(2) Frauen und Geschlechterverhältnisse in Irak

(Fortsetzung, Teil 2)

in (15.10.2004)

"Die Menschen haben sich jetzt verändert, wegen der zunehmenden wirtschaftlichen und verschiedener anderer Schwierigkeiten in Irak. Sie haben jetzt Angst voreinander. Ich glaube...

...weil so viele Leute ihre Arbeitsstellen und Geschäfte verloren haben, haben sie jetzt jede Menge Zeit, um über das Leben anderer Menschen zu reden, und sie mischen sich häufig in die Angelegenheiten anderer ein. Ich meine auch, weil viele Familien jetzt so arm sind, dass sie es sich nicht leisten können, das tägliche Essen zu bezahlen, ist es für sie so schwierig, schöne Kleider und andere schöne Dinge zu kaufen, und deshalb finden sie es besser, den hijab zu tragen. Die meisten Leute stehen ziemlich unter Druck, ihr Leben zu ändern, um sich vor dem Tratsch anderer Leuten, vor allem dem Reden über Familienehre zu schützen."

Neben den erhöhten Anforderungen und zeitlichen Beschränkungen, die auf die wirtschaftlichen Verhältnisse zurückgehen, beschweren sich viele weibliche Teenager über die zunehmenden sozialen Einschränkungen und die Schwierigkeiten, sich zu bewegen. Während die Eltern der jungen, meist der Mittelschicht angehörenden Frauen, die interviewt wurden, im heutigen Alter ihrer Kinder relativ frei miteinander verkehrten, finden es junge IrakerInnen zunehmend schwierig, sich zu treffen. Die Schulen sind häufig nach Geschlechtern getrennt, aber auch in koedukativen Schulen sind die Kontakte zwischen Jungen und Mädchen jetzt stärker eingeschränkt. Die Mädchen sind sehr um ihren Ruf besorgt und vermeiden häufig Situationen, in denen sie mit einem Jungen allein sind. Diese Befürchtungen könnten durch die durchaus nicht ungewöhnlichen Fälle von sogenannten "Morden aus Ehrengründen" im letzten Jahrzehnt verschärft worden sein. Väter und Brüder dürfen Frauen ihrer Familie, von denen bekannt oder oft auch nur vermutet wird, dass sie den anerkannten Sittenkodex vor allem in bezug auf die Bewahrung ihrer Jungfrauenschaft vor der Ehe "verletzt" haben, umbringen, um die Ehre der Familie wiederherzustellen. Obwohl diese Erscheinung im wesentlichen nur auf dem Lande und unter ungebildeten Irakis auftritt, wirkt das Wissen darüber für viele Teenager abschreckend.

Andere werden sich über die schlimmsten Folgen des "Verlustes der Ehre" weniger Sorgen machen. Gebildete Mittelklasse-Frauen in städtischen Gebieten fürchten weniger den Tod als verschlechterte Heiratsaussichten.

Die offensichtlichste Veränderung ungefähr während des letzten Jahrzehnts betraf die Bekleidungsvorschriften für junge Frauen. Aliya (sechzehn Jahre) ist eindeutig unglücklich über diese Veränderungen:

"Ich denke schon, dass unser Leben früher viel leichter und glücklicher gewesen ist als jetzt. Mein Vater war früher so offen und war für die Freiheit der Frauen. Er ließ meine Mutter ohne Bedeckung ihres Haares ausgehen, wenn sie unsere Verwandten in Bagdad besuchte. Wir mussten die abbayah nur in Najaf tragen, weil dies eine heilige Stadt ist.1 Vor einigen Jahren begann er, seine Einstellung in vielerlei Hinsicht zu ändern. Und neuerdings ist er so konservativ geworden, dass er findet, es reiche nicht aus, das Haar zu bedecken, und er hat verlangt, dass meine Mutter die abbayah überall außer Haus trägt. Er sagte, auch ich solle mein Haar bedecken, wenn ich nach Bagdad gehe. Ich darf jetzt noch nicht mal in Hosen aus dem Haus gehen. Wenn wir ausgehen, müssen meine Mutter und ich lange Röcke mit einer langen, weit geschnittenen Bluse tragen, die die Hüften bedeckt."

So sehr Aliya auch die vom Vater verfügten Bekleidungsvorschriften und seinen neuen Konservatismus verabscheut, so versteht sie doch die Gründe. Sie erklärt:

"Ich weiß, warum mein Vater das tut, und ich bin ihm nicht böse. Ich habe mit ihm viele Male darüber geredet, und ich werfe ihm diese Änderung seiner Einstellung wirklich nicht vor. Ich meine, dass nicht nur mein Vater das tut, sondern vielleicht alle Väter in Irak. Sie tun alle dasselbe, um ihre Töchter vor dem Risiko zu schützen, zu Opfern schlimmer Gerüchte zu werden."

Neuerdings hat es viele Berichte gegeben, dass unverschleierte Frauen auf der Straße von Islamisten bedroht wurden, die fordern, alle Frauen müssten Kopftuch oder abbayah tragen.

Viele junge irakische Frauen klagen über den zunehmenden Konservatismus und die Bedrohung durch Klatsch, der ihren Ruf schädigen kann. Mädchen leiden besonders in einer Atmosphäre, in der patriarchale Werte bestärkt wurden und der Staat seine frühere Politik der sozialen Inklusion von Frauen aufgegeben hat. Wirtschaftliche Not hat eine Reihe von Frauen in die Prostitution gezwungen; dieser Trend ist weitbekannt und ruft großes Leid in einer Gesellschaft hervor, in der man glaubt, die "Ehre einer Frau" spiegele die Ehre der Familie wider. Die Regierung verurteilte Mitte der 1990er die Prostitution und unternahm gewaltsame Kampagnen, um ihr ein Ende zu setzen. Weithin wurde über den Vorfall im Irak 2000 berichtet, bei dem eine Gruppe junger Männer, die mit Saddam Hussein Sohns Uday in Verbindung standen dreihundert weibliche Prostituierte und "Zuhälter" herausgriffen und sie enthaupteten.

Die drastische Zunahme der weiblichen Prostitution endet freilich nicht an der irakischen Grenze. So sind die meisten weiblichen Prostituierten in Jordanien Irakerinnen. Als die Regierung für Frauen, die den Irak verlassen, die "mahram"-Begleitung zur Pflicht machte, wurde der Trend dadurch nicht aufgehalten. Dieses Gesetz erlaubt es Frauen nicht, das Land ohne einen direkten männlichen Verwandten zu verlassen, es sei denn, sie sind über vierzig Jahre alt. Es wurde in Kraft gesetzt, als sich die jordanische Regierung bei der irakischen über die wei-te Verbreitung der Prostitution irakischer Frauen in Amman beschwerte.

Männer fühlen sich oft unter Druck, ihre weiblichen Verwandten vor Klatsch über sie oder dem Verlust der Familienehre zu schützen. Die zunehmenden sozialen Beschränkungen für junge Frauen müssen im Zusammenhang der weiteren sozialen Veränderungen analysiert werden, besonders des Anstiegs der Prostitution, einer bedeutenden Zahl weiblicher Haushaltsvorstände, weitverbreiteter Arbeitslosigkeit und der Aneignung islamischer Symbole durch die irakische Regierung unter Saddam Hussein, des allgemeinen Wiederauflebens der Religion in der irakischen Gesellschaft und des Aufstiegs islamistischer Kräfte im heutigen Irak.

Die Prozesse im Zusammenhang mit der Islamisierung der Gesellschaft und islamistische politische Bestrebungen führen nicht nur zu einem zunehmenden Konservatismus der Geschlechterverhältnisse, sondern beherrschen auch die politischen Machtkämpfe im Irak der Post-Saddam-Ära. Ein Beispiel für den zunehmenden Einfluss islamistischer Tendenzen war der Versuch des irakischen Regierungsrates unter seinem damaligen Vorsitzenden Abdekl Aziz al-Hakim, des Oberhauptes des Obersten Rates für die Islamische Revolution in Irak, das säkulare Familienrecht aufzuheben und es durch eine auf der Scharia aufbauenden Rechtsprechung zu ersetzen. Das säkulare Recht war 1959 erlassen worden und galt einmal als das progressivste im Nahen Osten. Es erschwerte die Polygamie und garantierte die Sorgerechte von Frauen nach einer Scheidung. Wenn er auch nicht erfolgreich war, so werfen der Versuch zur Veränderung des Gesetzes und die Debatte darüber ein Licht auf das aktuelle Klima und die Gefahren der Zukunft. Das ist von besonderer Bedeutung in einem Zusammenhang, wo die Rechte von Frauen und Gleichheit als Teil westlicher Pläne wahrgenommen werden, dem Land eine fremde Kultur und Moral aufzuzwingen. Viele Irakis, die unter anderen Umständen vielleicht gleichgültig gewesen wären oder Frauenrechte sogar unterstützt hätten, sehen in der Rolle von Frauen und in Gesetzen, die sich um Frauen und Geschlechterfragen drehen Symbole ihres Versuchs, Unabhängigkeit und Autonomie von den Besatzungsmächten zu erringen.

Viele Frauen in Basra berichten beispielsweise, dass sie aus Angst vor Übergriffen von Männern gezwungen wurden, ein Kopftuch zu tragen und ihre Bewegungsfreiheit einzuschränken. Weibliche Studierende an der Universität Basra sagen, dass seit dem Ende des Krieges vor einem Jahr Gruppen von Männern damit begonnen hätten, sie am Eingangstor der Universität anzuhalten und sie anzuschreien, wenn ihr Kopf nicht bedeckt war. Diese Berichte sind symptomatisch für umfassendere Trends und für vielerlei Weisen, in denen Frauen in Irak - und auch in vielen anderen Gesellschaften - benutzt werden, um die Grenzen zwischen "uns" und "ihnen" abzustecken. Die Islamisierung dient dabei zwei Zielsetzungen: einem Bruch mit dem früheren säkularen Regime von Saddam Hussein und dem Widerstand gegen die Besatzungsmächte.

Politische Partizipation von Frauen

Obwohl die irakischen Frauen eine Geschichte gewisser politischer Partizipation und Aktivität vor dem Regime von Saddam Hussein haben, war es mit ihrer autonomen politischen Partizipation in den 1970er Jahren zu Ende. Frauen wurden aufgefordert, in die Baath-Partei einzutreten und für das Scheinparlament zu kandidieren. Dutzende irakischer Frauen bewarben sich bei den Wahlen von 1980, und 16 gewannen einen Sitz im Rat von 250 Mitgliedern. Bei der zweiten baathistischen Parlamentswahl 1985 gewannen Frauen 30 Ratsmandate (13%). Aber selbst diese inszenierte Partizipation wurde gegen Ende des Regimes von Saddam zurückgeschraubt, wie sich am Rückgang der erfolgreichen Bewerberinnen auf 8% der Mandate im 2003 gewählten Parlament zeigt.

Das wichtigste Instrument der Partizipation von Frauen war der Generalbund Irakischer Frauen (GBIF). Er hatte im gesamten Irak Lokalgruppen, und man schätzt, dass etwa 1 Mio. irakische Frauen Mitglied waren. Ungeachtet der Tatsache, dass der Bund eine Abteilung der Regierungspartei war und keine politische Unabhängigkeit besaß, begünstigte die anfängliche Politik der Regierung mit ihrer Zielsetzung auf soziale Inklusion und die Mobilisierung menschlicher Arbeitskraft doch ein Klima, in dem der Bund eine Rolle spielen konnte, um die Förderung weiblicher Bildungschancen sowie die Ausweitung der weiblichen Erwerbstätigkeit und der Gesundheitsfürsorge zu ermöglichen. Hinzu kam die Präsenz in der Öffentlichkeit. Die Rolle des GBIF änderte sich drastisch in den 1990er Jahren, als der Staat seine Inklusionspolitik aufgab und begann, stärker auf die traditionelle Frauenrolle zu setzen. Der GBIF konzentrierte sich nun auf humanitäre Hilfe und Gesundheitsfürsorge.

Zur gleichen Zeit, als die irakischen Frauen staatliche Unterstützung im Hinblick auf ihre sozioökonomischen Rechte verloren, ermöglichte es die Semi-Autonomie im irakischen Kurdistan Frauen dort, zivilgesellschaftliche Vereinigungen zu schaffen und sich an der Parteipolitik zu beteiligen. Zwar waren 2003 nur zwei von 20 Ministerposten in der Regionalregierung Kurdistans mit Frauen besetzt, aber Frauen konnten Beschäftigung im öffentlichen Dienst bekommen. Freilich trafen Fraueninitiativen in den kurdischen Gebieten auch auf den Widerstand konservativer männlicher Akteure. Aktivistinnen, die Kampagnen gegen die im Norden weit verbreiteten "Morde aus Ehrengründen" durchführten, wurden bedroht, und ein neu eröffnetes Frauenhaus musste auf politischen Druck hin wieder schließen.

Seit April 2003 sind Frauenorganisationen und -initiativen in ganz Irak wie Pilze aus dem Boden geschossen. Die meisten dieser Organisationen wie etwa der Nationale Frauenrat, der Höhere Rat Irakischer Frauen, die Irakische Unabhängige Frauengruppe oder die Gesellschaft für Irakische Frauen der Zukunft wurden entweder von Mitgliedern des Irakischen Regierungsrates (IGC) oder von prominenten Frauen aus den gehobenen Berufen mit engen Verbindungen zu politischen Parteien gegründet. Während viele dieser Gruppe von Frauen aus der Elite gegründet und öffentlich repräsentiert wurden, haben einige Organisationen doch eine breite Mitgliedschaft und besitzen lokale Gruppen im ganzen Land. Ihre Aktivitäten drehen sich um humanitäre und praktische Vorhaben wie Einkommensschaffung, Rechtsberatung, kostenlose Gesundheitsversorgung und Beratung usw., umfassen aber auch politische Stellungnahmen. Die beiden wichtigsten Fragen, die Frauen vor allem aus der gebildeten Mittelklasse in ganz Irak mobilisiert haben, sind 1) der Versuch, das relativ progressive Personenstandsrecht, das Heirat und Ehe, Scheidung und Sorgerecht betrifft, durch ein konservativeres Gesetz (Artikel 137) zu ersetzen und 2) die Frauenquote in politischen Vertretungsorganen. Zwar gelang es Frauen nicht, eine 40%-Quote in der Übergangsverfassung festzuschreiben, aber sie konnten in Verhandlungen eine Quote von 25% erreichen. Jedoch bleibt abzuwarten, wie sich langfristig der Status der Übergangsverfassung entwickeln wird und welche Entscheidungen der IGC und die Coalition Provisional Authority (CPA) treffen werden.

Mangel an Sicherheit

Die Tatsache, dass nur relativ wenige Frauen ihren politischen Widerspruch und ihre Wünsche zum Ausdruck gebracht haben, geht nicht allein auf mangelnde politische Kultur in Irak zurück. Das liegt auch an der Tatsache, dass das größte Problem für Frauen in Irak heute der Mangel an Sicherheit ist. Neben der neueren Bedrohung durch militanten Widerstand und Selbstmordattentate, deren Op-fer bisher hauptsächlich Irakis waren, leiden Frauen auch unter geschlechtsspezifischen Bedrohungen und Gewaltakten. "Diese Gewalt ist noch immer ein alltägliches Ereignis, vor allem auf den Straßen Bagdads, und sie erweckt nicht die geringste Aufmerksamkeit der Soldaten," erklärte Yanar Mohammed, die Direktorin der Organisation für die Freiheit der Frau in Bagdad, vor ein paar Monaten gegenüber der Presse.

Ein im November 2003 veröffentlichter Bericht von Human Rights Watch enthält Belege für zahlreiche Berichte über sexuelle Gewalt und Entführungen von Frauen und Mädchen. Ärzte, Opfer, Zeugen und Gesetzeshüter haben einige dieser Verbrechen dokumentiert. Doch viele solcher Fälle bleiben unbekannt und werden nicht dokumentiert. Manche Frauen und Mädchen fürchten, dass Anzeigen wegen sexueller Gewalt zu "Morden aus Ehrengründen" oder sozialer Stigmatisierung führen könnten. Andere werden durch die Hürden, die der Erstattung und weiteren Verfolgung einer Anzeige bei der Polizei oder der gerichtsmedizinischen Untersuchung, die sexuelle Gewalt nachweisen könnte, entgegenstehen, davon abgehalten, medizinische Betreuung zu bekommen und ihr Recht einzuklagen.

"Heute sind Frauen und Mädchen in Bagdad verängstigt, und viele gehen nicht zur Schule oder zur Arbeit oder auf Arbeitssuche," sagt Hanny Megally, die Exekutivdirektorin der Nahost- und Nordafrika-Abteilung von Human Rights Watch. "Wenn irakische Frauen an der Nachkriegsgesellschaft beteiligt sein sollen, dann muss ihre physische Sicherheit als vordringliches Thema behandelt werden."2

Human Rights Watch zufolge gehen viele der Probleme im Zusammenhang mit sexueller Gewalt und Entführung gegen Frauen und Mädchen "auf die Koalition unter Führung der US-Streitkräfte und das Versagen der Zivilverwaltung bei der Herstellung und Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in Bagdad zurück. Das Vakuum bei der öffentlichen Sicherheit in Bagdad hat die Verletzbarkeit von Frauen gegenüber sexueller Gewalt und Entführung erhöht" (Human Rights Watch 2003). Ganz ähnlich hat die Organisation für die Freiheit der Frauen in Irak die Koalitionsstreitkräfte dafür gescholten, dass sie die Frauen im Nachkriegs-Irak nicht schützen und behauptet, dass es seit Kriegsende zu 400 Vergewaltigungen gekommen sei.

Weil die Polizeimacht erheblich kleiner und schlecht geführt ist, gibt es nur begrenzte Polizeipräsenz auf den Straßen. Das ist während der letzten Monate schlimmer geworden, weil die neu gebildete irakische Polizei häufig zur Zielscheibe militanten Widerstandes wurde. Die Unsicherheit, die Bagdad und andere irakische Städte befallen hat, hat spezifische und zerstörerische Auswirkungen auf das Alltagsleben von Frauen und Mädchen. Sie hindert sie daran, am öffentlichen Leben, am Prozess des Wiederaufbaus, am Erwerbsleben und an der Bestimmung der politischen Zukunft Iraks teilzunehmen.

Schluss

Das recht düstere Bild, das ich skizziert habe, betrifft nur einige der Aspekte von zahlreichen Formen, in denen Krieg, Sanktionen und Besatzung sich auf Frauen und Geschlechterverhältnisse im gegenwärtigen Irak auswirken. In diesem Artikel habe ich versucht, auf die sozialen und kulturellen Erscheinungen hinzuweisen, die in den letzten Jahren aufgetreten sind, und als deren Hauptauslöser man das Sanktionsregime und die Regierung von Saddam Hussein sehen muss. Es ist noch zu früh, um die komplexen vielfältigen Wege ganz zu begreifen, in denen der neue, weiter andauernde Krieg das Alltagsleben und die übergreifenden Geschlechterideologien beeinflusst.

Zur aktuellen Situation ist festzuhalten, dass Frauen bisher noch stärker in den Hintergrund und in ihr Heim gedrängt wurden. Sie leiden sowohl unter einer sich verschlimmernden humanitären Situation als auch durch die weiterhin fehlende Sicherheit auf den Straßen. Abgesehen davon, dass Grundbedürfnisse (also Wasser, Elektrizität, medizinische Versorgung und Lebensmittel) und Sicherheit nicht angemessen berücksichtigt werden, ist die mangelnde Repräsentation der Frauen in den verschiedenen politischen Parteien und sich herausbildenden politischen Zusammenhängen ein langfristiges Problem.

Es ist zu betonen, dass die Beteiligung von Frauen am Wiederaufbau des Irak nicht einfach nach Motto: "Frauen dazu und einmal umrühren" funktionieren kann. Es fehlt eine Geschlechterperspektive im Einklang mit der Oktober 2000 verabschiedeten UN-Resolution 1325. In dieser Resolution wird anerkannt, welche Bedeutung der Einbeziehung von Frauen und dem gender mainstreaming in allen Aspekten der post-conflict resolution und der Friedensoperationen zukommt. Forschungen über und politische Erfahrungen mit anderen Konfliktregionen und Nachkriegssituationen wie Nordirland, Bosnien-Herzegowina, Zypern, und Israel/Palästina belegen, dass Frauen oft eher befähigt sind, Brücken über ethnische, religiöse und politische Spaltungen zu schlagen und dass sie eine bedeutende Rolle im Rahmen des "peace-making" spielen können. Ich glaube, dass ein zukünftiger Frieden erreicht werden kann, wenn man sich mit Hilfe eines Wahrheits- und Versöhnungskomitees mit der Vergangenheit des Irak auseinandersetzt und sie aufarbeitet, um so eine Sensibilität gegenüber allen Formen von Menschenrechtsverletzungen einschließlich sexueller Gewalt zu entwickeln.

Das gender mainstreaming müsste sich auf die Berufung von Frauen in Interimsregierungen und alle Ministerien und Komitees erstrecken, die sich mit dem Regierungssystem auf nationaler und lokaler Ebene befassen. Frauen müssten auch im Gerichtswesen, bei der Polizei, der Überwachung von Menschenrechten, der Vergabe von Finanzmitteln, einer freien Medienentwicklung und allen ökonomischen Prozessen aktiv beteiligt sein. Es sollte Anregungen und Hilfen für die Gründung von unabhängigen Frauengruppen, NGOs und Basisorganisationen geben.

Da sie sowohl die Mehrheit der Bevölkerung als auch eine zunehmend verwundbare und marginalisierte Gruppe darstellen, ist es von äußerster Bedeutung, die politische Partizipation von Frauen zu unterstützen. Weil Frauen jedoch als Symbole und Markierungen kultureller Grenzziehungen und von "Authentizität" wahrgenommen werden, wird jegliche unsensible Förderung von Frauenrechten und der Gleichheit der Frauen als integraler Bestandteil der "Befreiung" in der gegenwärtigen Lage der Besatzung ebenso wie der Folgesituation zu einem schwerwiegenden Fehlschlag führen. Nicht nur im Irak, sondern auch in den meisten anderen Ländern der Region und der islamischen Welt wird der westliche Feminismus negativ mit der Aufzwingung westlicher Werte und der Auslöschung einheimischer Kultur und Moral gleichgesetzt. Jegliche Initiativen und Organisationen für Frauenrechte, die von der CPA ausgehen, werden nicht nur kurzlebig sein, sondern auch negative Folgen für die auf lokale Initiativen zurückgehenden Frauenorganisationen und allgemeiner für Geschlechterrollen und -ideologien haben. In ähnlicher Weise fehlt es den irakischen Frauenorganisationen und Aktivistinnen, die im Ausland existieren, an Legitimität und Glaubwürdigkeit bei der Mehrheit der Bevölkerung. Sie sollten daher lokale Initiativen weder vertreten, noch ihnen scheinbare Abkürzungen anbieten.

Gleichzeitig ist es wichtig, darauf zu bestehen, dass Irak ebenso wie andere Länder in der Region und in der islamischen Welt eine Geschichte einheimischer Kämpfe um Frauenrechte und Frauenbewegungen besitzt. Es gibt viele Frauen, meist aus der gebildeten Mittelklasse, die sich bereits für humanitäre Hilfe, aber auch für politisches Lobbying und Anwaltschaft im Sinne sozialer Gerechtigkeit im Hinblick auf Frauen und Geschlechterverhältnisse engagiert haben. Es wäre für irakische Frauen schädlich, würden sie nicht besondere Unterstützung im Prozess der Rekonstruktion und politischen Transition erhalten.

Eine Möglichkeit, in sensibler Weise Frauen zu unterstützen, besteht darin, von einer feministischen, an Rechten orientierten Sprache überzugehen zu einer Sprache, die Bildung, Ausbildung und Partizipation bei der Rekonstruktion in den Vordergrund rückt und sich so auf einen modernistischen Entwicklungsdiskurs bezieht. Die andere hauptsächliche Strategie besteht darin, Frauen mit Organisationen, ExpertInnen und Initiativen in anderen Ländern der Region oder der islamischen Welt zusammenzubringen. So stellte ich etwa auf der Grundlage von Forschungen, die ich bei Frauenorganisationen in Ägypten durchführte, fest, dass Frauen sich viel eher durch den Erfahrungsaustausch und die Ausbildung seitens nicht-westlicher Aktivistinnen gestärkt fühlten.

Die gegenwärtige Lage im Irak legt Zweifel an den Absichten der USA in bezug auf good governance, ihr Engagement für Menschenrechte und den Aufbau der Demokratie nahe. Angesichts von Bushs Vorgeschichte einer konservativen Frauenpolitik in den USA erwarte ich persönlich gerade in bezug auf Frauen und Geschlechterverhältnisse nicht eben viel von den Besatzungsmächten. Der Fall Afghanistan bildet ein trauriges Beispiel dafür, wie die US-Regierung zwar Lippenbekenntnisse für Frauenrechte ablegte, aber sie nach dem Krieg nicht wirklich durchsetzte. Afghanistan ist sogar ein Beispiel dafür, wie man es nicht machen darf, denn die schlichte Berufung einer Ministerin für Frauen ohne Ressourcen (die in der Folge zurücktreten musste) war zynisches Alibi gegenüber einem Programm für Frauen- und Menschenrechte.

Ich möchte diesen Artikel mit einem etwas freundlicheren Ausklang beenden. Es ist sehr wichtig zu betonen, dass irakische Frauen nicht einfach passive Opfer sind. Und hier spreche ich nicht über Frauen, die in das Regime verstrickt waren, sondern über normale Frauen aus verschiedenen Schichten. Im Gegensatz zu den üblichen Darstellungen unterdrückter arabischer Frauen in den Medien haben Frauen im Irak sich in der neuen Situation auf verschiedene Weise als einfallsreicher und anpassungsfähiger erwiesen als Männer. Kleine informelle Geschäftsideen wie Essensstände schossen während der Periode der Wirtschaftssanktionen aus dem Boden. Die Qualifikationen im Handwerk und das Recycling von Kleidung und anderen Materialien bezeugen eine unglaubliche Kreativität. In der Post-Saddam-Periode haben Aktivistinnen sich über simple ethnische, religiöse und politische Barrieren hinweggesetzt und sich zusammengeschlossen, um in verschiedenen Fra-gen Einfluss auszuüben. Jegliche Analyse über Frauen und Geschlechterverhältnisse in Irak muss der Würde, der Menschlichkeit und dem Mut von Frauen ungeachtet des Fortdauerns von Not und Kampf Anerkennung erweisen.

Autorisierte Übersetzung aus dem Englischen: Reinhart Kößler & Ilse Lenz

Anmerkungen

1 Abbayah ist das traditionelle schwarze Kleidungsstück, das Irakerinnen tragen. In Najaf, einer heiligen Stadt südlich von Bagdad, befindet sich der wichtigste schiitische Friedhof in Irak. 2 Presseerklärung, Human Rights Watch, November 2003.

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Anschrift der Autorin: Nadje Al-Ali n.s.al-ali@ex.ac.uk