Unternehmen und Gemeinden im ländlichen Raum. Von der Agrarsoziologie zur Soziologie der ländlichen Gesellschaft

Angesichts des rasanten Strukturwandels der ländlichen Regionen mit seinen längerfristig kaum abzusehenden widersprüchlichen Resultaten steht die Frage, wieweit die Agrarsoziologe in der Lage ist,

... diesen zu verstehen und gegebenenfalls Gestaltungsvorstellungen und Handlungsalternativen in die öffentliche Debatte einzubringen. Die Agrarsoziologie in ihrer derzeitigen Verfassung ist eine Soziologie des Agrarbetriebs - wobei bisher der bäuerliche Familienbetrieb im Mittelpunkt stand; die agrarischen Großbetriebe gewinnen erst mit der Transformation des Agrarsektors in Ostdeutschland an Bedeutung.1 Neben dem Agrarbetrieb spielen die Untersuchung der Sozialstruktur und der sozialen Lage einzelner Gruppen eine Rolle, beispielsweise "Frauen", "Alte" oder "Jugend auf dem Lande". Ansatzweise wird auch der Zusammenhang zwischen dem Wandel der Unternehmen und der Lebensvorstellungen der Bevölkerung thematisiert, beispielsweise in verschiedenen Gemeindestudien (z.B. Willisch 2000).
Eine Soziologie der ländlichen Gesellschaft - also der Funktionsweise der Interaktionen zwischen den einzelnen sozialen Gruppen und den Organisationen, zwischen Unternehmen, Betrieben, Gemeinde, Vereinen und Bevölkerung - ist bislang kaum zu finden.

Unsere These lautet: Gelungene wie krisenhafte Verläufe des Strukturwandels werden genau deshalb unzureichend verstanden, weil die Unternehmen oder auch einzelne soziale Gruppen für sich betrachtet werden. Ein Verständnis ist aber nicht möglich ohne eine Analyse der sozialen Dynamiken im Zusammenhang von ländlicher Wirtschaft und ländlicher Gesellschaft. Dies soll zunächst an Beobachtungen aus Mecklenburg-Vorpommern verdeutlicht werden. Es sei vorweggeschickt, daß wir es hier mit einem bestimmten Typ der Konstruktion ländlicher Gesellschaft zu tun haben, mit der speziellen "ostelbischen" Variante der Vermittlung von Wirtschaft und Gesellschaft.

Der Strukturwandel in den ländlichen Regionen Ostelbiens

Den Ausgangspunkt bilden eine Beobachtung und eine daraus folgende Frage: In verschiedenen ländlichen Regionen Ostdeutschlands erleben wir den wirtschaftlichen Aufschwung großer landwirtschaftlicher Unternehmen mit hohen Erträgen, steigender Produktivität und wachsenden Einkommen der Betriebe und in bestimmtem Maße auch ihrer Stammbelegschaften bei gleichzeitiger Verstärkung der Krisen der ländlichen Gesellschaft. Vorpommern beispielsweise gilt heute als Region mit den modernsten und wirtschaftlich erfolgreichsten Landwirtschaftsbetrieben in Deutschland. Gleichzeitig aber müssen wir den rasanten Verfall sozialer Integrationsverhältnisse in den Gemeinden der Region konstatieren. Überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit, geringe Einkommen, Landflucht, verlassene Dörfer, rapide Überalterung, Rechtsradikalismus und Drogenkriminalität sind gravierende soziale und politische Probleme, die mit den Stichworten "Ghettoisierung der ländlichen Räume" und "Re-Ethnisierung sozialer Konflikte" beschrieben werden können (vgl. Willisch 1999).
Wir haben es also auf der einen Seite mit unerwarteten wirtschaftlichen Erfolgsgeschichten zu tun, und anderseits sehen wir desintegrative Prozesse, die die schwachen demokratischen Strukturen auszuhöhlen drohen. Die Parallelität des wirtschaftlichen Erfolgs der strukturbestimmenden Unternehmen und des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Niedergangs der ländlichen Regionen und Gemeinden widerspricht den Erwartungen der Wirtschaftswissenschaft und den Intentionen von Wirtschaftsförderung und Wirtschaftspolitik (vgl. auch Barlösius/Neu 2001; Laschewski/Siebert 2001). Sie ist erklärungsbedürftig, und sie läßt sich u.E. nur erklären, wenn wir die Funktionsweise des Zusammenhangs von Agrarwirtschaft und ländlicher Gesellschaft in Ostelbien über mehrfache Transformationen hinweg genauer analysieren.
Die ländlichen Regionen zwischen Elbe und Baltikum unterscheiden sich bekanntlich von Süddeutschland und Südeuropa durch einen kapitalistischen Modernisierungspfad, in dem Landgüter und Großbetriebe schon seit zwei Jahrhunderten eine besondere Rolle spielten. "Der Transformationsprozeß der kapitalistischen Umgestaltung der Landwirtschaft läuft zwischen zwei Extremen ab", schreiben Leonhard Bauer und Herbert Matis (1988: 139), "einmal in Form der bürgerlichen Weges, wo eine selbständige Bauernwirtschaft dominiert, was aber eine Zurückdrängung der Grundherrenschicht aus ihrer führenden politischen Position sowie die Einführung eines bürgerlichen Privateigentumsrechtes voraussetzt, sodann in Form des osteuropäischen (preußischen) Weges, wo der Grundherr selbst als Kapitalist fungiert, indem eine Junker-Ökonomie in eine kapitalistische Produktion übergeführt wird".
Im Gegensatz zum eher "bürgerlichen Weg", der im wesentlichen durch eine zunehmende wirtschaftliche Selbständigkeit der ehemals abhängigen Bauern geprägt war und von der wirtschaftlichen Konkurrenz um Grund und Boden, Arbeitskräfte und Produktmärkte differenzierter Betriebsformen und -größen ausging, stand beim "gutswirtschaftlichen" Weg die Modernisierung einer spezifischen Organisation im Mittelpunkt. Innerhalb der Betriebe bedeutete das beispielsweise für die Beschäftigten, keine eigenen Höfe begründen zu können, sondern spezialisierte Tätigkeiten übernehmen zu müssen, dafür Einkommen zu erhalten und Aufstiegsmöglichkeiten wahrnehmen zu können. Nach außen hieß das, daß mitunter nicht nur ein, sondern mehrere Dörfer für einen überregionalen Markt produzierten. Die "patriarchalische Genossenschaft", die Max Weber in den Gutsbetrieben sah, integrierte unterschiedliche Funktionen zu einem einheitlichen Organismus. Das Verhältnis zwischen Beschäftigten und Gutsherrn "trug", so Weber weiter, "einerseits die Eierschalen der Unterthänigkeit noch an sich, deren Beseitigung dem Gutsherrn in materieller Beziehung mindestens ebenso viele Pflichten als Rechte abgenommen hatte, es machte und macht den Arbeiter in besonders hohem Grade abhängig von der persönlichen Leistungsfähigkeit und auch von den Willkürlichkeiten des Herrn, andererseits aber begründete es eine intensive Interessengemeinschaft zwischen dem Gutsherrn und seinen Instleuten, welche diesen täglich vor Augen stehen mußte. [...] Die Gutswirtschaft war zwar ein straff monarchisch-centralisierter Organismus, aber rotz der gewaltigen Präponderanz des Gutsherrn doch eine Bewirtschaftung des Gutsareals auf gemeinsamen Gedeih und Verderb." (Weber 1892: 79). Karl Marx sah den "Adel selbst [...] wesentlich verbürgerlicht" (MEW 6: 104).
Für die Grundlagen der kapitalistischen Entwicklung bedeutete das, daß Grund und Boden für nahezu die Gesamtheit der Landbevölkerung nicht handelbar waren. Wegen der Größe eines Gutes gab es - ähnlich wie in Süd- oder Westeuropa - zwar städtische Kaufinteressen, sie betrafen jedoch nicht einzelne Wirtschaften, sondern ganze Güter. Der aus Bremen stammende Johann H. von Thünen beispielsweise pachtete ein Landgut in Mecklenburg, führte dort neuartige Bewirtschaftungsformen ein und schrieb aus einer sorgfältigen Buchführung heraus eines der bedeutendsten Frühwerke der deutschen Nationalökonomie, "Der isolierte Staat". Auch das Pächtersystem betrifft die großen Güter als ganzes. Zwar gehörten zu jedem Gut sogenannte Erbpächter, doch waren diese größeren Bauernwirtschaften Teil der Betriebsorganisation der Güter. In den Kirchenbüchern der Stadt Lübz wurden aus den "Erbpächtern" erst um 1920 "Landwirte" oder "Bauern". Daraus darf man nicht schlußfolgern, daß die privateigentumsrechtlichen Grundlagen für eine kapitalistische Entwicklung nicht vorhanden gewesen seien, sondern daß hier komplizierte großbetriebliche Organisationen gehandelt werden mußten.
Aus dem ungebrochenen Zusammenhang von großem Grundbesitz und der Kontinuität der feudalen Stellung erwuchs den neuen Unternehmern eine dominante politische Rolle: Gerichtsbarkeit und Arbeitgeberfunktion fielen weiterhin zusammen. War die starke Stellung des Adels einerseits Voraussetzung, damit diese Position gewahrt bleiben konnte, ist es andererseits auch richtig, daß diese Stellung erst durch den unternehmerischen Erfolg im Kapitalismus eine neue Grundlage erhielt. In dem Maße, wie die kleineren Landwirte und Landarbeiter frei wurden für die Lohnarbeit, wurden sie als solche verpflichtend in die betriebliche Organisation integriert. Während sich Modernisierungen in familienbäuerlich strukturierten ländlichen Regionen des Westens und Südens im wesentlichen über die Transformation familiärer Betriebskonstruktionen vollzogen (vgl. Bertaux/Bertaux-Wiame 1991; Bohler/Hildebrand 1992; Kohli 1995), geschah und geschieht dies in Ostelbien ganz wesentlich über komplizierte Wechselverhältnisse strukturbestimmender Großbetriebe und ihrer Gemeinden. Zu diesem Modernisierungspfad gehören bis heute eine tradierte Dominanz der Lohnarbeitsordnung (gegenüber der Familienarbeitsordnung) und auf Erwerbsarbeit basierte Lebenskonstruktionen und Mentalitäten der Bevölkerung (im Unterschied zu einer auf selbständigem Bauerntum beruhenden Identität). Dieser Modernisierungspfad prägt den Zusammenhang von Unternehmen und ländlicher Gesellschaft und die Zusammenhänge von wirtschaftlicher Rationalisierung, sozialer Integration und politischer Demokratie bis in die Gegenwart.
Die genannte Konstellation ermöglichte aber auch eine eigentümliche und zunehmend "kapitalistische" Modernisierungsdynamik. Die Regionen zwischen Elbe und Baltikum waren lange Gegenstand "künstlicher", also in hohem Maße exogen bestimmter und gestalteter Reformprojekte. Sie begannen mit der Besiedlung und Urbarmachung, führten weiter über die Gründer neuartiger Landgüter und große Agrarreformer (z.B. Thünen), später die nationalsozialistischen Siedlungs- und Modernisierungsprojekte, dann die sozialistische Umwälzung der Landwirtschaft, die anschließende Transformation in eine mit der westlichen "sozialen Marktwirtschaft" kompatible Ordnung bis hin zur EU-Osterweiterung und den Modernisierungs- und Globalisierungsprojekten der Gegenwart. Bereits im vergangenen Jahrhundert wurden diese Regionen Vorreiter in der kapitalistischen Modernisierung der ländlichen Gesellschaft, die sich von Anfang an in einem Spannungsverhältnis zur wechselhaften Geschichte der nationalen Integration ihrer Bevölkerungen vollzog. In Ostpreußen und Vorpommern lebten neben der deutschen und polnischen Bevölkerung weitere Minderheiten, deren Mobilisierung als Arbeitskräfte und deren Sozialintegration spannungsvoll und zeitweise konfliktreich verliefen.
Zentraler Gegenstand dieser Modernisierungsschübe war nicht der Betrieb für sich genommen. sondern die ländliche Gemeinde als Einheit von dominantem Gutsbetrieb, abhängigen oder formal selbständigen Familienbetrieben, lokalen und regionalen Infrastrukturen, Verarbeitungs- und Zulieferunternehmen, Märkten und Verwaltungen. Max Weber hat bei der Analyse der seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts ablaufenden Modernisierungsprozesse den Konflikt zwischen der Kapitalisierung der ländlichen Unternehmen und der sozialen und nationalen Integration der ländlichen Gesellschaft beobachtet und die Gefahr einer Abkopplung der Gemeinde beschrieben (Weber 1892). Damals versuchten die Gutsbetriebe, im Zuge der Rationalisierung ihre angestammten und über die Gemeinde mit dem Gut verbundenen Arbeitskräfte ("ständige Arbeiter", Tagelöhner oder Instleute) durch polnische Saisonkräfte zu ersetzen. Viele freigesetzte Gutsarbeiter wanderten aus, zumeist nach Amerika. Die betrieblichen Abläufe und Schnittstellen des Gutes wurden nach den für die Kapitalverwertung relevanten Gesichtspunkten restrukturiert, dabei wurden vorher wichtige Verbindungen von Gut und Gemeinde, von Gutsbetrieb und "kooperierenden Bauernwirtschaften" gelöst. Der Preis der Emanzipation von den feudalen Bindungen war der Verlust der Subsistenz für bestimmte soziale Gruppen der ländlichen Bevölkerung. Zugleich war dieser Konflikt ethnisch aufgeladen.
Die Alternative war ein Modernisierungspfad, der Rationalisierung und soziale Integration, somit auch Entwicklung der Unternehmen und der Gemeinden, auf neue Art verband. Dafür standen Agrarreformer und Gutsbesitzer wie von Thünen. Im Kern sollte es darum gehen, die qualifizierten Landarbeiter trotz der notwendigen Modernisierung der Betriebe und der Ersetzung feudaler Abhängigkeit durch Lohnarbeit weiter an die Betriebe zu binden und somit auch eine komplexe Beziehung von Gut, Gemeinde und Landbevölkerung zu erhalten. Thünen (1842) schuf in diesem Zuge eine Art betrieblicher Altersversorgung und ein entsprechendes Konzept vom "gerechten Lohn", das die Verzinsung des kapitalisierten Arbeitsvermögens vorsah und die Partizipation der Lohnarbeiter am Produktivitätsfortschritt durch Vermögensbildung u.a. zur Alterssicherung ermöglichen sollte. Die Beziehung von Gütern, Betrieben und Gemeinden analysierte er als "Netzwerk", wie seine Begründung der Wirtschaftsgeographie zeigt. Güter, Bauernwirtschaften und andere lebensmittelproduzierende Betrieben bilden ein "geographisch" strukturiertes System, das sich um ein Zentrum, eine Stadt oder ein Ballungsgebiet ordnete. Sering (1893) publizierte das Konzept der "inneren Kolonisation". Dabei sollten die Landarbeiter Grund und Boden zu ihrer eigenen Verfügung erhalten, den sie in Kooperation mit dem sie beschäftigenden Großbetrieb bearbeiten.
Auch spätere Modernisierungsschübe sind nicht vom Einzelbetrieb her zu verstehen, sondern als Transformationen des Zusammenhangs von Betrieben und Gemeinden, von Agrarwirtschaft und ländlicher Gesellschaft. Der konstitutive Zusammenhang von Gut (und Gutsbesitzer), Landarbeitern und Bauern (und damit räumlich der Zusammenhang von Guts- und Bauerndörfern) wurde dabei in den ostelbischen Regionen auf die eine oder andere Art - mit wechselnden Namen und teilweise unter verschiedenen Nationalflaggen - erhalten, also mittels seiner Transformationen rekonstruiert. Aber auch die prekäre Seite dieses Modernisierungspfades erschien in jeweils neuer Gestalt.
Auch die sozialistische Modernisierung der sechziger und siebziger Jahre hat mit diesem Muster experimentiert. Staatsgüter und Produktionsgenossenschaften, parallel dazu familiär geführte private Nebenwirtschaften, sowie verschiedene Netzwerke von Verarbeitungs- und Zulieferbetrieben bezogen die Gemeinden ein und wurden über diese vermittelt. Die aus mehreren LPG, Volkseigenen Gütern, Zwischenbetrieblichen Einrichtungen u.ä. bestehenden Kooperativen Abteilungen Pflanzenproduktion waren die modernen "Gutsbetriebe" der Massenproduktion - große, konzernartig strukturierte, diversifizierte und multifunktionale Agrarbetriebe. Sie dominierten die Gemeinden, bestimmten deren Funktionen als Knotenpunkte der ländlichen Gesellschaft und der Verbindung von Unternehmen, Infrastrukturen, staatlicher Verwaltung und Lebenswelt der Bevölkerung. Und die Betriebe sicherten wie früher die materiellen und finanziellen Ressourcen der Gemeinden und reproduzierten deren Infrastrukturen.

Postsozialistische Reorganisation des DDR-Produktionsmodells in der Agrarwirtschaft

Heute könnte es so aussehen, als würde die von Weber erkannte Gefahr der Abkopplung der kapitalorientierten Rationalisierung der Unternehmen von den ländlichen Gemeinden im Zuge der postsozialistischen Transformation, der Globalisierung, der EU-Osterweiterung und der Anpassung der ländlichen Wirtschaft an die ökonomischen Zwänge und technologischen Möglichkeiten der Gegenwart wieder aktuell. Unsere Hypothese, der wir z.Zt. in einer Reihe von empirischen Untersuchungen nachgehen, lautet: Der Erfolg der Agrarunternehmen in Vorpommern (und Nordostdeutschland insgesamt) beruht auf einer Rationalisierungsstrategie, die deren Entwicklung weitgehend von der Region abkoppelt und auf die Reintegration in große überregionale (wenn nicht gar globale) Netzwerke und Märkte setzt.
Nach unserem Eindruck erfolgte dabei keine grundlegende Revision der Wirtschaftsweise. Das in der DDR entstandene Massenproduktionsmodell2 wurde fortgesetzt, und zwar durch Rückschnitt auf seinen ökonomischen Kern. Der blieb erhalten, weil er in die Rahmenbedingungen einer EU-subventionierten, staatlich stark regulierten Agrarmarktwirtschaft paßte, ja sein spezifisches Rationalitätskalkül konnte unter diesen Bedingungen eher besser ausgeschöpft werden als in DDR. Deshalb gelang die "reibungslose Übernahme vorzüglicher Produktionstechniken, vor allem in der Pflanzenproduktion, in der Regel problemlos", und es kam "in relativ kurzer Zeit zu einem mit Westeuropa vergleichbaren Ertragsniveau" (Rost 1995).

Vier Schnitte genügten, um das Produktionsmodell den neuen Bedingungen anzupassen:
(1) Streichung bzw. Reduzierung aller Produktarten, die in der DDR angebaut werden mußten, um die Eigenversorgung mit Nahrungsmitteln und landwirtschaftlichen Rohstoffen sicherzustellen, obwohl dies unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht rational war (ungünstige Naturbedingungen oder ineffiziente Organisationsformen).
(2) Die Orientierung auf die Hortung und Pflege der knappsten Ressource, der Arbeitskräfte, war aufzugeben zugunsten einer Rationalisierungsstrategie, die auf Kostensenkung, vor allem Einsparung von Lohnkosten, und damit die Senkung der Arbeitskräftezahl gerichtet ist. Dies betraf einerseits den eigentlichen Kern der Tier- und Pflanzenproduktion, vor allem aber die Nebenprozesse.
(3) Beseitigung der Strukturen, die als Kompensation der typischen Rationalitätsdefizite der DDR-Planwirtschaft aufgebaut worden waren, obwohl sie unrentabel waren. Dazu gehören zunächst jene Bereiche, die als Kompensation für Mängel bei der Nutzung externer Zulieferer und Dienstleister entstanden waren (Bau, Straßenbau, Eigenbau von Maschinen und Anlagen, Rationalisierungsmittelbau, ein Teil der Lager usw.). An ihre Stelle trat das in Westdeutschland vorhandene ausgebaute Netzwerk großer Zuliefer- und Dienstleistungsunternehmen, die entsprechenden Service anbieten. Umgekehrt war ein Teil der unter DDR-Bedingungen wegen des Mangels an bestimmten Ressourcen ausgelagerten und zentralisierten Nebenprozesse zu reintegrieren, z.B. die in agrochemische Zentren verlagerten Aufgaben für Düngung und Pflanzenschutz und die in die Kreisbetriebe für Landtechnik ausgelagerten Maschinenparks.
(4) Schließlich mußten die sozialen Funktionen des Betriebes - Versorgung der Beschäftigten mit bestimmten Produkten und Dienstleistungen, Kinderbetreuung, Feriendienst usw. - aufgegeben werden, weil die damit verbundenen Kosten unter den Bedingungen einer Markwirtschaft mit am betrieblichen Gewinn orientierten Unternehmen nicht aufzubringen sind. Die sozialen Funktionen des Betriebes wurden substituiert einerseits durch den entstehenden Konsumentenmarkt für Waren und Dienstleistungen und andererseits durch staatlich finanzierte öffentliche Infrastruktur, Dienstleistungen, Sozialleistungen und Transfereinkommen.
Dies waren die Voraussetzungen dafür, die Zahl der Arbeitskräfte bei weitgehender Erhaltung der bewirtschafteten Flächen so reduzieren zu können, daß die Subventionen und die Erlöse aus der Agrarproduktion pro Arbeitsplatz ausreichen, um die Löhne und die laufenden Kosten zu decken. Für diese Transformation des staatssozialistischen in einen subventionierten Marktfordismus brauchte am Kern der Produktion innerbetrieblich faktisch nichts aufgebaut, sondern nur Überflüssiges abgebaut zu werden (vgl. ausführlicher: Land 2000: 214).
Zum Verständnis des Produktionsmodells der DDR-Agrarwirtschaft und der Transformationen der letzten elf Jahre gehört aber nicht nur die Betrachtung der einzelnen Betriebe und ihrer internen Strukturen. Vielmehr ist das wirtschaftliche Netzwerk in die Analyse der Produktionsmodelle einzubeziehen, zu dem zunächst die zuliefernden Vorproduzenten (Saatgut, Düngemittel, Zuchtbetriebe, Maschinenbau u.ä.) und die weiterverarbeitenden Betriebe (Lebensmittelwirtschaft, Lebensmittelhandel, industrielle Rohstoffverarbeitung) sowie die unterstützenden Dienstleistungsbetriebe (Infrastruktur, Bau, Pflanzenschutz usw.) gehören. Netzwerke und einzelne Betriebe sind über Schnittstellen vermittelt. Die Schnittstellen etwa zwischen Betrieb und Zulieferern oder Abnehmern oder auch zwischen Betrieb und Arbeitsmarkt sind wesentliche Bestandteile der verschiedenen Produktionsmodelle. Eine besonders wichtige Rolle spielen aber die Forschungs- und Entwicklungspotentiale (Verfahrensforschung, Zucht, Umweltforschung, Lebensmittelforschung, Betriebswirtschaft, aber zunehmend auch Sozial- und Kommunikationswissenschaften u.ä.). Hier werden die Innovationsprozesse gestaltet, und davon hängen die künftigen Entwicklungsrichtungen der Agrarwirtschaft ab: ihre Produktpalette, ihre Effektivität, ihre Wettbewerbsfähigkeit und nicht zuletzt, wie genau sie Verbraucherbedürfnisse reflektieren und beeinflussen kann. Damit aber werden mittelbar auch künftige Wertschöpfungs- und Einkommenspotentiale angelegt - und die Menge der künftig benötigten Arbeitsplätze. Die Gestalt der Schnittstelle zwischen Forschung und Entwicklung sowie produzierenden Betrieben und die Verteilung der Innovationspotentiale sagt auch sehr viel über die wirtschaftliche Gestaltungsmacht der unterschiedlichen Akteure in einem Netzwerk.
Während eine Betrachtung der einzelnen Betriebe die Unterschiede zwischen DDR und Westdeutschland hervorzuheben scheint (mittlere und kleine Familienbetriebe versus Großbetriebe), zeigt die Analyse der Schnittstellen eher die Ähnlichkeiten, den Arbeitsmarkt allerdings ausgenommen. In beiden Produktionsmodellen sind wesentliche Funktionen externalisiert. Dies betrifft nicht nur Vorleistungen (Maschinenbau, Düngemittel) oder Weiterverarbeitung, sondern gerade den sehr wichtigen Bereich der Innovationen. Neue Verfahren, neue Pflanzensorten und Hochleistungsrassen für die Tierproduktion sind das Ergebnis wissenschaftlich organisierter Innovationsprozesse außerhalb der produzierenden Agrarbetriebe. Sie erfolgen in Chemie- und Maschinenbauunternehmen, in Laboratorien und Zuchtbetrieben, in privaten und in öffentlich finanzierten Forschungseinrichtungen. Gerade dies ist ein gravierender Unterschied zu traditionellen Bauernhöfen, die ihre originalen Hofprodukte selbst entwickelten, komplexe Produktionskreisläufe gestalteten und die tradierten Verfahren ebenso wie Innovationen vor anderen geheimhielten.
Wesentliche Merkmale eines Produktionsmodells werden vor allem in der Funktionsweise des Netzwerkes der Agrarwirtschaft erkennbar. Originale Hofprodukte und hofspezifische Verfahren finden sich heute nur noch in den Nischen, bei Sonderkulturen und in wenigen Hofläden. Überall, wo standardisierte Massenprodukte - Marktfrüchte, Milch, Fleisch oder Eier - hergestellt werden, erfolgen die Produkt- und Verfahrensentwicklung und auch die Standardisierung außerhalb der Agrarbetriebe. Die Betriebe der Tier- und Pflanzenproduktion sind unselbständige Glieder eines Massenproduktionsmodells geworden, weil sie in der Wahl ihrer Produktpalette, der Vorprodukte, der gewählten Verfahren etc. kaum eigene Dispositionsmöglichkeiten haben und weil sie keine relevanten Innovationen selbst implementieren, sondern nur übernehmen.
Nun kann in einer arbeitsteiligen Wirtschaft von jedem Betrieb behauptet werden, er sei von anderen abhängig. Aber in der Art der Abhängigkeit ist zu differenzieren. Ein Betrieb, der nur in einem vorgegebenen Produktionsmodell agieren kann und kaum eigene Innovationsmöglichkeiten hat, unterscheidet sich von einem Unternehmen, das im Wettbewerb agiert, indem es neue Produkte und Verfahren entwickelt, eigene Effektivitätsressourcen aufbaut und mobilisiert, also Kapital innovativ einsetzt. Die Frage ist: Wo entsteht die Dynamik in einem wirtschaftlichen Netzwerk und welchen Handlungsraum haben einzelne Unternehmen? Wo sind die Motoren des Innovationsprozesses?
Betrachtet man Netzwerk und Schnittstellen, ist auch die kleinbetriebliche Agrarwirtschaft Westdeutschlands ein "industriemäßig" produzierendes System der Massenproduktion. Die BSE-Krise in ihrer deutschen Version hat dies sichtbar gemacht. Die kleinen Bauernhöfe Bayerns konnten nur deshalb zum Zentrum einer solchen Seuche werden, weil sie produktionstechnisch abhängige Kettenglieder eines großbetrieblichen Produktionsmodells sind, eben die nur formal selbständigen Abteilungen eines Großkonzerns, in denen nach vorgegebenen Verfahren angelieferte Saatgüter, Futtermittel (z.B. Milchaustauscher für die Kälberaufzucht) und andere Rohmaterialien, oft auch "vorproduzierte" Tiere (Ferkel, Kälber, Küken) zu Rohmilch, Eiern, Schlachttieren und Marktfrüchten verarbeitet und anschließend an die nächste Abteilung weitergegeben werden. Darauf verweist auch Hilary Tovey: "Eine bestimmte Art von ‚Familienfarmen‘ scheint besonders geeignet für diese Form der Kontrolle, bei der sich Kapital mit Wissenschaft und Technologie verbündet" (2001: 8). Die "family farmer" sind gewissermaßen die scheinselbständigen Endglieder einer massenproduzierenden, globalen Farmindustrie. Solche Agrarbetriebe, und dies ist die große Mehrzahl, ähneln viel mehr den kleinen Lieferanten der großen Autokonzerne als den Bauernhöfen des 18. und 19. Jahrhunderts. Nur von dieser Tatsache ausgehend kann man Landwirtschaft analysieren und überlegen, in welche möglichen Richtungen die weitere Entwicklung führen könnte.3
Die Ähnlichkeit des Netzwerkes und der Schnittstellen der "staatssozialistischen" und der "marktwirtschaftlichen" Massenproduktionsmodelle in Ost- bzw. Westdeutschland erklärt die "unerwartet" erfolgreichen Anpassung der DDR-Agrarbetriebe. Die Zuliefer-, Abnehmer- und Innovationsnetzwerke der westdeutschen Agrarwirtschaft, die nach der Wende auf den Osten ausgedehnt wurden, waren mit der DDR-Agrarwirtschaft weitgehend kompatibel, zuweilen gab es sogar positive Synergieeffekte. Die Zuliefernetzwerke der westdeutschen Agrarwirtschaft beseitigten die Probleme der DDR-Mangelwirtschaft. Wegen der Abnahmegarantie im Rahmen der EU-Quoten gab es kein grundsätzliches Absatzproblem. Der Anschluß an westdeutsche Großabnehmer bot in weiten Bereichen gegenseitige Vorteile. Die Umsiedlung der Pfanni-Werke nach Stavenhagen in Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise verringerte die Zahl der zuliefernden Kartoffelproduzenten von ca. 1.000 auf etwa 50 (vgl. Balling 1994). Der kleinteilige Erfassungshandel entfiel. Neu entstanden in einigen Bereichen Erzeugergemeinschaften, die eine bessere Position gegenüber den Abnehmern sichern sollten. Die Forschungs- und Innovationsnetzwerke der westdeutschen Agrarwirtschaft waren in einigen Bereichen kompatibel (Pflanzenschutz, Pflanzen- und Tierzucht beispielsweise). Für Großbetriebe relevante Forschung und Entwicklungspotentiale gab es auch im Westen, einige DDR-Einrichtungen überlebten. Genannt seien Verfahrenstechnik, Agrarökonomie, Betriebswirtschaft, Biolandbau. Sozialwissenschaftliche Untersuchungen einer großbetrieblich organisierten Agrarwirtschaft fehlten weitgehend. Während sich im Zuliefer- und im Verarbeitungsbereich wenige, im Forschungs- und Entwicklungsbereich einige Elemente aus der DDR in das vom Westen ausgedehnte neue Netzwerk integrieren konnten, ist im Lebensmittelgroß- und Einzelhandel kaum etwas übrig geblieben. Diese Bereiche waren schon im Westen sehr viel konsequenter auf Großmärkte und Massenproduktion orientiert.
Gänzlich anders ist hingegen die Schnittstelle zum Arbeitsmarkt beschaffen. Mit der Transformation entstand erstmals ein Arbeitsmarkt, auf dem zudem ein wachsendes Überangebot an Arbeitskräften verfügbar war. Wie oben bereits erwähnt, entfiel für die Betriebe damit alles, was zu DDR-Zeiten für die Hortung und Pflege der knappen Arbeitskräfte erforderlich war - ein deutlicher Rationalitätsgewinn aus der Perspektive der Agrarunternehmen. Bedingung dafür war die Lösung der für die DDR-Landwirtschaft essentiellen Identität von Betrieb und ländlichem Sozialkörper (vgl. dazu Lehmbruch/Mayer 1998: 355f.; Wiegand 1994: 64). Hier liegen die entscheidenden Veränderungen der ländlichen Gesellschaft: Das enge Verhältnis, die in einigen Funktionen vorhandene Identität von Betrieb und Gemeinde, wurde in wenigen Jahren fast vollständig aufgelöst. Dies betraf aber nicht nur die infrastrukturellen, sozialen, kulturellen und administrativen Funktionen der Betriebe. Mit der Reduktion der Beschäftigten auf ein Zehntel des ursprünglichen Bestandes (regional zum Teil sogar noch weniger) wurde die für die DDR-Landwirtschaft typische Integration von LPG und ländlicher Regionalgesellschaft auch personell aufgehoben, schon weil der Anteil der mit dem Agrarbetrieb verbundenen Bevölkerung drastisch gesunken ist. Ausdruck fand dieser Vorgang in der Reduzierung der Zahl der Beschäftigten von ursprünglich 850.000 über 590.000 (1990), 300.000 (1991), 202.000 (1992) auf 160.000 (1993). Bereits 1992 war der Arbeitskräftebesatz pro Hektar Nutzfläche deutlich geringer als in Westdeutschland. Es wird prognostiziert, daß der Abbau weitergehen wird bis auf etwa 3 Arbeitskräfte pro100 ha LN oder weniger, so daß die Zahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten bis auf 100.000 zurückgehen könnte (vgl. Wiegand 1994: 99). Ein weiterer Aspekt ist die Differenzierung der Belegschaft in kleine Kernbelegschaften (gesicherte Arbeitsverhältnisse, fixe und relativ hohe Bezahlung), Randbelegschaften (geringe Bezahlung und "Leistungsprinzip", also Bezahlung im Stücklohn oder als Scheinselbständige, prekäre Beschäftigung, also Entlassung je nach Bedarf und Führung, Nutzung von ABM u.ä.) und - oft ausländische - Saisonkräfte sowie Schwarzarbeit (vgl. Laschewski 2000: 115ff.). Erwerbsarbeit in den lokalen Großbetrieben machte nicht mehr die verbindende Identität der ländlichen Bevölkerung aus, aber auch andere Erwerbsarbeit war und ist kaum zu finden. Der Lebenskonstruktion der Landbevölkerung ging ein wesentlicher Pfeiler verloren.
Dem Rückschnitt der betrieblichen Strukturen auf den Kern eines fordistischen Massenproduktionsmodells, Trennung der Einheit von Betrieb und Sozialkörper und Anschluß an das Netzwerk der westdeutschen Agrarwirtschaft mit nur wenigen Resten aus der DDR - diesem Transformationspfad ist die Gegenläufigkeit der Entwicklungsdynamiken von Agrarunternehmen und ländlichen Regionen geschuldet. Der wirtschaftliche Erfolg und Aufstieg der Unternehmen wird gerade durch Rationalisierungsstrategien erreicht, die die Bindung an die Region und ihre Bevölkerung immer weiter ausdünnen und im Extremfall den wirtschaftlichen Niedergang der Regionen zur systematischen Folge haben: weniger Arbeitskräfte, weniger Einkommen in der Region, aber auch weniger wirtschaftliche Verflechtung mit anderen lokalen Unternehmen, abnehmende Wertschöpfungspotentiale und kaum noch eigenständige Beiträge zur Entwicklung regionaler Infrastrukturen, Verlust der Bindungen an die Gemeinden. Diese Vorgänge sind nicht als Niedergang der Agrarwirtschaft zu verstehen (und folglich ist die unspezifische Förderung der Agrarwirtschaft auch kein Ausweg), sondern als spezifische Modernisierungs-Transformation des Zusammenhangs von Unternehmen und ländlicher Gesellschaft. Es ist gerade der Erfolg dieses wirtschaftlichen Entwicklungspfads, der den ökonomischen Funktionsverlust der ländlichen Gemeinden und den sozialen und kulturellen Niedergang der betroffenen Regionen zur Folge hat.
Die ländliche Gesellschaft - so scheint es - verliert mit den Bindungen zu lokalen Unternehmen auch ihre Entwicklungsressourcen; aber nicht nur das, sie verliert mit ihren Funktionen auch Sinn, Identität und politische Legitimität. Der "gutswirtschaftliche Weg der Umgestaltung der Landwirtschaft", der bis 1989 eine pfadimanente Intensivierung erfahren hatte, strebt heute zwei entgegengesetzten Polen entgegen: Auf der einen Seite verfolgen wir die weitere Industrialisierung der betrieblichen Organisation, und andererseits sehen wir, daß die Gemeinden von diesem Prozeß abgekoppelt werden. Mehr noch: Der Erfolg der Agrarindustrie beruht auf einem exklusiven Zugang zu den Ressourcen bei minimalster Verantwortung für Bürger und Gemeinde. Die Theorien über paternalistische Lebensverhältnisse auf dem Land kommen spätestens hier an ihre Grenzen, weil es heute nicht mehr um "die Identifikation der untergeordneten Klassen mit den herrschenden Gruppen" geht (Laschewski/Siebert 2001: 34), sondern darum, sie möglichst fern zu halten. Es geht nicht um Paternalismus als Form der Inklusion der Abhängigen und Ausgebeuteten, sondern um die Exklusion der Überflüssigen durch deren Inklusion in die Ghettos und die entsprechenden "Sozialsysteme" - in die ABM-Brigaden, in die unbezahlte gemeinnützige Arbeit, in dritte Arbeitsmärkte u.ä. Den Gemeinden bleibt in diesem ungleichen Verhältnis das Management all jener Probleme vorbehalten, die die entkoppelte Agrarindustrie hinterläßt: Agrarsubventionen für die Betriebe und ABM-Brigaden für Gemeinden. Dieser Aufgabe sind die Gemeinden nicht nur personell nicht gewachsen, sondern systematisch unterlegen. Ghettoisierung und Entpolitisierung, Re-Ethnisierung sozialer Konflikte (Beispiel Ausländerfeindlichkeit), ideologische Fundamentalismen oder soziale Desintegration (Beispiel ländliche Drogenszene) erscheinen als Folge.
Kurz: Die Krisen der ländlichen Regionen Ostelbiens sind nicht Ausdruck eines Modernisierungsrückstands, sondern Folge von Modernisierungen.
Dieser Modernisierungspfad - postfordistische Restrukturierung der Massenproduktion durch Entkopplung der Unternehmen aus den spezifischen Bindungen an die ländlichen Gemeinden - wird angesichts der EU-Osterweiterung in seiner Relevanz eher zunehmen, also werden auch Krisen dieses Typs in den ländlichen Regionen Mittelosteuropas zunehmen.

Verödung der ländlichen Gesellschaft - Ghettoisierung der Landbevölkerung

Fassen wir zusammen: Die Krisen der ländlichen Regionen Ostdeutschlands beruhen auf Modernisierungs- und Rationalisierungsstrategien der Unternehmen, die sie zunehmend von der ländlichen Gesellschaft, vor allem von den Gemeinden als deren Knotenpunkten, entkoppeln und die Beziehungen zwischen Unternehmen und Gemeinden dramatisch reduzieren bzw. vereinseitigen. Die heutigen Modernisierungsprozesse führen zu einem Funktionswechsel der Gemeinden, der zunächst und bislang vor allem als Funktionsverlust wirksam wird. Dies aber zerstört zugleich auch zwei essentielle Bestandteile der traditionellen Lebenskonstruktionen der Landbevölkerung: die Arbeit in der Landwirtschaft und die Gemeinde als Knotenpunkte der Lebenswelten, der Vermittlung von ökonomischer, sozialer und kultureller Reproduktion des Lebens der Individuen.
In "normalen" Regionen, die nicht durch besondere Umstände wie touristische Highlights oder Lagen im Speckgürtel eines Ballungsgebietes begünstigt sind, in denen also keine alternativen Entwicklungspfade eingeschlagen werden können, führte der beschriebene Transformationspfad zur Verödung der ländlichen Gesellschaft, zur Ghettoisierung überflüssig gewordener Bevölkerungsteile, und äußert sich in zunehmenden Blockaden politisch-demokratischer Austragungsformen sozialer Konflikte, nicht zuletzt in den bekannten Re-Ethnisierungen sozialer Konflikte durch soziale Bewegungen mit rechtsextremer bzw. nationalsozialistischer Gesinnung und Symbolik.
Die großen Agrarunternehmen in Ostdeutschland, sofern sie ihre Existenz unter den Bedingungen des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes zwischen 1990 und 1993 sichern konnten, reagierten zwar wie oben beschrieben in der Mehrzahl erfolgreich mit einer Anpassung ihres Produktionsmodells. Aber zugleich finden große Teile der lokalen Bevölkerung in den Unternehmen der Region keine Erwerbsarbeit mehr. Die Gemeinden verlieren ihre Funktion und die Infrastruktur verarmt. Während Telekommunikation, Straßen und Dorfbeleuchtung ausgebaut werden, verschwinden Geschäfte, Post, Dorfkneipen und Restaurants, Kulturhäuser, Gemeindebüros, Unternehmensverwaltungen und Dienstleister aus den Dörfern. Buslinien werden reduziert, während die Busstationen und Wartehäuschen renoviert werden. Die Kirche wird mittels Dorferneuerung saniert, aber der Gottesdienst ist eingestellt.
Diese Charakterisierung als Verödung ist deutlich von Rückständigkeit und bloßer Verarmung zu unterscheiden, wie sie etwa in Süditalien anzutreffen sind. Rückständigkeit verweist auf Modernisierungsrückstände - die Probleme der hier betrachteten Regionen sind aber gerade Ausdruck langer Modernisierungstraditionen, die gegenwärtig durch eine Beschleunigung der Modernisierungsprozesse bei gleichzeitigem Wechsel des Modernisierungsparadigmas gebrochen werden. Rückständigkeit und Verarmung in gewissen Grenzen bedeuten nicht notwendig Verlust der Lebenskonstruktion und der Identität - bäuerliche Familienbetriebe z.B. können bis zu einem bestimmten Maß verarmen, ohne daß die Identität als selbständig wirtschaftende Bauern grundsätzlich in Frage gestellt wird. Im Unterschied dazu bedeutet die gegenwärtige Modernisierung für die an Erwerbsarbeit orientierte Bevölkerung einer industriell-agrarischen Region den massenhaften Verlust von Erwerbsarbeit und den Funktionsverlust der Landgemeinden, also den Zusammenbruch der auf landwirtschaftliche Erwerbsarbeit gegründeten Lebenskonstruktion der Bevölkerung.
Die Verödung der ländlichen Gesellschaft hat die Ghettoisierung der überflüssig gewordenen Bevölkerung zur Kehrseite. Denn auch nach dem Zusammenbruch bisheriger Lebenskonstruktionen leben die Menschen weiter, und nicht alle können fortziehen. Unter Ghettoisierung verstehen wir die Abkopplung der lebensweltlichen Reproduktionsprozesse überflüssig gewordener Individuen von denen der Gesellschaft, genauer: vom zentralen Modernisierungsgeschehen. Die ländliche Gesellschaft reproduziert sich kaum noch mittels der Unternehmen der Region, Gemeinden und Bewohner leben in der Mehrzahl von staatlichen Transfers und dem Abbau von Altvermögen der Bewohner (vor allem vom Landverkauf). Gleichzeitig entsteht eine ebenfalls partiell entkoppelte "Ghetto-"wirtschaft, zu der "dritte Arbeitsmärkte", subsistenzorientierte Nebenwirtschaften, Schwarzarbeit und Tauschhandel gehören, aber wohl auch der Teil der "alternativen" Szene der ländlichen Wirtschaft, der sich weitgehend aus Kapitalverwertung und Marktwirtschaft entbindet: Naturaltauschringe, Arbeit ohne Geld, Selbstversorgungsgemeinschaften.
In den Ghettos entstehen eigene rückgekoppelte Reproduktionsprozesse, wirtschaftliche, kulturelle, soziale Interaktionsmuster, die nur schwach und nur selektiv mit der Gesellschaft außerhalb der Ghettos verkoppelt sind. Ghettoisierung der ländlichen Gesellschaft meint also den Verlust der Bindung an das Modernisierungsgeschehen und der Teilhabe an den Modernisierungseffekten. Größere Teile der Bevölkerung werden überflüssig, auch ohne unbedingt arm zu sein, kulturelle Pluralität nimmt ab, die Bewohner verlieren politische Aktionsfähigkeit. Der sozialökonomische Desintegrationsprozeß erzeugt als Kehrseite eigene, von der Gesellschaft entkoppelte, aber zugleich auf sie bezogene bzw. unter Umständen gegen sie errichtete soziale Inklusionsfelder, eben die Ghettos. Ghettoisierung wird nicht nur erlitten, sondern auch gestaltet (was zuweilen durch romantischen Verklärung mißdeutet wird) - man lebt weiter, die Exklusion aus den Modernisierungsprozessen der Gesellschaft wird als Inklusion in die Lebenswelten der Ghettos verarbeitet. Empirisch wahrnehmbar wird dies an "abweichenden" Interaktionsmustern beispielsweise bei der Austragung von Konflikten, beim Umgang mit dem Recht, bei der kommunikativen Deutung von Öffentlichkeit und an "paradoxe Lebenskonstruktionen" (Willisch 1999), in denen unvereinbare Deutungsmuster vereint sind: Bauer ohne Land, Unternehmer ohne Umsatz, Judenfeind ohne Juden. Die Geschichte ethnisch aufgeladener Modernisierungskonflikte setzt sich im Kontext von Globalisierung, Europäischer Union und EU-Osterweiterung in sozialen Bewegungen mit nationalistischen und ausländerfeindlichen Codes fort. Die Austragung sozialer Konflikte erfolgt nicht universell über die politischen Institutionen der Gesellschaft, sondern sie wird lokalisiert, personalisiert und ethnisiert.
Auch dafür ist die Vorgeschichte dieser multiethnischen Regionen von Bedeutung, denn die mit den Modernisierungen verbundenen sozialen Konflikte zwischen Landeigentümern, Unternehmern, lohnabhängig Beschäftigten und Bauern (Familienbetriebe mit eigenen Land) waren zugleich meistens auch Konflikte zwischen kapitalistischer Modernisierung und nationaler Integration verschiedener Bevölkerungsgruppen. Sie nahmen zeitweise die Form ethnischer Auseinandersetzungen an. Schon bei der kapitalistischen Transformation der Gutsbetriebe im 19. Jahrhundert waren die verschiedenen ethnischen Bevölkerungsgruppen unterschiedlich stark in die dörfliche Gesellschaft integriert, sie hatten ungleichen Anteil am Bodeneigentum und damit unterschiedliche Interessen und Positionen in bezug auf die ablaufenden Modernisierungsprozesse. Migration und Saisonarbeit ausländischer Arbeitskräfte wurden genutzt, um das Reservoir an Lohnarbeitern für die Güter und Fabriken aufzubauen und Widerstände der einheimischen Bevölkerung gegen die Transformation bäuerlicher in industriell-agrarische Wirtschaftsstrukturen zu brechen. Der Ausschluß bestimmter Gruppen aus dem Modernisierungsgeschehen, Marginalisierung und Migration begleiteten dies.
Auch der Verlauf der sozialistischen Modernisierungswellen zeigt solche Tendenzen. Die im Ergebnis des Zweiten Weltkriegs erfolgten Migrationen (landlose Umsiedler aus dem Osten, Abwanderung der Gutsbesitzer und der vermögenden Bauern in den Westen, Marginalisierung der Modernisierungsgegner) waren soziale Voraussetzungen der Bodenreform, der Verstaatlichung der Gutsbetriebe, der Enteignung eines Teils der Bauern, der Kollektivierung der Bauernwirtschaften zu LPG, der Durchsetzung "industriemäßiger" Methoden und Strukturen in der Landwirtschaft und des Aufbaus von Industriebetrieben in den ländlichen Regionen. Die Modernisierungskonflikte zwischen Gutsbesitzern, Bauern und Landarbeitern nahmen ethnische Gestalten an: Alteingesessene vs. zugewanderte Habenichtse, "Republikflüchtige" vs. Neubauern, Altbauern vs. LPG-Bauern. Die mit der Umsiedlung verbundenen sozialstrukturellen Veränderungen waren in den 50er und 60er Jahren neben den staatssozialistischen Herrschaftsverhältnissen eine der Voraussetzungen für die Bindung relevanter Bevölkerungsteile an den sozialistischen Modernisierungspfad und für die Marginalisierung des Widerstands dagegen. In gewisser Weise können auch nach 1990 entstehende Deutungen nach dem Ossi-Wessi-Muster als Ethnisierung und damit als Entpolitisierung der aktuellen sozialstrukturellen Modernisierungskonflikte angesehen werden.
Neben dem dominanten Rationalisierungs- und Modernisierungsparadigma finden sich praktisch auch gegenläufige Prozesse. Dazu gehören solche Unternehmen, die aus dem Modell der Massenproduktion auszubrechen versuchen, ein Teil des ökologischen Landbaus, Projekte der integrierten ländlichen Entwicklung, Vereine und Organisationen, die sich um Kultur, Bildung, Ökologie, Dorferneuerung u.ä. bemühen. Dazu gehören auch soziale Bewegungen, die auf die politische Selbstorganisation und Mobilisierung der ländlichen Gesellschaft gerichtet sind. Häufig mögen solche Entwicklungen selbst dem marginalisierten Reproduktionsgeschehen innerhalb der Ghettos zuzurechnen sein - aber sie verweisen wenigstens in einigen Fällen auch auf gesellschaftsrelevante komplementäre und alternative Modernisierungspfade. Bislang aber sind endogene wirtschaftliche, kulturelle und politische Potentiale zu schwach, um den dominanten Tendenzen der Verödung und Ghettoisierung nachhaltig entgegenzuwirken. Vorerst können die Grenzen und Alternativen derzeitiger Modernisierungstendenzen nicht schlüssig aufgezeigt werden. Trotzdem scheint perspektivisch offen, ob, wie und in welchem Maße endogene ökonomische Prozesse und neue soziale Bewegungen wirksam werden.

Folgerungen für eine Soziologie der ländlichen Gesellschaft

Für eine neue Soziologie der ländlichen Gesellschaft, die nicht das Unternehmen oder die Sozialstruktur getrennt behandelt, sind drei Problemkreise zusammenzubringen:
Erstens geht es um den globalen und regionalen Übergang von einem fordistischen zu einem postfordistischen Modell der Massenproduktion im allgemeinen und um die speziellen agrarwirtschaftlichen Dimensionen, die politisch beispielsweise in der Agenda 2000 wenigstens ansatzweise zum Ausdruck kommen. Der damit verbundene Wandel der Rationalisierungsstrategien und der Erwerbsarbeit sind längst nicht abschließend analysiert.
Zweitens sind wirtschaftliche Restrukturierungsprozesse in den spezifischen historischen Kontext zu stellen, also an einen bestimmten Modernisierungspfad anzuschließen, zu dessen Spezifik in Ostelbien die dominierende Rolle von Gutsbetrieben in Wirtschaftsnetzwerken, die weitgehende Identität dieser Netzwerke mit den Gemeinden sowie die auf Erwerbsarbeit gegründete Lebensweise und Lebenskonstruktion der Bevölkerung gehören. Postfordistische Restrukturierungen müssen auf irgendeine Art an diese Voraussetzungen anknüpfen.
Drittens schließt Modernisierung nicht aus, daß alternative oder auch verschiedene parallele Modernisierungspfade konstituiert werden. Die soziologische Beobachtung komplementärer Entwicklungen und ihrer sozialen Akteure ist unerläßlich, um deterministische, monokausale Erklärungen auszuschließen. Postfordistische Restrukturierung der Massenproduktion ist eine gesellschaftlich umkämpfte Entscheidung, selbst wenn aus der Perspektive der Akteure Sachzwänge wirken.
Will man diese Problemkreise in Beziehung setzen, braucht man handhabbare soziologische Modelle, die sich aufeinander beziehen lassen. Damit ist keine geschlossene Theorie der ländlichen Gesellschaft gemeint, denn moderne Gesellschaften lassen sich nur als Zusammenhang verschiedener Sozialsysteme verstehen, die keine zentrale oder übergreifende Einheit bilden. Es geht vielmehr um die Vermittlungen zwischen Wirtschaft, Politik und Lebenswelt, die mit je spezifischen soziologischen Modellen untersucht und beschrieben werden. Dabei kommt es darauf an, diese Modelle miteinander verbinden zu können. Dies ist genau dann möglich, wenn wir versuchen, die Schnittstellen verschiedener Systeme genauer zu definieren und zu analysieren.
Nach unserer Vorstellung muß eine Soziologie ländlicher Gesellschaft sich derzeit um drei wichtige Innovationen mühen, die damit verbundenen Forschungsfelder erschließen und in Beziehung zueinander setzen:
(1) Agrarsoziologie und Agrarwirtschaft müssen das landwirtschaftliche Unternehmen in Netzwerk der Agrarwirtschaft behandeln. Wie oben ausgeführt, geht es dabei um den Zusammenhang der Strukturen innerhalb der Unternehmen und die spezifische Gestalt der Schnittstellen zum Netzwerk der Agrarwirtschaft. Einen guten Ausgangspunkt bildet das Konzept der Produktionsmodelle, das in der Industriesoziologie entwickelt wurde. Dabei handelt es sich um ein industriesoziologisches Konzept, das für die Analyse der Entwicklung und Veränderung der fordistischen Massenproduktion entwickelt wurde (vgl. Kern/Schumann 1984; 1998; Wittke 1996).
(2) Die Gemeindesoziologie hatte bislang eher als die Agrarsoziologie eine integrative Sicht auf die ländliche Gesellschaft. Die Analyse der Interaktion verschiedener sozialer Gruppen und Organisationen schließt auch die Vorgeschichte ein und behandelt den Strukturwandel pfadabhängig. Dieses Forschungsfeld könnte dann zu neuen Einsichten führen, wenn der Zusammenhang von Gemeinde, Unternehmen und Region untersucht und der Wandel dieser Verhältnisse zu dem der Produktionsmodelle in Beziehung gesetzt würde. Der Vergleich des Wandels der Produktionsmodelle mit dem der Gemeinden könnte den Zugang zum Verständnis des sozialen Strukturwandels ländlicher Regionen eröffnen.
(3) Eine Lebensweltsoziologie - wie wir sie hier einmal nennen wollen - behandelt die praktischen Lebenskonstruktionen (Lebensweise und Lebenslauf) der Bevölkerung in ihrer jeweiligen Umwelt. Ansätze dafür finden sich vor allem in der Biographieforschung, die zudem traditionell auch bei Gemeindestudien zum Einsatz kommt. Der Veränderung der Lebenskonstruktionen, der Synthese von Lebensführung und Identität, kommt eigenständige Bedeutung zu, weil Individuen eben nicht einfach durch Erwerbsarbeit und Zugehörigkeit zu verschiedenen Gemeinschaften respektive zu einer Gemeinde bestimmt sind, sondern dadurch, wie sie sich jeweils eigensinnig zu diesen Bindungen verhalten. Individualisierung und Pluralisierung sozialer Beziehungen führt auch in der ländlichen Gesellschaft zu eigendynamischen Prozessen, die auf die Arbeitswelt und die Gemeinden zurückwirken.
Nutzt man diese drei Modelle und definiert man in jedem von ihnen miteinander kompatible Schnittstellen, die sich in ihrer Veränderung beschreiben lassen, bekommt man einen komplexen Zugang zum Wandel des Verhältnisses von Wirtschaft und Gesellschaft in ländlichen Regionen.

Anmerkungen
1 Zu Großbetrieben gibt es Ergebnisse aus Statistiken, aus repräsentativen Analysen der Daten aus der Buchhaltung und aus Umfragen. Qualitative Untersuchungen liegen zu den Abläufen der Transformation vor, allerdings eher zum politischen und rechtlichen Geschehen. Es fehlen aber vergleichende Analysen der Produktionsstrukturen und der sozialen Beziehungen in und zwischen den Betrieben. Auch zu komplementären Entwicklungen, etwa dem Ökolandbau, gibt es zu wenig Daten und kaum qualitative Untersuchungen. Eine Ausnahme bilden Oberbeck/Oppermann (1996).
2 Der Terminus "Produktionsmodell" bezieht sich auf ein industriesoziologisches Konzept, das für die Analyse der Entwicklung und Veränderung der fordistischen Massenproduktion entwickelt wurde (Kern 1998; Kern/Schumann 1984; Priore/Sabel 1985, Wittke 1990: 28; vgl. auch Land 2000: 204, bes. Anm. 1).
3 Es geht uns bei dieser Feststellung nicht um Denunziation, sondern um realistische Analyse und Kritik romantischer Illusionen. Selbstverständlich war die Transformation der Bauernhöfe in Massenproduktionsbetriebe eine notwendige und alternativlose Tendenz der Industrialisierung. Sie hat viele Vorzüge: Produkte mit gesicherten Standardeigenschaften, die kostengünstig mit hoher Produktivität hergestellt werden. Auf der Tagesordnung steht nicht die Rückkehr zum traditionellen Bauernhof, sondern eine Modernisierung des Massenproduktionsmodells selbst, die ökologische Gesichtpunkte, Verbraucherinteressen und neue Handlungsfelder für die Betriebe erschließen soll.

Literatur
Ahrens, Heinz; Lippert, Chr., 1995: Agrarpolitik für die neuen Bundesländer. In: Agrarwirtschaft 44 (6), 215ff.
Balling, Richard, 1994: Horizontale und vertikale Kooperation bei der Vermarktung von Agrarprodukten in den neuen Bundesländern. In: Agrarwirtschaft 43 (3), 149ff.
Balmann, Alfons; Lotze, Hermann; Noleppa, Steffen, 1998: Agrarsektormodellierung auf der Basis "typischer Betriebe". Teil 1: Eine Modellkonzeption für die neuen Bundesländer. In: Agrarwirtschaft 47 (5), 222ff.; Teil II: Auswirkungen der "Agenda 2000" auf die Landwirtschaft in den neuen Bundesländern. In: Agrarwirtschaft 47(6), 251ff.
Barlösius, Eva; Neu, Claudia, 2001: Wildnis wagen. In: Berliner Debatte Initial 12 (6), 65ff.
Bauer, Leonhardt; Matis, Herbert, 1988: Geburt der Neuzeit. Vom Feudalsystem zur Marktgesellschaft. Nördlingen
Bertaux, Daniel; Bertaux-Wiame, Isabel, 1991: "Was du ererbt von deinen Vätern": Transmissionen und soziale Mobilität über fünf Generationen. In: BIOS 1, 13-40
Bohler, Karl-Friedrich; Hildebrand, Bruno, 1992: Bauernfamilien im Modernisierungsprozeß. Frankfurt a.M.: Campus
Brauer, Kai; Willisch, Andreas; Ernst, Frank, 1996: Intergenerationelle Beziehungen, Lebenslaufperspektiven und Familie im Spannungsfeld von Kollektivierung und Transformation: Empirische Befunde aus der Gemeindestudie "Tranlin". In: Clausen, Lars (Hg.): Gesellschaften im Umbruch. Verhandlungen des 27. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Halle an der Saale 1995. Frankfurt a.M.
Brüggemann, Beate; Riehle, Rainer, 1986: Das Dorf: Über die Modernisierung einer Idylle. Frankfurt a.M.
Clasen, Ralf, 1997: Die Transformation der Landwirtschaft in Ostdeutschland und ihre Folgen für die Agrarpolitik und die berufständische Interessenvertretung. In: Prokla 27 (3), Heft 108, 407ff.
Czada, Roland; Lehmbruch, Gerhard (Hg.), 1998: Transformationspfade in Ostdeutschland. Beiträge zur sektoralen Vereinigungspolitik. Frankfurt a.M.; New York
Eckart, Karl, 1995: Agrarstrukturelle Veränderungen in den neuen Bundesländern. In: Ders., Ökologische, ökonomische und raumstrukturelle Prozesse in den neuen Bundesländern. Berlin
Hagedorn, Konrad (Hg.), 1997: Neue Herausforderungen an die ostdeutsche Landwirtschaft. Berliner Beiträge zum Genossenschaftswesen. Humboldt-Universität zu Berlin
Kern, Horst; Schumann, Michael, 1984: Das Ende der Arbeitsteilung? München
Kern, Horst; Schumann, Michael, 1998: Kontinuität oder Pfadwechsel? Das deutsche Produktionsmodell am Scheideweg. In: Cattero, Bruno (Hg.): Modell Deutschland, Modell Europa - Probleme, Perspektiven. Opladen: Leske + Budrich
Kohli, Martin, 1995: Rural families as a model for intergenerational transmission. In: Bengtson, Vern L.; Schaie, K. Warner; Burton, Linda M. (eds.): Adult intergenerational relations: Effects of societal change. New York, 66-78
Land, Rainer, 1992: Fordismus und Planwirtschaft. In: Brie, Michael; Böhlke, Ewald (Hg.): Rußland wieder im Dunkeln. Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag
Land, Rainer, 1996: Vom Fordismus zum Öko-Kapitalismus? Überlegungen zu Regulationsprinzipien eines neuen Entwicklungspfades. In: Berliner Debatte INITIAL, Heft 6, 18ff.
Land, Rainer, 2000: Von der LPG zur Agrarfabrik. Ein Literaturbericht. In: Berliner Debatte Initial 11 (5/6), 204ff.
Laschewski, L., 2000: Die LPG-Nachfolgeunternehmen als Modell für ein neues Mitunternehmertum der Arbeitnehmer? In: Berichte über Landwirtschaft. Zeitschrift für Agrarpolitik und Landwirtschaft, 213. Sonderheft, Hamburg, 115-123
Laschewski, Lutz; Siebert, Rosemarie, 2001: Effiziente Agrarwirtschaft und arme ländliche Ökonomie? In: Berliner Debatte Initial 12 (6), 31ff.
Lehmbruch, Gerhard; Mayer, Jörg, 1998: Kollektivwirtschaften im Anpassungsprozeß: Der Agrarsektor. In: Czada/Lehmbruch (Hg.)
Marx, Karl: Die Bourgeoisie und die Konterrevolution. Neue Rheinische Zeitung Nr. 165 vom 10.12.1848. In: MEW, Bd. 6. Berlin: Dietz-Verlag
Oberbeck, Herbert; Oppermann, Rainer, 1996: Ökologischer Landbau und die Entwicklung ländlicher Räume: Startpunkte eines empirischen Projekts zu Restriktionen und Chancen für eine ökologische Kehrtwende in der Agrarwirtschaft. In: AG Sozialwissenschaftliche Technikforschung Niedersachsen: Ergebnisse, Zwischenberichte und neue Projekte III, Göttingen, 209-228
Priore, M.; Sabel, Ch., 1985: Das Ende der Massenproduktion. Berlin
Rost, Diethard, 1995: Strukturwandel der Landwirtschaft in Ostdeutschland aus betriebswirtschaftlicher Sicht. In: Agrarwirtschaft 44 (10), 329-330
Sering, Max, 1893: Die innere Kolonisation im östlichen Deutschland. Leipzig; Nachdruck Vaduz 1989
Stolze, Matthias 1997: Analyse von Entwicklungsperspektiven ökologisch wirtschaftender Großbetriebe in Ostdeutschland. In: Landbauforschung Völkenrode, Sonderheft 175, 107ff.
Thünen, Johann H. von, 1842: Der isolierte Staat in Beziehung auf Landwirtschaft und Nationalökonomie; Neudruck u.a. Stuttgart (Fischer) 1966
Tovey, Hilary, 2001: Ländliche Armut - eine politisch-ökonomische Persepektive. In: Berliner Debatte Initial 12 (6), 5-16
Weber, Max, 1984 [1892]: Die Verhältnisse der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland. In: Baier, Horst (Hg.): Max Weber Gesamtausgabe, hg. von Horst Baier Im Auftrag der bayerischen Akademie der Wissenschaften. 1. Abt., Bd. 3, 1. u. 2. Halbband, Tübingen: Mohr
Wiegand, Stephan, 1994: Landwirtschaft in den neuen Bundesländern. Struktur, Probleme und zukünftige Entwicklung. Kiel
Willisch, Andreas, 1999: Drogen am Eichberg oder Feuer im Ausländerheim. Die Ghettoisierung ländlicher Räume. In: Mittelweg 36, 8 (6), 73-87
Willisch, Andreas, 2000: Im Schatten des Aufschwungs: Von Landarbeitern, Genossenschaften und ihren Mitgliedern. Ergebnisse einer Gemeindestudie. Unveröff. Manuskr.
Willisch, Andreas; Brauer, Kai, 1997: "Das verschenkte Land": Potentiale neuer Selbständigkeit im lokalen Prüffeld. In: Thomas, Michael (Hg.): Selbständige - Gründer - Unternehmer. Passagen und Paßformen im Umbruch. Berlin
Willisch, Andreas; Brauer, Kai; Ernst, Frank, 1996: Kann eine "ABM-Brigade" die LPG ersetzen? Integration und Desintegration durch aktive Maßnahmen der Arbeitsförderung am Beispiel Tranlins. In: BISS-public, Heft 18, 81-91
Wittke, Volker, 1996: Wie entstand die Massenproduktion? Berlin

Dr. Rainer Land, Sozialwissenschaftler, Berliner Debatte INITIAL und Thünen-Institut für Regionalentwicklung Tellow e.V.
Andreas Willisch, Soziologe, Berliner Debatte INITIAL und Thünen-Institut für Regionalentwicklung Tellow e.V.