Uranwaffeneinsatz

Eine humanitär-völkerrechtliche Standortbestimmung

In der Klage Jugoslawiens gegen einzelne NATO-Staaten (Legality of the Use of Force) vor demInternationalen Gerichtshof (IGH) ist ein Punkt die Verwendung von DU-Waffen...

In der Klage Jugoslawiens gegen einzelne NATO-Staaten (Legality of the Use of
Force) vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) ist ein Punkt die Verwendung von
DU-Waffen. Interessanterweise hatte das US-Verteidigungsministerium anfangs jede
Information über DU-Einsatz auf jugoslawischem Territorium unter Verweis auf das
IGH-Verfahren verweigert. Jede zu diesem Zeitpunkt gegebene Antwort könnte die
Interessen der USA in diesem Verfahren beinträchtigen. Dies kann wohl als Indiz für
eine gewisse politisch-rechtliche "Unbehaglichkeit" gewertet werden. Im übrigen
ist die offizielle NATO-Haltung zur rechtlichen Bewertung von DU-Einsatz (im
Kosovo) ebenso eindeutig wie knapp formuliert; in den Worten von Sprecher Mark
Laity auf einer Pressekonferenz am 24.1.2001: "...DU is not illegal. It is a legal
weapon of war. End of story. We used it, it`s legal."

Welche Ansatzpunkte für ein Hinterfragen dieser Position existieren, untersucht
Manfred Mohr von der Deutschen Sektion der IALANA (International Association
of Lawyers Against Nuclear Arms).

Von der Unterkommission der UN-Menschenrechtskommission wurden zwei Resolutionen
verabschiedet, die die Problematik von "weaponry containing depleted uranium" erwähnen.
Dies geschieht unter Bezugnahme auf die Menschenrechte und/oder das humanitäre
Völkerrecht sowie eine entsprechende Unvereinbarkeit. (1) Innerhalb des Haager
Jugoslawien-Tribunals (ICTY) herrscht (noch) allgemeine Zurückhaltung vor. Das von der
Anklagebehörde eingerichtete Komitee zur Untersuchung der NATO-Luftkampagne gegen
Jugoslawien verwies auf die bisherige Nichteinleitung von DU-bezogenen Verfahren "in view
of the uncertain state of development of the legal standards governing this area" (2).
Im Januar 2001 hieß es, dass bei ausreichenden Verletzungshinweisen eine Überprüfung der
Position und eine Untersuchung durch die Anklagebehörde möglich wäre.

Der Grundsatz der nicht unbeschränkten Wahl

Nach Art. 22 der Haager Landkriegsordnung von 1907 (HLKO) haben die Kriegführenden
kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel zur Schädigung des Feindes. Das Prinzip,
das in Art. 35 Abs.1 des I. Zusatzprotokolls von 1977 zu den Genfer Abkommen (ZP I) seine
Bekräftigung gefunden hat, markiert einen Grundansatz des modernen ius in bello, des
humanitären Völkerrechts. Es geht von einer "humanitären Proportionalität" aus und
durchbricht die (vorrangige) Geltung "militärischer Notwendigkeit".

Der Grundsatz der nicht unbeschränkten Wahl hat den Charakter von Gewohnheitsrecht und
von zwingendem Recht (ius cogens). Er ist von eigenständiger Bedeutung und wird durch
spezielle Waffenverbote (in Vertrags- oder Gewohnheitsrechtsform) ergänzt bzw. umgesetzt.
In seiner Ausrichtung beinhaltet er bereits die grundlegende Verpflichtung, die Regeln des
humanitären Völkerrechts im Hinblick auf Kriegsmittel und -methoden zu respektieren.

Aufgrund der Wirkungen müsste allein auf der Basis dieses Prinzips der Einsatz von
Uranmunition unterbleiben. Es besteht, nach meinem Dafürhalten, eine Rechtspflicht, nach
Alternativen zu suchen und diese ggf. zur Anwendung zu bringen. Der Vorteil von
Uranmunition liegt im - nicht mehr akzeptierten - Bereich der "militärischen Notwendigkeit":
DU, das rund doppelt so dicht ist wie (ebenfalls hochgiftiges) Blei, besitzt eine besonders hohe
Durchdringungsfähigkeit. Sie wird durch seine Entzündlichkeit noch gesteigert - also gerade
die Eigenschaft, die den Einsatz von Uranmunition so gefährlich macht. Schließlich fällt DU in
großen Mengen an und ist von daher kostengünstig. Genau unter diesen Aspekten setzten und
setzen die USA auf DU-Waffen - im Unterschied zur Bundeswehr, die Wolfram vorzieht.

Spezielle Prüfpflichten

Als unmittelbarer Ausfluss jenes Grundsatzes verpflichtet Art. 36 ZP I die Staaten, neue
Waffen auf ihre Vereinbarkeit mit dem humanitären Völkerrecht zu überprüfen. Als Maßstab
gilt neben dem Vertrags- auch das Gewohnheitsrecht. Der innere humanitäre Charakter des
Rechts des bewaffneten Konflikts, so der IGH in seinem Kernwaffengutachten, gilt "...für
alle Formen der Kriegführung und alle Arten von Waffen..., die in Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft." (3)

Von den ca. 17 - 20 Staaten, die DU in ihrem Arsenal haben sollen, ist überwiegend nicht
bekannt, ob und mit welchem Ergebnis sie ein entsprechendes Prüfverfahren realisiert haben.
Interessanterweise haben dies - ohne Vertragspartei von ZP I zu sein - die USA getan; einmal
im Jahr 1975 und einmal im Jahr 1994. (4) Die 1975iger Untersuchung führte zur
Empfehlung der Nichtanwendung von Uranwaffen, soweit Alternativen zur Verfügung
stünden; es könnte sonst (auch) eine Gefährdung für die Zivilbevölkerung geben. Die nach
dem Golfkrieg durchgeführte Untersuchung des Jahres 1994 erbrachte dagegen weit weniger
Bedenken, unter Heranziehung der bekannten "low -level"-, "low-dose"-Argumente.

Wie erwähnt, entschied man sich im deutschen Verteidigungsministerium (etwa Mitte der
80iger und erneut Mitte der 90iger Jahre) gegen eine militärische DU-Nutzung.
Ausschlaggebend sollen dafür politisch-psychologische Momente (Vorbeugen einer weiteren
"Anti-Nuklear-Debatte") bzw. Kostenaspekte (20 Mill. DM Investitionshöhe für eine
mögliche DU-Munitions-Fertigungsanlage) gewesen sein. (5) Es handelte sich mithin
weniger um ein rechtlich ausgerichtetes Prüfverfahren.

Die Verfahren nach Art 36 ZP I oder direkt gestützt auf den Grundsatz der nicht
unbeschränkten Mittelwahl laufen intern ab; sie können von den Staaten frei gestaltet werden.
Immerhin bieten sich aber rechtliche Ansatzpunkte, um detailliertere Informationen,
Untersuchungen und Bewertungen zu verlangen. Staaten, zwischenstaatliche und
Nichtregierungsorganisationen können nach den Ergebnissen von Prüfverfahren fragen. Hier
kann man die - für die Thematik insgesamt bedeutsame - besondere Verpflichtungsstruktur
des humanitären Völkerrechts (Genfer Abkommen und ZP I ) ins Spiel bringen. Gemäß dem
jeweiligen Art. 1 verpflichten sich die Vertragsparteien, die Verträge unter allen Umständen
einzuhalten und ihre Einhaltung durchzusetzen. D.h., auch ein Staat ohne DU-Waffenbesitz
kann und muss alles dafür tun, dass ein (völkerrechtswidriger) Einsatz von Uranmunition
unterbleibt.

Das Verbot der Verursachung überflüssiger Verletzungen oder unnötiger Leiden

Als Ausdruck bzw. in Anwendung des Grundsatzes der nicht unbeschränkten Wahl dürfen die
Staaten keine Waffen, Geschosse und Material einsetzen, die geeignet sind, überflüssige
Verletzungen oder unnötige Leiden zu verursachen (Art. 23 Abs. 1 e HKLO; Art. 35 Abs. 2
ZP I). Die dahinterstehende Überlegung formulierte bereits die Petersburger Erklärung von
1868, in der Präambel: "...das einzige rechtmäßige Ziel, welches sich ein Staat in
Kriegszeiten stellen kann, (ist) die Schwächung der Streitkräfte des Feindes...; ...zu
diesem Zweck (ist es) hinreichend ..., dem Gegner eine so große Zahl von Leuten als
möglich außer Gefecht zu setzen..."

Alles was darüber hinaus geht, gilt grundsätzlich als disproportional, als exzessiv. Dies ist der
Fall, wenn (feindliche) Streitkräfteangehörige über das Außergefechtsetzen hinaus durch
Uranwaffeneinsatz weit und lange danach schwere gesundheitliche Schäden oder gar einen
qualvollen Tod erleiden. Erst recht außer jedem Verhältnis ist es, wenn die Zivilbevölkerung,
die sowieso nicht als solche angegriffen werden darf, einem derartigen Leiden ausgesetzt
wird. Insoweit findet der hier behandelte Grundsatz indirekt auch auf Nichtkombattanten
Anwendung, im Sinne einer Verschärfung der schon an sich bestehenden Schutzverpflichtung.

Aufgrund ihrer spezifischen Wirkung, ihrer negativ-exzessiven Natur ist der Einsatz der
DU-Waffe im Lichte des hier behandelten Grundsatzes als völkerrechtswidrig einzustufen,
auch wenn es noch kein spezielles Verbot dieser Waffe gibt. Sollten sich
Waffen-(Einsatz-)Verbote erst aus bzw. mit speziellen Vereinbarungen ergeben, wäre das
humanitäre Völkerrecht weitgehend wirkungslos. So hat der IGH in seinem
Kernwaffengutachten die volle Anwendung der beiden "Kardinalprinzipien" dieses Rechts -
des Grundsatzes der Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten sowie
des hier behandelten Grundsatzes - auf die Nuklearwaffenproblematik erklärt und praktiziert,
mit dem Ergebnis: Kernwaffeneinsatz steht generell im Widerspruch zum humanitären
Völkerrecht (paras. 78 und ff.).

Einen Versuch, (medizinisch) näher zu bestimmen, was überflüssige Verletzungen oder
unnötige Leiden sind, stellt das SirUS-Project dar. (6) Eines der vom Projekt formulierten
Kriterien bezieht sich auf das Fehlen allgemein anerkannter und bewährter sowie einfacher
(Feldlazarett) Behandlungsmöglichkeiten. Genau davon wird man aber wohl bei den
DU-Einsatzfolgen ausgehen müssen.

Als ein besonderer Aspekt tritt der der Selbstschädigung oder -betroffenheit hinzu. Wie
Golfkriegs- und Kosovo-Szenario zeigen, gefährdet Uranwaffeneinsatz die eigene Truppe
(auch über friendly-fire-Konstellationen hinaus) bzw. die "befreundete" Bevölkerung. Dieser
Umstand erleichtert es vielleicht, derartige Waffen, wie etwa im Fall von bakteriologischen
Waffen, loszuwerden.

Der Grundsatz der Unterscheidung und das Verbot unterschiedsloser Angriffe

Dieser Grundsatz ist ebenso Ausdruck der Philosophie des humanitären Völkerrechts: Die
Kampfhandlung ist auf das Außergefechtsetzen des Gegners, des Kombattanten zu
beschränken. Zivilbevölkerung, Zivilpersonen und zivile Objekte dürfen nicht Gegenstand von
Angriffen sein. Dementsprechend sind unterschiedslose Angriffe verboten.

Neben Kampfmethoden und -arten gibt es auch bestimmte Kampfmittel - Waffen -, deren
Effekte unter keinen Umständen begrenzbar sind, wie z.B. bakteriologische Waffen. Mit
solchen Waffen vorgetragene Angriffe sind nach Art. 51 Abs. 4 c ZP I als unterschiedslose
Angriffe ausdrücklich verboten.

Ähnlich wie A-,B- und C-Waffen sind DU-Waffen in ihrer Wirkung nicht kontrollierbar. Sie
entwickeln, nach der Anwendung, ein "eigenes Leben", Effekte mit nichteingrenzbarer Zeit-
und Raumausdehnung sowie der Abhängigkeit von Zufallsfaktoren wie Wind und Wasser.
Aufgrund ihrer unterschiedslosen Wirkung stellt die Unterkommission der
UN-Menschenrechtskonvention Uranwaffen neben Massenvernichtungswaffen (Res.
1996/16, para.1). Entscheidend ist (jedoch) ihre unterschiedslose Wirkung. Insoweit kann ihre
nähere Qualifizierung als Massenvernichtungs- oder konventionelle Waffe dahingestellt
bleiben. Die Unterschiedslosigkeit ihrer Raum- und Zeitausdehnung ist jedenfalls typisch für
eine Strahlen- bzw. Giftwaffe. Für derartige Wirkungen reichen relativ geringe Mengen aus.
(7)

Auch hier bildet der Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit den Hintergrund für die Regel.
Gemäß Art. 51 Abs. 5 Buchst. b ZP I ist eine Angriffsart als unterschiedslos anzusehen, bei
der damit zu rechnen ist, dass zivile Verluste verursacht werden, die in keinem Verhältnis zum
erwarteten militärischen Vorteil stehen. Selbst wenn Uranmunition eine hochwirksame,
panzerbrechende Waffe darstellt, ist auf ihren Einsatz in Anbetracht der Langzeitfolgen und
-schäden für den zivilen Bereich zu verzichten. Die Verseuchung des Kosovo und
umgrenzender Gebiete steht in keinem Verhältnis zu den (überdies nicht sehr zahlreichen)
vernichteten serbischen Panzerfahrzeugen.

Unter dem Kapitel IV "Vorsorgliche Maßnahmen" des ZPI wird ausdrücklich verlangt, von
derartigen Angriffen Abstand zu nehmen (Art. 57 Abs. 2 a [iii] ). Bei der Angriffsplanung ist
sicherzustellen, dass Zivilpersonen bzw. zivile Objekte nicht zu Angriffszielen werden und der
Angriff nicht nach dem Protokoll verboten ist (Art. 57 Abs. 2 a [i]). Die
"zero-risk"-Kriegführung im Kosovo-/Jugoslawien-Konflikt (Angriffe aus großer Höhe) hat
eine Beachtung dieser Regeln zusätzlich erschwert und den Einsatz von Uranmunition noch
gefährlicher werden lassen.

Das Verbot der Umweltschädigung

Das moderne humanitäre Völkerrecht, speziell ZP I, verbietet den Einsatz von Waffen, die
ausgedehnte, langanhaltende und schwere Schäden der natürlichen Umwelt verursachen (Art.
35 Abs. 3; Art. 55 Abs.1). Unabhängig von der Frage, ob diese ZP-I-Regeln (als sog. neue
Regeln) nur vertragliche Bindungswirkung entfalten, ist zu beachten, dass alle drei Kriterien -
kumulativ - erfüllt sein müssen. Es ist fraglich, ob diese hohe Anwendungsschwelle,
insbesondere im Punkt der Schwere der Umweltschädigung, durch Uranwaffeneinsatz (etwa
im Kosovo) überschritten wurde.

Nichtsdestoweniger, so der IGH in seinem Kernwaffengutachten, müssen die Staaten
Umweltüberlegungen heranziehen, wenn sie bestimmen wollen, was beim Angriff auf ein
legitimes militärisches Ziel notwendig und proportional ist (para. 30). Wie sonst bei der
Bestimmung bzw. Abwägung humanitär-völkerrechtlicher Aspekte des Waffeneinsatzes
kommen auch hinsichtlich möglicher (negativer) Umweltfolgen die allgemeinen Prinzipien der
Verhältnismäßigkeit und der Unterscheidung zum Tragen.

Hinzu treten solche allgemeinen Regeln wie die des Verbots disproportionaler, nicht
gerechtfertigter Eigentumszerstörung und Verwüstung (Art. 23 Abs. 1 g HLKO; Art. 6 b
Statut des Internationalen Militärgerichtshofs [IMT]; Art. 3 b ICTY- Statut).

Schließlich kann, wie im angeführten IGH-Ansatz deutlich wird, das
"Friedens"-Umwelt-Recht herangezogen werden. Hier ist die Anwendungsschwelle
regelmäßig niedriger; "significant damage" ist ausreichend und wird bei der (angenommenen)
radiologischen/toxischen Wirkung von DU erreicht. Von Relevanz sind solche Grundsätze wie
der des Schädigungsverbots, der Pflicht zu Vorsichtsmaßnahmen sowie zu Warnung und
Information. (8)

Von diesem Hintergrund und bei einer solchen Zuordnung scheint es gerechtfertigt, dass die
Menschenrechts-Unterkommission auf die "physical effects on the environment" (Res.
1996/16, Präambel- para. 5) und der Kröning-Bericht auf das Einsatzverbot von Waffen
"which have lasting environmental pollution effects" (9) in Verbindung mit DU
hinweisen.

Das Verbot von Gift und vergifteten Waffen

Hierbei handelt es sich um ein "uraltes" Verbot, verankert, u.a. in der (2.) Haager Deklaration
von 1899, Art. 23 Abs. 1 a HKLO sowie dem Genfer Giftgasprotokoll von 1925. Auf die
Möglichkeit einer entsprechenden Argumentation - die dann besonders fest "etabliert" ist -
verweist auch der Kröning-Bericht, "(should) DU munitions be recognised as posing a
lasting radioactive and chemical poisoning threat..." (10)

(Schwermetall-)Giftigkeit bildet den hauptsächlichen Negativeffekt von Uranwaffeneinsatz.
Dies wird auch von NATO- bzw. Bundeswehrseite eingeräumt, zusammen mit dem Verweis
auf mögliche "Schutzvorkehrungen" (für militärisches Personal). DU gilt allgemein als sehr
giftig; die Grenzwerte sind entsprechend (äußerst) niedrig.

Über die Wolkenbildung und -ausbreitung kann m. E. auch ein Bezug zu Giftgas und das
betreffende Verbot hergestellt werden. Einen solchen Ansatz (hinsichtlich Kernwaffen)
verfolgt Richter Weeramantry in seiner Dissenting Opinion zum IGH-Gutachten, wobei er
betont, "...that the distinction between solids, liquids and gases has never been strictly
applied in military terminology to the words "gas"." (11)

Der Begriff Gift bzw. Giftwaffe selbst ist in den betreffenden Regeln nicht näher definiert.
Wichtige und auf DU weitgehend zutreffende Ansatzpunkte liefern die "Elements of crime",
die zu den Verbrechenstatbeständen des Statuts für den Internationalen Strafgerichtshof
(ICC) verabschiedet worden sind. Hier heißt es zum Kriegsverbrechen der
Gift-/Giftwaffen-Anwendung: "1. The perpetrator employed a substance or a weapon that
releases a substance as a result of its employment.

2. The substance was such that it causes death or serious damage to health in the
ordinary course of events, through its toxic properties..."

Zur Problematik der Nebenwirkungen findet sich im Handbuch des
Bundesverteidigungsministeriums folgende Aussage: "Unbeabsichtigte und unerhebliche
giftige Nebenwirkungen von ansonsten erlaubten Kampfmitteln sind von diesem Verbot
(Gift/Gas, M.M.) nicht betroffen". (12) Daraus ergeben sich (jedenfalls) für den
DU-Waffeneinsatz durchaus Subsumtionsmöglichkeiten: Die betreffenden Nebenwirkungen
sind nicht nur "unerheblich" und im übrigen ist es - im Lichte der bisher entwickelten
Argumentation - fraglich, ob solche Waffen "ansonsten erlaubt" sind.

Andere Regeln und Aspekte

Hier ist vor allem der Grundsatz des klassischen Haager Rechts zu nennen, wonach das
Gebiet eines dritten, konfliktunbeteiligten oder neutralen Staates unverletzlich ist. Auf diesem
Gebiet dürfen keine Kampfhandlungen stattfinden oder Schäden angerichtet werden. Dies
bezieht sich auch auf etwaige Nebenwirkungen von Kampfhandlungen oder (absolut
unzulässige) Begleitschäden. Auch dieses Prinzip, unterstreicht der IGH im
Kernwaffengutachten, findet - wie die anderen Prinzipien des humanitären Völkerrechts - auf
jedweden internationalen bewaffneten Konflikt Anwendung, unabhängig vom eingesetzten
Waffentyp (vgl. para. 89) und es "passt" auf die Konstellation und die (möglichen)
Auswirkungen von Uranwaffeneinsatz.

Nicht zuletzt sei die Martenssche Klausel erwähnt. In allen nicht von (speziellen)
Übereinkünften erfassten Fällen "...verbleiben Zivilpersonen und Kombattanten unter dem
Schutz und der Herrschaft der Grundsätze des Völkerrechts, wie sie sich aus
feststehenden Gebräuchen, aus den Grundsätzen der Menschlichkeit und aus den
Forderungen des öffentlichen Gewissens ergeben" (Art. 1 Abs. 2 ZP I).

Die Klausel dient (hier) nicht einfach nur als eine Art Auffangnorm. Sie bietet vielmehr eine
Auslegungs- und Abwägungsorientierung in Hinblick auf die humanitär- völkerrechtlichen
Grundsätze, die auf die DU-Problematik Anwendung finden (wie den der
Verhältnismäßigkeit).

Kriegsverbrechen (?)

Insgesamt bieten sich (tatbestandsseitig) folgende, substantiell bereits entwickelte
Anknüpfungspunkte:

nicht gerechtfertigte, exzessive Verwüstung, Zerstörung und Schädigung (Art. 6 b
IMT-Statut; Art. 2 d und 3 b ICTY-Statut; Art. 8 Abs. 2 b [iv] ICC-Statut);

Verursachung von Leiden oder schweren Gesundheitsbeeinträchtigungen ( Art 2 c
ICTY-Statut; Art. 8 Abs. 2 a [iii] ICC-Statut);

Einsatz von Gift, Giftwaffen oder sonstigen Waffen, die unnötige Leiden verursachen (Art.
3 a ICTY-Statut; Art. 8 Abs. 2 b [xvii] ICC-Statut);

Führen eines unterschiedslos wirkenden Angriffes mit unverhältnismäßigen Folgen im
zivilen Bereich (Art. 85 Abs. 3 b ZP I);

Gebrauch verbotener Waffen (gestützt auf Art. 23 HLKO; als [weitere] "schwere
Verletzung" des humanitären Völkerrechts) (13).

Diese tatbestandsmäßigen Ansätze sind weitgehend völkergewohnheitsrechtlich abgesichert.

Der Eintritt (völker-)strafrechtlicher Verantwortlichkeit für die Begehung derartiger
Kriegsverbrechen setzt Vorsatz bzw. Bewusstheit darüber voraus, dass bestimmte Folgen "im
normalen Verlauf der Ereignisse eintreten werden" (Art. 30 Abs. 2 b ICC-Statut). Speziell
bei unterschiedslos wirkenden Angriffen ist die vorherige Kenntnis über die nachteiligen,
exzessiven Wirkungen und Konsequenzen erforderlich.

Eine solche Kenntnis konnte man aber wohl auf Seiten der alliierten Konfliktparteien mit
Beginn des Golfkriegs, spätestens aber mit Einleitung der NATO-Luftoperation gegen
Jugoslawien voraussetzen. Davon zeugen vorliegende Untersuchungen (z.B. in Gestalt der
1974iger US-Studie) genauso wie die umfangreichen, für das Militär eingeleiteten Schutz- und
Sicherheitsvorkehrungen. Auf der individuell-subjektiven Seite (eines Politikers, Militärs) ist
dann jeweils der Schuld- und Kenntnisnachweis noch im einzelnen zu führen.

Vor diesem Hintergrund ist es gerechtfertigt, wenn die Vorsitzende der Ethik-Kommission des
Bundestages, Margot von Renesse, den Einsatz von Uranmunition als Kriegsverbrechen
verurteilt. (14) Im Sinne der umfassenden persönlichen strafrechtlichen Verantwortlichkeit
für Kriegsverbrechen (z.B. nach Art. 7 ICTY-Statut) könnte auch eine Person, die im
Rahmen von alliierten Kommandostrukturen (etwa der NATO) an der Planung, Vorbereitung
oder Ausführung des Verbrechens beteiligt war oder dazu Beihilfe geleistet hat,
verantwortlich gemacht werden.

Fast noch wichtiger und juristisch zwingender ist folgender Aspekt:

Verantwortlichkeit und Haftung

Hierbei handelt es sich um einen allgemeinen Grundsatz oder Mechanismus des Völkerrechts,
der im humanitären Völkerrecht seine spezielle Ausprägung in Gestalt von Art. 3 IV. Haager
Abkommen (1907) bzw. Art. 91 ZP I gefunden hat. Jeder Staat haftet für völkerrechtliche
Pflichtverletzungen im umfassenden Sinne. Er hat Widergutmachung und ggf. Schadenersatz
zu leisten; er muss für das pflichtwidrige Verhalten seiner Untergebenen
(Streitkräfteangehörigen) eintreten. Eine mögliche (völker-)strafrechtliche Verantwortlichkeit
solcher Personen befreit ihn hiervon nicht.

Dies ist nun die Grundlage für Forderungen und mögliche Ansprüche im Zusammenhang mit
Uranwaffeneinsatz. Sie bewegen sich auf den verschiedensten Ebenen und in den
verschiedensten Formen: Im Innenverhältnis (gegenüber eigenen, möglicherweise
geschädigten Soldaten) und im Außenverhältnis (etwa gegenüber betroffenen Zivilpersonen im
Zielgebiet); als Ansprüche auf mehr Information, Untersuchung und Transparenz, auf
Vorsichts- und Aufräummaßnahmen sowie ggf. auf Haftung und Schadenersatz, auf
Wiedergutmachung im breiten Verständnis, wozu man auch die Verpflichtung zu einer
Nichtwiederholung, zur künftigen Nichtanwendung solcher Waffen rechnen könnte.

Das ganze Versteckspiel um die möglichen Folgen von militärischem DU-Einsatz hängt
sicherlich wesentlich damit zusammen, dass eine Welle von Schadensersatzforderungen
abgewehrt werden soll. Das betrifft in erster Linie das Golfkriegs-Syndrom, das wohl in der
Tat auf ein Bündel von möglichen Ursachenkonstellationen zurückgeht, zu denen aber u.a.
auch DU gehört. (15)

Es besteht u.U. eine gesamtschuldnerische, gemeinsame oder kollektive Haftung, z.B. im Fall
von Militärkoalitionen. Soweit, wie bei DU-Einsatz, der Umweltbereich tangiert ist, könnte
eine Haftungsverschärfung in Richtung einer verschuldensunabhängigen, objektiven oder sog.
Gefährdungshaftung gegeben sein.

In diesem Rahmen bewegt sich auch das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK),
wenn es auf die völkerrechtliche Verantwortung der DU-Waffen einsetzenden Staaten
hinweist, die notwendigen Untersuchungen zur vollständigen Erfassung der Wirkungen und
möglichen Gesundheitsbeeinträchtigungen dieses Einsatzes festzustellen. Forderungen nach
mehr Information erhoben deutsche Hilfsorganisationen wie das DRK im Kosovo, aus Sorge
um die Mitarbeiter wie die Bevölkerung. Man sei über die Gefahren des DU-Einsatzes nicht
aufgeklärt worden. (16)

Schluss

Der Einsatz von Uranwaffen läuft wesentlichen Grundsätzen des humanitären Völkerrechts
zuwider, wie dem Prinzip der nicht unbeschränkten Wahl von Kriegsmitteln, dem Verbot der
Verursachung überflüssiger Verletzungen und unnötigen Leidens, unterschiedslos wirkender
Angriffe sowie von Giftwaffen.

Als Konsequenz besteht eine Verpflichtung, solche Waffen nicht mehr einzusetzen und für
ihren Einsatz eine umfassende Verantwortung zu übernehmen. Zur Bekräftigung und
Umsetzung dieser Rechtslage sollte schnellstmöglich eine spezielle Übereinkunft über die
Nichtanwendung und allgemeine Ächtung von DU-Waffen erarbeitet werden.

Vorbild stellen die B- und C-Waffen-Übereinkommen sowie der Ottawa-Vertrag dar. Als
eine Option oder Zwischenlösung bietet sich ein weiteres Zwischenprotokoll zum
UN-Waffenübereinkommen von 1980 an. (17) In jedem Fall wäre eine spezielle
DU-Übereinkunft ein wirksamer Schritt zur Durchsetzung der allgemeinen Waffenverbote des
humanitären Völkerrechts; für die Ächtung und Beseitigung dieser gefährlichen, inhumanen
Waffe unerlässlich. Für das erfolgreiche Beschreiten eines solchen Prozesses bestehen gute
Aussichten.

Anmerkungen

D
Vgl. Res. 1996/16 (para.1, Präambel-paras.1 und 6); Res. 1997/36 (Präambel-paras.1,
4 und 8).

Z
Final Report to the Prosecutor by the Committee established to Review the NATO
Bombing Campaign Against the Federal Republic of Jugoslavia, para 26.

P
I.C.J., Advisory Opinion, 08.July 1996, General List, No. 95, Legality of the Threat or
Use of Nuclear Weapons, para. 86; deutscher Text in: IALANA (Hrsg.), Atomwaffen
vor dem Internationalen Gerichtshof, Münster 1997, S. 29 ff.

1
Vgl. hierzu und zum folgenden A. McDonald, Depleted Uranium as a New Weapon, in:
IALANA, Findings of the IALANA Support Group on Depleted Uranium Weapons
Under International Law, Draft for Discussion, 09. September.2000, S. 4 ff.

2
Vgl. (nach) Die Welt, 09.01.01 (online); Berliner Zeitung, 18.01.01; Pressestatement R.
Scharping im Anschluss an die 63. Sitzung des Verteidigungsausschusses des
Deutschen Bundestages (Internet).

3
SIrUS="superflous injury or unnecessary suffering"; vgl. zum Projekt R. Coupland/P.
Herby; Review of the legality of weapons: a new Approach, in: International Review of
the Red Cross, 81(1999)No. 835, S. 583 ff.

4
Im Golfkrieg wurden immerhin rund 320 und im Kosovo-Konflikt rund 9 t DU zum
Einsatz gebracht. Vgl. (insgesamt) J. Kleffner, The Use of DU and the Prohibition of
Indiscriminate Attacks, in: IALANA, Findings, Anm. 4, S. 7 ff.

5
Vgl. R. Desgagné, The Use of Depleted Uranium and the Protection of the
Environment, in: IALANA, Findings, Anm. 4, S. 13 ff.

6
NATO Parliamentary Assembly, Civilian Affairs Committee, Kosovo and International
Humanitarian Law, Volker Kröning, Special Rapporteur, November 1999, para. 24.

10
Ebenda.

11
Dissenting Opinion of Judge Weeramantry, in: IALANA, Atomwaffen, Anm. 3, S. 244.

12
Bundesministerium der Verteidigung, Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten
Konflikten - Handbuch -, para. 434.

13
Vgl. (so, nach) Handbuch, Anm. 12, para. 1209; R. Wolfrum, Zur Durchsetzung des
humanitären Völkerrechts, in: D. Fleck (Hrsg.), Handbuch des humanitären
Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, München 1994, S. 432.

14
Vgl. (nach) Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 8.1.01, S. 1.

15
Vgl. beispielsweise G. Nicolson, Gulf War Illness. Causes and Treatments, in: Armed
Forces Medical Developments, 2001/2, S. 41 - 44. Interesanterweise hat das dänische
Verteidigungsministerium mittlerweile einen Zusammenhang zwischen Golfkriegseinsatz
und Krankheiten dänischer Golf-Veteranen, mit möglichen
Schadensersatzkonsequenzen, anerkannt; vgl. (nach) taz, Berlin, 24.01.00, S. 9.

16
Vgl. Sorge um Mitarbeiter und Bevölkerung im Kosovo. Deutsche Hilfsorganisationen
beklagen mangelnde Information über Uran-Munition, Berliner Zeitung, 13.01.01.

17
Die nächste Revisionskonferenz zum Abkommen findet in der 2. Dezemberhälfte 2001
statt.

Der vorstehende Artikel wurde redaktionell stark gekürzt. In voller Länge erscheint er
in der Zeitschrift "Humanitäres Völkerrecht - Informationsschriften".

Prof. Dr. Manfred Mohr ist Vorstandsmitglied der deutschen IALANA, Mitglied des
Academic Council der IALANA/International