Last Exit USA?

In der Irak-Debatte kommt es zu Fehleinschätzungen der US-Politik

Überall werden Zustand und Politik der USA kritisiert - nur eine Schar bundesdeutscher AutorInnen, die aus der Linken kommen, mögen sich dem nicht anschließen. ...

Kommentar
... Sie wollen in den USA die letzte Rettung gegen das Regime von Saddam Hussein erkennen. So sind sich beispielsweise Christian Stock (iz3w) und Thomas von der Osten-Sacken (iz3w-Autor) darin einig, dass es unter den gegebenen Umständen keinen anderen Akteur auf dieser Welt gibt, der in der Lage wäre, das Baath-Regime zu stürzen (siehe Jungle World 49/2002). "Bellizisten" möchten sie indes nicht gescholten werden, obwohl sie mit einem solchen Szenario kokettieren. Auch das iz3w-Editorial (Nr.264) gibt sich unschlüssig hinsichtlich eines eventuellen Irak-Krieges.
Nun mag es schon stimmen, dass es einzig die USA sind, die einen Krieg gegen ein Land wie den Irak führen können. Aber die USA sind im Moment alles andere als eine Führungsmacht, die Emanzipation - und sei es nur bürgerliche - oder Fortschritt - und sei es nur kapitalistischen - versprechen können. Zuletzt waren die USA in den 40er Jahren eine kohärente Gesellschaft. Kapitalistisch zwar und auch rassistisch strukturiert, wie jeder weiß, dem die Begriffe Ford und Klu Klux Klan etwas sagen, aber immerhin konnte die amerikanische Gesellschaft mittels der sozialdemokratischen Kriegs-Ökonomie unter Präsident Roosevelt einen Ausweg aus der Krise von 1929 finden. Im Zuge des Kalten Krieges wurden die Deutschen schnell auf den richtigen Weg gebracht und in die "freie westliche Welt" eingemeindet - die Millionen Ermorderter waren dafür kein Hindernis. Damals konnten sich diejenigen, die an das Bild von der "nivellierten Mittelstandgesellschaft" glauben wollten und dabei Klassencharakter und rassistische Unterdrückung übersehen mussten, noch auf eine hoffnungsvolle Vergesellschaftungsdynamik beziehen, die sich ökonomisch wie kulturell ausdrückte und auszahlte.
Mittels Kontrolle der Ausbeutung des Südens, Steigerung der Produktivität im eigenen Land und Propagieren einer mehr oder weniger einleuchtenden Ideologie behaupteten die Vereinigten Staaten dann bis Anfang der 70er ihre unangefochtene Führungsmacht und nahmen den restlichen "freien Westen" in ihr Schlepptau. Doch der weltweite Kapitalismus geriet im Zuge der globalen Revolte um ‘68 in eine tiefe Krise und ab der Ölkrise 1973 wurde auf diese mit einer neoliberalen Konterrevolution geantwortet. Der Monetarismus propagierte die Politik des knappen Geldes, die Automobilindustrie verzog sich aus Detroit und im Süden unterstützte man alles, was sich gegen kommunistische Strömungen oder nationalstaatlich-populistische Autoritäten zusammenrottete. Namen haben die Ziehkinder dieser Phase viele: erst war es Pinochet, dann kamen die Gotteskrieger, ein anderer wurde Saddam genannt. Nach dem einen "Schweinehund" baute man den anderen auf, die Brut wurde unübersichtlich. Genauso wie sich in den USA ein Prozess der Ent-Vergesellschaftung durch die neoliberale Zersetzung der eigenen Gesellschaft vollzog, entstanden im Süden Clans und Herrscher, die damals genauso wenig ahnten wie ihre Geldgeber, dass sie gegen ebenjene bald zum Kampf antreten würden.
Die Versuche der USA, der Krise des kapitalistischen Weltsystems entgegenzusteuern, führte jedoch nur weiter in die globale Systemkrise hinein. Die Ausweitung einer spekulativen, kreditgestützten Wirtschaft hat in die Peripherie exportierte Krisen wie in Argentinien zur Folge. Die Pleite von Enron zeigt nur das hohle Fundament, auf dem gefeierte Mega-Konzerne stehen, und vom Hype der New Economy will niemand mehr etwas hören. Welche Politik außer der des Krieges hat die Bush-Clique noch anzubieten? Der Kaiser steht nackt da. "Rome is burning, and Bush is fiddling", schreibt der Weltsystemtheoretiker Immanuel Wallerstein in Hinblick auf die USA. Das Imperium ist am Ende, es wird keine abermalige kriegs-keynesianische Dynamik mehr geben - dafür eine Kriegdynamik, die ins Nirgendwo führt. Warum sollte man sich vor Saddam Hussein mehr fürchten als vor George W. Bush?
Einer radikalen Linken stellt sich vor diesem Hintergrund gar nicht die Frage, ob sie sich "realpolitisch für oder gegen den Krieg entscheiden will" (iz3w-Editorial Nr.264). Er wird kommen oder nicht, ganz egal was auf diesen Seiten steht. Allerdings wird es im Kriegsfall wichtig sein, worauf die Linke ihr Hauptaugenmerk lenkt: auf die Bilder von CNN, wo wieder ein Krieg ohne Blut präsentiert werden wird, oder auf die amerikanische Anti-Kriegsbewegung; auf die Baath-Clique und Saddam Hussein oder auf Berichte über Revolte und Aufstand im Nahen Osten; auf die pazifistischen Wahlversprechen von Schröder oder auf die Neu-Positionierung der EU zwischen Mitmachen und Anmelden eigener imperialistischer Ansprüche gegenüber dem wankenden Koloss USA.
Die Unterstützung des niedergehenden "Neuen Roms" im Krieg gegen den Schmalspur-Faschismus im Irak bleibt Teil der Krisen-Logik. Wer weiß, dass wir es mit einer Weltgesellschaft zu tun haben, sollte die linke Gemeinde auch mit Bekundungen wie "Fanta oder Fatwa" oder "lieber in New York als in Bagdad leben" verschonen - diese Gegenüberstellungen sind bürgerliche Konsumenten-Ideologie und keine Kritik des Zustands dieser Welt, in der beide Pole Teil des Ganzen sind. Wer mag sich schon zwischen Bush und Hussein entscheiden? Auch die Frage nach Krieg und Frieden lässt sich nicht sinnvoll beantworten, wenn man einen Begriff davon hat, dass kapitalistischer Frieden Hunger, Unterdrückung und Ausbeutung bedeutet und der Krieg dies nur verlängert. Nur die Kritik der falschen Form, in der sich das kapitalistische Weltsystem am beginnenden 21. Jahrhundert darstellt, wird eine Perspektive eröffnen, die jenseits von Krieg und Krise liegt.

Gerhard Hanloser ist Soziologe und lebt in Freiburg.
aus iz3w 266 Seite 4