Mach meinen Kumpel nicht an!

Über Kritik und Praxis in der IG BAU

"Ohne Regeln geht es nicht!" Ein kleines Männchen im Blaumann, das ein Papier in die Höhe reckt, dahinter wahlweise ein Stoppschild oder eine Polizeikelle, ruft's dem geneigten Betrachter ...

... an zahlreichen Bauzäunen entgegen. Das Plakat der IG BAU wendet sich gegen "Lohndumping und illegale Beschäftigung" und ist Teil einer bundesweiten Kampagne der Gewerkschaft. Hauptbestandteile der Kampagne sind die Forderung nach verstärkten Baustellenkontrollen sowie die Einrichtung einer Telefon-Hotline, bei der "unsaubere" Beschäftigung gemeldet werden kann. Dass dabei vor allem die illegal beschäftigten, oftmals ausländischen Kollegen bekämpft werden, hat nun auch innerhalb der Organisation heftigen Widerspruch ausgelöst. Mitte Juli wurde ein mehrseitiges Diskussionspapier "Unsere Regeln taugen nichts!" innerhalb der IG BAU verschickt, in dem aktive Bau-Gewerkschafter ihre Organisation auffordern, das Scheitern der Kampagne einzugestehen und Konsequenzen zu ziehen. Die Autoren, die laut Anschreiben aus dem ehrenamtlichen Bereich der Gewerkschaft kommen, haben den Text breit verschickt und laden sympathisierende KollegInnen dazu ein, ihn mit ihrem Namen zu unterstützen. Seit Jahren, so das Papier, falle der IG BAU nichts besseres ein als Baustellenrazzien zu fordern, dennoch sei beim Wachstum des Dumpinglohnsektors kein Ende in Sicht. Auch wenn die IG BAU in den letzten Jahren dem Rassismus in den eigenen Reihen nach Kräften entgegen getreten sei, das augenfälligste Ergebnis der Kampagne sei eine unterschwellige Festigung rassistischer Ressentiments: "Wir fordern unsere Mitglieder offensiv zur Denunziation der Kollegen auf und organisieren dann, dass die - in der Regel ausländischen - Opfer skrupelloser Unternehmer vor den Augen der - in der Regel deutschen - ,Legalen` abgeführt werden. ,Ausländer raus` braucht da nicht mehr ausgesprochen zu werden: Für jene Kollegen sind wir nur der verlängerte Arm der Strafverfolgungsbehörden - und damit zu Recht: Gegner", heißt es in dem Papier.

Rassistische Kampagne in der IG BAU?

In der Tat sind die geforderten Kontrollen, die die Hauptzollämter (mitunter gemeinsam mit der IG BAU) auf Baustellen durchführen, zur Bekämpfung des Problems - der Beschäftigung zu Dumpinglöhnen - weitgehend ungeeignet. Lohnbetrug auf Baustellen erfolgt in der Regel nicht durch Zahlung nominell zu niedriger Löhne, sondern dadurch, dass zwar der gesetzlich vorgeschriebene Mindestlohn in Höhe von derzeit 10,36 Euro für Hilfs- und 12,47 Euro für Facharbeiter im Westen und 8,95 bzw. 9,65 (ab September 10,01) Euro in Ostdeutschland ausbezahlt wird, die tatsächliche Arbeitszeit aber wesentlich länger ist als vertraglich vereinbart. So wird auf zahlreichen Baustellen trotz anders lautender Verträge nicht 40, sondern 60 Stunden und mehr gearbeitet. Diese Art des Lohndumpings entzieht sich der Kontrolle durch den Zoll, denn die Papiere der Arbeiter sind in Ordnung, und eine tagelange Rund-um-die-Uhr-Observation von Baustellen ist weder üblich noch möglich. Eine andere Praxis des Lohndumpings, die ebenfalls weit verbreitet ist, besteht darin, den Beschäftigten den Mindestlohn zunächst auszuzahlen, zugleich aber eine teilweise Rückzahlung des Lohns zu vereinbaren. Gegen derartige Unternehmerpraktiken können die Kontrolleure nur dann vorgehen, wenn illegal beschäftigte Bauarbeiter entsprechende Aussagen machen - und das kommt fast nie vor, sei es aus Angst vor Entlassung und Schikane durch das beschäftigende Unternehmen oder vor Abschiebung, sei es auf Grund der Tatsache, dass die niedrigen Löhne für illegal hier lebende Arbeiter immer noch akzeptabel sind. Der Fall auf einer Baustelle des Landes Niedersachsen für die neue JVA ist für den Ablauf bei nachweisbaren Vergehen beispielhaft: In Rosdorf (Kreis Göttingen) hatten am 26. Juli 2004 Proteste der Beschäftigten und der IG BAU dafür gesorgt, dass die miserablen Arbeitsbedingungen polnischer Arbeiter bekannt wurden. Diese waren durch einen Subunternehmer der Auricher Firma Wilbers Bau GmbH für Löhne um die vier Euro beschäftigt worden. Das Land Niedersachsen droht der Baufirma nun mit einer Vertragsstrafe von einem Prozent der Auftragssumme oder mit Auftragsentzug - sollten sich die Vorwürfe bestätigen. Derweil hat das Unternehmen ein Baustellenverbot gegen den zuständigen Gewerkschafter ausgesprochen, die IG BAU droht mit Besetzung. Die polnischen Arbeiter hingegen sind inzwischen alle wieder nach Hause geschickt worden - ohne dass ihnen der ausstehende Restlohn bezahlt worden wäre. Die Arbeit auf der Baustelle ruht. Bußgelder gegen Billigfirmen sind ein vergleichsweise seltenes Ergebnis von Baustellenkontrollen, Lohnnachzahlungen an betrogene Beschäftige ebenfalls. Meist lässt sich bei Razzien ohnehin nur der Einsatz von Schwarzarbeitern oder von illegal in Deutschland lebenden Arbeitern nachweisen. Bestraft werden also nicht die Profiteure, sondern die Leidtragenden von Dumpinglöhnen: Gegen Schwarzarbeiter wird ein Bußgeld verhängt, mitunter Anzeige erstattet; Illegale werden der Ausländerbehörde bzw. der Polizei überstellt, die die Abschiebung einleitet. Die Autoren des gewerkschaftlichen Diskussionspapiers fordern deshalb eine Rückbesinnung auf die Prämissen internationaler Solidarität. Sie betonen: "Die Kampagne ,Ohne Regeln geht es nicht` steht dem Gewerkschaftsgedanken entgegen. Sie ist falsch." Sie fordern von ihrer Organisation, sich statt dessen gemeinsam mit den von Lohndumping betroffenen Kollegen ebenso wie mit Flüchtlingsorganisationen für eine Verbesserung der Situation einzusetzen, und verweisen dabei auf die (seltenen) Beispiele, in denen eine solche Solidarität in der Praxis erprobt wurde, etwa den Fall auf einer Berliner Baustelle, bei dem es afrikanischen Arbeitern mit Unterstützung antirassistischer Gruppen gelungen war, ausstehende Löhne in Höhe von 40.000 Euro einzutreiben. (vgl. ak 480 und 482) Notwendig seien darüber hinaus Schulungen in den häufigsten "Bau-Sprachen", mehrsprachiges Informationsmaterial und vor allem eine organisationsinterne Diskussion darüber, wie Dumpingunternehmen offensiv entgegen getreten werden könne. Denkbar seien etwa Kampagnen mit dem Ziel der Rufschädigung und Schließung entsprechender Firmen. Für Schritte in Richtung einer offensiven Gewerkschaftspolitik gemeinsam mit den Betroffenen stünden die Autoren jederzeit zur Verfügung.

Wanderarbeiter-Gewerkschaft gegründet

Gelegenheit dazu könnte es schon bald geben. Wie auf der Dortmunder Konferenz "Die Kosten rebellieren" bekannt wurde, bastelt die IG BAU an einem Europäischen Verband der Wanderarbeiter, der Anfang September der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll. Eine Studie der Gewerkschaft hat ergeben, dass unter bestimmten Bedingungen gut die Hälfte der zumeist osteuropäischen Entsendearbeiter (1) bereit wäre, einer solchen Organisation beizutreten. Der Verband, der formell völlig unabhängig von der IG BAU sein soll, wird über einen eigenen Stamm an Hauptamtlichen verfügen. Dieser soll sich zu einem großen Teil aus Angehörigen derjenigen Nationen zusammen setzen, die auf den bundesdeutschen Baustellen vertreten sind. Der künftige Generalsekretär des Verbandes, Matthias Kirchner, betont die Notwendigkeit, dass die betreuten Kollegen es mit MuttersprachlerInnen zu tun haben. "Das ist in der Bedeutung für den Aufbau von Vertrauen durch die Kollegen uns gegenüber gar nicht hoch genug einzuschätzen", so Kirchner. Das Vorgehen soll außerdem dazu beitragen, die Arbeit auf die Bedürfnisse der Betroffenen auszurichten.

Meilenstein gegen Standort-Nationalismus

Ziel des Verbandes ist die Durchsetzung geltender gesetzlicher und/oder tariflicher Regeln für Wanderarbeiter, als wünschenswert bezeichnet Kirchner den Abschluss von Tarifverträgen, die der Situation auch der nicht-deutschen Beschäftigten gerecht wird. Auch wenn der neue Verband sich zunächst vor allem an Entsendearbeiter aus dem europäischen Ausland richtet, so sind doch ausdrücklich auch Arbeiter, die über keine gültige Arbeits- oder Aufenthaltserlaubnis verfügen, eingeladen, das Angebot der Wanderarbeiterunion anzunehmen. Es gehe nicht um Ausgrenzung, sondern um Hilfe auch für illegal hier lebende Menschen, so Kirchner. Was als überfälliger Schritt erscheinen mag - dass eine Gewerkschaft sich der Realität stellt und sich für nicht-deutsche KollegInnen öffnet - ist dennoch bemerkenswert. Eine derartige Initiative ist neu in der deutschen Gewerkschaftslandschaft; neu ist auch, dass die betreffenden KollegInnen von vorneherein in diese Struktur eingebunden sind. Selbstverständlich ist damit weder über den Erfolg eines solchen Schrittes etwas gesagt noch darüber, ob in dem neuen Rahmen auch Kampfformen erprobt werden, die über einen Anruf beim Zoll hinaus gehen. Angesichts der geplanten Zusammensetzung des Aktiven-Stamms stehen die Chancen für neue Wege nicht schlecht. Als Signal gegen Standort-Nationalismus und für gemeinsame Organisierung über Landesgrenzen hinweg ist die Wanderarbeiter-Gewerkschaft ein Meilenstein. Für die antirassistische Linke, die in den letzten Monaten verstärkt auch die Arbeitsverhältnisse von Flüchtlingen und Illegalisierten thematisiert hat, dürfte die Neugründung jedenfalls von erheblichem Interesse sein. Nichtsdestotrotz markiert der neue Verband noch nicht die Abkehr von der intern kritisierten Kampagne, denn die läuft parallel weiter. Die Diskussion über Sinn und Unsinn der "Regeln-Kampagne" wird also weiter Anlässe wie das verschickte Papier brauchen. Dass sich in der Hinsicht etwas tut, ist indes unverkennbar. Nur zwei Tage nach der Verschickung haben IG-BAU-Beschäftigte und Bezirksverbände ein weiteres Rundschreiben erhalten, diesmal aus dem Bundesvorstand. Es trägt den Titel "Sprachgebrauch und Prioritätensetzung im Zusammenhang mit illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit". Die KollegInnen werden darin vom Vorsitzenden Klaus Wiesehügel und von Vorstandsmitglied Dietmar Schäfers gebeten, dem Eindruck entgegen zu treten, "das wir ,deutsche` Bauarbeiter durch den Einsatz ,ausländischer` Bauarbeiter verdrängt sehen". Entsprechende Formulierungen seien unbedingt zu vermeiden. Auch gelte der Kampf nicht den illegal Beschäftigten, sondern ihren Firmen. Die Vorständler halten fest: "Der Zoll und andere Bekämpfungsbehörden können unsere eigenen gewerkschaftlichen Aktivitäten dabei nicht ersetzen. Sie können zwar den illegal handelnden Arbeitgeber mit Bußgeldern oder strafrechtlichen Mitteln verfolgen, die Beschäftigten dieser Firmen erhalten dadurch aber noch lange nicht die ihnen zustehende Bezahlung." Weiter heißt es: "Der Vorrang unserer Aktivitäten sollte deshalb zunächst immer darauf liegen, die illegal Beschäftigten selbst zu aktivieren, damit sie die ihnen zustehenden Ansprüche durchsetzen ... Erst wenn diese Versuche nichts bringen oder uns von vorneherein offen feindlich von den Beschäftigten gegenüber getreten wird, sollten wir den Zoll aktivieren, um der illegalen Beschäftigung ein Ende zu setzen." Am Schluss der Mitteilung werden die BAU-GewerkschafterInnen gebeten, diesen Gedanken entsprechend zu handeln. Die letzte Bitte allerdings darf wohl als Hinweis an die Autoren und UnterzeichnerInnen des Diskussionspapiers gelesen werden. Der Brief schließt nämlich mit der Aufforderung, "sich durch Kritiker nicht in die rechte Ecke drängen zu lassen, in die wir nicht gehören". Immerhin scheint die prompte Reaktion des Vorstands ein Indiz dafür zu sein, dass das Diskussionspapier Wirkung zeigt. Bleibt zu hoffen, dass die KritikerInnen durch den Wanderarbeiter-Verband auch praktisch gestärkt werden. Dann machen die Regeln-Plakate der Gewerkschaft vielleicht bald Werbeschildern für den neuen Verband Platz. Jan Ole Arps Anmerkungen: 1) Als Entsendearbeiter werden ArbeiterInnen bezeichnet, die als Beschäftigte einer Firma Auftragstätigkeiten für eine andere Firma in einem anderen Land verrichten. Sie haben wie alle anderen hier Arbeitenden mindestens Anspruch auf den in der Bundesrepublik gültigen Mindestlohn für das Baugewerbe. aus: ak - analyse + kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 486 / 20.08.2004