Ist Bush zu schlagen?

Wer zur Zeit einen Blick in die Zeitungen wirft, gewinnt den Eindruck, als befände sich George W. Bush auf einer steilen Fahrt ins Tal der Verlierer.Seine Popularitäts-Werte bei öffentlichen ...

... Befragungen sinken, und bei den Vorwahlen (Primaries) ist Kerry zum strahlenden Herausforderer aufgestiegen. So mancher, der das Ende der gegenwärtigen Administration herbeisehnt, sieht sich schon am Ziel seiner Wünsche. Doch für solch einen Optimismus ist es viel zu früh.
Erstens finden die Primaries innerhalb der Demokratischen Partei mit dem Ziel statt, den geeignetsten Kandidaten dieser Partei für die Präsidentschaftswahl zu ermitteln. Gewiß, der Rummel, der mit den Vorwahlen verbunden ist, bringt die Bewerber für einige Wochen in die Schlagzeilen. Doch er kostet viel Geld und zehrt damit an den Mitteln, die für den Kampf in der Endrunde benötigt werden. Ein Erfolg des einen oder des anderen Bewerbers sagt wenig aus über dessen Chancen, sich am Ende gegen den Amtsinhaber zu behaupten. Die Republikaner sind zur Zeit in einer viel günstigeren Lage. Sie haben den Zirkus nicht nötig, denn Bush hat dort keinen Konkurrenten; seine Nominierung für den Kampf ums Weiße Haus wird innerhalb dieser Partei von niemandem bestritten. Er kann sich darum Zeit lassen, braucht sich nicht zu verzetteln und kann seinen riesigen Wahlkampf-Fonds, der sich der 150-Millionen-Dollar-Marke schnell nähert, für die endgültige Schlacht aufheben.
Zweitens werden Wahlen in den Vereinigten Staaten durch ein Wahlsystem geregelt, dessen demokratischer Charakter sehr fragwürdig ist. Im Bestreben, das Establishment zu stärken und Außenseitern einen Erfolg so schwer wie möglich zu machen, wird der Präsident nicht direkt, sondern von Wahlmännern gewählt, und zwar nach dem Prinzip the winner gets all.
Wenn also ein Präsidentschaftskandidat in einem Bundesstaat die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erreicht, werden ihm alle Wahlmänner des Staates zugerechnet. Die Stimmen seines Konkurrenten, der möglicherweise nur geringfügig hinter dem Sieger lag, gehen die Regenrinne runter, go down the drain. Auf diese Weise ist es schon mehrfach passiert, daß ein Bewerber die Mehrheit der Wahlmänner auf sich vereinigen konnte und damit zum Präsidenten gewählt wurde, aber landesweit weniger Stimmen erhalten hatte als sein Konkurrent.
Drittens muß man bei der Beurteilung der Wahlvorgänge das geringe politische Interesse und den niedrigen politischen Bildungsstand der Bevölkerung in Rechnung stellen. Ein Besucher aus Europa, der in New York oder Boston auf ein paar Intellektuelle trifft und dort mit ihnen den abenteuerlichen Bush-Kurs debattiert, kehrt oft mit falschen Vorstellungen von der politischen Haltung der amerikanischen Bürger in die Heimat zurück. Für das Ergebnis der Wahlen sind solche liberalen oder gar linken Gesprächspartner nur von geringer Bedeutung. Entscheidend sind die Bewohner in den kleinen Städten und Dörfern zwischen den Appalachen und den Rocky Mountains, bei denen ein Anhänger der Demokraten schon als potentieller Verbrecher und Kinderschänder, ein nicht ihrer Sekte angehörender Christ als Inkarnation der Sünde und ein Liberaler oder gar Linker als Sendbote des Teufels betrachtet werden. Ohnehin ist es das beste, die Finger von der ganzen Politik zu lassen.
Diese Haltung führt dazu, daß im Regelfall die Hälfte der Bevölkerung allen Wahlen außerhalb ihrer Kommune fernbleibt. So kann man ins Weiße Haus einziehen, ohne die große Mehrheit der Bevölkerung hinter sich zu haben: Im 19. Jahrhundert schaffte es van Buren mit 11,4 Prozent. Wer das Ziel mit 30 Prozent erreicht, prahlt mit seinem Erfolg.
Viertens muß man in Rechnung stellen, daß der Amtsinhaber über unvergleichliche Möglichkeiten verfügt, sich den Wählern in den letzten Wochen vor der Wahl noch nachdrücklich in Erinnerung zu bringen. In der jüngeren Vergangenheit haben es nur zwei amtierende Präsidenten nicht geschafft, die Wiederwahl zu gewinnen, das waren Carter, dessen moralisierende Prinzipienreiterei gegen die robuste Aggressivität eines Reagan keine Chance hatte, und Bush senior. Welcher Sohn möchte seinen Vater nicht übertreffen?
Bush junior zeigt Geschick dabei, so beschränkt er sonst auch sein mag. Er hat diese Fähigkeit schon als Gouverneur von Texas bewiesen, wo er das Schlagwort vom mitfühlenden Konservatismus zur Grundlinie seiner Politik erhob und mit dieser Phrase bei der Wiederwahl einen Erdrutschsieg errang. Es ist ihm auch ein leichtes, kurz vor der Wahl eine Krise heraufzubeschwören und seinen Landsleuten eine Gefahrensituation vorzugaukeln, die es ihm gestattet, sich als Retter des Vaterlandes aufzuspielen. Ich bin sicher, er wird diesen Trick anwenden. Wir haben also bis zum November noch einiges zu erwarten.

in: Des Blättchens 7. Jahrgang (VII) Berlin, 1. März 2004, Heft 5