Arbeit und Anmut des Boxens

Zur Einführung in den Themenschwerpunkt

Der Boxer eignet sich zum Helden verschiedener Weltsichten.

I

Radikale können in ihm den unerschrockenen Kämpfer für Freiheit und Gerechtigkeit erblicken, den Rebellen gegen das Establishment und die Ausbeutung, deren Zeichen er sichtbar und stolz trägt. Konservative bevorzugen den Garanten von Recht und Gesetz, die starke, ordnende, Unbotmäßige notfalls strafende Hand. Liberale schätzen den flexiblen Unternehmer, der sein eigenes, körperliches Kapital riskiert, um sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, und auf authentische Weise - körperlich und direkt - die Chancen des freien Wettbewerbs demonstriert. Diese Vorbilder mischen sich leicht. So ist der junge Herausforderer nicht dagegen gefeit, einmal nach oben gelangt, allein die Bedingungen seiner Regentschaft zu diktieren und schnell selbst zum Despoten zu werden. Ebenso vertragen sich konservative und liberale Vorbilder gut. Etwa, wenn der Berufsboxer als Alternative zum Sozialhilfeempfänger, zum Abhängigen von Wohlfahrt und Staat erscheint - Mike Tyson, der Bürgerschreck, kann sich immerhin zugute halten, daß seine Kinder einmal nicht auf Sozialhilfe angewiesen sein werden. Neokonservative und Neoliberale treffen sich dort, wo sie unter der Losung ,,weniger Staat!" Märkte deregulieren, Sozialleistungen kürzen und zugleich den ,,starken Staat", also ,,mehr" Staat, fordern, um die wenig Wettbewerbsfähigen oder -willigen besser kontrollieren zu können, damit sie auf die Verunsicherung ihrer Lebensverhältnisse nicht ihrerseits mit Störungen der bürgerlichen Ruhe und Ordnung antworten. Das wiederum kann dem Bild des ,,starken Mannes" als Überwinder der Kluft von Recht und Gerechtigkeit Auftrieb geben. Usf.

Gleichwohl, einen gewissen Antietatismus vertritt der Boxer in allen Richtungen, wie überhaupt der individuelle Aufstand gegen überkommene, repressive Bindungen und Institutionen im Vordergrund der gesellschaftlichen Bedeutungen steht, die Faustkämpfer und Boxer verkörpern. Als Protagonist eines modernen, liberalen Menschenbildes scheint der Boxer, besonders der Berufsboxer, mehr als andere Athleten1 eine hervorragende Verkörperung des bürgerlichen Individuums zu sein, sofern es sich bei diesem um ein Individuum im Widerstand handelt, durchaus in dem Sinne, wie Jean-Jacques Rousseau es entworfen und gelebt hat.2 Es ist ein unsicheres Individuum, das sich permanent gegen die Zumutungen und Bedrohungen der Welt zur Wehr setzen zu müssen glaubt, sich verfolgt fühlt, zu seiner Abschirmung eine eigene Gegenwelt aufbaut und zugleich kein anderes Ziel kennt, als selbst, und sei es nur kurz, in der anderen, großen Welt zu erscheinen, diese Welt anzugreifen und in sie einzudringen, um von ihr anerkannt und auch ein Teil von ihr zu werden. Für den Boxer bildet der Ring den angestrebten Ziel-Innenraum der höchsten Prüfung und Anerkennung. Die Trainingshalle - das Gym - ist Milieunische und Operationsbasis zur Vorbereitung auf diesen Gang in das Ringlicht.

Der Gegensatz von Hell und Dunkel ist eine der wesentlichen Dichotomien des Boxerdaseins und seiner spezifischen Orientierung an der Teilung in Außen- und Innenwelt, Unter- und Oberwelt. Die andere, diese Orientierung in bezug auf ihre Passierbarkeit erfassende Dichotomie ist diejenige von Hart und Weich - diese Kategorien sind Maße für Widerstandsfähigkeit und Durchsetzungsvermögen. Beide Dichotomien bilden mit vielen anderen einen Zusammenhang: stark - schwach, schwer - leicht, klar - unklar, sauber - unsauber (ungenau, unanständig), Sein - Schein u.a.

Der Helligkeitskontrast kennzeichnet den Rahmen der idealen Boxerkarriere: aus dem Dunkel durch Kampf ans Licht. Sozial ist es der Aufstieg aus armen, verachteten Verhältnissen in die Öffentlichkeit, zu Ruhm und Reichtum. Sportlich ist es der Weg aus mehr oder weniger düsteren Kellern und Trainingshallen in das gleißende Licht über dem erhobenen Ring, in dem über das Können gerichtet wird. Dazu kommt die Rede von ,,blitzartigen" Schlägen, die den Gegner ,,blenden", sein ,,Licht ausknipsen", ihn ,,(zurück) ins Dunkel schicken", bzw. davon, ihm ,,ein Licht aufzustecken", ,,Sterne sehen" zu lassen. - ,,Der Weg aus dem Nichts" des im August 2000 verstorbenen Gustav ,,Bubi" Scholz ist in der Eingangssequenz der ,,Bubi Scholz Story" (BRD, 1998) als Tunnelvision beim Gang des Boxers durch lange, dunkle Korridore zum Ring adäquat dargestellt worden. Auch ,,Girlfight" (USA, 2000) verwendet dieses Motiv, wenn die Protagonistin am Ende ihres schweren Beginns Bretter entfernt, die das Fenster der ihr zum Umkleiden zugewiesenen Rumpelkammer versperrten.

Diese Art von Lichtmetaphysik besitzt auch eine - immer axiologisch gefärbte - kognitive Dimension, die sich aus der Ontologie von Innen und Außen ergibt. Der Boxer - der einzelne in Potenz - sieht sich einer in ihrer Komplexität und Korruptheit konfusen und opaken Welt gegenüber. Kampf, Sieg und Niederlage ordnen die Verwirrung durch komparative Erzeugung einer klärenden Hierarchie. Im Ring muß sich das wahre Leistungsvermögen zeigen, dessen Höhe in die Abhängigkeit von der Einhaltung des Berufsethos in Training und Lebensweise gestellt wird. Technisch verlangt Erfolg im Kampf das geschickte Schaffen, Erblicken und Nutzen von fenstergleichen Lücken - Öffnungen - in der Deckung des Gegners (z.B. Max Schmelings berühmtes heureka! vor dem ersten Kampf gegen Joe Louis: ,,Ich habe etwas gesehen ..."). ,,Psychokrieg" und ähnliche Täuschungsmanöver in der Vorbereitung, Finten im Ring, ein insgesamt kunstvolles Spiel mit Wahrheit und Lüge sind Mittel, um ,,klare Treffer" zu landen und ,,klare Siege" zu erzielen, keineswegs bloß Kraft und Schnelligkeit. Kämpfe werden im Kopf entschieden, lautet die Trainerweisheit. Ein weiterer Teil dieses Strebens ist die Erhebung von Schmerzerfahrungen zu einem Mittel, Gewißheit über die eigene Physis, Fähigkeit und Moral zu erlangen. Das Leiden ist ebenfalls ein pädagogischer Schlüssel, um zu bisher verschlossenen, meist ,,tiefen" Welten und Daseinsebenen vorzudringen. So sind die Ideale Evidenz und Transparenz Teil eines komplexen Diskurses um Wahrheit und Wahrhaftigkeit auf Seiten des Boxers selbst. Die Durchsicht ist Bedingung für das Sich-Durchschlagen.

Das Durchdringen ist die Tätigkeit des Boxers - ein Durchsehen bzw. Hindurchsehen und Durchschlagen im wörtlichen und übertragenen Sinn, wie es mit dem Boxer als vorbildlichem Kämpfer beim Überwinden von Widerständen verbunden wird. Der Punch ist nicht bloß ein Angriff auf den Gegner, also ein äußerer Druck auf die Oberfläche und eine äußere, prägende Formveränderung, sondern wesentlich ein Passieren, ein Durchbohren der Oberfläche. Der Angreifer geht über sich hinaus und dringt tief in den Gegner ein und durch ihn hindurch, indem er ihn ,,durchschüttelt" und verletzt. Um Mike Tyson zu dämonisieren, wird u.a. gern seine Drohung zitiert, er versuche absichtlich, seinem Gegner ,,das Nasenbein ins Gehirn zu treiben". Sie entspricht in ihrer Direktheit der Logik der Sache (vornehmlich des Berufsboxens). Der Punch ist definiert als ,,Faustschlag von erheblicher Durchschlagskraft". Glorifizierte Boxer wie Muhammad Ali sagen deshalb auch nichts anderes: ,,Ich will unbedingt Joe Frazier, ich will meine Faust in seiner Nase".3

Dieses Perforieren und Penetrieren hat ,,natürlich" starke sexuelle Konnotationen, weshalb die Niederlage für den deutlich besiegten Mann eine besondere Demütigung bedeuten kann. Doch selbst dann, wenn der Sieg eine Vergewaltigungsphantasie verwirklicht, reduziert sich der Durchbruch nicht darauf (ebenso wie das Tor im Fußball sich nicht in der Anspielung auf seine Herkunft aus einem Fruchtbarkeitskult erschöpft). Das boxerische Durchdringen umfaßt außer den erwähnten visuellen, kognitiven Vorgängen auch die psychische Konzentration unmittelbar vor und im Kampf - ein durch den Gegner Hindurchsehen und das über ihn Hinwegsehen, wodurch er anonym und in der Antizipation überwindbar wird -, weiterhin das Übersichhinauswachsen des Athleten, das Durchbrechen der eigenen Leistungsgrenzen, den umwerfenden K.o. als Beseitigung des Hindernisses auf dem Weg zur Spitze und erst dann den Ausbruch aus bedrängenden sozialen Verhältnissen. Schließlich verweist auch die direkte Verknüpfung von Sexualität, Gender und Gewalt(spiel) selbst auf ein Streben nach Transparenz und Ordnung, welche ja immer eine Neuordnung ist. Der verbreitete Kurzschluß von Boxen mit Gewalt und Vergewaltigung verkürzt und verarmt auch die symbolisierten Geschlechterbeziehungen und damit den Zusammenhang von Kampf, Liebe, Erotik und Sexualität. So gerät der rituelle Übergang von Altem zu Neuem aus dem Blick. Solche innovativen Übergänge zu begleiten, war schon einer der Zwecke traditioneller Faustkämpfe, sofern sie als Teil von Totenfeiern (ein Ursprungskontext der Spiele in Olympia), Agrar- und Hochzeitsritualen stattfanden.4 Der Faustkampf war hier gewissermaßen der Kaiserschnitt der symbolischen Geburtshilfe für das Neue (und mithin schon damals nicht zoologisierend auf einen Kampf um Begattungsvorrechte zu reduzieren). Im Boxen ist die kinetische Identifikation von Sex bzw. Liebe und Gewalt aber nur das eine Extrem in der Bewertung von Durchdringungsaussichten, das andere ist die unter klassischen Berufsboxern verbreitete axiologische Entgegensetzung von Kampf und Sex besonders in der unmittelbaren Kampfvorbereitung, die sich in der Angst vor der Verweichlichung äußert.5

Die Wertdichotomie von hart und weich beruht auf der Weltenteilung und dem daraus folgenden Problem des Grenzverkehrs, denn Grenzschutz und Grenzüberwindung verlangen eine doppelte Härtung: das Panzern zur Verteidigung gegen die Anfechtungen der jeweiligen äußeren Welt und das Wappnen für den Angriff auf diese. Härte ist die elementare, allerdings nicht naturgegebene physische, psychische und ethisch-moralische Voraussetzung des Durchboxenkönnens. Sie ist Mittel und Ziel der Erziehung des Boxers. Die Erziehung umfaßt das ,,Stählen" von Körper und Geist, die auch eine Übung in Sachlichkeit und ,,Kälte" ist, das schmerzhafte Erlernen der Boxtechniken und der dafür erforderlichen hochkomplizierten Bewegungsfähigkeit, mehr noch Askese, Disziplin und Beständigkeit in der Lebensweise, eine entsprechende Unerbittlichkeit gegen sich selbst, um das äußerst belastende Training und die Bestrafungen durch Schläge im Wettkampf (,,the punishment") durchzustehen u.a.m. Sofern es sich beim Weg des Boxers um eine Initiationspassage handelt - für den Mann, der Familie und Heimat sucht oder bloß sich ,,bessern" will -, ist sie immer ein Umweg. Kein Umweg ist dem Kämpfer selbst gestattet, er muß durch die Wände mitten hindurch. Er hat sich im direkten, frontalen Angriff zu bewähren und den Durchbruch dort zu suchen, wo der Widerstand am größten ist. Dieser besondere Härtezwang, der zugleich ein Verlangen ist, bedingt sozusagen den Horror mollitiae. Aufgrund der im Boxen prominenten, direkten Verknüpfung von Härte- und Durchdringungsphantasie mit dem traditionellen Männlichkeitsideal stellt das Auftauchen der Boxerin, die ja zusätzlich auch noch die Genderbarriere überwinden muß, eine ungeheure Herausforderung dar (wenn sie nicht als Witz abgetan wird). Das gilt für den ideellen Preisboxer in der Rolle des vorbildlichen Mannes, für den Widerstandskämpfer ist die Boxerin kaum eine Provokation. Denn der sozialpolitischen Boxpoetik zufolge stehen beide im Widerstand. Gemeinsam ist beiden der Kampf gegen die Hermetik der Systeme, auch die Auflehnung gegen übermäßige Reglementierung, Institutionalisierung des Zweikampfes, gegen die Verwaltung des Boxens selbst. Verwaltungen und Paragraphengerichtsbarkeit sind ihnen Verweichlichungen. Deshalb kann nach der Errichtung des Rechtsstaates das Kämpfen mit bloßen Händen (,,bare-knuckle-fighting") immer wieder ein Symbol für wirkliche Härte und Freiheit gegenüber dem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert entstehenden Handschuhboxen nach den sogenannten Queensbury-Regeln (1867) werden.

Das wohl wirksamste Protestzeichen radikalen Einsatzes ist denn auch nicht die gepolsterte, sondern die nackte Faust. Der Handschuh ist nicht bloß weiches Material (der paradoxerweise als Schutz der Hände den Sport gefährlicher gemacht hat, weil mit ihm der Kopf zur bevorzugten Trefferfläche werden konnte), er ist als altes Mittel der Rechtspflege auch juridisch weich. Er bedeutet die Tendenz zur Verstaatlichung von Recht und Gewalt und ist insofern ein Zeichen der Entfremdung, der Entindividualisierung und des Autonomieverlustes.

II

In den neunziger Jahren erlebte die Bundesrepublik die eigenartige Parallelität von neoliberalem Zeitgeist und einer Konjunktur des Berufsboxens.6 Die erwünschte gesellschaftliche Erneuerung begann insofern eher mit einem Schlag (und Kick) als mit dem geforderten ,,Ruck". Eine gesteigerte Popularität des Berufsboxens gilt in Westeuropa und Nordamerika gemeinhin als Zeichen sogenannter harter Zeiten, in denen es keine oder wenig(er) wirtschaftliche und soziale Sicherheit gibt.7 In solchen Zeiten, so heißt es, komme es darauf an, ,,sich durchzuschlagen", indem man ,,den Gürtel enger schnallt", ,,die Ärmel hochkrempelt", ,,harte Bandagen" anlegt und eben das ,,Schicksal in die (eigenen) Hände nimmt" und notfalls auch ,,die Ellenbogen gebraucht". In entsprechenden, oft sozialdarwinistisch gespeisten Diskursen bedeutet Boxen dann außer Askese und Disziplin besonders: 1. Wettkampf und Konkurrenz mit asymmetrischem, selektivem und finalem Ausgang (das signalisierte in der Bundesrepublik eine Verschiebung von der Kooperations- und Kompromißkultur zu einer Konfrontationskultur) und 2. einen kombattanten Individualismus. Zur Verdeutlichung der Einbettung des Boxens und seiner Motive Resistenz und Rebellion, Transparenz und Penetration in die Gegenwart solcher Zusammenhänge sowie der Modifikationen, die seine Bedeutungen dabei erlangen können, sei auf eine narrative und eine ikonische Darstellung aus dem Bereich der Kunst verwiesen.8

Signifikant ist einmal das Eindringen des Box-Bildes in die Kinderliteratur. Die wohl für Kinder ab etwa vier Jahren gedachte, klassische mythische Figuren verwendende Bild-Text-Geschichte ,,Der Boxer und die Prinzessin" von Helme Heine nimmt ihren Beginn mit folgender Belehrung des ,,zarten, empfindsamen" Nashornkindes Max (wohl eine Anspielung auf Max Schmeling) durch seinen als leitender Bürokrat portraitierten Vater: ,,Das Leben ist hart [...] Du mußt lernen, dich zu verteidigen. Und vor allem: Schaff dir eine dicke Haut an!" Der Ausgang der Geschichte legt gegenüber diesem Einsatz als wirkliche Lehre nahe, daß eine Panzerung - mit Boxhandschuhen und Ritterrüstung - der Liebe und dauerhaftem Glück im Wege steht.9 Die Geschichte läßt sich insofern als Kritik am pugilistischen Zeitgeist lesen, gleichwohl enthält sie auch affirmative Momente, indem sie mit dem Boxmilieu assoziierte traditionelle Geschlechterverhältnisse bekräftigt. Denn vor die Idylle mit Prinzessin wird eine traditionelle kämpferische Karriere, der siegreiche Umweg ohne Liebe und Familie gelegt. Bemerkenswert an dieser Erzählung ist der deutliche thematische Zusammenhang des Motivs von Boxen und Kampf mit dem Transparenzideal. Die Boxhandschuhe selbst - als eine die Ritterrüstung ergänzende Panzerung - bezeichnen auch den Verschluß des Innenlebens. Nachdem eine, im wörtlichen Sinne, zu ,,dünne Haut" als für das Leben nachteilig eingeführt wurde (sie verrät, datenschutzrechtlich gelesen, private Absichten und Taten), erscheint das Transparenzideal am Ende in Gestalt einer Herzensgemeinschaft von Mann und Frau, für die eine ,,dünne Haut" gerade von Vorteil sei, und schließlich in einer mit dem Bild eines Glaspalastes angedeuteten, gleichsam öffentlich ausgeübten und ob ihrer Aufgeklärtheit sehr populären Regentschaft des späteren Königspaares.

Ähnlich klar ist auch Keith Harings Skulptur ,,Boxers" (1987), die 1998 am neubebauten Potsdamer Platz aufgestellt wurde. Sie ist Teil des Kunstkonzeptes der DaimlerChrysler AG für ihr dortiges Areal. Die Kunstwerke sollen ,,Freude und Lebendigkeit" vermitteln und zur Diskussion über die Beziehung von Kunst und urbaner Architektur anregen: ,,Es wurden Kunstwerke ausgewählt, denen unübersehbar ein eigenständiger Auftritt gegenüber der Architektur zukommt und die sich durch Publikumsnähe auszeichnen."10 Haring (1958 - 1990) verfolgte einen entsprechend hohen kunstpolitischen Anspruch: ,,Ich denke, öffentliche Skulpturen sollten unsere Umweltwahrnehmung auf aggressive Weise positiv verändern. Für mich würde die wirkungsvollste öffentliche Skulptur als visuelle und körperliche Unterhaltung funktionieren."11 Damit stellt sich die Frage, ob die Skulptur sich auf der Höhe der gesellschaftlichen Probleme befindet, und wie sie sich zu den kunstgeschichtlichen Vorbildern verhält, die mindestens ebenso verschiedenartig sind wie die pugilistischen Weltanschauungen.

Berühmte epochentypische, sehr elaborierte Abstraktionen bzw. Konkretisierungen des realen Boxers und seines Tuns sind z.B. Alexander Archipenkos äußerst geometrische und dabei ungeheuer physische Verspannung der Gegner im Tanz (,,Boxers (La Lutte or the Fight)", 1913/14), George Wesley Bellows Goyaeske Gewalt- und Schreckensvisionen des Kampfes (,,Both Members of This Club", ,,Stack at Sharkey's", 1909), Mahorni Mackintosh Youngs Verwandlung von Kampfbewegungen in die Lichtreflexionen von Bronzepaaren (z.B. ,,Right to the Jaw", 1926/27), Paul Klees energisch zum Sieg strebender ,,Läufer (Haker-Boxer)" (1920), George Grosz' sportiver Ingenieur als automatisierter Mensch (,,Der neue Mensch" 1921; ,,Sportsmann", 1922) und seine Verewigung des zeitgenössischen Kämpfertypus - der ,,Idee des Mannes im Ring" - im Portrait Max Schmelings (1926) oder aber Hannah Höchs Photo-Demontage der ,,starken Männer" (1931). Neuere Arbeiten sind z.B. Joseph Sheppards gemalte Kreuzabnahmen (,,Descent from Ring", 1984) oder die Darstellung felsenhafter Ruhe und Kraft und damit zugleich der gewissen fossilen Qualität des Boxers durch Alfred Hrdlicka (,,Boxer I", ,,Boxer II", Bronzen nach Marmorvorlagen, 1995).

An diesen Werken fällt auf, daß sie ihr Thema oft nur anhand einer Figur ohne Widerpart darstellen. Youngs Kampfszenen, die noch sehr realistisch und damit ,,sportlich" erscheinen, zeigen dagegen zwei Boxer, und zwar wie die meisten Plastiken dieser Art in klarer räumlicher Trennung. Haring wiederum demonstriert die Idee der Durchdringung durch weitgehende Aufhebung eben dieser Trennung. Hierin steht er eher Archipenko nahe.

Verglichen vor allem mit den klassischen Werken scheinen Harings ,,Boxer" sehr schlicht und kunstlos. Die Konstruktion ist eine plakative Reduktion auf die eine Idee. Indem sie von allen sozialhistorischen Konkreta abstrahiert, läßt sie an Deutlichkeit sozusagen nichts zu wünschen übrig und bleibt so offen. Es ist eines seiner ,,Icons", das in seiner statischen und damit auffallend undramatischen, sachlich-nüchternen Gestalt die Nähe zur Karikatur wahrt, der dieses Motiv bis dahin vorbehalten war. Bei aller Modernität der Abstraktion - Stahlskulpturen dieser Form und Größe assoziieren wirtschaftsgeschichlich zunächst die vergangene Epoche der Montanindustrie, die einen Hintergrund für den Aufstieg des Boxsports bildete. An diesem Ort wird ihre Monumentalität natürlich auf die Konfrontation der modernen Wirtschaftsgiganten hin gedeutet, als Symbol für den Kampf der gobal players (sonst eher mit Sumo-Ringern illustriert), der hier, wohl durch deren Fusion, den alten Ost-West-Gegensatz ersetzen soll.12 Da die Unternehmen mit dem demonstrativen Gegenüber von Sony-Center und Daimler-City auch schon selbst ästhetisch unübersehbar repräsentiert sind, ist auch eine weniger ,,von oben" gedachte Sinngebung naheliegend. Die Skulptur steht am ansonsten noch fehlenden Übergang vom Kulturforum (Bibliothek, Museen, Philharmonie) zu einem an der New Economy orientierten Dienstleistungsraum. Sie fungiert als Torspruch: Sie verlassen das friedliche Forum von Geist und Kunst und betreten die Kampfzone der Angestellten und ihrer Prestigeunterhaltung.

Was solchen Polarität und Konfrontation hervorhebenden Blicken13 entgeht, ist deren Resultat: die Vereinigung (real: Umarmung) in der Agonie am Ende des Kampfes als Zeichen des Friedens und des Respekts, deren Homoerotik so oft hervorgehoben wird. Es wäre nun verfehlt, diese - zerstörerisch vereinigende - Durchdringung, die in vielen Arbeiten Harings erscheint, psychologisierend vorwiegend oder gar ausschließlich mit seiner bekannten Homosexualität in Verbindung zu bringen. Entscheidend für die Bedeutungen der Interpenetration scheint vielmehr ihr Bezug zu nicht-westlichen kultischen und künstlerischen Bildquellen zu sein. Die Skulptur gehört zu einer Gruppe14, die ihre Entstehung u.a. der Inspiration durch HipHop, Break Dance und vor allem der Capoeira verdankt.15 Die Capoeira ist ein äußerst athletischer und akrobatischer afrobrasilianischer Zwei-Kampftanz, der zu Musik in einem Kreis von rhythmisch klatschenden und singenden Zuschauern aufgeführt wird und heute in den Großstädten der nördlichen Hemisphäre als Trendsport gilt. Interessant daran ist nicht allein die Synthese von Tanz und Kampf, mit der Haring die Verbindung zur der bahnbrechenden rhythmischen Raumskulptur Archipenkos sowie den von ihr mitangeregten Plastiken ,,Mensch" (1918) und ,,Dreiklang" (1919) Rudolf Bellings, denen sie mit zum Vorbild diente, oder auch zu dem tänzerischen Gestus von Klees Figur herstellt. Noch wichtiger scheint, daß die Capoeira eine vom Geist der Brüderlichkeit und Harmonie gekennzeichnete gemeinsame Raum- und Figurengestaltung ist, was sich z.B. in der Bildung von Brücken (,,spider-moves") u.ä. spannungsreich vereinigenden Stilelementen durch die (männlichen und weiblichen) Partner-Gegner äußert. ,,Work with your brother, share space in relation to time" lautet das Motto. Die körperlichen Durchdringungen in diesen Skulpturen ist also ein Motiv vollständiger Integration.

Außerhalb von Harings Serie und versetzt an den neuen deutschen Standort gehen solche Bedeutungen, die dominierende, Konfrontation und bloß zerstörerische Vereinigung hervorhebende Boximages unterlaufen, leicht verloren. Dennoch: Was auf den ersten Blick wie eine schlichte Karikatur auf den Status quo erscheint, erweist sich bei genauerem Hinsehen als geradezu unamerikanischer Kommentar zu einem ,,amerikanisiertem Raum".

III

Die Widerstandspoetik des Boxers ist nicht nur eine bildhafte Erzählung über ihn, sondern wesentlich eine Medium seiner Selbstkonstitution. Der Widerstand und die Gewinnung der notwendigen physischen und moralischen Härte verlangen vom Boxer und der Boxerin in der Phase des Herausforderung wie in derjenigen der Meisterschaft ein ebenso permanentes Arbeiten - an einzelnen Fähigkeiten ebenso wie an sich selbst als ganzem Individuum. Das ist, wie Loïc Wacquant formuliert, ,,the bout before the bout", der Kampf, der den allergrößten Teil der Zeit und Aufmerksamkeit beansprucht. Diese Arbeit ist in erster Linie Kampf mit sich selbst, denn sie bedeutet Anstrengung, Überwindung, Entbehrung, das Ertragen von Eintönigkeit und Schmerzen u.v.a.m. Da also die Vorbereitung bei weitem nicht nur Fitneß-, Technik- und Taktiktraining ist, sondern, vor allem für die Neulinge, die Erlangung einer diesen Anforderungen entsprechenden Lebensweise einschließt, muß sie zu einer anderen Person mit neuer Athletik, Ethik und Ästhetik führen. Der Übergang in eine andere Welt, das Erreichen der ,,höheren Ebene der Existenz", erfordert die Erschaffung eines neuen Menschen - sich selbst neu zu erfinden, dies ist letztlich der schwer zu entdeckende Schlüssel zum Glück.

Die hier versammelten Aufsätze befassen sich auf unterschiedliche Weise mit der Produktion des Boxers und der Boxerin im Gym und im Ring, in der Literatur und im Film. Dabei steht nicht ihre Arbeit im technischen Sinne im Mittelpunkt, sondern die Erzeugung sozialer, ethisch-moralischer Qualitäten, die Konstruktion von Identitäten - sozialer, ethnischer und solcher des sozio-kulturellen Geschlechts.16 Das geschieht überwiegend aus der Innenperspektive heraus und empirisch. Trotz der langen Boxgeschichte ist über die Tätigkeit und Motivation der Protagonisten relativ wenig Zuverlässiges bekannt. Es ist ein Glücksfall, daß einige der Autoren und Autorinnen selbst in der einen oder anderen Form boxen oder geboxt haben und zu diversen Vorurteilen Stellung nehmen können. Vorurteile und auch Legenden rühren jedoch nicht allein von empirischen Lücken, sie entspringen auch einem gesellschaftlichen Bedürfnis nach Poetisierung und Mythisierung des Faustkämpfers, besonders des professionellen. Da auch ,,wirkliche", vor allem professionelle Boxer und Boxerinnen unter Einbeziehung solcher Erzählungen erzogen werden, ist die Untersuchung ihrer belletristischen und filmischen Formen keine schöngeistige Zugabe, sondern für das Verständnis des Berufes selbst wesentlich; die Boxgeschichte, das Selbstverständnis der legendären Boxer und das heutige Bild von ihnen werden von seinen medienästhetischen Produktionsformen mitgeprägt. Deshalb verdienen diese Formen z.B. auch in der Boxsoziologie Aufmerksamkeit, nicht bloß in der Kunst-, Literatur- und Filmwissenschaft. Das Verhältnis dieser akademischen Reflexionen des Sports untereinander ist allerdings ein besonderes Thema.

Außer der Analyse des Agon und der Ästhetik, der Arbeit und Askese des Boxers und der Boxerin, ihres Verlangens nach Neuerschaffung und dessen religiöser Qualität, ihrer Angst vor der Weichheit und dem mitunter masochistischen Streben nach Härte werden u.a. auch folgende Themen in mehreren der Aufsätze behandelt: der Zusammenhang zwischen dem ,,Ende der Arbeit" und Körperkulten, die Erzeugung von Geselligkeit und Gemeinschaftlichkeit, die Wendung gegen die Formalisierung und Institutionalisierung des Kampfes, der latente Angriff auf das Gewaltmonopol des Staates, das Verhältnis von Sexualität und Kämpfen, von Natur und Zivilisation. Im folgenden wird daher nur auf einige Kontexte und aktuelle Fragestellungen eingegangen.

Loïc Wacquants vielseitige, auf einer fast vierjährigen Amateurlaufbahn beruhenden Studien bestimmen gegenwärtig Themen und Niveau der Boxsoziologie. Mit dem kurzen Essay über das Opferethos von Berufsboxern und den anschließenden Erklärungen ihrer Lebensumstände im Interview werden diese Untersuchungen hier erstmals in deutscher Sprache vorgestellt. Unter Anwendung Bourdieuscher Kategorien stärkt Wacquant vor allem die Innenperspektive auf diesen wahrhaft handwerklichen Beruf. Seine Nähe zum Forschungsgegenstand ist methodisch nicht unproblematisch, sie ermöglicht aber die bisher fehlende logisch-systematische Rekonstruktion der Welt der Pugilisten (abgekürzt: ,,Pug" - der Faust- und Boxkämpfer). Diese Rekonstruktion ist nicht Selbstzweck, sondern Teil von umfassenden Untersuchungen der sozialen Lage ethnischer Minderheiten in westlichen Großstädten. In diesen urbanen Welten geben die Boxer ihren körperlichen wie den geistig-moralischen Fremd- und Selbstdisziplinierungen Sinn. Wacquant will die soziale Logik von Lebensweisen erklären, hier der totalen Hingabe an ein Lebensregime, das so streng ist, daß es selbst Angehörigen des Trappistenordens zur Ehre gereichen würde. Faszinierend an den dokumentierten Arbeits- und Lebensvorschriften ist, daß in den Aussagen der Boxer und Trainer nicht nur Boxtechnisches und Ethisch-Moralisches zusammenspielen. Die Anordnungen der Trainer an ihre Boxer übersetzen Lebensimperative mehr oder weniger direkt in die Beschreibung körperlicher Funktionen und Reaktionen. Leider ist eben diese Verbindung von ,,Leib und Seele" in der Übersetzung nur annähernd wiederzugeben.17

Der Literaturwissenschaftler Manfred Luckas trainiert und sparrt seit über zehn Jahren in seiner Freizeit in einem Kölner Box-Gym. Auf der Grundlage dieser Erfahrungen und anhand autobiographischer und literarischer Beschreibungen des arbeits- und entbehrungsreichen Boxerlebens kann er Wacquants Beobachtungen bestätigen und um die pädagogische Funktion des Box-Gyms ergänzen, die nicht allein für den bloßen sportlichen und sozialen Aufstieg, sondern gerade für die Erzeugung der beruflichen und erhabenen menschlichen Identität bedeutsam ist. Die Pointe des Aufsatzes liegt in den Differenzierungen des Lucky Punch. In der immer, bis zum letzten Gong und selbst dem schwächsten Gegner, gegebenen Möglichkeit eines überraschenden Kampfausgangs liegt offensichtlich ein großer Reiz des Boxens, zumal in Zeiten, in denen das Spiel mit Risiken überhaupt so beliebt ist. Sofern der Kampf mit einer Prüfung und der Ring oft mit einer Richtstatt verglichen wird, erscheint die Entscheidung durch einen Zufallstreffer als Darstellung eines absoluten, unzugänglichen und erbarmungslosen, aber klaren Gerichts. Der Kampf erhält damit eine religiöse Dimension, die von der protestantischen Theologie gewöhnlich vernachlässigt, wenn nicht verdrängt wird: Es hat nur den Anschein, daß das Schicksal in den eigenen Händen liegt.

Ins Praktische gewendet bedeutet der Glücksschlag auch eine Relativierung und Rücknahme von Leistungsethos und Arbeitsideologie. Seine Hermeneutik erhält Aktualität durch das gegenwärtige Zusammentreffen zweier Tendenzen in der Orientierung speziell wirtschaftlicher Prozesse am Vorbild des Sports und dessen Orientierung an der Wirtschaft: Mit dem Verdrängen der Ungewißheit athletischen Gelingens im Wettkampf aus Sportberichterstattung und Sportpolitik werden Siege zunehmend wie Planungsgrößen budgetiert und die Klage über ihr Ausbleiben vorrangig nach der Höhe der finanziellen Investitionen bemessen, wie es in der Bundesrepublik z.B. nach den Spielen in Sydney geschah. Damit wird der Zufall - ein wesentliches Moment des Sportes als Spiel - suggestiv eliminiert. Schon die ob ihres häufigen Gebrauchs völlig entwertete Rede vom ,,Glück des Tüchtigen" weist in diese Richtung. Gleichzeitig wird in der Einforderung von Leistungsbereitschaft, Initiative, Eigenverantwortlichkeit, Durchsetzungsfähigkeit usw. als Voraussetzungen wirtschaftlichen Handelns ebenfalls gern das Risiko und die beschränkte Kalkulierbarkeit der Effekte ausgeblendet, als ob Qualifikation und Anstrengung allein schon Erfolg garantierten. - Eine signifikante Illusion in einer global vernetzten und stark spekulativen Ökonomie. Daß gerade die Ästhetik des Ge- bzw. Mißlingens (im Sinne Martin Seels) im Sport die Unsicherheit des Zusammenhangs von Leistung und Erfolg zeigt, wird auch in der Bewerbung wirtschaftlichen Einsatzes mit Sportbildern meist ,,vergessen". Um so bemerkenswerter erscheinen künstlerische Auseinandersetzungen mit der Kontingenz menschlicher Existenz am Material des Sports. So analysiert z.B. der portugiesische Photograph Jorge Molder diese Kontingenz ausgehend vom Bild des Würfels und unter Verarbeitung von Francis Bacons Studien der menschlichen Figur. Bacon hatte den Zufall zum Prinzip seiner Anthropologie und Malweise erklärt und u.a. mit Hilfe von Boxphotographien heftige, anstrengende und verzerrende Bewegungen und Positionen konzipiert. Beide verstehen den Boxring als Anatomisches Theater, dessen geworfene Körper sich mit der Photographie ideal sezieren lassen.18

Während Wacquant, Luckas, Kramer und Mennesson eher aus der Perspektive beobachtender Teilnehmer schreiben, beruht Frederick Groegers Aufsatz auf einer teilnehmenden Beobachtung. Ähnlich wie Wacquant interessiert er sich für die Folgen sozialer Ausgrenzung und Marginalisierung und in diesem Zusammenhang für das Verhältnis deklassierter Deutscher und Migranten. Sein Ziel ist nicht die Feststellung der Folgeschäden (von Unterversorgung, Opferstatus u.ä.), sondern die Erkundung derjenigen sozialen Strategien, die den von Armut und Ausgrenzung Betroffenen situationsspezifisch angemessen erscheinen. Er stellt hier vorläufige Thesen eines ethnographischen Berichts über einen Teilbereich - das Verhältnis von ,,Deutschen" (Ost und West) und Migranten arabischer und türkischer Herkunft in einem Amateurboxklub - vor, der sich in einem Stadtteil mit hoher Arbeitslosigkeit und Sozialhilfeabhängigkeit im Berliner Westen befindet. Das läßt für später aufschlußreiche Aussagen über Gemeinsamkeiten und Unterschiede gegenüber den von Wacquant erforschten Milieus erwarten, um zuverlässiger über die tatsächliche, nicht bloß rhetorische Vergleichbarkeit ,,amerikanischer" und ,,deutscher Verhältnisse" urteilen zu können. Zunächst ist mit Blick auf Debatten über die Rolle des Sports an ,,sozialen Brennpunkten" mit Migrantenpopulationen zu verzeichnen, daß weder allgemeine Befürchtungen über eine Erziehung zu außersportlicher Gewalt noch ebensolche Hoffnungen auf Sozialintegration durch Kampfsport gerechtfertigt sind.

Groeger stellt eine Überdetermination der Integrationsprobleme durch die Eigenlogik des Sportfeldes fest. Demzufolge handelt es sich bei den Konflikten zwischen ,,deutschen" Trainern und Migrantenjugendlichen nur an der Oberfläche primär um ethnisch-kulturelle Konflikte, bestimmend ist das Aufeinandertreffen gegensätzlicher boxspezifischer Erwartungen und Anforderungen. Wie im Bild von Schale und Kern bilden Härte und Weichheit hier einen starken Kontrast im Umgang von Trainern und Jugendlichen, der sich als ein kompliziertes Gewebe von Einstellungen, Worten und Taten zwischen rassistischer Rhetorik, dem üblichen Kasernenhofton und liebevoller Zuwendung unter Männern darstellt. Gemeinsamer Klassen- und Geschlechtshabitus ermöglichen zwar Verständigung, zugleich offenbart sich die Tragik des Endes ,,harter" Industriearbeit darin, daß Migranten, die den Nachwuchs bilden könnten, älteren ,,deutschen" Trainern und Funktionären wie unerwartete und ungewollte, ,,illegitime" Söhne erscheinen. Die alten Boxer machen sich selbst zu Fremden im eigenen Land. Als Orientierungsmarken dienen die Kategorien Hart und Weich weiterhin zur Bestimmung und Verhandlung des Verhältnisses zwischen ,,Deutschen" und ,,Nicht-Deutschen" sowie Ost- und Westdeutschen - Groeger findet hier im Gym den Diskurs, der in den Neunzigern mit Schlagworten wie ,,Freizeitpark" und ,,Hängematte" geführt wurde. Für die Jugendlichen verbindet sich der kategoriale Gegensatz schließlich mit den öffentlichen Personen der Boxer Axel Schulz und Mike Tyson. Es ist bemerkenswert, daß Groeger ausgerechnet am Umgang der Jugendlichen mit ,,Iron Mike" als Vorbild des Kämpfers und Kriegers ,,mit Herz" die denunziatorische Rede von der Jugendgewalt zurückweisen kann.19

,,Harte Männer tanzen nicht", heißt nicht zufällig ein Buch des Boxliebhabers Norman Mailer. Vor diesem Hintergrund bildet Cheryce Kramers Erfahrungsbericht von Gesellschaftstanz und Gesellschaftsboxen einen Übergang zwischen den Beiträgen zum Männer- und Frauenboxen, also zwischen Bewegungsformen, die gewöhnlich als maskulin/hart und feminin/weich entgegengesetzt werden, obwohl die tänzerische Qualität zusammen mit den ebenfalls ,,gegenderten" Seilspringübungen ein schon lange bekannter Teil des Boxens sind. Die Brücke beruht nicht allein auf der Selbstverständlichkeit, mit der Frauen und Tanzenthusiasten an Fitneß-Boxkursen teilnehmen; sie ergibt sich vor allem daraus, daß Kramers Vergleich der agonalen Form die vielfach bewunderten äußerlichen Ähnlichkeiten von Boxen und Tanzen auf eine feste Grundlage stellt, auf der sie neu zu ordnen sind. Die These vom Boxen als Sonderform des Tanzes gilt nicht allein für seine Ausübung zum Zwecke der Fitneß und Geselligkeit. Sie entspricht historisch der engen Verbindung von Kämpfen, Tanzen und Musik zu militärischen oder den o.g. reproduktiven Zwecken in europäischen und außereuropäischen Kulturen. Auch das von Mennesson geschilderte Interesse von Frauen an tänzerischen Bewegungen in Boxarten, die Knie- oder Fußstöße zulassen, könnte als Beleg dienen; allerdings zeigt sie auch, daß selbst Vertreterinnen des französischen Hand- und Fußboxens (,,Sandrine") die Härte des Boxsports dem Tanzen entgegensetzen können. Illusionär werden solche Gegenüberstellungen, wenn sie mit der Annahme verbunden sind (wie es bei dem von Hargreaves zitierten Ian Wooldridge der Fall zu sein scheint), ein artifizieller Pas de deux im Ring würde nicht brutal sein. Das Gegenteil ist, bei entsprechender Schlagkraft, der Fall: Je virtuoser die Bewegung, desto gefährlicher die Attacke. Dies gilt für Männer und Frauen, und es gibt keinen Grund, warum derartige Aggressivität per se nicht ,,feminin" sein sollte. Schließlich sollte Kramers Ansatz die von ihr hier ausgesparte Phänomenologie des Reichtums und Raffinements der Genderagone in beiden Formen - der handfesten Konflikte und des Spiels mit ihnen - bereichern können.

In den neunziger Jahren haben einzelne Boxerinnen in einigen westlichen Ländern das Recht erstritten, legal an Amateur- und Berufskämpfen teilzunehmen. Daß dies wegen des Widerstandes nationaler und internationaler Verbände oft vor Gericht geschehen mußte, ist von höherer Ironie in einem Sport, der so sehr von der Aura unvermittelter Konfliktlösung lebt und dessen Anhänger gern eine antietatistische und antijudikative Pose pflegen.20 Seitdem hat das Frauenboxen in Westeuropa und den USA einen spürbaren Aufschwung erfahren und schon beträchtliche öffentliche Aufmerksamkeit erregt, was auch an mehreren Filmproduktionen ablesbar ist: ,,Girlfight" ist der erste abendfüllende Spielfilm über eine (werdende) Boxerin; vorher haben sich in der Bundesrepublik Fernsehsender um die Darstellung der mehrfachen Rollenbrüche besonders deutsch-türkischer Boxerinnen - weiblich, muslimisch, gebildet, schön ... - verdient gemacht.21 Die Entscheidung der Bundeszentrale für politische Bildung und des DSB, Regina Halmich, die erfolgreichste deutsche Berufsboxerin, an der Kampagne ,,Zeichen gegen Rechts" zu beteiligen, mag ein Indiz auf die gestiegene Akzeptanz des Frauenboxens sein.

Mit den Beiträgen zur Soziologie und Geschichte des Frauenboxens soll dieser neuen gesellschaftlichen Tatsache Rechnung getragen werden. Die Forschung steht hier noch ganz am Anfang, zumal in der Bundesrepublik. Es geht dabei jedoch nicht um das Boxen an sich, vielmehr soll angeregt werden, überhaupt dem zunehmenden öffentlichen Erscheinen kämpferisch, offensiv und auch aggressiv auftretender Frauen mehr akademische Aufmerksamkeit zu schenken. Denn das ,,Eindringen" in traditionelle Männerdisziplinen wie Boxen, Judo, Gewichtheben oder Rugby geschieht in der Bundesrepublik z.B. parallel zu ihrer Aufnahme in die Kampfverbände der Bundeswehr oder, um ein ähnlich konservatives Feld, die Medizin, zu nennen, zur erstmaligen Vergabe von Lehrstühlen für Anästhesie (Gabriele Nöldge-Schomburg, Universität Rostock, 1999) und für Gynäkologie (Marion Kiechle, TU München 1999) an Frauen; letzteres ist ein operatives Fach, das ebenfalls viel Kraft, Nervenstärke und eine überdurchschnittliche Auge-Hand-Koordination verlangt! Zum einen sind das gewissermaßen krönende Abschlüsse von Erweiterungen und Auffächerungen des Genderentwurfs seit dem 19. und 20. Jahrhundert, zum anderen scheint nun langsam die Möglichkeit gegeben, zu testen, welche Auswirkungen diese praktischen und symbolischen Emanzipationen tatsächlich auf die agonale Kultur haben. Bislang richten sich die Erwartungen auf die Extreme einer bloßen Fortschreibung ,,männlichen" Konkurrenzverhaltens mit asymmetrischem, selektivem Ausgang und ,,weichen" Kompromissen und Kooperationsgewinnen für beide Seiten. Dafür sind auch die langfristigen sozialen Folgen der enormen körperlichen Kontroll- und Disziplinierungsregime von Bedeutung, die sich im Spitzenbereich und im Fitneßboxen als kosmetischer Freizeitübung modellbildend ausbreiten.

Was das Frauenboxen selbst betrifft: So ambivalent die Legalisierung in Anbetracht vor allem der bekannten, für Männer und Frauen gleichen Gesundheitsrisiken sein mag, der symbolisch wichtige Durchbruch für den äußerst hohen athletischen Standard und das Kampfvermögen ist geschafft und der ,,Mythos von der Frauenfaust" (Daumen nach innen) widerlegt.22 Allerdings hat auch die gestiegene Popularität das Frauenboxen als Sport noch nicht fest etabliert, dafür ist die Zahl der Aktiven zu gering23 und das einseitig voyeuristische Interesse noch zu stark, außerdem behindern die schlechten institutionellen und ökonomischen Bedingungen des Männerboxens auch den Frauensport, in dem es ebenfalls keinen freien und allgemeinen Wettbewerb gibt. Sein kulturelles Forschrittspotential wird von den Autorinnen und Autoren dieses Heftes unterschiedlich bewertet. Am meisten zweifelt Jennifer Hargreaves an der Radikalität der Intervention, indem sie die Aggression, die Sexualisierung und den Mißbrauch in den Vordergrund rückt.

Die Soziologin Christy Halbert (University of Kentucky), die auch als Boxtrainerin und -offizielle tätig ist, hat 1997 unter dem Titel ,,Tough Enough and Woman Enough" die erste Studie über den Status professioneller Boxerinnen überhaupt vorgelegt.24 Anhand von Erfahrungen im Training, bei Wettkämpfen und in der Boxpromotion zeigte sie, daß die Boxerinnen praktischen Diskriminierungen (von physischer Bedrohung, sportlicher Behinderung bis zu organisatorischer und finanzieller Benachteiligung) und Stereotypen ausgesetzt sind, weil sie eine dreifache Gefahr für die soziale (Gender-)Ordnung, die Boxindustrie sowie den von Männern dominierten institutionalisierten Sport insgesamt darstellen. Die Stereotypen umspannen die Pole kommerzieller Heterosexualität - Striptease und Prostitution (vor allem in Assoziation mit dem sog. ,,Foxy Boxing", einem nicht-sportlichen ,,Oben-ohne-Boxen") - einerseits und - am häufigsten - Homosexualität andererseits. Die untersuchten Frauen reagierten darauf sportlich mit einem besonders mühseligen und schmerzensreichen Kampf um Anerkennung - um ,,Respekt" zu erlangen, mußten sie ,,Herz" beweisen - anfangs vor allem unter Boxern und Trainern im Gym, von denen sie in ihrer Ausbildung noch mehrheitlich abhängen. Zugleich pflegten sie außerhalb des Rings ein Image betonter konventioneller - ,,wirklicher", ,,echter" - Weiblichkeit, um überhaupt vermarktungsfähig zu sein. Halbert zufolge ist die Verhaltenskontrolle durch die dominanten Rollenerwartungen so stark, daß die Boxfähigkeiten im Identitätsmanagement der Athletinnen nur eine untergeordnete Rolle spielen. In bezug auf diese Erwartungen sehen sie sich zu einer risikoreichen Gratwanderung zwischen deutlicher Abweichung und Anpassung gezwungen, also zu einem Verhalten, das objektiv auch der Reproduktion patriarchalischer Beziehungen dient.

Diesen Befund einer, wie sie es ausdrückt, ,,Normalisierung ,, des Verhaltens, um sozial akzeptiert zu werden, bestätigt nun Christine Mennesson; sie findet diese Anpassung speziell in der Entscheidung der Frauen für eine ,,weiche" Boxform, in der sich die Entgegensetzung von hart und weich auch innerhalb des Frauenboxens reproduziert. Darin sieht sie jedoch keine grundsätzliche Negation der Emanzipationsgewinne boxender Frauen, sondern einen Aspekt ihrer erwartungsgemäß konfliktreichen Neuerfindung in der Boxwelt. Mennesson stellte ihre Untersuchung im Rahmen von Forschungen über die Konsequenzen des Eindringens von Frauen in traditionelle Männer-Sportarten - Fußball, Gewichtheben und Boxen - in Frankreich an. Es ist erst die zweite qualitative Befragung über die Identitätsbildung olympischer und aktueller oder angehender Berufsboxerinnen. Während Halbert der Bekanntschaft der Frauen mit dem Boxen, ihren Motivationen und den Gründen, trotz der vielen Hindernisse nicht nur dabeizubleiben, sondern sich von ihm ebenso verzehren zu lassen wie die Männer, nur wenig Raum gab und bloß eine große Vielfalt von Zugangsweisen und Motivationen feststellen konnte, verfolgt Mennesson genau diese Fragen. Dabei kann sie u.a. die Bedeutung einer körper- und wettkampfbetonten Primärsozialisiation und der verschiedenen Konzepte der Boxklubs identifizieren. Aus der Perspektive einer Kombination von Habitus- und Interaktionstheorie hebt sie eine Abhängigkeit des Engagements von sozialer Disposition und Situation hervor. Damit werden die Beweggründe der Frauen mit denen der von Groeger beobachteten jungen Amateurboxer vergleichbar. Die Einordnung des Gyms als ,,Schule des Lebens" erhält hier eine besondere Wendung, denn Mennesson beobachtet, daß viele Mädchen und Frauen sich in dem Moment dem Boxen zuwenden, in dem sie Schwierigkeiten mit ihrer Ausbildung haben; das galt bisher nur für die Boxer (auch die Entscheidung des von Stephan May analysierten Helden für das Berufsboxen ist eine gegen seine Ausbildung). Sicher ist hier in Rechnung zu stellen, daß die Ausbildung einer Gegenidentität durch Boxen und damit eine starke normative Entgegensetzung von Körper und Geist durch das rigide französische Bildungssystem besonders gefördert werden kann. Doch das Motiv ist offenbar so prinzipiell und verbreitet, daß es inzwischen auch in popkulturellen Verarbeitungen eine zentrale Rolle spielt. Außer ,,Girlfight" und der erwähnten Doku-Soap über deutsch-türkische Boxerinnen ist hier auch das Stück ,,Schlag auf Schlag" des Berliner Grips-Theaters zu nennen. Die Bildungsprobleme werden jedoch nicht nur von den Athletinnen verursacht. Die Biographie der britischen Weltmeisterin Jane Couch ist sozusagen ein schlagendes Beispiel dafür, wie wenig Schulen in der Lage sind, die Folgen sozialer Verwerfungen aufzufangen und überhaupt ,,verhaltensauffällige Kinder" zu integrieren.25 Um so auffälliger und widersinniger muß natürlich die Neigung hochqualifizierter Frauen zum Boxen wirken, die Hargreaves kritisiert.

Obwohl der Heftschwerpunkt keine historiographischen Ziele verfolgt, schien es geboten, zwei Beiträge aufzunehmen, die zeigen, daß Frauenboxen keineswegs neu ist, sondern seine neuzeitlichen Wurzeln im Westen bis in das 18. Jahrhundert zurückreichen, wenn man einmal von den älteren, fest in sakrale Kontexte eingebundenen Kämpfen zwischen Frauen sowie zwischen Männern und Frauen absieht. Dabei handelt es sich um eine noch weitgehend unerforschte Geschichte, in die Hargreaves und Krauß erstes Licht bringen.

Jennifer Hargreaves ist als Verfasserin und Herausgeberin von Standardwerken zur Soziologie und Politologie des Frauensportes international bekannt geworden.26 Im Zusammenhang mit ihren Untersuchungen der Erfahrungen und Identitätsbildungen von Athletinnen verschiedener Kulturen in marginalen Sportarten ist das Frauenboxen aufgrund seines radikalen Anspruchs für die Beobachtung der komplexen und widersprüchlichen Veränderung von Genderbeziehungen besonders interessant. Sie beurteilt nicht allein die Anstrengungen der boxenden ,,Überfrau" skeptischer als z.B. Mennesson, was u.a. daran liegen mag, daß sie anders als diese vor allem die körperkulturelle, konsumorientierte Hinwendung von Frauen aus der Mittelklasse mit z.T. hohen Bildungsabschlüssen im Blick zu haben scheint. Sie vertritt in diesem Heft überhaupt die kritischste Position gegenüber dem Boxen. Brisanz erhält ihre Argumentation dadurch, daß sie es in seiner stärksten Form angreift und die Widersprüchlichkeit der Bilder und Bedeutungen hervorhebt. Zum einen kann sie - stärker noch als Mennesson - gerade aus Sicht der bislang nur sehr wenig verdienenden Frauen Wacquants These stützen, daß die Motivation für das Boxen keineswegs in erster Linie pekuniärer Art ist - das Verlangen nach Anerkennung, Grenzüberwindung, Selbsterneuerung, Kontrolle, Macht und intensivem Erleben sind bestimmend. Zum anderen weist sie deutlich die nach bisherigen Erkenntnissen haltlosen ,,geschlechtsspezifischen" medizinischen Einwände gegen das Frauenboxen zurück.27 Die Frauen sind den gleichen Hauptgefahren wie die Männer ausgesetzt - Augen- und Hirnverletzungen -, und ihr Engagement unterstreicht bloß die grundsätzliche ethisch-moralische Fraglichkeit des Boxens überhaupt, da es die Klientel seiner Aggressivitätsdemonstrationen erweitert.

Gemeinsam mit Knud Kohr hat Martin Krauß kürzlich die erste Historie des deutschen Berufsboxens im 20. Jahrhundert veröffentlicht, sie enthält auch eine Übersicht über die wechselvolle Geschichte des Frauenboxens in Deutschland. Es handelt sich um eine journalistische Recherche, die hier in bearbeiteter Form zur Information und zur Anregung akademischer Forschungen vorgestellt wird. Krauß hat einige bislang unbeachtete ältere Quellen erschlossen und auch Katherine Dunns vom Mainstream abweichendes Plädoyer in die bundesdeutsche Debatte eingebracht. Sie fordert dazu auf, Frauenboxen als gegenüber dem Männerboxen eigenständige Disziplin zu betrachten, die auch völlig selbstzweckhaft, eben als Sport, betrieben werden und dennoch helfen kann, der Pluralität weiblicher Lebensweisen Anerkennung zu verschaffen - einschließlich der Tatsache, daß auch Frauen in der Lage sind, aggressiv und destruktiv zu sein und dafür Verantwortung zu übernehmen. Zu den negativen empirischen Ergebnissen seiner Recherchen gehört im übrigen, daß es offenbar keinerlei Versuche gab, Frauenboxen in der DDR zu etablieren, weder von oben noch von unten. - Ergo?

Die Kulturwissenschaftlerin Nanda Fischer beschäftigt sich mit der literarischen Konstruktion relationaler Männlichkeit und Weiblichkeit mittels des Bildfeldes Sport, wobei sie besonders die weiblichen und männlichen Blicke auf Sportlichkeit analysiert und vergleicht. Ihr Aufsatz ist eine im Umfang teils gekürzte, inhaltlich teils erweiterte Fassung von Abschnitten aus dem ersten, bis Mitte des 20. Jahrhunderts reichenden Teil ihrer Studien.28 Wie Krauß hat sie einige Quellen aus der Vergessenheit geholt, hier die Romane Olga Wohlbrücks und Adolf Uzarskis. An Wohlbrücks ,,Athleten" von 1921 ist wohl vor allem die Nähe zu den eugenischen Diskursen der Zeit auffällig, die seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts auch Sportbewegungen kennzeichnete. Dagegen ist an Uzarskis Satire ,,Beinahe Weltmeister" (1930) die auf Heroisierungen Max Schmelings anspielende Kritik von Sportnationalismus und Amerikanismus in den zeitgenössischen Medien hervorzuheben. Robert Musils kritische Auseinandersetzung mit dem modernen Sportgeist und den existentiellen Erfahrungen des Boxens ist dagegen prominent und auch schon Gegenstand literatur- und sportwissenschaftlicher Untersuchungen gewesen. Neu ist hier vor allem Fischers gezielte Analyse des Entwurfs eines neuen, androgynen Menschen anhand des sportiven Verhältnisses der Geschwister Ulrich und Agathe im ,,Mann ohne Eigenschaften". In allen drei Romanen bilden Boxen und Athletik ein Experimentierfeld für Konzeptionen einer ,,neuen Frau" und eines ,,neuen Mannes", wobei das beherrschende Problem die Überwindung des Dualismus von Körper und Geist, Rausch und Sachlichkeit usw. ist. Erwartungsgemäß legte Musil das differenzierteste und ambitionierteste Projekt einer ganzheitlichen Existenz vor, die von ihm aus der Sicht von Mann und Frau reflektiert wird. Auch wenn Musil das Experiment scheitern läßt, so ist er mit ihm doch bis zur Idee einer historischen Anthropologie vorgestoßen, der die sozio-kulturellen Geschlechtergegensätze als abgeleitete historische Seiten grundsätzlicher menschlicher Sinnesperspektiven erscheinen.

Während in Fischers Material die Mannwerdung vor allem im Verhältnis zur Frau reflektiert wird, steht bei Boddy und May, wie schon bei Groeger, das Verhältnis zu anderen Männern im Vordergrund, wobei das problematische Verhältnis zu Frauen präsent bleibt, und diese in Hintergrund- und Vermittlungsrollen ebenfalls auftreten. Das ist ein häufig unterschätzter, über die bekannte Homoerotik des Boxens hinausgehender Aspekt.

Kasia Boddy schließt gegenwärtig eine Arbeit über die Gestalt des Boxers in der US-amerikanischen Kunst (Literatur, Malerei und Film) ab, die sie anhand der Karrieren der drei großen schwarzen Schwergewichtsboxer Jack Johnson, Joe Louis und Mohammad Ali und der Geschichte ,,großer weißer Hoffnungen" erforscht. Ihre Analyse des Buches ,,Fight Club" von Chuck Palahniuk und seiner Verfilmung durch David Fincher steht damit in direkter Verbindung, sofern die Entwicklung des Boxers häufig die eines unsicheren, nicht eines selbstbewußten Mannes ist (auch May hat eine solche Figur zum Gegenstand). Die Krise der Männlichkeit, auf die ,,Fight Club" reagiert oder genauer: auf die er geschickt zugeschnitten ist, hat in Buch und Film vor allem zur Ursache, daß die ,,modernen" Erwerbsverhältnisse des US-Westküstenkapitalismus die geschäftigen Väter oder auch nur deren Autorität aus Familie und Erziehung und damit ,,männliche" Rollenvorbilder verschwinden ließen. Boddy verweist hier auf die Gesellschaftsdiagnose des in den USA vielbeachteten historisch-psychologischen Buches ,,Iron John" von Robert Bly (1990). Doch während Bly mit seiner Forderung einer - auch kämpferischen - Initiation junger durch ältere Männer einen Mittelweg zwischen Macho und Softy sucht, setzt ,,Fight Club" eine extrem harte, katastrophische Rücknahme der neuen Übergänge zwischen traditionellen Frauen und Männerrollen in Szene. Dabei erhält die aggressive körperlich-sinnliche Rekreation und Subversion des Mannes in ,,Fight Club" über Blys therapeutische Erzählung einen Bezug zum Grimmschen Märchen vom ,,Eisenhans", auf das Bly sich stützt. Das komplementäre Initiationsmärchen für Frauen heißt: ,,Das Mädchen ohne Hände". Es wird ebenfalls erfolgreich in der therapeutischen Literatur verwendet - für das Erklären und Stillen einer unstillbaren ,,Sehnsucht der starken Frau nach dem starken Mann".29 Die Boxerin ist eine klassische Verkörperung der Emanzipation, die durch diese Allegorie eines grausamen Verlustes der Hände und ihrer schmerzensreichen Wiedergewinnung angeregt wird. Sofern Gewalt und Destruktion ein wichtiger Aspekt der o.g. Frage nach der kulturellen Bedeutung des Boxagons sind, muß die Zukunft zeigen, ob die ,,starke Frau" in der Verwendung ihrer Hände zur Selbstvergewisserung und Selbstbehauptung den beklagten zerstörerischen Weg der Männer wiederholt oder ob sie einen anderen Weg aus der Identitätskrise findet.

,,Fight Club" ist eine äußerst gelungene Darstellung der anarchistischen (keinesfalls notwendig liberalen) Ambitionen des ideellen Kämpfers, mit dem besonderen Akzent, daß die Klubs und das ,,Projekt Chaos" Gemeinschaften bilden, ähnlich den Box-Gyms. Hier wird jedoch genau die Grenze überschritten, die Groegers Amateure errichten und einzuhalten bemüht sind, obwohl auch sie mit einer die Regeln des institutionalisierten Sportes überschreitenden Motivation kämpfen.30 Die von Boddy erwähnten systemerhaltenden Nachahmungen der ,,Fight Club"-Idee sind nun ein Beleg dafür, wie wenig gewalttätige Filme wie diese (im Sinne der Darstellung von Gewalt und der Wucht, mit der Bilder und Sound im Kino wirken) etwa direkt ,,Jugendgewalt" anregen, wie nicht selten unterstellt wird. Es ist freilich nicht zu leugnen, daß der Film in der Bundesrepublik auch Zuschauer mit aggressivem Habitus angezogen hat. In der Erklärung der Rezeption solcher Fiktionen wie ,,Fight Club" ist zu berücksichtigen, daß Boxen für die bürgerlichen Schichten in der Bundesrepublik heute kaum noch eine Provokation darstellt. Es ist ein noch stimulierender, aber harmloser Protest gegen die verregelte Welt innerhalb dieser selbst. Man kann dies u.a. an den vielen Kino- und Fernsehfilmen ablesen, in denen Boxer auftreten, auch an der Entscheidung der öffentlich-rechtlichen Anstalten, wieder Boxkämpfe live zu übertragen, und zwar zur besten Sendezeit, samstags, gleich nach dem ,,Wort zum Sonntag". Boxerfiguren sind politisch korrekt, Skinheads nicht, wie die Reaktion der Sender auf das Drehbuch für den Film ,,Oi! Warning" von Benjamin und Dominik Reding zeigte.31 Wer wirklich Ohnmachtserfahrungen ausdrücken will, verlangt deshalb nach Härterem als Boxen. Es ist aber wohl immer nur eine Frage der Zeit, bis auch eine echte Provokation ,,gesellschaftsfähig" wird, wie schon die großmaßstabige kommerzielle Realisierung des ,,Fight Club"-Filmes selbst demonstriert.

Als Teil von Forschungen über ästhetische und mythische Konstruktionen von Männlichkeit, insbesondere des männlichen Körpers in US-amerikanischen Boxer-Spielfilme analysiert der Filmwissenschaftler Stephan May das Werden des boxenden Mannes im Klassiker ,,Body and Soul" und schließt damit den Kreis zu Loïc Wacquants Essay über das pugilistische Opfer. In diesem Film handelt es sich wieder um eine individualistische Emanzipation, die von den Auflösungen der Identität von Geschlecht und Gender, die der ,,Fight Club" angreift, noch gar nichts weiß, und zudem glücklich endet. Dennoch gibt es zwischen diesen beiden filmischen Identitätssuchen Gemeinsamkeiten: Mit (sicher unterschiedlich ernsten) gesellschaftskritischen Ansprüchen wird eine alptraumhafte Initiationsgeschichte mit religiösem Charakter inszeniert, in der das Fehlen des Vaters verarbeitet werden muß, und zwar mit einer Verletzung des staatlichen Gewaltmonopols. Charlie Davis muß nicht bloß mit ,,Leib und Seele" boxen, sondern sich in einem Teufelspakt auch der Boxmafia verschreiben - ein sachlicher Gangster übernimmt die Rolle des männlichen Vorbildes.

Obwohl der Filmheld aus einem jüdischen Elternhaus kommt, ist sein Weg durch Versuchung, Sünde, Schuld und Opfer zur Erlösung als christliche Passionsgeschichte gestaltet. Wo Boddy Wacquants allgemeine These über die Religiosität des pugilistischen Opfers in eine individualistische und eine gemeinschaftlich-missionarische Variante differenziert, ergänzt May Wacquants Innenansicht des Opfers um eine Außenperspektive: Charlie Davis ist ein typischer Einzelkämpfer, der sich selbst rettet, nicht die Menschheit. Aber in der filmischen Anlage der erfolgreichen Überwindung bzw. des schließlichen Ausbruchs aus der Ausbeutung und Korruption des Boxgeschäfts, das hier, für die Zeit authentisch, den Kapitalismus vertritt, sind die Opfer des Boxers die eines Stellvertreters, der für das Kinopublikum ,,austeilt" und ,,einsteckt", straft und bestraft wird. Es ist ein Martyrium. Das überraschende Happy-End eines ansonsten düsteren Films entspricht alltagsmythischen Erwartungen, wonach keine Ungerechtigkeit ungesühnt bleiben darf, und sei es auch nur mit einer kleinen, vorübergehenden Bestrafung in einem am Ende immer vergeblichen Kampf gegen Windmühlen. Don Quijote gewinnt dabei Ehre und bekräftigt Werte.

Anmerkungen

1 Über den westlichen Diskurs des radikalen Individualismus, durch den sportliche Wettkämpfe überhaupt nach dem Muster von in dauernder Gegenwehr - gegen scheinbar unzählige, übermächtige Gegner - befindlichen isolierten Einzelnen (,,nackten Ichs") konstruiert werden, siehe: Gunter Gebauer: Wettkampf als Gegenwelt. In: Hans Lenk (Hg.): Aktuelle Probleme der Sportphilosophie. Schorndorf: Karl Hoffmann 1983, 342-352. Der Begriff dieses wehrhaften Individualismus in Verbindung mit dem des Fortschritts (das Rekordstreben bedeutet das Durchbrechen von Schallmauern: Roger Bannister läuft die Meile unter 4 min, Rosemarie Ackermann überspringt als erste Frau die 2-m-Marke) bildet den Schlüssel für die Bewegung und die Position des Sports in der Moderne, damit auch für Erscheinungen wie die Verschmelzung von Wirtschaft, Werbung, Mode, Medien und Sport, Doping usf.

2 Jean Starobinski: Jean-Jacques Rousseau: La transparence et l'obstacle. Paris: Gallimard 1971; dt.: Rousseau. Eine Welt von Widerständen. München, Wien: Carl Hanser 1988.

3 Als Quelle dient meist Joyce Carol Oates (Über Boxen. Ein Essay. Zürich: Manesse 1988, 77), die diese Absicht selbst nicht verfolgt. M. Ali zit. nach: Glenn Liebman (ed.): Boxing Shorts. Chicago: Contemporary Books 1996, 207.

4 Siehe z.B.: B.G. Gorbunov: Tradicionnye rukopa_nye sostjazanija v narodnoi kul'ture vostoènych slavjan XIX - nacala XX v. Istoriko-etnografièeskoe issledovanie. Moskva: Rossijskaja Akademia Nauk, Institut Etnologii i Antropologii N.N. Miklucho-Maklaja 1997, 78-108. Michail Bachtin: Rablais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1995, 238ff. Aus dieser Sicht ist es durchaus passend, wenn heute zu Begräbnissen auch die Pop-Hymne ,,It's Time to Say Good Bye" gespielt wird, mit der Henry Maske 1996 nach seinem letzten Kampf verabschiedet wurde.

5 (Ehemalige) Amateure sehen das offenbar gelassener, z.B. Henry Maske: Mein Box-Lexikon. Aufgezeichnet von Bertram Job. Frankfurt a.M.: Eichborn 1995, 32.

6 Dafür stand z.B. der vom ,,Manager-Magazin" zitierte Ausspruch Henry Maskes: ,,Das Boxen ist wie das Leben. Und das Leben ist so knallhart wie die Marktwirtschaft. Nur der Stärkere siegt." W. Theobald: Die Ökonomie des Boxens, in: Ebd., 25 (1995) 3, 250. Das Berliner Obdachenlosen-Magazin ,,Looser/Straßenfeger" belegte später anhand eines kuriosen Falles, daß die Vorstellung vom Boxen als Durchsetzungsmittel unter ,,amerikanischen Verhältnissen" noch zum Bestand der Alltagsfiktionen gehört: Dem Magazin-Verkäufer und Autor des Berichts, einem auf dem Berliner Alexanderplatz vermeintlich ,,herumstehenden" und bettelnden Obdachlosen wurden von einem älteren, einst selbst boxenden Passanten Boxhandschuhe mit der Belehrung überreicht, ,,daß es doch um ein vielfaches ehrenhafter wäre, wenn ich versuchen würde, mit Boxen mein Geld zu verdienen", und sei es auch nur als Rummelboxer, wenn es denn doch nicht zum Box-Millionär reiche. Vgl.: Looser/Straßenfeger. Überregionale Ausgabe, März/April 1998, 6. Eine Erklärung der Redaktion zum Zustandekommen des Berichtes war nicht zu erhalten.

7 Das Adjektiv ,,hart" ist in den ältesten deutschen Dialekten vornehmlich für das zerspaltende und zerhauende Schwert und andere Waffen gebraucht und dann auf den - kräftigen, (kriegs)tüchtigen, tapferen - Mann und seine feste Gesinnung, auf den Kampf selbst sowie auf widrige, unglückliche Umstände und ein von ihnen verursachtes schweres, drückendes Leben übertragen worden. Die Bedeutung von Strenge und Schärfe nahm es nach und nach auch für Witterungsbedingungen, Jahreszeiten und ,,Zeiten" allgemein an. (Deutsches Wörterbuch v. J. u. W. Grimm. Bd. 10, Reprint, München: dtv 1984, Sp. 499-505.) Charles Dickens' Roman ,,Hard Times" (1854), in Deutschland 1855 zunächst unter dem Titel ,,Schwere Zeiten" ediert, dokumentiert die Anwendung des Ausdrucks auf soziale Nöte und Kämpfe im klassischen Industriekapitalismus. In Anschluß daran hat Studs Terkel in ,,Hard Times. An Oral History of the Great Depression" ein breites Spektrum sozialer Bedeutungen des Topos bekanntgemacht (New York: Pantheon Books 1970, dt.: Der große Krach. Die Geschichte der amerikanischen Depression. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1972).

8 Auf die Besonderheiten der Faustkampf- und Box-Motivik in der DDR-Kunst kann hier nicht eingegangen werden. Auch dort, wo, um zwei prominente Beispiele zu nennen, Gerhard Gundermanns Kampfgeschichten (z.B. ,,Scheißspiel", 1988; ,,Kämpfen wie Männer", 1992) und die ,,Kopf-Hand"-Bilder Nuria Quevedos vor und nach 1989/90 spezifische ostdeutsche Verhältnisse verarbeiten mögen, geht ihre Bedeutung weit über diese hinaus. (Beide Werke haben keinen Bezug zum Boxsport.) Zu Quevedos Zyklus siehe Friedrich Dieckmann: Das einsame Spiel. Bilder von Nuria Quevedo. In: Nuria Quevedo. Malerei und Zeichnungen. Akademie der Künste zu Berlin. März/April 1992, 4-9. Siehe auch: Nuria Quevedo: Malerei. o.O., 1997, und ihre Zusammenarbeit mit Volker Braun, z.B. die Mappe zu dessen ,,Der Eisenwagen", Berlin 1988.

9 Helme Heine: Der Boxer und die Prinzessin. München: Middlehauve 1997.

10 DaimlerChrysler Immobilien (DCI) GmbH: Kunst auf dem DaimlerChrysler Areal Potsdamer Platz. Presse-Information, Berlin, März 2000. Die Skulptur steht in einer Wasserfläche an der Ecke von Neuer Potsdamer Straße und Eichhornstraße.

11 Leitspruch der von der Art Merchandising & Media AG, München, betriebenen Keith-Haring-Internetseite (http://www.keithharing-berlin.com, 19.12.2000), Ü.d.A.

12 Vgl. Gerhard Matzig: Der amerikanische Raum. Vom Kampf der Bau-Kulturen: Das neue Sony-Center in Berlin. In: SZ, 14.6.2000, 17.

13 ,,Die Welt" berichtete von Passantinnen, die spontan ,,Faust um Faust, Auge um Auge" assoziierten, ohne die ,,witzige" Wendung des mosaischen Gebotes zu übersehen. Christa Hasselhorst: Harings ,,Boxer" kämpfen am Potsdamer Platz. In: Ebd., 5.9.1998.

14 Siehe: Keith Haring On Park Avenue. Andre Emmerich Gallery. New York 1997. Die zwölf Skulpturen sind zu sehen unter: http://www.tiac.net/users/tpmac/Haring/index/htm. ,,Boxers" ist im Original etwa 5 m hoch und rot bzw. blau lackiert.

15 Vgl. Robert Farris Thompson: Haring and the Dance. In: Elisabeth Sussmann (ed.): Keith Haring. Whitney Museum of American Art, New York 1997, 214-224, Zitat: 218. Über Harings Verhältnis zur sog. ethnographischen Kunst und zum Primitivismus siehe: Maarten van de Guchte: ,,Chance Favors the Prepared Mind": The Visual Anthropology of Keith Haring. In: Keith Haring. Future Primeval. Normal, Illinois: University State Galleries 1990, 80-86. David Galloway: A Quest for Immortality: The Sculptures of Keith Haring. In: Germano Celant (ed.): Keith Haring. München: Prestel 1992, 21-26. Dieser Band enthält auch Harings Portrait des mehrfachen Weltmeisters Hector ,,Macho" Camacho" (Puerto Rico/ USA).

16 Vgl. dazu auch die Aufsätze des Schwerpunktes ,,Sinnlicher Eindruck und symbolischer Ausdruck im Sport" in: Berliner Debatte Initial 10 (1999) 6, 3-72.

17 Zum Forschungskontext sowie zur theoretischen Auseinandersetzung und politischen Zusammenarbeit mit Pierre Bourdieu siehe u.a.: Pierre Bourdieu, Loïc Wacquant: Reflexive Anthropologie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1996; die Mitarbeit an Pierre Bourdieu [u.a.] (Hg.): Das Elend der Welt. Zeugnisse und Diagnosen alltäglichen Leidens an der Gesellschaft. Konstanz: UVK 1997. Loïc Wacquant: Elend hinter Gittern. Konstanz: UVK 2000. Zur Diskussion um die theoriegeschichtliche Einordnung siehe Sighard Neckel: Zwischen Robert E. Park und Pierre Bourdieu: Eine dritte ,,Chicago" School? Soziologische Perspektiven einer amerikanischen Forschungstradition. In: Soziale Welt 48 (1997) 1, 71-84. Die boxsoziologischen Studien werden 2002 in einem Buch zusammengefaßt, das voraussichtlich auch auf Deutsch erscheinen wird. Bibliographie: http://sociology.berkeley.edu/faculty/wacquant.

18 Vgl. die Kommentare und Abbildungen in: Jorge Molder. Anatomy and Boxing. Interval, Witten; Ludwig Forum, Aachen 1999 (online: http://www.interval.de/Molder.html). Matthew Gale: Francis Bacon: Working on Paper. London: Tate Gallery 1999.

19 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Loïc J. D. Wacquant in: The pugilistic point of view: How boxers think and feel about their trade. In: Theory and Society 24 (August 1995) 4, 494ff. Eine psychologische Deutung von Mike Tysons Verkörperung physischer und psychischer "Härte" im Sinne der Fähigkeit, den Körper in öffentlicher Aktion und Darbietung zu riskieren, versucht: Tony Jefferson: Muscle, `Hard Men' and `Iron' Mike Tyson: Reflections on Desire, Anxiety and the Embodyment of Masculinity. In: Body & Society 4 (1998) 1, 77-98.

20 Siehe z.B. Jane Couchs Bericht über ihren Prozeß gegen den Britsh Boxing Board of Control (BBBC): Fleetwood Assassin, by Jane Couch as told to Tex Woodward. London: Blake 2000, 203ff.

21 Siehe u.a.: ,,Eine Frau schlägt zu. Die Boxerin Fikriye Selen" (BR/NDR, 1999), ,,Durchboxen" (Arte/WDR-Doku-Soap, 2000). Siehe auch die Dokumentarfilme ,,Shadow Boxers" (über Lucia Rijker; USA, 1999) und ,,On the Ropes" (u.a. über die Brooklyner Amateurboxerin Tyrene Manson; USA, 1999).

22 ,,The Myth about/ a woman's fist, / (putting the thumb/ inside), still/ makes me flex/ my hand to check,/ though I have known/since it was first told to me/ as solemn truth/ it was a lie." Ann Darr: The Myth of a Woman's Fist. New York: William Marrow 1973, 5.

23 Nach Angaben des DSB waren im Jahr 2000 9349 Mädchen und Frauen ab 6 Jahre Mitglied des DABV (Männer: 47590), davon besaßen etwa 130 eine Wettkampferlaubnis. Zum Vergleich für das Jahr 2000: Judo: 84444 Frauen, 184245 Männer; Karate: 33646 Frauen, 70374 Männer. Beim Bund Deutscher Berufsboxer (BDB) waren im Februar 2001 13 Frauen (zwischen 18 und 35 Jahren) und 156 Männer lizenziert.

24 Christy Halbert: Tough Enough and Woman Enough. Stereotypes, Discrimination, and Impression Management Among Woman Professional Boxers, in: Journal of Sport & Social Issues 21 (Feb. 1997) 1, 7-36. Halbert befragte zwölf Frauen - damals ein Fünftel der Berufsboxerinnen der USA.

25 Siehe die o.g. Autobiographie von Jane Couch. Weitere neue Boxerinnen-Autobiographien sind: Lynn Snowden Pickert: Looking for a Fight. A Memoir. New York: Dial Press 2000. Kate Sekules: The Boxer's Heart. Ho I Fell in Love with the Ring. New York: Villard 2000.

26 Jennifer Hargreaves (ed.): Sport, Culture and Ideology. London: Routledge & Kegan Paul 1982. Dies.: Sporting females: critical issues in the history and sociology of women's sports. London: Routledge 1994. Dies.: Heroines of sport: the politics of difference and identity. London, New York: Routledge 2000.

27 Viele Boxerinnen stimmen darin überein, daß der von manchen Verbänden ,,im Interesse der Frauen" vorgeschriebene Brustschutz eine effektive Selbstverteidigung eher behindert, da er die Armfreiheit einschränkt. Welch große Herausforderung auch Amateurboxerinnen für die Organisatoren des olympischen Boxens darstellen, ist z.B. aus Ulrike Heitmüllers Erklärung ersichtlich, sie habe gelernt, ,,daß die Brust für meine Gegnerinnen völlig unwichtig ist, da sie kein K.o.-Punkt ist". (Winner by points - women's boxing. In: International Amateur Boxing Association (AIBA) (ed.): Fascination of Boxing, Berlin 1996, 160.) Eben indem sie sich von der unterstellten dominanten K.o.-Orientierung im Berufsboxen distanzieren, versuchen Vertreter des Amateurboxens sonst, gesellschaftliche Akzeptanz für den Amateursport zu gewinnen (siehe z.B. ebd., 21, 84, 149).

28 Nanda Fischer: Sport als Literatur. Traumhelden, Sportgirls und Geschlechterspiele. Eching: f+b Verlag 1999.

29 Siehe Maja Storch: Die Sehnsucht der starken Frau nach dem starken Mann. Düsseldorf, Zürich: Walter Verlag 62000.

30 Zu illegalen Faustkämpfen ohne medizinische Betreuung u.ä. Regelungen in Großbritannien siehe z.B.: Geoffrey Beattie: On the Ropes. Boxing as a Way of Life. London: Indigo 1997, 165-171. Jon Hutten: Unlicensed. Random Notes from boxing's underbelly. Edinburgh, London: Mainstream Publ. 1998.

31 Vgl. Kerstin Decker: Die Schwäche der Schläger. In: Der Tagesspiegel, 4.12.2000, 3.

Abbildungen

Nuria Quevedo: Kopf-Hand. Kohle auf Papier, Vorstudie zur Graphikfolge ,,Leben ist Traum", 1988.

Nuria Quevedo: Kopf-Hand. Strichätzung, 1989.

Keith Haring: Boxers, 1987 (1998); Photographie: Meista Maihorn.

Stephen Hathaway: The Confessional. Vorabdruck aus: Getting the Hard On. Photographs by Stephen Hathaway & Izabella Holland, 2001, im Erscheinen.

Jorge Molder: o.T. in: Jorge Molder. Anatomy and Boxing. Interval, Witten; Ludwig Forum, Aachen 1999, 5.

Jorge Molder: o.T. in: Jorge Molder. Anatomy and Boxing. Interval, Witten; Ludwig Forum, Aachen 1999, 47.

Regula Zink: Faust. Öl auf Leinwand, 1992/93. ZINK. Hg. v. Goldrausch Frauennetzwerk Berlin e.V., Berlin 1994.

Joseph Sheppard: Descent from Ring, Öl auf Leinwand, 1984. The Butler Institute of American Art: The Artist at Ringside. Youngstown, 1992, 64.

Nuria Quevedo: Studie zum Thema Don Quijote. Kaltnadel-Radierung, 1985.

Dr. Wolf-Dietrich Junghanns, Philosoph, Berlin