Beschäftigungspolitik statt Marktvertrauen - Alternativen gegen Abschwung und Sozialabbau

Sonderausgabe MEMO-FORUM Zirkular der "Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik"

Bremen, September 2001

ISSN: 0176-5833

1. Die wirtschaftliche Lage im Herbst

2001

Die rot-grüne Bundesregierung hat ihr Amt in der ersten Phase eines konjunkturellen Aufschwungs angetreten. Dieser setzte sich in der Folge fort, wurde durch die stürmische Entwicklung der Börsen verstärkt und führte im Jahre 2000 zu dem höchsten Wachstum des Bruttoinlandsproduktes seit dem Vereinigungsboom Anfang der 90er Jahre. Von 1998 bis 2000 hat die Zahl der Erwerbstätigen um knapp eine Million zu- und die Zahl der registrierten Arbeitslosen um rund 400.000 oder knapp 10 vH abgenommen. Die Bundesregierung hat diese Entwicklung immer wieder als Erfolg ihrer Wirtschaftspolitik verkauft, deren oberstes Ziel die Förderung der Beschäftigung sei.

Seit der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres geht das Wirtschaftswachstum jedoch wieder deutlich zurück und seit der Mitte dieses Jahres wird die Gefahr einer Rezession zunehmend realistisch. Mittlerweile nimmt die Zahl der Beschäftigten nicht mehr zu und die der Arbeitslosen ist seit Beginn des Jahres saisonbereinigt in jedem Monat gestiegen. Solange die Bundesregierung mit ihrer ,,Politik der ruhigen Hand" diese negative Entwicklung hinnimmt, gibt es keinen Grund für die Annahme, dass sich diese Krise gleichsam von selbst auflöst. Entsprechend wird die Arbeitslosigkeit am Ende der Regierungszeit fast genau so hoch sein wie an ihrem Anfang. Sowohl die zunächst verkündete Zielgröße von unter drei Millionen als auch das nach oben revidierte Ziel von 3,5 Millionen registrierten Arbeitslosen sind in diesem Jahr nicht mehr erreichbar.

In dieser Situation hat sich die Bundesregierung auf drei Reaktionen verlegt:

- Die erste besteht in der Realitätsverweigerung. Kanzler und Finanzminister haben bis in den Sommer hinein bestritten, dass der Aufschwung zu Ende ist und die alten Zielzahlen für Wachstum und Beschäftigung unrealistisch geworden sind. Hinweise auf die bereits begonnene und mit größter Wahrscheinlichkeit zu erwartende Fortsetzung der Wachstumsschwäche, die schnell in eine Rezession umschlagen kann, wurden als Schlechtrednerei abqualifiziert. Erst unter dem Druck weiter rückläufiger Wirtschaftsdaten bequemte sich die Bundesregierung zu dem Zugeständnis, dass es vielleicht etwas ungünstiger kommen könne als sie es angenommen habe. Bis heute aber hält die Verharmlosung, Schönrechnerei und das Wunschdenken der politisch Verantwortlichen an. Hierzu gehört auch die völlig unbegründete Prognose des Wirtschaftsministers, der, nachdem die Wachstumsschwäche nicht mehr zu leugnen war, für 2002 bereits wieder von einem Wachstum von 3,5 vH ausgeht. Wie die vorige hofft auch diese Bundesregierung auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft und verschlechtert mit ihrer Politik des Aussitzens die Aussichten für eine Besserung.

- Die zweite Reaktion besteht im Verweis auf das Schicksal, d.h. auf unbeeinflussbare äußere Entwicklungen wie vor allem die Ölpreissteigerungen und die Verschlechterung der Konjunktur in den USA. Der erste Hinweis wird angesichts des wieder deutlichen Rückgangs der Ölpreise im laufenden Jahr bereits widerlegt. Die Entwicklung in den USA war vorhersehbar und ist seit Jahren vom IWF, der OECD und anderen Organisationen prognostiziert worden. Wenn die Bundesregierung jetzt auf sie verweist, um die eigene Lage zu erklären, kommt dies einer Bankrotterklärung der Politik gleich, die sich offensichtlich zu jeder Gegensteuerung außerstande sieht. Eine politisch verantwortungsbewußte Strategie wäre es demgegenüber gewesen, Maßnahmen zu ergreifen, um absehbare negative außenwirtschaftliche Einflüsse durch eine Stärkung der Binnennachfrage zu kompensieren. Im übrigen ist auch darauf zu verweisen, dass im vergangenen und vermutlich auch in diesem Jahr die gesamtwirtschaftliche Entwicklung von der außenwirtschaftlichen Seite nach wie vor eher gestützt als belastet wird.

- Die dritte Reaktion ist die Suche nach Sündenböcken. Bereits im Frühjahr hatte der Bundeskanzler Arbeitslose als Faulenzer ausgemacht, die einfach keine Arbeit aufnehmen wollen. Inzwischen macht diese Denunziation der Opfer der Krise die Runde. Regierungsmitglieder und Oppositionspolitiker suchen sich im Ruf nach der Zuchtrute zu übertreffen und fordern, mehr Druck auf die Arbeitslosen und SozialhilfeempfängerInnen auszuüben. Wir halten es für skandalös, dass Politiker eines reichen und sich seiner vorbildlichen sozialen Verhältnisse rühmenden Landes mittlerweile Maßnahmen gegenüber den Schwächsten der Gesellschaft fordern, die der Einführung von Zwangsarbeit nahe kommen. Dieses Vorgehen demonstriert aber auch die nicht minder skandalöse Ahnungslosigkeit über die katastrophale finanzielle und soziale Lage, in der SozialhilfeempfängerInnen sich bereits heute befinden, ganz abgesehen davon, dass die meisten von ihnen als Kinder, Alte oder Arbeitsunfähige für eine Erwerbsarbeit gar nicht in Frage kommen. Schließlich scheint es sich auch um eine Art Panikreaktion zu handeln, mit Hilfe derer die Regierung schnell noch einige Tausend Menschen in schlecht bezahlte befristete und ungeschützte Arbeitsverhältnisse drängen will, um ihre Statistik bis zur nächsten Wahl zu schönen.

2. Ursachen der Verschlechterung

Gegenüber diesem zwischen Aggressivität und Hilflosigkeit schwankenden Umgang der Bundesregierung mit der wirtschaftlichen Situation und den Gefahren, die für Beschäftigung und soziale Sicherheit drohen, ist eine Politik erforderlich, die von einer realistischen Diagnose ausgeht. Diese muss nicht nur auf die Gesetzmäßigkeiten der zyklischen Wirtschaftsentwicklung und die Besonderheiten von verstärkenden Faktoren eingehen, die von der Entwicklung in den USA und den Finanzmärkten ausgehen. Sie muss darüber hinaus auch die Fehler und Versäumnisse der eigenen Politik thematisieren, die es zu korrigieren gilt.

- Erstens handelt es sich um einen normalen zyklischen Abschwung, dessen Gesetzmäßigkeiten die Entwicklung kapitalistischer Ökonomien seit eh und je beherrschen, und zwar um so mehr, je weniger die Politik den Anspruch hat, antizyklisch einzugreifen und Überhitzungen und Rezessionen zu vermeiden. Die Erklärung für diese Zyklizität liegt hauptsächlich in der ungleichmäßigen Entwicklung von Investitionen und Konsumausgaben, die ihrerseits wesentlich durch Verteilungsverhältnisse bestimmt wird. Wenn im Boom die gesamtwirtschaftliche Nachfrage insgesamt steigt, die Gewinne aber in höherem Tempo zunehmen, kommt es - sofern diese Gewinne investiv verwendet werden - zu einem forcierten Aufbau von Produktionskapazitäten, deren Auslastung wegen des langsameren Anstiegs der Verbrauchsausgaben früher oder später nicht mehr gewährleistet werden kann. Dies führt dann zu einem abrupten Abbruch von Investitionen, zu Entlassungen und in der Folge zu einer Einschränkung des Verbrauchs, was den Abschwung kumulativ verstärkt, bis entweder von außen oder durch politische Intervention die Nachfrage stabilisiert wird. Wenn eine solche außenwirtschaftliche oder auf die Binnenwirtschaft ausgerichtete finanzpolitische Stimulierung ausbleibt, kann sich der Abschwung zur tiefen Krise ausweiten.

- Die aktuelle Abschwächung wird zweitens durch die ,,Korrektur" des massiven, durch Spekulation überhitzten Aktienbooms der letzen drei Jahre verstärkt, der zu teilweise völlig unrealistischen, ja kriminellen Unternehmensstrategien und zu einer massiven Welle von ökonomisch vielfach nicht tragfähigen Fusionen und Übernahmen geführt hat. Die bittere Korrektur erfolgt zum einen durch gigantische Kursverluste und durch zahlreiche, teilweise spektakuläre Pleiten in der ,,New Economy", die vor wenigen Monaten noch als Einstieg in ein neues ,,goldenes Zeitalter" mystifiziert wurde. Zum anderen folgt der Fusionswelle der späten 90er Jahre nun eine ebenso massive Stillegungs- und Entlassungswelle bei denjenigen Unternehmen, die sich in den vergangenen Jahren übernommen oder unter dem Druck der Konkurrenz so viele Unternehmen aufgekauft haben, dass sie nun mit massiven Steuerungsproblemen und Überkapazitäten konfrontiert sind.

- Drittens ist damit zu rechnen, dass der Abschwung im weiteren Verlauf durch die weitgehende weltwirtschaftliche Synchronisierung verstärkt wird. Dies zeigt sich darin, dass in der EU insgesamt und in den USA das Wachstum eingebrochen ist, und Japan sich nach wie vor in einer ausgeprägten Krise befindet. Allerdings darf die negative Wirkung dieser Synchronisation im Verhältnis zu den USA und Japan nicht überschätzt werden, da Deutschland den weit überwiegenden Teil seines Außenhandels mit den anderen Ländern der EU und Europas tätigt. Erst wenn sich hier rezessive Tendenzen verstärken, würden maßgebliche Exportanteile als Ersatz binnenwirtschaftlicher Nachfrage sukzessive ausfallen, so dass die schwache Binnennachfrage stärker auf die wirtschaftliche Entwicklung und den Arbeitsmarkt durchschlagen würde.

Neben diesen objektiven - das heißt aber nicht unbeeinflussbaren - Faktoren sind jedoch vor allem politische Versäumnisse und Fehler für die deutlich verschlechterte gesamtwirtschaftliche Lage und die bedrohlichen Aussichten für Beschäftigung und Lebensstandard der Menschen verantwortlich. Denn Konjunkturen und außenwirtschaftliche Verflechtungen sind ja nichts Neues, und die Politik verfügt durchaus über Mittel, die spontanen Ausschläge einer durch Marktentscheidungen privater Akteure mehr schlecht als recht koordinierten gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zu mildern und die Gesamtentwicklung von Produktion und Beschäftigung auf hohem Niveau zu stabilisieren. Dazu dient maßgeblich die Finanzpolitik, die allerdings durch eine expansive Geldpolitik unterstützt werden muss. Dies ist aber weder auf nationaler noch auf europäischer Ebene geschehen.

3. Keine Beschäftigungspolitik in

    Deutschland

Schon das Regierungsprogramm vom November 1998 war dadurch gekennzeichnet, dass die Förderung der Beschäftigung nicht zur zentralen Aufgabe der Regierung gemacht, sondern an das trilaterale ,,Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit" verwiesen wurde, dessen Zielsetzungen und Kompetenzen aber vage blieben. Die bisherigen Runden haben gezeigt, dass unverbindliche Diskussionen und Entscheidungsunfähigkeit im Vordergrund stehen. So konnte nicht einmal über den Abbau der Überstunden eine brauchbare Übereinkunft erzielt werden. Zur Realisierung des insgesamt bescheidenen Programms gegen Jugendarbeitslosigkeit wäre ein solches Bündnis kaum erforderlich gewesen. Die Bündnisrunden wurden vielmehr von den Unternehmerverbänden immer wieder dazu genutzt, den Gewerkschaften noch mehr Lohnmäßigung und weitere Flexibilisierungen des Arbeitsmarktes zu empfehlen.

Die Reform der Einkommensteuer hat zwar eine Entlastung auch im unteren Einkommensbereich bewirkt und hätte durchaus zur Belebung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage beitragen können. Ganz abgesehen davon, dass die vergleichsweise stärkere Entlastung bei den Gewinnen und im oberen Einkommensbereich die Umverteilungspolitik der alten Regierung fortgesetzt hat, hat diese potentiell positive Stützung der Nachfrage durch den privaten Verbrauch jedoch deshalb in Wirklichkeit nicht stattgefunden, weil die rigorose Sparpolitik der Regierung vor allem die Unterstützungsleistungen für sozial schwache Schichten trifft und damit diesen durch Leistungskürzungen das wieder zu großen Teilen wegnimmt, was sie durch die Steuerreform an zusätzlichen Nettoeinkommen gewonnen haben. Soweit die Ausgabenkürzungen die Steuersenkungen kompensiert haben, ist es gesamtwirtschaftlich sogar zu einem negativen Effekt gekommen, weil die positive Wirkung von Steuersenkungen (Steuermultiplikator) geringer ist als die negative Wirkung von Kürzungen der Staatsausgaben (Staats-ausgabenmultiplikator). Entsprechend sind auch die Beschäftigungswirkungen staatlicher Ausgabenkürzungen stärker als die von Steuersenkungen.

Der entscheidende Fehler der Bundesregierung bei der Beschäftigungspolitik war der Verzicht auf eine positive Stärkung der makroökonomischen Rahmenbedingungen. Anstatt die Instrumente der Finanzpolitik antizyklisch einzusetzen und die öffentlichen Investitionen zu stärken, beschränkten sich die bescheidenen Ansätze der Beschäftigungspolitik im wesentlichen auf Arbeitsmarktpolitik. Soweit makroökonomische Perspektiven überhaupt ins Blickfeld gerieten, erschöpften sie sich in Appellen zur Lohnmäßigung. Damit setzte die Bundesregierung auch auf diesem Gebiet die Politik ihrer Vorgängerin fort, deren beschäftigungspolitische Erfolglosigkeit und soziale Schädlichkeit sie früher mit Recht kritisiert hatte.

4. Beschäftigungspolitische
Blockaden in der EU

Die Fehler der deutschen Politik sind nicht losgelöst von den Rahmenbedingungen zu sehen, die mit der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion geschaffen worden sind. Das entlastet die Bundesregierung allerdings nicht von ihrer Verantwortung, denn sie hat sich in den letzten Jahren immer wieder ausdrücklich zu dieser Art von Rahmenbedingungen bekannt und sie gegen wachsende Kritik verteidigt. Das ist um so bedauerlicher, als mit ihrem Amtsantritt die Hoffnung in der EU gewachsen war, dass die theoretisch unsinnige und praktisch kontraproduktive Austeritätspolitik, die in der EU unter dem Druck der Deutschen Bundesbank und der konservativen deutschen Regierung durchgesetzt worden war, gelockert und auf diesem Weg eine für Wachstum, Beschäftigung und Umwelt förderliche Politik möglich würde. In den ersten Monaten der neuen deutschen Regierung gab es in der Tat Ansätze zu einem Versuch einer Korrektur der Maastricht-Kriterien, die aber mit dem Rücktritt des ersten Finanzministers der rot-grünen Bundesregierung abrupt beendet wurden.

Obwohl auf dem EU-Gipfel 1999 ein europäischer Beschäftigungspakt geschlossen wurde und obwohl die EU auf dem beschäftigungspolitischen Sondergipfel in Lissabon im März 2000 das Erreichen von Vollbeschäftigung bis zum Jahre 2010 zum europäischen Schlüsselziel erklärt hat, bestehen die beiden wesentlichen makroökonomischen Blockaden für eine wirksame europäische Beschäftigungspolitik fort.

- Die erste Blockade geht von der Geldpolitik des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) und der Europäischen Zentralbank (EZB) aus. Ihre durch den Vertrag von Maastricht festgelegte fundamentalistisch enge Ausrichtung auf die Gewährleistung einer überdies viel zu restriktiv definierten Preisstabilität hat harte kontraktive Wirkungen und konterkariert finanzpolitische Maßnahmen gegen Wachstumsschwäche und zunehmende Arbeitslosigkeit. Sie ist auch keineswegs sachnotwendig, wie das Mandat der amerikanischen Zentralbank zeigt, das die Verantwortung für Preisstabilität, Beschäftigung und ein maßvolles Zinsniveau umfasst. Die europäische Geldpolitik folgt einer neoliberalen Ideologie, die Wirtschaftspolitik darauf reduzieren will, Märkte zu öffnen und die Preise stabil zu halten und um des letzteren Zieles willen auch Krisen und steigende Arbeitslosigkeit in Kauf nimmt oder sogar bewusst herbeiführt. Die Politik der sechsmaligen Zinssteigerung um insgesamt 1,75 Prozentpunkte seit Einführung des Euro, der nur zwei - zu späte und zu geringe - Senkungen um jeweils 0,25 Prozentpunkte gegenüberstehen, hat die Wachstums- und Entwicklungschancen der europäischen Wirtschaft - trotz einer stark exportfördernden Abwertung des Euro - massiv beeinträchtigt und wird eine Gegensteuerung gegen die kommende Rezession erheblich erschweren.

- Die zweite wesentliche Blockade einer europäischen Beschäftigungspolitik auf breiter Front sind die Beschränkungen, die der Stabilitäts- und Wachstumspakt von 1997 der Finanzpolitik der Mitgliedsländer auferlegt hat. Die Verpflichtung auf das vorrangige Ziel, Defizite der öffentlichen Haushalte zu vermeiden und die Politik auf Haushaltsausgleich, ja sogar auf Haushaltsüberschüsse auszurichten, nimmt den Mitgliedsländern weitgehend die Möglichkeit, durch öffentliche Konjunkturprogramme einer Rezession oder steigender Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Trotz des nachlassenden Wachstums fordert die EU in ihren ,,Grundzügen der Wirtschaftspolitik für 2001" die meisten Mitgliedsländer auf, ihre Bemühungen zur Verringerung der öffentlichen Neuverschuldung noch zu verstärken und defizitfinanzierte Nachfrage durch die öffentlichen Haushalte zu vermeiden. Dies ist eine theoretisch absurde und praktisch kontraproduktive Position, die faktisch prozyklisch wirkt, also den Abschwung verstärkt und im übrigen wegen der Steuerausfälle und zunehmender Unterstützungsleistungen für die steigende Zahl von Arbeitslosen die öffentlichen Haushalte stärker belastet und den Haushaltsausgleich in große Ferne rückt. Eine Politik des Einsparens in der Phase wirtschaftlicher Depression landet notwendigerweise in der Schuldenfalle. Es kann daher als ein erstes Zeichen der Vernunft bezeichnet werden, dass sich in den letzten Wochen einige Regierungen der EU - unter ihnen auch die deutsche - vorsichtig von dem wirtschaftspolitischen Vorrang des Haushaltsausgleichs distanziert haben. Dass dieser Ansatz zur gesamtwirtschaftlichen Vernunft allerdings noch ein recht schwaches Pflänzchen ist, zeigt sich daran, dass derartige Distanzierungen in der Öffentlichkeit regelmäßig umgehend und aufs schärfste dementiert werden.

Auch auf der Ebene der EU wird mittlerweile Lohnmäßigung als das wichtigste Instrument propagiert. Wegen der restriktiven Bindung der Geld- und Fiskalpolitik gerät die Lohnmäßigung zum Lückenbüßer für die Beschäftigungspolitik. Dabei muss klar sein, dass eine Politik des Lohnverzichts die Gesamtwirtschaft schwächt und den Arbeitsplatzabbau beschleunigt. Auch in der Arbeitsmarktpolitik nehmen die Tendenzen zu, statt auf attraktive Angebote für Arbeitslose lieber auf stärkeren Druck und weitere Disziplinierungsmaßnahmen zu setzen, um beschäftigungspolitisch erfolgreich zu sein - oder zumindest zu erscheinen. Erfreulicherweise gibt es hiergegen Widerstand in einigen Mitgliedsländern, der bis in die Regierungen hineinreicht. Hierzu gehört die deutsche Regierung bedauerlicherweise nicht. Zusammen mit der britischen spielt sie vielmehr die Vorreiterin einer ,,aktivierenden Arbeitsmarktpolitik", die immer mehr zum Gegenteil dessen wird, was vor 30 Jahren einmal unter der Überschrift ,,aktive Arbeitsmarktpolitik" als großer sozialpolitischer Fortschritt angefangen hatte.

5. Konjunktur- und beschäftigungspolitische Alternativen

Bereits im Memorandum 2001 hat die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik vor einer Politik gewarnt, die im wesentlichen auf die Marktkräfte setzt und nicht bereit ist, durch entschiedene wirtschaftspolitische Maßnahmen ihren Beitrag zur Verbesserung der wirtschaftliche Lage zu leisten. Es wurde darauf hingewiesen, dass das Vorhaben einer Haushaltskonsolidierung über strikte Ausgabendisziplin unter den Bedingungen von Massenarbeitslosigkeit, niedrigen Wachstumsraten und unvollendeter deutscher Einheit die wirtschaftliche Lage weiter verschlechtern muss, so dass sowohl der Abbau der Arbeitslosigkeit als auch die Konsolidierung des Staatshaushalts durch eine Mischung von Nichtstun und öffentliche Einsparpolitik bei den Staatsausgaben in weite Ferne rückt. Da die Bundesregierung jedoch an ihrem Kurs der wirtschaftspolitischen Untätigkeit festgehalten, weitgehend sogar den Kurs der Kohl-Regierung fortgesetzt hat, überrascht es nicht, dass die pessimistischen Prognosen mittlerweile Realität geworden sind.

Wider aller wirtschaftspolitischen Vernunft erklärt die Bundesregierung nun eine ,,ruhige Hand" zur wirtschaftspolitischen Leitlinie, womit sie ihre Tatenlosigkeit auch noch als Tugend deklariert. Die Hand wird nur bewegt, um Sozialausgaben, aber auch öffentliche Investitionen zu kürzen. Wenn nun als Folge dieser wirtschaftspolitischer Fehlentscheidungen die Steuereinnahmen entgegen der neoliberalen Verheißung, wonach großzügige Steuerentlastungen über ihre konsum-, investitions- und schließlich wachstumssteigernde Wirkungen zu höheren Einnahmen des Staates führen, zurückgehen, auch noch weitere Ausgabenkürzungen gefordert werden, wie dies von grünen Haushalts,,experten" mit Blick auf den Bundeshaushalt 2002 bereits vorgebracht wurde, besteht die Gefahr, dass die Sparideologie prozyklisch wirkt, d.h. weiterer schwerer Schaden für die Konjunktur angerichtet wird. Zwar wurden zusätzliche Ausgabenkürzungen als Reaktion auf den konjunkturellen Einbruch vom Bundesfinanzminister zunächst dementiert. Da er jedoch an dem Ziel festhält, bis 2006 einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorlegen zu wollen, und er gleichzeitig die Maastrichter Defizitquote, wonach das Defizit des öffentlichen Gesamthaushalts 3 vH des BIP nicht überschreiten darf, als Maßstab für die Konsolidierungsanstrengungen ausdrücklich bestätigt hat, ist Schlimmes zu befürchten.

Schneller als erwartet zeigt sich, wie schädlich die Festlegung einer engen Defizitquote war. Sie verhindert den notwendigen Einsatz der Neuverschuldung zur Vermeidung konjunktureller Krisen. Am Ende steigt die Neuverschuldungsquote. Denn Staatsausgaben und Bruttoinlandsprodukt sind keine voneinander unabhängigen Größen. Reduziert der Staat in Zeiten einer wirtschaftlichen Rezession seine Ausgaben, um dem Verschuldungskriterium zu genügen, verschlechtert er, wie man nun in Deutschland sieht, die wirtschaftliche Entwicklung, so dass das BIP schwächer steigt oder - im nicht unrealistischen ungünstigen Fall - sogar zurückgeht. Trotz - oder hier besser: wegen - der Sparanstrengungen erhöht sich die Defizitquote, so dass sich die Gefahr eines Teufelskreises aus stärkeren Einsparungen, weiteren Wachstumsabstrichen und weiter steigender Defizitquote ergibt. Gelingt es der Regierung in dieser Situation nicht, sich dieser Entwicklung in die Schuldenfalle zu entziehen, besteht die Gefahr, dass die Rezession in eine schwere Wirtschaftskrise umschlägt.

Vor diesem Hintergrund fordert die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik wegen der gegenwärtigen Wachstumsschwäche und der hohen und wieder steigenden Arbeitslosigkeit das Ziel des schnellen Haushaltsausgleichs zugunsten eines umfassenden Konjunktur- und Investitionsprogramms zurückzustellen. Diese Forderung widerspricht nicht einmal dem Maastrichter Vertrag, da Deutschland von der erlaubten Defizitquote von bis zu 3 vH z.Zt. noch weit entfernt ist. Sollte aufgrund anhaltender Wachstumsschwäche oder gar -stagnation die Grenzen der Defizitquote jedoch erreicht werden, darf dies nicht dazu führen, aktive Wirtschafts- und Finanzpolitik zurückzufahren, zumal es für die auf maximal 3 vH festgelegte Defizitquote keinerlei wissenschaftliche Begründung gibt. Zur Abwendung einer folgenschweren Wirtschaftsdepression ist gegebenenfalls auch eine Defizitquote hinzunehmen, die vorübergehend die Marge von 3 vH übersteigt.

Allerdings wurde bereits in den vergangenen Memoranden der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik darauf hingewiesen, dass durch eine alternative Steuerpolitik mittelfristig zusätzliche Staatseinnahmen mit einem Volumen von bis zu 240 Milliarden DM erschlossen werden können. Instrumente zur Erhöhung der Steuereinnahmen, die dann für ein aktives Beschäftigungsprogramm defizitquotenneutral zur Verfügung stünden, sind: Abschaffung des Ehegattensplittings, Wiedereinführung der Vermögensteuer, Erhebung einer Börsenumsatz-, einer Spekulations- und einer Wertschöpfungsteuer, Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität und der Steuerhinterziehung und Mehreinnahmen aus einer reformierten Ökosteuer. Da jedoch angesichts der wirtschaftlichen Lage nicht auf die Umsetzung einer wirksamen Beschäftigungspolitik gewartet werden kann, bis diese Steuermehreinnahmen kassenwirksam werden, ist eine zeitweise Erhöhung der Neuverschuldung im Sinne einer Vorfinanzierung des Wirtschafts- und Beschäftigungsaufschwungs dringend geboten.

Nur durch ein entschlossenes wirtschaftspolitisches Handeln ist das Abgleiten der gegenwärtigen Stagnation in eine schwerere Wirtschaftskrise zu vermeiden und somit der versprochene Abbau der Arbeitslosigkeit zügig in die Wege zu leiten. Im einzelnen schlagen wir folgende Maßnahmen vor:

1. Antizyklische Finanzpolitik und

    öffentliches Investitionsprogramm

Eine entschlossene Finanzpolitik bietet die Möglichkeit zur Überwindung des bedrohlichen Rückgangs beim Wirtschaftswachstum und zum Abbau der Arbeitslosigkeit. Wie oben begründet, müssen konjunkturbedingte Defizite hingenommen werden, d.h. gegenüber der bisherigen Haushaltsplanung ist nach der gegenwärtigen Lage die Nettokreditaufnahme des Bundes um deutlich mehr als 5 Mrd. DM. zu erhöhen. Zusammen mit den automatischen Stabilisatoren (im Abschwung gehen die Nettoeinkommen wegen der progressiven Einkommensbesteuerung weniger stark zurück als die Bruttoeinkommen, so dass der Rückgang der privaten Nachfrage geringer ausfällt) kann durch diese antizyklische Finanzpolitik jedoch nur eine weitere Verschlechterung der konjunkturelle Lage vermieden werden. Deshalb muss darüber hinaus mit einem öffentlichen Investitionsprogramm ein starker Wachstumsimpuls ausgelöst werden.

Öffentliche Investitionen sind in der Vergangenheit zum bevorzugten Objekt von Sparpolitikern geworden. Der dadurch erzeugte Rückgang der staatlichen Investitionsquote von 5 vH am BIP in den 60er Jahren auf zuletzt 2 vH hat zu Versäumnissen gerade auch bei der ökologischen Infrastruktur geführt. Dieser mit notwendiger Sparpolitik begründete Rückzug des Staates aus seiner Verantwortung für Forschung und Entwicklung, Bildung, Umwelt, Infrastruktur etc. stellt nicht nur eine Belastung für die heutige Generation dar, er verschlechtert auch die Chancen für zukünftige Generationen, die sich heute nicht zu Wort melden können. Diese Entwicklung ist dringend umzukehren. Wegen der bereits großen Versäumnisse in der Vergangenheit fordert die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik ein umfassendes Investitionsprogramm in einer Größenordnung von 150 Mrd. DM pro Jahr mit folgenden Schwerpunkten: Ein Sonderprogramm Aufbau Ost zur Modernisierung und zum weiteren Ausbau der Infrastruktur in Ostdeutschland (40 Mrd. DM), ein Investitionsprogramm Bildung und Kul-tur (30 Mrd. DM) und ein ökologisches

Umbauprogramm (80 Mrd. DM). Das Sonderprogramm Ost ließe sich durch ein Vorziehen der ab 2005 im Rahmen des Solidarpakts II vorgesehenen Bun-desmittel finanzieren.

    Öffentliches Investitionsprogramm für die Verbesserung der
    Infrastruktur und den ökologischen Umbau

Programm

Mrd. DM pro Jahr

1. Sonderprogramm Aufbau Ost

 

- Erneuerung der Infrastruktur der Länder und Kommunen

30,0

- zielgerichtete Investitionsförderung für ostdeutsche Unternehmen

5,0

- Stadtentwicklung einschließlich Rückbau

5,0

   

2. Bildungs- und Kulturprogramm

 

- Bildungsprogramm einschließlich Hochschulen

25,0

- Kultursonderprogramm

5,0

   

3. Ökologisches Umbauprogramm

 

- Eisenbahninfrastruktur

20,0

- ÖPNV

15,0

- Regionale Bahnverkehre

10,0

- Modernisierung Wasserver- und -entsorgung

10,0

- Energieeinsparung Gebäude

20,0

- Kraftwerke/Energieforschung

2,5

- Regionalhilfen/private Wirtschaft/Produktdesign

2,5

   

Gesamtprogramm Öffentliche Investitionen

150,0

2. Arbeitsmarktpolitik

Die anfangs viel zu optimistischen Wachstums- und Beschäftigungsprognosen der rot-grünen Bundesregierung haben die Bedeutung der Arbeitsmarktpolitik im öffentlichen Bewusstsein in den Hintergrund treten lassen. Einsparungen in diesem Bereich waren bereits fest eingeplant. Vor dem Hintergrund der sich abschwächenden Konjunktur und der wieder steigenden Arbeitslosigkeit haben sich derartige Rechnungen als Wunschdenken entpuppt. Um dennoch Einsparungen realisieren zu können, setzen sich nicht nur in der Opposition immer mehr diejenigen Stimmen durch, die den Arbeitslosen die Schuld an ihrer Erwerbslosigkeit zuweisen. Die geplante Kürzung der Ausgaben für Arbeitsmarktpolitik soll nun offensichtlich auf diesem Wege vorbereitet werden, da ein Rückgang aufgrund geringerer Arbeitslosigkeit nicht mehr in Sicht ist. Gerade angesichts der Tatsache, dass die Bundesregierung bislang über eine verbale Bekämpfung der Arbeitslosigkeit kaum hinausgekommen ist, darf den Opfern - also den arbeitslos gewordenen und den arbeitslos gebliebenen - nicht auch noch die Chance für eine Re-integration in den Arbeitsmarkt genommen werden. Statt Kürzungen im Bereich der Arbeitsmarktpolitik fordern wir daher eine Ausweitung der aktiven Arbeitsmarktpolitik, die u.a. der Qualifizierung dient. Hierfür sollen jährlich zusätzlich 25 Mrd. DM zur Verfügung gestellt werden.

3. Öffentlicher Beschäftigungssektor (ÖBS)

Da es angesichts einer Beschäftigungslücke von knapp 7 Millionen Arbeitsplätzen im Jahr 2000 bei lediglich rund 510.000 offenen Stellen völlig ausgeschlossen ist, allein über eine aktive Arbeitsmarktpolitik die Folgeprobleme der Massenarbeitslosigkeit in überschaubarer Zeit nachhaltig zu beseitigen, sind für besonders benachteiligte Gruppen, insbesondere die Langzeitarbeitslosen, Maßnahmen zu treffen, die ihnen einen Ausweg aus dem Teufelskreis von ABM - Arbeitslosigkeit - ABM - Arbeitslosigkeit etc. ermöglichen. Aus diesem Grunde fordert die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik seit langem die Einführung eines Öffentlichen Beschäftigungssektors, der sich dadurch von den Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik unterscheidet, dass er längerfristige Beschäftigungsverhältnisse sichern soll. Er beruht auf der Überlegung, dass es genug Arbeit u.a. im sozialen, kulturellen und ökologischen Bereich gibt, die aber über Marktmechanismen nicht hinreichend erschlossen werden kann. Diese Projekte des ÖBS gehen dabei von den auf regionaler Ebene festgestellten Bedarfen an bislang nicht zur Verfügung gestellten öffentlichen Leistungen aus, die durch mittelfristig angelegte Planungen abgedeckt werden und auf diese Weise unmittelbar das Angebot an Arbeitsplätzen erweitern. Für diesen Zweck sollen jährlich 55 Mrd. DM zur Verfügung gestellt werden.

4. Arbeitszeitverkürzung

Modellrechnungen zeigen, dass wegen der seit den 90er Jahren wieder steigenden Zuwachsraten der Arbeitsproduktivität die Beschäftigungswirkungen des Wirtschaftswachstums nachlassen. Deshalb gehört zu einer Politik, die die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ernst nimmt, auch eine weitere Verkürzung der Arbeitszeit. Perspektivisch fordern wir eine Verkürzung der Arbeitszeit auf 30 Stunden pro Woche als neues Normalarbeitsverhältnis. Diese Arbeitszeitverkürzung soll weitgehend mit vollem Lohnausgleich realisiert werden. Dabei können in bestimmten Fällen befristete Lohnsubventionen gerechtfertigt sein, um eine sonst nicht zustande kommende Reduzierung individueller Arbeitszeiten zu ermöglichen. Hierfür schlagen wir einen jährlichen Betrag von 10 Mrd. DM vor.

Als wichtige Schritte auf dem Weg zu einem neuen Normalarbeitsverhältnis mit sehr viel kürzeren Arbeitszeiten für alle befürworten wir ferner eine Strategie zur Ausweitung der Teilzeitarbeit. Gerade für Familien, in denen das Einkommen nicht mehr wie noch im alten Normalarbeitsverhältnis vom (männlichen) Alleinernährer aufgebracht werden muss, kann Teilzeit für beide Partner attraktiv sein, da auf diese Weise mehr Zeit für die Familie nicht mit sinkendem Familieneinkommen verbunden ist. Die zunehmende Erwerbsneigung der Frauen ermöglicht sinkende Pro-Kopf-Arbeitszeiten für den bisher Vollzeit arbeitenden Mann, wobei die Einkommensreduktion beim Mann durch zusätzliches Einkommen der Frau aufgefangen oder sogar überkompensiert wird, so dass das Familieneinkommen nicht zurückgeht. Das Anfang 2001 in Kraft getretene Teilzeitgesetz, das jedem - unter gewissen Bedingungen - grundsätzlich das Recht auf Verkürzung der Wochenarbeitszeit einräumt, ist hierzu ein wichtiger Schritt. Damit Teilzeit eine größere Bedeutung erlangt, sollte ähnlich wie in den Niederlanden die Ausweitung von - sozial vor allem im Hinblick auf die späteren Renten gut abgesicherten - Teilzeitarbeitsplätzen wesentlich stärker als bisher Gegenstand von Gemeinschaftsinitiativen der Tarifpartner werden.

Neben weiterer Schritte hinsichtlich Arbeitszeitverkürzung und Teilzeitarbeit stellt der Abbau von Überstunden einen unmittelbar durchsetzbaren und wirksamen Schritt zur besseren Verteilung des Arbeitsvolumens dar. Obwohl dies auch von der Politik grundsätzlich anerkannt wird, sind die Überstunden in der letzten Zeit kräftig ausgeweitet worden und haben sogar mit rund vier Prozent am gesamten Arbeitsvolumen im Jahr 2000 einen historischen Höchststand erreicht. Zwar wird zurecht darauf hingewiesen, dass Überstunden in einer hochentwickelten Volkswirtschaft zur Bewältigung von Produktionsengpässen in gewissem Umfang nötig sind, allerdings haben sich in ganzen Betriebszweigen Überstunden zwischenzeitlich zur Normalität entwickelt, so dass sie schon lange nicht mehr nur zur zyklischen Abdeckung von Produktionsspitzen dienen. Nach verschiedenen Studien und Schätzungen könnten Überstunden in einem Umfang abgebaut werden, dass 500.000 bis 600.000 Neueinstellungen notwendig werden.

Die Vergangenheit lehrt unmissverständlich, dass eine Strategie, die im wesentlichen auf die Selbstregulierungsfähigkeit von Marktkräften setzt und deshalb diese durch Maßnahmen der Deregulierung, Flexibilisierung, Entstaatlichung etc. zu entfesseln versucht, die Massenarbeitslosigkeit nicht nur nicht beseitigt, sondern sie auf immer höhere Niveaus treibt. Solange die rot-grüne Bundesregierung den gescheiterten Kurs der Kohl-Ära im wesentlichen fortsetzt, wird eine wirtschaftliche Ernüchterung und Enttäuschung der nächsten folgen. Es wird höchste Zeit, den Kurs zu wechseln und die im rot-grünen Koalitionsvertrag verabredete Zieltriade in den Mittelpunkt zu rücken: Arbeit, soziale Gerechtigkeit und Umwelt. Der Schwur auf Sachzwänge unterdrückt die Tatsache, dass es Alternativen der Wirtschaftspolitik gibt. Diese liegen seit langem auf dem Tisch.

Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Postfach 33 04 47, 28334 Bremen

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