'A Whiteness that burns'

Beiträge aus dem unordentlichen Land

in (23.04.2001)

Es ist die algerische Wüste, die gezeigt wird. Der junge Fanon steht als einziger dunkler Fleck in den endlosen sandfarbenen Dünen, soweit das Auge reicht.

Dann wird das Bild überbelichtet, immer stärker, und Himmel und Sand werden immer weisser, zu einem Bild dessen, wovon die Hintergrundstimme Fanon's erzählt, der Erfahrung der Pariser Jahre: "Wohin ich auch sah, war die Welt weiss. Ich sah mich umgeben von einem blendenden, brennenden Weiss; so grell, dass es schmerzt." (1)

"A Whiteness that burns": Im Deutschen ist die Doppelbedeutung von Whiteness, Weiss-heit, nicht gut wiederzugeben. Es gibt kein Wort für Weiss-Sein, kein Wort das ausdrückt, dass eine Person, eine Institution, eine Gesellschaft, ein Gedanke, eine soziale Welt davon bestimmt ist, dass sie "weiss" sind. Bestandteile einer "weissen" Welt, die auf der kolonialen, rassistischen und neokolonialen Unterdrückung all derer beruht, die als "Nicht-Weisse" unsichtbar gemacht werden. Deren Person, Gedanken, soziale Welt im herrschenden Bild der Welt nicht vorkommt. Was man ganz normal findet.

Frantz Fanon kommt aus einer weitgehend "schwarzen" Welt, aus Martinique, der französischen Kolonie in der Karibik. Er geht nach Paris, und dort fällt ihm, wie er beschreibt, zum ersten Mal auf, dass er "schwarz" ist. Er findet sich inmitten der "whiteness that burns", einer selbstgenügsamen, auslöschenden, gnadenlosen Whiteness - einer Herrenwelt. Er geht als Psychiater nach Algerien, damals ebenfalls französische Kolonie. Er stellt fest, dass man Menschen nicht heilen kann, wenn die Gesellschaft verrückt ist, in der sie leben, und nimmt teil am algerischen Befreiungskampf gegen die französische Kolonialherrschaft. Er schreibt "Towards an African Revolution", "Black Skin, White Mask" und "Die Verdammten dieser Erde", Schriften, die für das Black Consciousness Movement und für den revolutionären Antikolonialismus und Internationalismus von grösstem Einfluss werden und heute im Zuge der Postkolonialismus-Debatte wiedergelesen werden.

Whiteness, Weiss sein, gehört zu den Dingen, die von fundamentalem Einfluss auf das eigene Leben, Denken, Handeln sind und einem trotzdem nicht auffallen. Für die weisse Welt ist es selbstverständlich, dass die Welt weiss ist. Es ist eine Form der Dummheit, die zu den gängigen Todsünden der modernen Welt gehört. Einer aggressiven, brutalen Dummheit, die nichts mit geistigen Fähigkeiten zu tun hat, sondern damit, nicht wissen zu wollen, nicht in Frage zu stellen. Das angeblich Selbstverständliche für normal zu halten, weil es so am bequemsten ist.

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"Where are all your people?" "Where are all the people?" "Wo sind denn die ganzen Leute?" Die grobschlächtigen Raumfahrer, die sich in der Küche des Farmhauses auf Whileaway breitgemacht haben, werden nicht müde, die Frage zu wiederholen. Allerdings meinen sie, genaugenommen, nicht einfach "Leute". Sie meinen "Männer". Sie sind ja ganz nett, die Frauen von Whileaway, denen sie bis jetzt begegnet sind, wenn auch ein bisschen sperrig, aber wo sind eigentlich die "Leute"? Die Männer? Aber auf Whileaway gibt es keine Männer. Es ist sechshundert Jahre her, dass auf dem kleinen Planeten, einer irdischen Kolonie, die männliche Hälfte der Bevölkerung von einer Krankheit ausgelöscht wurde. Die Frauen von Whileaway brauchen eine Weile, bis sie die Frage verstehen, die ihnen gestellt wird. Als die Lage geklärt wird, trifft es die Raumfahrer, die ersten Männer, die seither wieder Whileaway betreten, zunächst wie ein Hammer. Aber dann fassen sie sich. "Oh, das ist eine Tragödie. Eine Tragödie. Aber ihr habt Glück. Jetzt sind wir ja hier." (2)

Rassismus und Sexismus sind unterschiedliche Unterdrückungsformen, die sich nicht beliebig parallelisieren lassen. Aber die Dummheit ist dieselbe. Die Dummheit der Macht im Inneren der verzehrenden weissen Lichtwalze, die Issac Juliens Fanon-Film illustriert. Die Dummheit männlicher Breitbeinigkeit, von der Joanna Russ' Erzählung "When It Changed" erzählt, die Dummheit vor der her sich Wellen von Panik ausbreiten, während der immer gleiche Film läuft: "Übrigens, auf der Erde haben wir jetzt auch sexuelle Gleichstellung!"

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Jenseits der Whiteness liegt nicht das "Schwarze", kein wie immer geartetes "Schwarzsein", sondern ein unordentliches Land. Jenseits der Whiteness, jenseits der patriarchalen Männerwelt, jenseits der kolonialen Festung, sind die Dinge nicht automatisch klarer. Ganz im Gegenteil. Es ist eine Eigenschaft der herrschenden Welt, der Welt der Herrschaft, dass alles klar ist, alle Bedeutungen zugewiesen, alle Regeln erklärt, alle Rollen verteilt. Jenseits dessen sind die Dinge in Bewegung - die Bedeutungen, die Regeln, die Rollen, die Verhältnisse untereinander, die Antworten. Jenseits liegt das unordentliche Land, welches trotz allem die Zukunft ist.

Die Beiträge dieses Readers sind Berichte aus diesem Land, das ein Stück jenseits der Whiteness, der Herrenwelt, liegt und wo die Probleme erst anfangen. Katharina Walgenbach und Ruth Frankenberg führen ein in die Debatte um "Whiteness", die bislang vorwiegend eine US-amerikanische Diskussion ist - obwohl, wie Walgenbach zeigt, auch für ein Land wie Deutschland die Modelle von Männlichkeiten und Weiblichkeiten geprägt sind von der kolonialen Vergangenheit und von der neokolonialen Gegenwart. - Die Beiträge von Shahidah Janjua, Desiree Lewis und Patricia McFadden sind Kritiken zum Verhältnis von nationaler Befreiung und Patriarchat, genauer gesagt: Sie kritisieren die Unterordnung von Frauen und Feminismus unter die Belange des nationalen Befreiungskampfes und seiner Organisationen. Janjua bezieht sich auf die IRA als patriarchale Organisation; McFadden wendet sich gegen die Versuche, Frauen auf "authentische", "nicht-westliche" Rollenbilder festzulegen und so erneut patriarchaler Definitionsmacht zu unterwerfen. Lewis sieht die "non-racial politics" des ANC im neuen Südafrika als eine Politik der Verdrängung, mit der alte und neue männliche Eliten und ein akademisch-weisser Feminismus ihren Frieden auf Kosten des schwarzer Feminismus machen.

Geht es in diesen Beiträgen um die Kritik an einer nationalen Befreiung, die es sich zu einfach macht, so geht es in den Beiträgen von Laura Alexandra Harris, Raimi Gbadamosi, Kobena Mercer und Paul Gilroy um die Kritik eines schwarzen Nationalismus bzw. einer Identitätspolitik, die es sich zu einfach macht. Sie handeln von dem, was in der angeblichen Homogenität der "Gegenwelten" nicht vorkommt: Lesbischsein, Schwulsein, proletarische Frau sein; sie setzen sich mit der "Biopolitik" schwarzer Populärkultur auseinander und mit den Erwartungshaltung eines weissen Kulturbetriebs, gefälligst "schwarz genug" zu sein. - Curtis Price, Mike Davis und Angela Davis befassen sich mit der materiellen Realität schwarzer und lateinamerikanischer Communities. Der Bogen reicht von der Drogenökonomie über neue Formen "grenzüberschreitender" Community-Bildung, bis zur rassistischen Ökonomie des Strafvollzugs als ungebrochener Form sozialer Apartheid und zur Apartheid-Ökonomie der Flüchtlingsregime, in denen Abschiebung und billige Vernutzung "illegaler" Arbeitskraft eine Einheit bilden.

Den Abschluss bilden die Beiträge von Hiroko Hagiwara und Robert Young, die eine Brücke zu aktuellen Debatten um Postfaschismus und Postkolonialismus schlagen. Hagiwara berichtet über die Arbeiten der japanischen Künstlerin Teako Tomiyama, die vom faschistischen Japan, seinem rassistischen Kolonialregime über die Mandschurei und dem anhaltenden Verschweigen dieser Vergangenheit handeln. (Den Artikel sollte übrigens jeder und jede lesen, die die Akte-X-Folge "731" kennen.) Die Postkolonialismus-Debatte, mit ihrer Auflösung aller Zuschreibungen und vorfindlichen Identitäten, ihrer Bejahung von Migration und "Hybridität", ihrer Aufwertung der Peripherie als geschichtsproduzierender Macht, hat das "unordentliche Land" quasi zum Prinizip erhoben und droht es gleichzeitig komplett zu verfehlen, wenn sie zur akademischen Entschärfung aller realen sozialen Auseinandersetzungen wird. Young, der mit "White Mythologies" eine postkoloniale Philosophie-Geschichte vorgelegt hat, breitet hier die Fragen aus, entlang derer der postkoloniale Ansatz seine reale emanzipative Kraft beweisen muss.

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Der vorliegende Reader beansprucht gewiss nicht, irgendein Gesamtbild zu liefern. Er bietet die typische Möglichkeit, sich das eine herauszupicken und gegen das andere auszuspielen. Er bietet umgekehrt aber auch die Möglichkeit, die Dinge gegen- und nebeneinander zu lesen und dadurch vielleicht einige typische Fallstricke und Fehler zu vermeiden. Es mangelt nicht an Strategien - bewussten, unbewussten und halb-bewussten -, das unordentliche Land mit seinen eigenen Waffen und Erkenntnissen immer aufs neue zu kolonisieren, Whiteness und Patriarchat in moderner, cleverer, zeitgemässer Weise zu behaupten.

Projektion und Flucht (Eskapismus) sind eine Form. Die eigenen Wünsche und Hoffnungen auf die Bewegungen der "Anderen" zu projezieren, während/weil einem zur Veränderung vor der eigenen Tür nichts einfällt bzw. man gar nicht darüber nachdenken will, führt zwangsläufig von unkritischer Überhöhung zu Frust und weiter zum Zynismus. (Heute überspringen wir auch schon mal die erste Stufe oder projezieren statt Hoffnungen unsere Ratlosigkeit.) Der früheren "Konjunkturschwankung" nationaler Befreiungsbewegungen, dem modischen Sympathiewechsel von der einen zur anderen, entspricht heute das wegwerfende Rasonnieren, in Mexico und selbst in Chiapas sei es ja auch nur eine absolute Minderheit, die sich aktiv auf die EZLN oder den sozialen Aufstand bezieht. (Wenn wir hier mit der absoluten Minderheit, die sich noch auf irgendeinen verändernden Anspruch bezieht, so viel real bewegen könnten wie in Chiapas und Mexico, wäre das fürs Erste schon nicht schlecht.) Projektion ist heute auch am Werk, wenn der berechtigte Hinweis: Quotierung, Reform des Staatsbürgerschaftsrechts, schwarze "Mittelstandspolitik" oder Frauenförderung an der Uni würden neue Grenzen aufmachen und viele andere ausschließen, gegen die ebenso berechtigte praktische Unterstützung für diese Reformen ausgespielt wird.

Akademisierung und Instrumentalisierung sind zwei zeitgemässe Hits neuer Kolonisierung und Einhegung. Akademisierung findet dann statt, wenn über den Schwierigkeiten und Feinheiten der Debatte die Frage verloren geht, nämlich die Frage nach Befreiung; wenn Claims abgesteckt und Formen des intellektuellen Ausschlusses praktiziert werden; wenn man gut davon leben kann, "part of the problem" zu sein. Instrumentalisierung setzt an den erwähnten Möglichkeiten an, die Dinge gegeneinander auszuspielen; sie ist fast immer eine patriarchale Strategie. Da wird die Kritik am weissen Feminismus zum Vorwand, sich mit der weiblichen Kritik an der eigenen patriarchalen Organisation nicht auseinanderzusetzen oder zurückzukehren zur Klassenfrage als Hauptwiderspruch - was heute so unterschiedliche Organisationen wie autonome Antifa- und Antirassismusgruppen, bewegungsorientierte Dachverbände und etablierte Lobbyorganisationen verbindet. Offenbar gibt es viele offene Rechnungen mit dem "weissen" Feminismus, die unter dem Deckmantel postmoderner oder globaler Pluralität beglichen werden sollen. Es ist kaum zu glauben, wie ungeschminkt sich Politik machen lässt mit der klassischen Formel "Andere Frauen wären froh, sie hätten nur die Hälfte der guten Sachen auf dem Teller (und ihr solltet das gefälligst auch)".

Schließlich gibt es die Formen der Reduktion und der Kapitulation. Auch dies sind Strategien, Fragen und Veränderung auszuweichen. Zugegebenermassen ist es eine paradoxe Situation, dass das 20.Jahrhundert zumindest in seiner zweiten Hälfte ein schwarzes und ein weibliches Jahrhundert war - die wichtigsten kulturellen, sozialen, politischen, philosophischen Impulse kommen heute von ausserhalb der Festung. Die Festung der patriarchalen Whiteness, die sich verschanzt in der Ersten Welt und ihren Kopien, hinter ihrer Heterosexualität, ihrer kommerziellen Selbstvergewisserung, ist weitgehend unfruchtbar geworden. Gleichzeitig besteht ihre Herrschaft, ihre Privilegien, die Grausamkeiten ihres Regimes fort. Die "draussen" (was immer auch eine graduelle Frage ist) haben die Welt bereits verändert, aber sie haben sie noch nicht gewonnen. Wer sie nur mit ihrer "Unterdrückung" zitiert, greift genauso daneben wie der, dessen Blick sich nur auf ihre "kulturellen und politischen Leistungen" richtet; in beidem kann Selbstgefälligkeit und Herabwürdigung liegen - Blindheit eben. Kapitulation hingegen funktioniert mit beiden Brillen. Kapitulation bedeutet, die eigene Person, die eigene Befreiung, die eigene Widersprüchlichkeit an der Garderobe abzugeben ("mit mir/uns/hier ist sowieso nichts mehr los"). Aber niemand kann menschlich, politisch, sozial, kulturell etwas anfangen mit Leuten, die von sich behaupten, sie wären eigentlich gar nicht da. (Und nicht selten folgt einer "biografischen Phase" der Kapitulation dann irgendwann die nächste biografische Phase, die mit dem Motto "jetzt komm' mal ich".)

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Aus der Perspektive des unordentlichen Landes wird die blendende Whiteness als das erkennbar, was sie ist: Blasen, Festungen, Raumschiffe, Panzer. Aber die Grenzen sind graduell geworden, die Verortungen und Identitäten "prozentual". Ingrid Strobl schreibt zu Recht, Frauen bräuchten keine "neuen Männer", sondern Männer, die bereit sind, zum Feind der Männer zu werden - und genauso braucht die Welt keine "neuen Weissen", sondern Weisse, die bereit sind, zum Feind der Whiteness zu werden, usw.(3) Dafür gibt es allerdings kein Papier, das man einfach nur unterschreiben müsste, keine Handlung, mit der alles in Butter ist. Es bedarf der Formen, die Autorität und Leadership der "Anderen" anzuerkennen, ohne sich selbst aus dem Spiel zu nehmen; es bedarf der beiderseitigen Auseinandersetzung und der prinzipiellen Klarheit, dass die eigenen Privilegien auf Gewalt beruhen und dass man dieser Gewalt im konkreten Fall prinzipiell entgegenzutreten hat. (Soviel zum Thema "gute Kriege gegen die Dritte Welt".)

Erfolgreiche Veränderung, schreibt Mamphela Ramphele, erfordert mehr als ein theoretisches Verständnis der Problemlage. Sie erfordert Mut und die Bereitschaft, Risiken einzugehen, weil jede Veränderung schmerzhaft ist.(4) Dem ist nichts hinzuzufügen. Ausser vielleicht dem Hinweis auf die unausrottbare Neigung der Privilegierten, das dann auch noch als Abenteuer zu verarbeiten, was wieder ein Thema für sich ist ... (5)

Anmerkungen

(1) Isaac Julien / Mark Nash: Black Skin, White Masks. Bezug über bfi films, London.

(2) Joanna Russ: When It Changed. In: Brigitte Scheer-Schäzler (Hrsg.): Women's Fantastic Adventures. Stuttgart 1992. (Reclam Fremdsprachentexte)

(3) Ingrid Strobl: Die Angst vor den Frösten der Freiheit. In: Projektgruppe (Hrsg.): Metropolengedanken und Revolution. Texte zu Patriarchat, Rassismus und Internationalismus. Berlin 1991.

(4) "Successful transformation of gender relationships will need more than just a theoretical understanding of the problem. It requires courage and the determination to take risks, because there is no possibility of growth without pain." Mamphela Ramphele: The Dynamics of Gender Within Black Consciousness Organisations. A Personal View. In: Pityana u.a. (eds): Bounds of Possibility. The Legacy of Steve Biko and Black Consciousness. Cape Town & London 1991. Die Autobiografie Rampheles, südafrikanische Gewerkschafterin, Widerstandskämpferin gegen die Apartheid (und Weggefährtin Steve Bikos) ist gerade auf Deutsch erschienen.

(5) Claudia Bernhard: Die Transformation der Weltgesellschaft oder Das aufgeblähte Patriarchat. In: alaska 220, 1998.