Lichtstrahl trifft auf Diamanten

Soziale Kämpfe in Südafrika zehn Jahre nach der Apartheid

Südafrika ist in Feierlaune: Zehn Jahre Demokratie und Freiheit, die dritten demokratischen Wahlen und der Gewinn der Austragungsrechte für die erste Fußballweltmeisterschaft ...

... auf dem afrikanischen Kontinent sind Anlass genug. Nach den Jahren der Apartheid und einem faktischen Bürgerkriegszustand in Südafrika erscheint das letzte Jahrzehnt wie das Script zu einer Hollywood-Love-Story mit multikulturellem Hintergrund. Erst zankt man sich, dann erkennt man die Fähigkeiten und Talente des anderen, und am Ende gibt es die rauschende Hochzeit und das unvermeidliche Happy End. In den letzten Monaten wurde das südafrikanische "Wunder", womit der friedliche Übergang von Apartheid zur Demokratie gemeint ist, auf bizarrste Weise gewürdigt. Der weltgrößte Diamantenförderkonzern De Beers, dessen Reichtum auf jahrelanger Ausbeutung billiger schwarzer Arbeitskraft basiert, schaltete im ganzen Land großflächige Anzeigen: Ein Lichtstrahl trifft auf einen Diamanten, der den weißen Strahl in die Farben der südafrikanischen Nationalfahne auffächert. Der dazugehörige Spruch symbolisiert das schlechte Gewissen der weißen südafrikanischen Wirtschaft. Statt des bekannten "Ein Diamant ist für immer" heißt es dort "Bildung ist für immer". Eine Anspielung auf den sozialen Entwicklungsfonds der Firma, der wohl kaum etwas an der Bildungskrise der schwarzen Bevölkerung ändern wird. Das Beispiel ist nur eines von vielen, in denen die Profiteure von 350 Jahren Kolonialismus und Apartheid versuchen, durch Werbekampagnen, Sponsoring und Spenden an soziale Einrichtungen von ihrem schlechten Image wegzukommen. Gleichzeitig wirkt es ungewollt wie eine Anerkennung der historischen Schuld des Kapitals an der sozialen Situation im Land. Und weiter kann man es als ein Dankeschön lesen. Ein Dankeschön an die Regierungspartei ANC (African National Congress) dafür, dass sie sich von sämtlichen sozialistischen Vorstellungen für die Post-Apartheid-Ordnung verabschiedet hat.

Ein Dankeschön an den ANC

Zehn Jahre nach den ersten freien Wahlen sind die sozialen Indikatoren in Südafrika verheerend. Jenseits der Etablierung einer kleinen schwarzen Mittelklasse und einigen schwarzen Multimillionären entspricht die postkoloniale Reichtumsverteilung dem kolonialen Muster. Mehr als 60 Prozent der SüdafrikanerInnen haben keinen Zugang zu mindestens einer Leistung der Grundversorgung: Wohnung, Wasser, Toiletten, Strom oder Heizung. Knapp 50 Prozent - in aller Regel Angehörige der schwarzen Bevölkerungsmehrheit - leben unter der nationalen Armutsgrenze von ungefähr 40 Euro im Monat. (1) Die Einkommensungleichheit in Südafrika ist in den letzten Jahren gestiegen. (Ausführlicher zur sozialen Entwicklung des Landes in ak 483.) Diese Situation ist nicht zuletzt dem wirtschaftlichen Kurs des ANC geschuldet. Nach einer kurzen Phase einer an den sozialen Notwendigkeiten orientierten Umverteilungs- und Entwicklungspolitik ist der ANC 1996 deutlich zu neoliberalen Konzepten umgeschwenkt. Sparpolitik, Privatisierung und Öffnung des Binnenmarktes für ausländische Investitionen sind die tragenden Säulen des neuen Kurses. Die Einbindung in den Weltmarkt hat auf Grund struktureller Schwächen der südafrikanischen Wirtschaft die Arbeitslosigkeit auf 40 Prozent ansteigen lassen. Seit Ende der neunziger Jahre sind die Auswirkungen von Sparpolitik und Privatisierungen im ganzen Land spürbar geworden. So stiegen z.B. in Soweto, dem größten Township des Landes, die Strompreise um 47 Prozent an. Vielen Haushalten, die ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen konnten, wurde der Strom abgestellt. Trevor Ngwane vom Soweto Electricity Crisis Committee (SECC) berichtet, dass 2001 in Soweto mehr Leuten der Strom abgestellt wurde, als dass neue Haushalte ans Stromnetz angeschlossen wurden. (2) Dies hat zu einer Rückkehr von billigeren aber gefährlichen Praktiken, wie dem Kochen und Heizen mit Paraffin geführt. Jede Woche verbrennen in den Townships Menschen, weil Paraffin-Kocher umkippen und sich das Feuer schlagartig ausbreitet. Mit dem Schwinden der Perspektive auf ein besseres Leben wächst die Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik. Infolgedessen hat sich seit Anfang des Jahrzehnts eine feste Struktur von linken NGOs und Organisationen herausgebildet, die sich selber als soziale Bewegungen bezeichnen. Diese Kerne einer neuen klassenkämpferischen Linken knüpfen an die hohe Politisierung und Militanz der Menschen aus der Zeit des Anti-Apartheid Widerstands an und stellen die Hegemonie des ANC von der Basis her in Frage. In den Bewegungen organisieren sich diejenigen, die durch ihre noch aus den Zeiten der Apartheid rührenden Konzentration in den Townships und informellen Siedlungen nicht nur ökonomisch, sondern auch geographisch marginalisiert sind. Es sind soziale Basisorganisierungen, die sich um alle Probleme des Alltags kümmern, wie Jobprobleme, Nahrungsmittelknappheit aber auch Kindesmisshandlungen. Viele der führenden AktivistInnen sind früher selbst im ANC aktiv gewesen oder haben ihn aktiv unterstützt und sind in den letzten Jahren etwa wegen ihrer Kritik am Privatisierungskurs aus der Partei ausgeschlossen wurden. Der ANC reagiert auf öffentlich geäußerte innerparteiliche Kritik derart harsch, obwohl er seit der letzten Wahl sogar über eine Zwei-Drittel-Mehrheit verfügt. Doch langfristig fürchtet er um seine Hegemonie in der schwarzen Bevölkerung. Denn mit dem Ausbleiben materieller Verbesserungen und dem Fehlen einer ernsthaften Entwicklungsperspektive für einen Großteil der Bevölkerung ist links vom ANC ein politisches Vakuum entstanden, welches die neuen Bewegungen füllen. Dennoch ist der ANC im politischen Feld bislang unangefochten, und selbst viele von der Regierungspolitik Enttäuschte haben ihm bei den Wahlen eine zweite Chance gegeben. Bis auf einige kleinere Parteien sind alle linken Alternativen zum ANC in die Regierung eingebunden. Der ANC tritt zu den Wahlen als Drei-Parteien-Allianz an. Neben ANC-Kandidaten sind auf den Listen auch Kandidaten der Kommunistischen Partei und der Gewerkschaftsdachverband COSATU vertreten. Die KP wird auf Grund der Einbindung in die Regierung und ihrer personellen Mitverantwortung für die Durchsetzung der neoliberalen Agenda von der Linken nicht mehr als Bündnispartner angesehen.

Linke Basisbewegungen entstehen

Seit Jahren wird darüber spekuliert, wie lange die Allianz aus den Tagen des Anti-Apartheid-Kampfes noch halten wird. Die KP fühlt sich dem Bündnis mit dem ANC weiter verpflichtet, doch COSATU gilt auf Grund der formellen Ablehnung des neoliberalen Kurses als Wackelkandidat im Machtblock. Allerdings haben die Gewerkschaften im Zuge der Arbeitsplatzverluste der letzten Jahre viele Mitglieder verloren und stehen mit dem Rücken zur Wand. Bisher zögern sie, den offenen Bruch mit der Regierung zu suchen. Folglich gibt es zwischen den Gewerkschaften und den sozialen Bewegungen bisher nur Bündnisse auf lokaler Ebene, wie z.B. zwischen den Basisbewegungen und der Gewerkschaft der Stadtangestellten. In den Townships verfügt der ANC nach wie vor über loyale Netzwerke von PolizistInnen, PolitikerInnen und Vorfeldorganisationen, die den AktivistInnen das Leben schwer machen. In den letzten Monaten kam es im Raum Johannesburg mehrfach zu tätlichen Angriffen aus diesem Spektrum gegen Aktive des Anti Privatisation Forums (APF), das die Communities über Privatisierungen und die Installierung von Prepaid-Wasserzählern informiert. Ähnlich in Mandela Park im Township Khayelitsha nahe Kapstadt, wo viele Häuser einer vom Staat und den Banken eingesetzten Gesellschaft gehören. Viele Bewohner können die Hypotheken auf ihre Häuser nicht mehr abbezahlen und erleben das "Rightsizing", d.h. sie werden in kleinere Häuser verfrachtet, die häufig noch weiter außerhalb liegen. Dagegen organisiert die Anti Eviction Campaign ("Antiräumungskampagne") seit 2001 Widerstand. Im Februar 2003 wurde der Aktivist Max Ntanyana von Zivilpolizisten für mehrere Stunden entführt, um ihn einzuschüchtern und als Spitzel für den südafrikanischen Geheimdienst zu gewinnen. Im Jahr zuvor haben die Banken gegen ihn ein gerichtliches Verbot erwirkt, welches ihm u.a. verbietet, Räumungen zu verhindern oder andere Menschen dazu anzustiften. Der Beschluss beinhaltet außerdem ein Besuchsverbot von Treffen seiner eigenen Organisation. Diese Form von politischem Betätigungsverbot basiert auf alten Apartheid-Gesetzen und wird aktuell vom Freedom of Expression Institute (Institut für freie Meinungsäußerung) aus Johannesburg juristisch angegangen. Zur einflussreichsten nichtparlamentarischen Organisation im Land ist mittlerweile die Treatment Action Campaign (TAC) angewachsen, die sich für die freie Herausgabe von AIDS-Medikamenten und gegen die Stigmatisierung von HIV-Positiven einsetzt. Anders als die sozialistisch orientierten Gruppen pflegt die TAC ein pragmatisches, aber nicht reibungsloses Verhältnis mit dem ANC. Sie hat mittlerweile ein breites Netz von Basisorganisierungen aufbauen können und integriert SüdafrikanerInnen unterschiedlicher Hautfarben. Aber sie geht in ihrer politischen Agenda nicht über die AIDS-Thematik hinaus.

Aneignung konkret: "Gas, Wasser, Scheiße"

Die sozialen Bewegungen fordern in ihren Protesten vom Staat, dass er seiner Entwicklungsrhetorik auch Taten folgen lässt. Neben moderat anmutenden Forderungen, wie der nach niedrigen Festpreisen für Strom und Wasser, haben sie jedoch auch eine militante Praxis entwickelt. Sie steht in der Tradition der Boykottbewegungen aus der Apartheid-Zeit und ist eine reale Gegenmacht gegen weitere Verschlechterungen der Lebensbedingungen. So schließen AktivistInnen ihre Nachbarn, denen auf Grund unbezahlter Rechnungen Strom oder Wasser abgestellt wurde, wieder illegal ans Netz an oder verfrachten auf Grund von Mietschulden geräumte Familien wieder zurück in ihre Häuser. Mit den Kämpfen ist die Loyalität der Bevölkerung zu ihrer neuen Elite immerhin etwas brüchig geworden. Eine wachsende Zahl von Menschen, die noch aus den Jahren des antikolonialen Widerstands einen enormen Schatz an politischer Kultur und Kampferfahrungen mitbringt, hat ihren Ungehorsam wiederentdeckt - und ihr Selbstbewusstsein. Doch auch die neuen Bewegungen stecken voller Widersprüche. Ein wichtiger ist der zwischen der hohen Beteiligung von Frauen an den Aktivitäten und ihrer geringe Repräsentation in Entscheidungsstrukturen. Auch an Kader- und Leadershipstrukturen, die noch von der autoritären Verfasstheit der politischen Organisationen aus dem Befreiungskampf herrühren, wird weiter festgehalten. Die Dynamik der Kämpfe ist derzeit noch schwer einzuschätzen. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob sie von staatlicher Seite integriert werden können. Eine wichtige Rolle wird hierbei der Ausgang der Debatte um die Formierung einer eigenen Partei spielen, die derzeit in der außerparlamentarischen Linken Südafrikas geführt wird. Romin Khan Vom 10.- 21. November wird Ashraf Cassiem von der Anti Eviction Campaign aus Kapstadt in Deutschland zu Besuch sein. Geplant sind Veranstaltungen in Berlin, Hamburg, Frankfurt am Main und Erfurt. Nähere Informationen unter fels@nadir.org Anmerkungen: 1) Die Angaben stützen sich auf die Zahlen, die im aktuellen Bericht der Vereinten Nationen zur menschlichen Entwicklung veröffentlicht wurden. Der Bericht ist abrufbar unter: http://www.undp.org.za/NHDR2003.htm 2) Das komplette Interview mit Trevor Ngwane kann nachgelesen werden unter: http://www.newleftreview.net/NLR25603.shtml aus: ak - analyse + kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 488 / 15.10.2004