Nein zum Krieg!

Es gibt reichlich gute Gründe, gegen einen erneuten Irak-Krieg einzutreten. Um bei den nächstliegenden Gesichtspunkten anzufangen: ...

- Die UN-Resolution 1441 hat den Inspekteuren der Weltorganisation umfassende Kontrollmöglichkeiten eingeräumt. Die irakische Führung widersetzt sich - anders als in den 90er Jahren - den Kontrollen nicht.
- Bislang wurden keine Hinweise auf die Existenz von Massenvernichtungswaffen gefunden. Wenn die Inspekteure nichts finden, kann der UN-Sicherheitsrat keine Militärintervention legitimieren. "Ein ohne Beweise entfesselter Präventivkrieg wäre für das Rechtsstaatsbewusstsein des Westens ein Desaster und gleichzeitig ein schwerer Rückschlag für die Weiterentwicklung eines umfassenden internationalen Friedenssicherungsrechts." (Heiner Geißler, SZ v. 20.1.03)
- Die US-Administration unter Bush jr. ist weder an Rechtsstaatlichkeit noch Friedenssicherung interessiert. Im Gegenteil: Mit der Inhaftierung von in Afghanistan festgenommenen "Kämpfern" und der Verweigerung des Kombattantenstatus, des Ausschlusses von Kontrollen humanitärer Organisationen oder des rechtlichen Beistandes sind wir Zeugen eines Rückschrittes in Sachen Völkerrecht und Rechtsstaatlichkeit. In diesen Zusammenhang sind auch die Blockaden gegen die Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes, die Ausweitung der internationalen Ächtung von konventionellen Waffen (Landminen etc.) und von High-Tech-Munition (urangehärtete Granaten etc.) einzuordnen.
- Selbst wenn durch die UN-Inspektionen Massenvernichtungswaffen entdeckt würden, sind die Nachbarstaaten nicht so bedroht, dass ein "preemptive strike" legitimiert wäre. Auch in diesem Fall müssten nicht-militärische Entwaffnungsoperationen durchgesetzt werden. Mit den anerkannten (wenn auch keineswegs immer eingehaltenen) Regeln des Völkerrechts ist die Doktrin des Präventivschlages nicht vereinbar. Einen Präventivkrieg kann es nur in dem Ausnahmefall geben, dass ein gegnerischer Staat resp. dessen politische Klasse einen Überfall unmittelbar organisiert. Die Durchsetzung einer auf "preemptive strikes" basierenden Militärdoktrin "wäre das Ende der bestehenden Weltordnung. Dann gilt nur noch das Recht des Stärkeren. In einer solchen Welt kann eigentlich niemand leben wollen." (Christian Tomuschat, Spiegel v. 20.1.03)
- Im Fall Irak ist keine "Gefahr im Verzug". Vielmehr begegnet uns ein politisches Muster, das zuletzt im Kampf gegen das diktatorische Taliban-Regime angewandt wurde. Nach dem Aufstieg des Militärclans um Saddam Hussein zum Diktator im Irak überfiel das Land 1980 den Iran und konnte in einem langwierigen Stellungskrieg (bis 1988) durchaus auf die Unterstützung durch die USA zurückgreifen. Erst beim Überfall auf Kuweit 1990 sind die Amerikaner auf Konfrontationskurs zum Hussein-Clan gegangen. Die Kapitulation des irakischen Diktators 1991 blieb ohne innenpolitische Folgen, weil die Amerikaner zwar schon damals Öl-durstig waren, aber für eine Neuordnung des Irak mit seinen komplizierten Ethnien und traditionellen politischen Gegnerschaften keine Konzeption hatten.
- Eine militärisch erzwungene Entmilitarisierung des Irak hätte erneut erhebliche Opfer unter der Zivilbevölkerung zur Folge. Auch gegenwärtig besitzen weder die USA allein noch in Verbindung mit ihren Alliierten für die dem Krieg nachfolgende Phase die Fähigkeit und Ressourcen, im Irak tatsächlich Frieden zu schaffen, d.h. eine ökonomisch-gesellschaftliche Reorganisation zu begleiten. Es muss darüber hinaus befürchtet werden, dass mit einer Militärintervention die gesamte Region ökonomisch wie politisch destabilisiert würde.

Saddam Hussein und sein Clan stehen zweifelsohne für eine menschenverachtende Politik. Doch damit unterscheiden sich die Verhältnisse im Irak nur graduell von denen in etlichen seiner Nachbarstaaten. Die massive militärische Aufrüstung in dieser Region hat nicht nur mit den historisch fragwürdigen Grenzziehungen und Wahnvorstellungen zu tun, die eigene Machtbasis durch territoriale Ausdehnung auszubauen. Der Ölreichtum erlaubt den Potentaten neben einer luxurierenden Lebensführung auch eine Hochrüstung, die ansonsten für unterentwickelte Länder unfinanzierbar ist.

Das fragile Gleichgewicht unter den Regimen der Region ist eine ständige Herausforderung. Das war einer der entscheidenden Hintergründe für den zweiten Golfkrieg: Es ging damals eben nicht um die Übernahme der direkten Kontrolle der irakischen Ölfelder, sondern um die bis dahin den USA immer verweigerte Militärpräsenz in Saudi-Arabien - der im Inneren instabilsten Regionalmacht. Und es geht, wie Norman Paech hervorgehoben hat (Sozialismus 1/2003), um Einfluss auf die Entwicklung im Iran, wo weitreichende politische und soziale Umwälzungen zu erwarten sind. Allerdings löst die militärische Option keinesfalls die geopolitischen Herausforderungen: Auch nach dem Ende der Systemkonfrontation sind weder die USA unilateral noch im Bündnis mit anderen kapitalistischen Metropolen in der Lage, die für eine langjährige Besatzung und für den wirtschaftlichen und politischen Neuaufbau notwendigen materiellen und finanziellen Ressourcen aufzubringen. Dies wäre aber die Voraussetzung, um eine den eigenen Machtinteressen konforme regionale Machtverteilung durchzusetzen. In Jugoslawien wurde dieses Problem an die Westeuropäer abgeschoben, in Afghanistan ist es von vornherein offen geblieben, im Fall Irak würgt man weitergehende Fragen gleich ab. Aus nachvollziehbaren Gründen: Derzeit kann wohl niemand eine überzeugende Antwort auf die Frage geben, wie ein Nationenbildungsprozess im Mittleren Osten organisiert werden könnte in einer Zeit, die in weiten Bereichen der südlichen Hemisphäre vom Zerfall staatlicher Ordnungen geprägt ist.

Einem Teil der Kriegsgegner reicht das Argument nicht aus, dass es der Weltmacht USA um die Absicherung und Kontrolle von geostrategischen Kräfteverhältnissen und Einflusssphären geht. Nur mit dem direkten Zugriff auf den fossilen Energierohstoff Öl sei der Militäraufmarsch zu erklären. Zweifellos spielt in allen Fragen, die mit dem Nahen Osten und dem Golf zusammenhängen, die "Sicherung der Ölversorgung" für die Metropolen des "Nordens" eine wichtige Rolle. Hieraus unmittelbar Kriege abzuleiten, wirft jedoch neue Probleme auf. Nur im Falle einer sehr kurzen, erfolgreichen Militäraktion wird mittelfristig mit einer Stabilisierung des Ölpreises auf Vorkriegsniveau gerechnet; mit der Dauer des Krieges und dem Umfang der Zerstörungen steigt nicht nur der Ölpreis empfindlich an, es explodieren auch die Kosten des Krieges; konservative Schätzungen belaufen sich auf 140 Mrd. $ Kriegs- und bis zu 500 Mrd. $ Besatzungskosten. Nicht nur die Deutsche Bank hat durchgerechnet, dass eine weltwirtschaftliche Rezession die Folge wäre. Mit den ökonomischen Gründen des Krieges ist das also so eine Sache - aber die Friedensbewegung braucht keinen Konsens in dieser Frage, um überzeugend gegen den Krieg zu mobilisieren.

Wichtiger für die Mobilisierungsfähigkeit ist, dass sich Kriegsgegner und die politische Linke im weiteren Sinne schwer tun, eine langfristig angelegte Politik zu entwickeln und populär zu machen. Auch hier ist der Irak-Konflikt ein gutes Beispiel. Seit Beginn der 1980er Jahre wissen wir über den repressiven, menschenverachtenden Charakter des Hussein-Regimes und seine expansionistischen Neigungen gegenüber den Nachbarn Bescheid. Die Beantwortung von grundlegenden Fragen schieben wir alle gern hinaus: Wie kann internationale Friedenssicherung durch die UN oder andere Institutionen ausgebaut werden? Wie können wir zu einer wirksamen Kontrolle von demokratischen Mindeststandards kommen, die in keinem politischen Regime unterschritten werden dürfen? Und: Bis zu welcher Machtfülle können internationale Organisationen ausgestattet werden etc.? Weil wir von den Verletzungen des Völkerrechts und den politisch-sozialen Mindeststandards für alle BürgerInnen des Globus nicht so gerne sprechen, uns selbst im Unklaren lassen, wie auf diesem Terrain möglichst zügig Fortschritte erreicht werden können, greifen viele von uns lieber zu der Kurzformel: "Kein Blut für Öl".

Es ist ein historischer Fortschritt, dass Kriege und militärische Präventivschläge von Staaten und ihren herrschenden Klassen keine Legitimation mehr haben. Es hat in den letzten Jahrzehnten Fortschritte in der internationalen Friedenssicherung und der Verständigung auf Menschenrechte und rechtsstaatliche Standards gegeben, die aber auch immer wieder durch neue Formen der "Entstaatlichung und Privatisierung des Krieges" und "Bürgerkriegsökonomien" unterlaufen werden. Daher können wir beim gegenwärtigen Stand die Sicherung von Frieden und den Schutz der Menschenrechte nicht einfach an internationale Organisationen abtreten. Wir müssen uns vielmehr für die Weiterentwicklung von zivilgesellschaftlichen Standards auch in internationalen Beziehungen einsetzen.

In den USA ist die Zustimmung zur Politik der Bush-Administration deutlich gesunken; in Europa gibt es überwältigende Mehrheiten in der Bevölkerung gegen einen dritten Golf-Krieg. Nur dieser Stimmungslage hat Rot-Grün seinen Wahlsieg im September letzten Jahres zu verdanken. Für die Friedensbewegung ist also ein großes Terrain vorhanden, das bislang höchstens ansatzweise "besetzt" werden konnte. Diese politische Schwäche gilt es längerfristig zu überwinden. In diesem Sinne: Nein zu einer Militärintervention im Irak.

aus: Sozialismus Heft Nr. 2 (Februar 2003), 30. Jahrgang, Heft 263