Radikalkur für Faulenzer

in (11.07.2002)

Die von Gerhard Schröder, dem wackeren Streiter gegen "Faulenzer im Arbeitsmarkt", eingesetzte Expertenkommission zur Reform der Arbeitslosenversicherung hat ihren propagandistischen Auftrag ...

Die von Gerhard Schröder, dem wackeren Streiter gegen "Faulenzer im Arbeitsmarkt", eingesetzte Expertenkommission zur Reform der Arbeitslosenversicherung hat ihren propagandistischen Auftrag erfüllt, noch bevor sie den endgültigen Bericht über ihre gedanklichen Leistungen abliefern konnte: Politik und Medien rühmen fast einstimmig den "Mut", den die Kommission aufgebracht habe - den Mut zur Produktion von Ideen, wie dem bisherigen System der sozialen Absicherung im Falle von Arbeitslosigkeit der Garaus zu machen ist.
Kommissionsvorsitzender Peter Hartz, Personalvorstand bei VW und enger Vertrauter des Bundeskanzlers, hat einige der reformerischen Absichten schon mal vorweg in die Öffentlichkeit gebracht: Die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld soll auf zwölf Monate (bisher bis zu 32) begrenzt, die Beträge sollen auf "Pauschalen" zurechtgestutzt werden. Weiter wird empfohlen, die Arbeitslosenhilfe zeitlich zu verkürzen und schrittweise durch Sozialhilfe zu ersetzen, dann "Sozialgeld" genannt. Auch Jobs unter Tariflohn und weit entfernte Arbeitsplätze sollen für "zumutbar" erklärt werden; Arbeitslose sollen an Leiharbeitsfirmen überstellt werden, die ihnen schlecht bezahlte und befristete Tätigkeiten vermitteln; besonders zynisch: Erwerbslose sollen zur unternehmerischen "Selbständigkeit" ermuntert werden, schmackhaft gemacht unter dem Begriff "Ich-AG". Und weil die Massenarbeitslosigkeit dann billiger wird, sollen den Betrieben Möglichkeiten eröffnet werden, sich von einem Teil ihrer Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu entlasten.
Noch ist manches an diesen Vorschlägen in der Kommission nicht ausdiskutiert, aber der diskurspolitische Effekt hat sich bereits hergestellt: Es breitet sich die Meinung aus, die überkommenen Grundlagen einer beitragsfinanzierten, paritätisch und kollektiv organisierten, auf soziale Solidarität setzenden Absicherung für Arbeitslose seien wie durch eine Naturgewalt hinfällig geworden. Tatsächlich handelt es sich um einen gezielten politischen Akt der Zerstörung, begonnen ausgerechnet von einer sozialdemokratisch geführten Regierung, heftig akklamiert von den Grünen und von der FDP, aus wahlkampftaktischen Gründen ein wenig zurückhaltender begrüßt auch von den Unionsparteien. Das Arbeitslosengeld dürfe man nicht kürzen, warf Edmund Stoiber ein, aber ansonsten sei "die Richtung der Vorschläge stimmig". Das meinen auch der Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt und der DGB-Vorsitzende Michael Sommer, der letztgenannte mit Vorbehalt: Über Details müsse man noch streiten. Heftig wird dieser Streit aber von den Gewerkschaftsfürsten nicht geführt werden, denn sie hoffen darauf, daß Gerhard Schröder mit Hartz "einen Trumpf aus dem wahlpolitischen Ärmel gezogen" habe, wie eine SPD-nahe Tageszeitung kommentierte. Allerdings: Die arbeitsmarktpolitische Expertin der SPD-Bundestagsfraktion, Renate Rennebach, äußerte leichte Bedenken bezüglich des Marketings; sie hat Zweifel, "ob es glücklich ist, die Vorschläge im Bundestagswahlkampf zu diskutieren". Das ist kein Protest in der Sache.
Hartz rechnet nun damit, daß seine Ideen nach der Bundestagswahl in jedem Falle zur Nutzung kommen, "egal wer regiert" - denn welche Regierung wird sich schon die Gelegenheit entgehen lassen, die Arbeitslosigkeit wenigstens statistisch zu verringern und Sozialausgaben drastisch zu senken?
Die katastrophalen Folgen eines solchen - von Politikern und Medien als "Radikalkur" gerühmten - Reformwerkes würden an einer anderen Stelle im Politiksystem sichtbar: bei den Kommunen. Einen "sozialpolitischen SuperGAU" sagt der Sprecher des Deutschen Städtetages voraus, wenn die Pläne der Hartz-Kommission realisiert würden. Gerhard Schröder wird dann vermutlich seine jetzige Arbeit schon los sein. Er könnte sich in diesem Fall aber einer Leih arbeitsagentur verdingen, zum befristeten Einsatz beim weiteren Wegräumen historischer Errungenschaften der Arbeiterbewegung.