Türsteher am Transit

Mexiko schottet sich gen Süden ab, um die Migration in die USA zu stoppen

Grenzen sind nicht mehr nur markierte Linien mit Zäunen und Schranken, sondern komplexe Systeme. Die Ostgrenze der Europäischen Union wird durch Kooperationsverträge mit Transitländern wie Polen,

... der Ukraine oder der Türkei mehrstufig gegen MigrantInnen und Flüchtlinge gesichert. Ein ähnliches Konzept verfolgen die USA an ihren Südgrenzen, die migrationspolitisch gesehen bis Guatemala reichen. Fast 700 Kilometer Grenze trennen Mexiko von Guatemala. Kein Stacheldraht, keine Mauer und keine Wachposten markieren ihre Linie. Sichtbar wird die südliche Grenze Mexikos nur für MigrantInnen aus Zentral- und Südamerika, die ohne Papiere auf dem Weg al norte - in die USA - sind. Seit das Instituto Nacional de Migración (die mexikanische Migrationsbehörde) im Juli 2001 den Plan Sur erließ, hat die Überwachung und Kontrolle von MigrantInnen in Mexiko stark zugenommen. Die Migrationsbewegungen in der Region zwischen Mexikos Landenge, dem Isthmus von Tehuantepec, und der Südgrenze sind einfacher zu kontrollieren als an der 3300 Kilometer langen US-mexikanischen Grenze. Im Interesse der USA sollen die MigrantInnen daher gestoppt werden, bevor sie an die mexikanische Nordgrenze gelangen. Neben der Regulierung der Einwanderung geht es den USA - verstärkt nach dem 11. September 2001 - um die innere Sicherheit. Dazu gehört eine strenge Selektion bei der Einreise von "Fremden" und eine verstärkte Abschottungspolitik, die in der Militarisierung der Grenze zwischen den USA und Mexiko, aber eben auch in der Ausweitung des durch die USA überwachten Grenzgebiets nach Süden ihren Ausdruck findet. Die Kooperationsbereitschaft Mexikos ist dabei garantiert, allein schon wegen der wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeit von den USA. Die Migrationspolitik der USA ist widersprüchlich und politisch umstritten, denn die Wirtschaft der USA ist in hohem Maße abhängig von den billigen Arbeitskräften zentral- und südamerikanischer MigrantInnen. Sie sind in Landwirtschaft, Industrie und im Dienstleistungsbereich tätig. Aufgrund ihres illegalisierten Status sind sie gezwungen, ungeschützte und unterbezahlte Arbeitsverhältnisse einzugehen. Dennoch: In den USA verdienen sie selbst als BilliglohnarbeiterInnen in einer Arbeitsstunde mehr als in ihren Herkunftsländern Honduras, Guatemala, El Salvador oder Nicaragua an einem Tag. Gelingt ihnen die Einreise in die USA, schicken viele regelmäßig Geld an ihre Familien. Sie hoffen, nach ihrer Rückkehr mit dem angesparten Geld eine neue Lebensgrundlage in ihrer Heimat aufbauen zu können. Die meisten der MigrantInnen sind Männer. Allerdings steigt die Migration von Frauen und Minderjährigen seit einigen Jahren stark an. Viele Kinder machen sich allein auf den Weg zu ihren Eltern oder Verwandten in die USA.

Sichere Rückführung

Die MigrantInnen nutzen Mexiko zwar auf ihrer Reise nur als Transitland, aber das gesamte mexikanische Staatsgebiet erweist sich als das gefährlichste Hindernis auf dem Weg al norte. Seit Januar 2002 führt Mexiko mit finanzieller Hilfe der USA das Programm La Repatriación Segura ("Sichere Rückführung in die Heimatländer") durch. Es sieht vor, MigrantInnen, die ohne Papiere im mexikanischen Staatsgebiet aufgegriffen werden, zurück an die Grenzen ihrer Heimatländer zu bringen. An allen wichtigen Verkehrsstraßen in Mexiko befinden sich Kontrollen, die vom Instituto Nacional de Migración durchgeführt und von Militär und Polizei unterstützt werden. Im Jahr 2002 wurden mehr als hunderttausend MigrantInnen im Rahmen dieses Programms aufgegriffen und abgeschoben. Im Zuge der verstärkten Abschiebepolitik sind im Durchschnitt etwa acht bis neun Versuche und immer längere Zeiten nötig, um es tatsächlich bis in die USA zu schaffen. Für die MigrantInnen gibt es nur begrenzte Möglichkeiten, die Kontrollen der Migrationsbehörden und eine Abschiebung zu umgehen. Lediglich durch hohe Bestechungsgelder können sie eine Ausweisung verhindern. Viele verkaufen ihren Besitz, nehmen hohe Schulden auf oder leihen sich Geld von Verwandten, die bereits in den USA arbeiten. Dennoch fehlt den meisten die finanzielle Grundlage, um einen Schleuser, den coyote oder pollero, zu bezahlen. Dieser organisiert gegen hohe Summen die Bestechungen und den Transport der Reisenden. Für eine Passage von Guatemala bis in die USA fordert ein coyote zwischen 2000 und 5000 Dollar. Häufig bieten die Schleuser jedoch keine Garantie, verschwinden auf der Reise oder sorgen dafür, dass die MigrantInnen in die Hände des Instituto Nacional de Migración geraten. Vielen bleibt nur die Reise auf dem Güterzug. Es ist die billigste, aber auch die gefährlichste Art Richtung Norden zu fahren. Zwei bis dreimal in der Woche passiert der Güterzug die Nordgrenze Guatemalas. Entlang der Gleise warten ca. 300 bis 500 Personen, die auf die Waggons aufspringen und sich auf den Dächern festklammern. Er wird el Tren de los muertos (Todeszug) genannt, denn wöchentlich sind Berichte in den lokalen Tageszeitungen zu finden, die von Unfällen berichten. MigrantInnen rutschen beim Aufspringen ab oder fallen während der Fahrt von den Waggondächern und geraten unter die Räder. Viele dieser Unfälle enden tödlich. Eine weitere Gefahr droht den MigrantInnen in Mexiko durch kriminelle Banden der Maras Salvatruchas, bewaffnete Banden, die von ehemaligen Mitgliedern zentralamerikanischer Todesschwadronen gegründet wurden und bekannt sind für ihre Brutalität. Sie nutzen die Wehrlosigkeit der Flüchtlinge aus. So springen sie etwa in Gruppen auf den Güterzug und ziehen von vorne nach hinten über die Dächer der Waggons, um die Reisenden auszurauben und Frauen zu vergewaltigen. Wer sich ihnen widersetzt oder kein Geld bei sich trägt, wird vom fahrenden Zug gestoßen oder erschossen. Polizei und Regierung ignorieren diese Vorfälle weitgehend. Im Gegenteil: In der öffentlichen Meinung entsteht so ein enger Zusammenhang zwischen Migration und Kriminalität, der gerne als Rechtfertigungsgrund für eine strenge und repressive Migrationspolitik herangezogen wird. Die Regierung des Auswanderungslands Mexiko - etwa ein Zehntel der Bevölkerung lebt und arbeitet in den USA - weist den Vorwurf der Menschenrechtsverletzungen an der eigenen Südgrenze zurück. Sie rechtfertigt sich mit der staatlichen Organisation Beta Sur, die zum Schutz von MigrantInnen gegründet wurde. Deren Einsatzgebiet erstreckt sich über das gesamte mexikanische Grenzgebiet und sie untersteht der nationalen Migrationsbehörde. Berichte von MigrantInnen und Fälle von sexuellen Übergriffen auf junge Migrantinnen wie im Oktober 2002, als eine 18jährige Honduranerin von Beamten der Beta Sur gefangen gehalten und vergewaltigt wurde, stellen die Glaubwürdigkeit jedoch in Frage.

Kleiner Grenzverkehr

Anders als die TransmigrantInnen genießen guatemaltekische ArbeitsmigrantInnen in Mexiko eine relative Sicherheit. Ihre Einwanderung ist vom mexikanischen Staat geduldet und wird sogar gefördert, um die wirtschaftliche Stabilität in der Region zu gewährleisten. Ein besonderer Aufenthaltsstatus ermöglicht GuatemaltekInnen wie MexikanerInnen, sich 72 Stunden frei im Grenzgebiet des anderen Landes aufzuhalten. Guatemaltekische Mädchen und Frauen nutzen diese so genannten pases locales, um nach Chiapas einzureisen und dort einige Jahre als Hausangestellte zu arbeiten. Aufgrund des äußerst niedrigen Lohnniveaus leisten sich die meisten Ober- und Mittelschicht-Familien der mexikanischen Grenzregion eine guatemaltekische Hausangestellte. Die Mädchen leben häufig isoliert und die Einhaltung ihrer Arbeitsrechte ist abhängig vom guten Willen ihrer ArbeitgeberInnen. Auch wenn die Hausangestellten keine direkten staatlichen Repressionen zu fürchten haben, wird ihnen von ihren ArbeitgeberInnen oft mit Abschiebung gedroht, um ihnen nicht einmal den minimalen Lohn auszahlen zu müssen. Die Landwirtschaft der mexikanischen Grenzregion beruht auf der Erntehilfe guatemaltekischer ArbeiterInnen, die saisonal auf die Kaffee- und Obstplantagen kommen. Der mexikanische Bundesstaat Chiapas vergibt dafür ca. 50.000 bis 75.000mal im Jahr eine temporäre Arbeitserlaubnis. Die Kaffeeernte dauert von Oktober bis Januar. Häufig kommen ganze Familien für diese Zeit des Jahres auf die mexikanischen Fincas. Alle, auch Kinder, arbeiten wochen- oder monatelang auf den Steilhängen der Plantagen. Die Lebensbedingungen sind miserabel, mehrere Familien schlafen in einem kleinen Raum, oft sind für dreihundert Leute nicht einmal sanitäre Anlagen vorhanden, ganz zu schweigen von einer medizinischen Versorgung. Den ArbeiterInnen wird alle zwei oder vier Wochen der Lohn ausgezahlt. In dieser Zeit werden ihnen aber auch Unterkunft, Verpflegung und Ausgaben angeschrieben, so dass beim Auszahlungstermin kaum noch etwas von ihrem Lohn übrig bleibt. Manche verlassen die Plantagen sogar mit Schulden. In der mexikanischen Öffentlichkeit ist immer wieder der Vorwurf zu hören, dass die GuatemaltekInnen den einheimischen Arbeitskräften die Arbeit wegnähmen. Deshalb seien immer mehr MexikanerInnen gezwungen, in die USA zu migrieren. Hier muss allerdings deutlich unterschieden werden zwischen den beiden Migrationsformen. Während eine Reise in die USA von der Hoffnung erfüllt ist, dort Geld zu sparen und an die Familien zu schicken, dient der Lohn auf den Fincas nur zum Überleben. Der sinkende Kaffeepreis auf dem Weltmarkt und die Konkurrenz durch billigeren Kaffee aus Ostasien führen dazu, dass bereits ein großer Teil der guatemaltekischen Kaffee-Fincas brach liegt. Dennoch: Mexiko ist eine Art Transitraum geworden, reich genug, um manche (Arbeits-) MigrantInnen aus den ärmeren mittelamerikanischen Staaten anzuziehen, aber selbst so arm, dass die meisten MigrantInnen und auch MexikanerInnen weiter in die USA reisen wollen. In diesem Zusammenhang bekommt die Kategorie "Schwellenland" eine ganz neue Bedeutung - das Land zwischen innen und außen, an der Schwelle zu den USA und gleichzeitig zum Süden. Und dem mexikanischen Staat kommt die Rolle des Türstehers zu. Philipp Burtzlaff, Inga Rahmsdorf und Kathrin Zeiske nahmen 2002 im Rahmen des ASA Programmes an einem Projekt zum Thema "Außengrenzen von Wirtschaftsblöcken" teil. Während ihres dreimonatigen Aufenthaltes an der Südgrenze Mexikos untersuchten die StudentInnen die Situation von MigrantInnen. aus: iz3w 273