmundige Beteuerungen können über den seit Jahren gefahrenen Kurs der Privatisierung und Liberalisierung nicht hinwegtäuschen. Eine Gangart, die von der nun schon zweiten "sozial-liberalen" Regierung aus MSZP (Sozialisten) und SZDSZ (Liberale) besonders forciert wurde.

Doch angesichts der gescheiterten Referenden, kann sich die Regierung beruhigt zurücklehnen. Die von ihr gespielte Karte des Sozialneides - man warnte vor 800.000 Sozialhilfeempfängern aus den Nachbarländern - schien ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben. Verwunderlich mutet dies deshalb an, da die Regierung den Wählern dafür ein anderes, für sie gleichsam kostspieliges Projekt verkaufen konnte, nämlich die Privatisierung der staatlichen Krankenhäuser. Selbst hiergegen reichten die Mobilisierungskräfte von Orbán & Co. nicht aus.

Es scheint, als würde Ungarn also seinen pro-westlichen, liberalen Kurs fortsetzen. Ungeachtet der sich immer weiter auftuenden sozialen Disparitäten, die schon zu oft den Nährboden für nationale Polemiken bildeten.