"Küss die Hand, Frau Lehrerin"

Benimmunterricht

Bremen an der Weser. Es ist Sonntagmorgen. Willi Lemke, seines Zeichens pensionierter Fußballmanager und aktueller Bildungssenator der Hansestadt hat ausgeschlafen.

Allerdings hat er die Nacht nicht gut verbracht - er hatte Albträume. Träume von Schülerinnen und Schülern, die sich nicht benehmen können, unhöflich gegenüber ihren Lehrern sind und obendrein auch noch nicht seinen Kleidungsvorstellungen entsprechen. Das, so denkt sich Willi (und inzwischen auch viele andere seiner KollegInnen in den Kultusministerien dieser Republik) muss ein Ende haben. Es muss wieder Zucht und Ordnung Einzug halten in den deutschen Klassenzimmern. Was Preußen nach vorn gebracht hat, kann doch schließlich jetzt nicht falsch sein, oder? Natürlich nicht, deshalb brauchen wir schleunigst Benimmunterricht und Kleiderordnungen an Schulen, damit die Kleinen schon von früh auf lernen sich zu benehmen.

Nun ja, unser Willi hat schon Recht, wenn er da und dort einen Schüler oder eine Schülerin sieht, der oder die gewisse gesellschaftliche Umgangsformen vermissen lässt. Sicherlich gibt es auch überall eine Steffi, die mit einer zerschlissenen Jeans, frecher Schnauze und Dreadlocks über den Schulhof schlendert. Oder den sportlichen Max, der mal wieder die Schule mit dem Laufsteg verwechselt hat und nun mittels seiner körperbetonten Gucci-Kleidung der jungen Referendarin unfreiwillig den Kopf verdreht.

Der Willi ist aber schlau und hat schon zu alten Juso-Zeiten davon gehört, dass Schule doch irgendwie in der Lage sei, Gesellschaft zu verändern. Genau, Benimmunterricht! Problem erkannt, Problem gebannt. Stecken wir also Max, Steffi sowie die pöbelnden und herumspuckenden Rowdies aus der Raucherecke gleich in den neuen Benimmunterricht bei Frau Krababbel. Denn die Frau Krababbel weiß sich ja so gut zu benehmen und zu kleiden - ein Beispiel an Tugend!

Willis Idee zeigt, wie wenig er von Emanzipation und Selbstbestimmung versteht. Scheinbar spricht er der frechen Steffi, Max und den Rowdies aus der Raucherecke ihr Recht auf Selbstbestimmung ab. Das Benehmen der flegelhaften Jugend ist Willi und anderen ein Dorn im Auge. Der Benimmunterricht, in dem die SchülerInnen die fremden Moralbegriffe der Frau Krababbel indoktriniert bekommen sollen, dient der Gleichschaltung und soll die Moral- und Benimmbegriffe weniger auf eine Vielzahl junger Menschen herunterbrechen. Genau das macht den autoritären Charakter dieses Benimmunterrichts aus. An dieser Stelle wird von unserem Willi auf die Trennung zwischen öffentlichen Regeln (Gesetzen) und der Reifung von privaten Wertvorstellungen (Moral) geschissen. Ist doch besser, wenn die SchülerInnen letztere aus dem Knigge lernen. Das ist bestimmt extrem fortschrittlich und führt zu einer Weiterentwicklung unserer Gesellschaft.

Vielleicht sollte man sich als gelangweilter und unruhig schlafender Politiker doch lieber fragen, was denn passieren muss, damit die Gesellschaft insgesamt jungen Menschen selbst so begegnet, wie sie das auch von den jungen Menschen erwartet?

Aber nein! Ab ins Korsett, die Pickelhaube aufgesetzt und ran an den Knigge. Genau, Herr Lemke: Alles, was sie als richtig definieren. Im Gleichschritt, Marsch! Ach so, und nicht vergessen die Hand der Lehrerin zu küssen!