Von Hamburg nach Haiti

in (15.03.2004)

Daß der SPD die Wähler weglaufen, wiederholt sich von Wahl zu Wahl. Richtiger wäre zu sagen: Die SPD-Politiker sind ihren Wählern weggelaufen, indem sie das Gegenteil dessen taten, ...

... was sie ihnen vor der Wahl verheißen hatten und wofür sie gewählt worden waren. Vor allem Schröder. Er will aber die Wahlergebnisse keinesfalls als Urteil über seine Politik gelten lassen. Im Gegenteil: Er will seine ganz und gar verfehlte Politik - koste sie das Volk, was sie wolle - unbedingt weiterführen, Punkt für Punkt nach den schriftlichen Vorgaben des Bundesverbands der Deutschen Industrie, des früheren Reichsverbands der Deutschen Industrie, der schon immer protzig-global geplant hat, nie human.
Schröder gibt also vorerst - denn der BDI braucht ihn noch - das Kanzleramt nicht ab. Sondern den Parteivorsitz. Der neue Parteivorsitzende soll dafür sorgen, daß uns die Politik des Kanzlers besser vermittelt wird. Damit wir möglichst dankbar reagieren, wenn die Arbeitslosigkeit weiter steigt und die Rente von 67 auf 43 Prozent sinkt und die Bundeswehr in alle Kontinente ausrückt, außer vielleicht nach Nordamerika.
Die SPD kann - auch weil ihr die Mitglieder davonlaufen - immer weniger zur Vermittlung der BDI-Politik beitragen. Dagegen bemühen sich die monopolisierten Medien mit merklichem Erfolg, das Volk so lahm und zahm und so dumm und stumm zu halten, daß es noch mehr "Reformen" hinnimmt. Und sie bringen es fertig, daß in Hamburg ein Hohlkopf wie Ole von Beust weiterregieren kann, den sie vor zwei Jahren mittels des von ihnen auf 20 Prozent hochgeschriebenen Rabauken Ronald Schill ins Bürgermeisteramt gehievt hatten. Der Springer-Konzern, in der Hansestadt und nicht nur dort, ohne publizistisches Gegengewicht, hat die Macht, Wahlen zu entscheiden. Die einzige oppositionelle Hamburger Liste, der "Regenbogen", blieb einfach unerwähnt. Wie sollten da WählerInnen zu ihr finden? Was nicht publiziert wird, das gibt es gar nicht. Was in den vergangenen Wochen z.B. der gewählte haitianische Präsident Aristide zu sagen hatte, wurde uns einfach nicht berichtet. Er kam so wenig zu Wort wie Milosevic. Derweil konnten die USA das Land destabilisieren. Inzwischen durften sie - welcher Hohn - die Führung einer internationalen Truppe übernehmen, die für Ruhe sorgen soll. Diese und all die anderen täglichen Absurditäten - wer benennt sie? Wer leuchtet in die Kulissen des globalen Theaters? Ossietzky versuchtÂ’s. Heute und in 14 Tagen wieder.

aus: Ossietzky 05- 2004