Bubble Press

Ein Gespenst namens Zeitungskrise schwebt durch die Republik. Ob Wochenzeitungen, Lokalzeitungen oder überregionale Titel - die Verlage klagen über sinkendes Anzeigenaufkommen und Auflagenverluste..

... Dabei steht das Gewerbe so schlecht gar nicht da: Immerhin werden täglich knapp 30 Millionen Blätter verkauft; nahezu jeder deutsche Haushalt bezieht eine Zeitung. Im Boomjahr der so genannten New Economy 1999/2000 hatten die Verlagsmanager kaum Zeit, auf ihre Medienpartys zu gehen, so sehr waren sie auf Grund des exorbitanten Anzeigenwachstums mit dem Geldzählen beschäftigt. Die Kaufleute frohlockten und erfüllten den Chefredakteuren fast jeden Wunsch nach neu zu besetzenden Stellen. Redaktionen wurden mit Personal aufgestockt, neue Redaktionen aus dem Boden gestampft. Jeder Verlag, der etwas auf sich hielt, gab gleich zwei bis drei Wirtschaftsblätter heraus. So irrational wie die Aktienkurse kletterten, so irrational kauften die Leute plötzlich Börsenblätter. Im Sog des Aktiensinkfluges verkrümelten sich die Auflagen der Finanzblätter wieder in den Keller. Geprellten T-Aktionären und beschäftigungslosen Finanzberichterstattern beim gemeinsamen Wundenlecken zuzusehen - wer dieses Bild vor zwei Jahren an die Wand gemalt hätte, wäre mit Schimpf und Schande des Landes verwiesen worden. Die wenigen Verlagskaufleute, die zur Besonnenheit aufriefen und über den Tag hinaus blickten, fanden keine Resonanz. Wer hört schon gerne auf, wenn es beim Spiel im Sandkasten am schönsten ist. Die Jung-Dynamischen unter den Medienmanagern freuten sich aus anderem Grund über das viele Geld: Endlich durften sie in die vermeintliche Zukunft, die Internetauftritte der Zeitungen, investieren - und versenkten so Millionenbeträge im digitalen Nirwana. Die erste Entlassungswelle bei Onlinemedien fand schon Mitte des Jahres 2000 statt. Jetzt sind die dran, die sich immer auf der sicheren Seite des Lebens sahen: Fest angestellte Printredakteure werden entlassen. Ob "Badische Zeitung", "Frankfurter Rundschau" oder "Süddeutsche Zeitung" - es gibt kaum eine Redaktion in der Republik, wo nicht die Angst vor Kündigungen umgeht. In ihren Berichten und Kommentaren haben nicht wenige Journalisten das Lied von Flexibilität und Mobilität, Deregulierung und Privatisierung, überzogenem Kündigungsschutz und weniger Staat gesungen. Nun dürfen sie echte Arbeitsamtsluft schnuppern. Die übrig gebliebenen Redakteure, so steht zu vermuten, werden sich demnächst vor Betroffenheitsreportagen kaum retten können. Dass es auch diejenigen trifft, die für sich die Oberhoheit in ökonomischen und sonstigen weltumspannenden Fragen in Anspruch nehmen - wie die Redakteure der FAZ -, ist zwar bitter, aber unausweichlich. Am Beispiel der Zeitung, hinter der angeblich kluge Köpfe stecken, lässt sich exemplarisch der Realitätsverlust der Verleger nachzeichnen. Wie kaum eine anderes Blatt ließ die FAZ ein Projekt nach dem anderen das Licht der Welt erblicken: Peu a peu stockte man in den Boomjahren das Redaktionsteam von 450 auf 750 Mitarbeiter auf. Das FAZ-Business-Radio wurde gegründet, ein aufwendiger Internet-Auftritt installiert. Mit dem Umzug des Regierungssitzes kamen die "Berliner Seiten", exklusiv für das Hauptstadtpublikum. Aus bis dahin 6000 täglich in Berlin verkauften Zeitungen sollten binnen dreier Jahre 60000 werden. Die Frage, ob eine Stadt, in der das Publikum täglich zwischen drei Boulevardblättern, drei Regionalzeitungen, zwei überregionalen Zeitungen und zwei linken Kleinstblättern - insgesamt zehn Titel mit Redaktionssitz Berlin - wählen kann, überhaupt noch eine Zeitung verkraftet, wurde nicht gestellt. Erst im Herbst letzten Jahres folgte die bundesweite Expansion der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Nur ein dreiviertel Jahr danach ist der Katzenjammer groß. Ende Juni stellte der Verlag die Berliner Seiten ein, weitere Stellenkürzungen in anderen Ressorts sind geplant. Urplötzlich hat es die erfolgsverwöhnte Generation Golf erwischt. Florian Illies, Nachwuchsschriftsteller mit Millionenvertrag bei Bertelsmann und Chef der Berliner Seiten, bekennt in der "Frankfurter Rundschau" vom 28. Juni, das "Aus" sei "bitter für die Generation, die meinte, sie könne besser als alle anderen mit dem Kapitalismus umgehen, einfach das Beste für sich rausholen". Dass man nun Opfer der ökonomischen Zwänge werde, entbehre nicht einer ordentlichen Prise Ironie. "Früher, da dachte man, man sei nicht normal, wenn man nicht selbst Millionen an der Börse verdient. Wir mussten nicht so viel nachdenken über Solidarität." Bei so viel Nachdenklichkeit geht sogar mit dem Oberhooligan des Hauptstadtjournalismus, Georg Gafron, Chefredakteur des Springer-Boulevardblattes "BZ", der Gaul durch. "Ein guter Tag für Berlin - die ,tazÂ’ in der ,FAZÂ’ verschwindet. Die Garde der ,Rechts leben und Links redenÂ’-Schwätzer tritt ab. Ein gutes Omen für den 22. September. Jetzt werde ich das Blatt wieder abonnieren. Schön, dass immer noch gilt: ,Hochmut kommt vor dem Fall.Â’ Viel Glück bei der Stellensuche - zumal sich nur bei einem Quäntchen Selbstachtung eine Bewerbung im Hause Springer verbietet. Aber Charakter, was ist das schon in der Spaßgesellschaft? Also dann, bis auf bald."

Von der taz zur "Welt"

Ungewollt spricht Gafron in seinem Groll etwas an, was die Zunft besser unter sich und unter Ausschluss von Kampfschreibern diskutieren sollte: Journalisten sind form- und deshalb auch austauschbar. Sie machen ihre ersten Gehversuche bei der taz, üben dann noch ein wenig beim "Tagesspiegel", um schließlich bei der "Welt" zu landen. Gestern auf den antikapitalistischen Barrikaden und heute bei den Marktschreiern des entfesselten Kapitalismus - das ist kein Widerspruch mehr. Noch nie gab es so viele vermeintlich gut ausgebildete Journalisten, die Zeiten der klassischen Quereinsteiger sind vorbei. Da konnte noch zur Zeitung gehen, wer eine gute Schreibe, eine politische Meinung und dazu einen hellen Kopf hatte. Heute wird umfassend Politik, Soziologie, Literaturwissenschaft, Germanistik oder Geschichtswissenschaften studiert, ein Volontariat oben auf gepackt und ab geht es zur Zeitung, in eine Talkshow-Redaktion oder umgekehrt. Aus der "Frankfurter Rundschau" wird berichtet, es hätten junge Redakteure angeheuert, die zuvor keinerlei Bindung - beispielsweise als Leser - zum Blatt hatten. Da war halt eine Stelle frei, die hat man genommen. Ihre Glanzzeit erlebte "die Rundschau", als sich junge Journalisten bewusst für das Blatt entschieden, weil sie dort am ehesten ihrem politischen Veränderungsdrang nachgehen konnten. Es ist müßig zu sagen, vor 30 Jahren war alles besser - auch der Inhalt der Zeitungen. Doch es gab Hundertschaften junger Menschen, die aus inhaltlichen Gründen und weil sie die Gesellschaft nach vorne bewegen wollten, Journalisten wurden und zur Zeitung gingen. Heute geht man "in die Medien", weil es sexy ist.

Politische Koordinaten verschwinden

Die Krise auf dem Zeitungsmarkt ist also nicht nur eine ökonomische Krise. Noch immer werden in den meisten Medienhäusern Kapitalrenditen zwischen 8 und 16%eingefahren. Davon träumen andere Branchen! Gravierender ist die inhaltlich-journalistische Krise. So wie sich die politische Klasse in der Mitte auf die Füße tritt, suchen auch die großen Tageszeitungen im politischen Mainstream ihr Heil. "Wir unterscheiden nicht mehr zwischen Rechts und Links, diese Begriffe sind doch obsolet", hörtmanvon maßgeblichen Blattmachern. So hangelt sich die Berichterstattung der meisten Blätter an der politischen Klasse entlang. Prominenz zählt. Über ein Schweizer Botschafterpaar zu berichten, ist in den Augen der Zeitungsmacher allemal publikumswirksamer als beispielsweise über die Hintermänner des Berliner Bankenskandalszuschreiben. Hier und da gibt es dann noch "Hofnarren", die die Fahne der Aufklärung hochhalten. Wie Heribert Prantl, der in der "Süddeutschen Zeitung" gegen Otto Schilys Grausamkeiten in Sachen innere Sicherheit wettern darf. Auf der anderen Seite verteidigte Jochen Siemens in der "Frankfurter Rundschau" (FR) den NATO-Einsatz in Jugoslawien und stand bei der Beurteilung der "veränderten Weltlage" nach dem 11. September fest an der Seite von Joseph Fischer und Gerhard Schröder. Oder: Die Bundesjustizministerin machte sich Anfang des Jahres daran, die Lage der kreativ Tätigen - also auch die der freiberuflichen Journalisten - durch ein neues Urheberrecht zu verbessern. Ähnlich der Einführung der Künstlersozialkasse vor 20 Jahren sahen die Verleger abermals des mediale Abendland untergehen. Großzügig veröffentlichte die FR Gutachten im Sinne der Verleger. So verschwinden politische Koordinaten. Vor allem die Lokalblätter kranken an ihrem durchschnittlichen Gehalt. Im regionalen Umfeld haben sie ihre Kompetenz, die "große Politik", die in Berlin, Brüssel oder Washington gemacht wird, wird eher kleinkariert und zudem in der Regel über Agenturmeldungen abgedeckt. Ökonomische Kompetenz können sich die Leser der Lokalblätter kaum aneignen. Deren Wirtschaftsseiten sind nicht mehr als eine verlegerische Pflichtübung. Die Erfindung des Privatfernsehens, das auch die Lesegewohnheiten veränderte, hat ebenfalls ihren Anteil an der Zeitungskrise - ohne RTL und Sat 1 wäre ein Magazin wie "Focus" vermutlich nicht machbar gewesen. "Das ist ja gedrucktes Fernsehen", spotteten Medienfachleute nach Durchsicht der ersten Nummern ob des Durcheinanders von vielen kurzen Textbeiträgen, jeder Menge bunter Bilder und Infografiken. Das Wort "Infotainment" war geboren. Journalisten wurden in vielen Blättern immer mehr zu Dienstleistern; sie sollten die Leser informieren und unterhalten. Die harten Fakten mussten gefällig aufbereitet werden, den Lesern viel Service geboten werden. Misst man den Erfolg einer Zeitung oder Zeitschrift an der Auflage, ist "Focus" eine Erfolgsgeschichte. Nicht immer ging das Rezept auf: Manfred Bissinger, der sich dem "Focus"-Konzept mit der linken "Woche" wohl am weitesten annäherte, hatte keinen Erfolg. Im Frühjahr stellte der Verlag das Blatt ein. In den Redaktionsstuben ist ein Abflachen der Diskussionskultur - die GrundlagejederjournalistischenKreativität -zu beobachten. Die Hektik des Alltags verhindert die Auseinandersetzung. Redakteure klagen, sie seien überlastet, müssten in immer weniger Zeit immer mehr Agenturmeldungen bearbeiten oder sich mit einer immer größeren Zahl freierMitarbeiterherumschlagenundunzulänglicheTexte bearbeiten. Freie Journalisten wiederum klagen, sie fänden in den Redaktionen kaum noch Ansprechpartner, mit denen sie ihre Texte in Ruhe durchgehenundbesprechenkönnen. Motor einer inhaltlich-ethischen Debatte über Journalismus waren einst die gewerkschaftlich organisierten Journalisten. Doch auch bei den 20000 Journalistinnen und Journalisten in der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) und bei der in etwa gleichstarken Konkurrenz des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) diskutiert man - wenn überhaupt - eher verhalten. Presserechtsrahmengesetz, innere Pressefreiheit und Redaktionsstatuten, Zeitungen ähnlich des Rundfunks in öffentlichrechtlicher Hand - das waren Stichworte früherer Debatten. Heute schweigt sich die gewerkschaftlich organisierte Zunft darüber aus. Vielleicht, weil man dazugehören möchte? So wie Florian Illies den real existierenden Kapitalismus hinnimmt, werden heute die bürgerlichen Medien hingenommen. Die globalisierungskritische Bewegung Attac sammelt sich unter dem Motto "Eine andere Welt ist möglich" und erhält viel Zulauf. Zeitungsschaffende aber leben im Hier und Jetzt und träumen nicht von der "besseren Zeitung, die möglich wäre". erschienen in Blätter für Deutsche und Internationale Politik 08-2002