Auf verlorenem Posten

Israels Linke hat vorerst keine Chance gegen rechte Politik

Nach dem Bruch der bisherigen Regierungskoalition stehen in Israel Neuwahlen an. Das linksliberale Lager wird dabei aller Voraussicht nach noch an Stimmen verlieren. ...

... Worauf beruht die strukturelle Schwäche der Linken und der Friedensbewegung? Zwei Jahre nach dem Regierungsantritt Ariel Sharons erweist sich seine Bilanz in jeder Hinsicht als negativ. Seit dem Yom-Kippur- Krieg gab es keine Phase in der israelischen Geschichte, in der mehr Israelis durch Terror und Krieg getötet wurden. Sharons Versprechen, für Sicherheit und Frieden zu sorgen, blieb nicht nur uneingelöst, ein Ende des Konflikts mit den Palästinensern scheint sogar weiter entfernt zu sein denn je. Ökonomisch befindet sich das Land in einer schweren Krise, und das soziale Gefälle ist enorm gewachsen. International sieht sich Israel weitgehend isoliert und massiver Kritik ausgesetzt. Auch innerhalb Israels wird vor dem Schaden gewarnt, den die fortgesetzte Besatzung verursacht. Dennoch scheint die Linke vom politischen Versagen Sharons nicht profitieren zu können - weder die sozialdemokratische Arbeitspartei und die liberale Meretz, noch die "radikale" Linke wie die Friedensorganisationen Gush Shalom oder das Parteienbündnis Hadash. Obwohl sich eine stabile Mehrheit1 der israelischen Bevölkerung für ein Ende des Besatzungsregimes und die Errichtung eines palästinensischen Staates ausspricht, genießt Sharons Politik, die diesen Zielen diametral entgegen gesetzt ist, eine ebenso stabile Mehrheit. Bei den am 28. Januar 2003 anstehenden Wahlen wird sich den Umfragen zufolge die derzeitige rechte Regierungskoalition an der Macht behaupten. Die Arbeitspartei wird voraussichtlich sogar deutlich an Stimmen verlieren. Die Ursachen dieses paradoxen Zustandes scheinen auf der Hand zu liegen. Eineinhalb Jahre "Koalition der nationalen Einheit" haben gezeigt, dass die Arbeitspartei keine Alternative zur gegenwärtigen israelischen Politik gegenüber den Palästinensern anzubieten hatte. Die Arbeitspartei hat nicht nur alle Maßnahmen der Regierung mitgetragen, sondern auch ihre eigene Rolle beim Scheitern des Oslo-Prozesses niemals kritisch reflektiert. Die konstruktiven Beiträge der Partei zur "Lösung" des Konfliktes beschränkten sich in den vergangenen Jahren auf die Forderung nach "einseitiger Trennung" und die Errichtung eines "Sicherheitszaunes" - Maßnahmen, die nur dazu angetan sind, den Konflikt zu verewigen. Unter diesen Voraussetzungen war es der amerikanischen Regierung möglich, sich erstmals offen auf die Seite der israelischen Rechten zu stellen. Während das Konzept des "Neuen Nahen Ostens" von George Bush sen. die Befriedung des Konfliktes zur Voraussetzung hatte, ist für George W. Bushs "Krieg gegen den Terror" der Palästinakonflikt bestenfalls ein Nebenschauplatz. Ob sich nach einem gewonnenen Krieg gegen den Irak die amerikanischen Prioritäten ändern werden, ist mehr als fraglich. Die weitgehend bedingungslose Unterstützung der Politik der Regierung Sharons ist kein Ausdruck der Solidarität mit Israel, sondern der Verfolgung höchsteigener amerikanischer Interessen im Nahen Osten, notfalls unter Preisgabe der israelischen.

Wirtschaftswunder mit Folgen

Die Schwäche der israelischen Linken allein auf diese politischen Faktoren zurückzuführen hieße jedoch, entscheidende gesellschaftliche Entwicklungen zu verkennen. Denn der Oslo-Prozess der 90er Jahre stand in unmittelbarem Zusammenhang mit einschneidenden Veränderungen der israelischen Gesellschaft. Als Konsequenz aus der schweren wirtschaftlichen Krise der 80er Jahre reformierte die Regierung unter Führung der Arbeitspartei die Ökonomie, indem sie das alte korporatistische System, das eine Mischung aus Marktwirtschaft und Staatssozialismus darstellte, weitgehend zerschlug und die israelische Wirtschaft dem Weltmarkt öffnete. Die Folge war ein Wirtschaftswunder - insbesondere im Hochtechnologiesektor - und die Fähigkeit dieser Wirtschaft, fast eine Million Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion aufzunehmen. Vom Oslo-Prozess profitierte also zunächst einmal ein großer Teil der israelischen Bevölkerung, was sich unter anderem in der Unterstützung der sozialdemokratischen Regierung durch die sowjetischen Neueinwanderer ausdrückte. Doch die Konsequenzen dieser Entwicklung wurden von der Arbeitspartei und ihren Partnern ignoriert. Ganz im Sinne einer israelischen Variante von "New Labour" hat sich die Partei seit dem Ende der 80er Jahre systematisch von fast allen sozialpolitischen Positionen verabschiedet. Dabei hat sie unter anderem die korporatistische Einheitsgewerkschaft, den Hauptträger der sozialen Absicherungen im alten System, den Histadrut, entmachtet. Dies führte einerseits zur Entfremdung unterer sozialer Schichten von den linken Parteien und zum Aufkommen sektoraler Parteien wie Shas oder Israel bÂ’Alyiah, die sich als Interessenvertreter ihrer Klientel profilieren konnten und das fehlende Sozialsystem für diese teilweise ersetzen. Es bewirkte andererseits die Entfremdung dieser Schichten von den politischen Zielen des Oslo-Prozesses und damit einen Rechtsruck der gesamten israelischen Gesellschaft. Das Entstehen dieser sektoralen Parteien ist Ausdruck einer Krise des traditionellen israelischen Integrationsmodells, dessen Hauptträgerinnen bis dahin die Arbeitspartei und ihre Vorgängerin Mapai waren. Darin wurde die Teilhabe an Staatsbürgerrechten durch die Mitwirkung am zionistischen Siedlungs- und Staatsgründungsprojekt begründet und durch ein korporatistisches System abgesichert. Das liberale Modell, das von der Arbeitspartei an seine Stelle gesetzt werden sollte und auf dessen Grundlage sich Meretz 1992 gegründet hatte, hat weite Teile der israelischen Gesellschaft ausgeschlossen - allen voran die aus den arabischen Ländern stammenden Mizrahim, die Juden aus der ehemaligen Sowjetunion und die arabischen Israelis. Diese Leerstelle füllten ethnisch-nationalistische Integrationsmodelle, die unter den derzeitigen Bedingungen eines permanenten Bedrohungszustandes besonders gut gedeihen. Gesellschaftliche Schichten, die eigentlich die Klientel einer sozialdemokratischen Partei wären, orientierten sich auf diesem Wege dauerhaft nach rechts. Dies gilt auch für Teile der ashkenasischen Unterschichten (also Juden europäischer Herkunft), die sich mit Shinui ebenfalls eine sektorale und tendenziell rechte Partei geschaffen haben. Sharons Regierung stellt ein Bündnis aus übriggebliebenen Vertretern des traditionellen Integrationsmodells und den Vertretern des ethnisch-nationalistischen Modells dar.2 Diese Verflechtung sozialer und politischer Ursachen des Palästinakonfliktes auf israelischer Seite ist von der radikalen Linken größtenteils missachtet worden. Die Diskussionen um soziale Ungleichheiten und ethnische Segmentierungen der Gesellschaft einerseits und um die Besatzungspolitik andererseits laufen weitgehend getrennt. Für die israelischen Unterschichten mussten die Forderungen der Linken nach Verständigung mit den Palästinensern deshalb wie Extravaganzen einer elitären Oberschicht klingen.

Rechtsruck durch Hamas

Zudem ignorieren viele radikale Linke Israels die Verhältnisse in der israelischen Gesellschaft in einer anderen Hinsicht, die für ihre strukturelle Wirkungslosigkeit nicht minder bedeutsam ist. In ihrer Weigerung, die antiemanzipatorischen Entwicklungen in der palästinensischen Gesellschaft zu thematisieren, bestätigen sie die existentiellen Ängste vieler Israelis vor islamischem Fundamentalismus und arabischem Antisemitismus. Ebenso wenig hilfreich ist es, wenn die Begründung für die Unterstützung der Politik Sharons mit den historischen Erfahrungen der Juden pauschal als Instrumentalisierung des Holocaust zurückgewiesen wird. Diese Erfahrungen bestimmen auch heute noch in hohem Maß das Bewusstsein großer Teile der israelischen Bevölkerung, und sie werden durch die antisemitische Welle seit der zweiten Intifada erneut aktiviert. Es ist zwar notwendig, die Legitimation der israelischen Politik durch den Holocaust in Frage zu stellen. Wichtiger jedoch wäre es, wenn auf palästinensischer Seite diese historischen Zusammenhänge endlich zur Kenntnis genommen würden. Damit ist die letzte, aber nicht unwichtigste Ursache für die Schwäche der israelischen Linken benannt. Entgegen der in der Linken weit verbreiteten Ansicht ist die Radikalisierung und Fundamentalisierung der palästinensischen Gesellschaft nicht als Folge der israelischen Besatzung zu erklären. Denn sie steht im Kontext einer ebensolchen Entwicklung in der gesamten arabischen Welt und darüber hinaus. Außerdem entbehrt diese Radikalisierung jeglicher emanzipatorischer Inhalte, die sie als Widerstand gegen die Besatzungspolitik ausweisen würde. Sie hat in der israelischen Gesellschaft, gerade auch in der traditionellen Anhängerschaft der Arbeitspartei, die Zweifel am Oslo-Prozess bestätigt. Sie hat viele derjenigen für Sharon eingenommen, die eine Einigung mit den Palästinensern befürworten. Die fortgesetzten Terroranschläge sind dabei nicht einmal das Entscheidende, sondern die Tatsache, dass sich die palästinensische Führung niemals klar davon distanziert hat und ebenso wenig wie die israelische Seite bereit ist, ihren Beitrag zum Scheitern der Friedensverhandlungen zu reflektieren. Die israelische Friedensbewegung wäre auf die Hilfe der Palästinenser dringend angewiesen. Bislang ist davon nicht viel zu spüren. Es sieht also nicht so aus, als ob sich in der nächsten Zeit für die israelische Linke die Dinge zum Besseren ändern könnten. Zwar scheint sich mit der Wahl Amram Mitznas an die Spitze der Arbeitspartei nun ein Hoffnungsschimmer zu zeigen. Mitzna hat erklärt, dass er als Regierungschef den Gaza-Streifen vollständig räumen und alle dortigen Siedlungen evakuieren wolle, ebenso wie den Großteil der Westbank. Solche Töne waren seit Rabins Zeiten von keinem führenden Politiker der Arbeitspartei mehr zu hören gewesen. Ob er damit die Wahlen im Januar gewinnen kann, ist allerdings mehr als fraglich. Dafür müsste zunächst die gesellschaftliche Basis für die Akzeptanz einer solchen Politik wiederhergestellt werden. Dieser Prozess wird, selbst wenn er gelingen sollte, viel Zeit benötigen. Bleibt zu hoffen, dass die islamistischen Fanatiker diese Zeit nicht nutzen, um - mit tatkräftiger Unterstützung der israelischen Rechten und der amerikanischen Regierung - die gesamte Region in die Luft zu sprengen. Anmerkungen: 1 Der Begriff "Linke" hat sich in Israel weitgehend von traditionellen politischen Inhalten gelöst. Er bezeichnet jene Kräfte, die sich für die friedliche Lösung des Nahostkonflikts und das Ende der Besatzung einsetzen. Im klassischen Sinne sind weder die Arbeitspartei noch Meretz "links". 2 Eine eingehende Darstellung dieses Prozesses und seiner Hintergründe bietet: Gershon Shafir/ Yoav Peled, Being Israeli. The Dynamics of Multiple Citizenship, Cambridge 2002. Stefan Vogt ist Historiker und Mitglied der jour fixe initiative berlin. aus: iz3w 266 Seite 6