Warum gibt es nie Pudding?

Postsozialismus für Vierjährige, Teil I

in (12.04.2001)

Lieber Kegel!

Jetzt, wo du deine Schuhe selber zubinden kannst, bist du endlich reif genug für die Antwort auf eine der großen Fragen des Lebens:

Warum, verdammt nochmal, gibt es eigentlich nie Pudding?

Früher mal, als deine Uroma und dein Uropa noch zur Kindergruppe gingen, schien das alles ganz einfach. Die Kindergärtnerinnen waren uralt, hatten Haare auf den Zähnen und konnten Kinder nicht leiden. Klar, daß es nie Pudding gab - die Kindergärtnerinnen aßen allen selber auf. Für Kinder ist der viel zu schade, sagten sie, die können nicht mal richtig schmecken. Die Kinder durften bloß schuften in der Küche, gegessen haben die Kindergärtnerinnen. Und keiner konnte ihnen was: Wenn die Kinder sich beschwerten, oder versuchten sich selber Pudding aus der Küche zu holen, fraßen die Kindergärtnerinnen sie gleich mit. Kinder, sagten sie achselzuckend, pff!

Kinder wollen aber immer Pudding. Deshalb dachten sie darüber nach, was zu tun sei. Einige schlaue Kinder sagten, es liegt alles daran, daß die Kinder sich die Kindergärtnerin nicht aussuchen können. Wenn die Kinder ihre Kindergärtnerin selber aussuchen, dann bekommen sie auch Pudding. Das nennt man Demokratie. Andere schlaue Kinder sagten, es liegt alles daran, daß den Kindergärtnerinnen die Küche gehört. Wenn den Kindern die Küche selber gehört, können sie sich auch Pudding kochen. Das nennt man Sozialismus. Demokratie oder Sozialismus, das war ein bißchen Geschmackssache, wie beim Pudding.

Die Kinder bissen daraufhin ihre Kindergärtnerinnen in die Waden, fraßen ihnen die Handtaschen auf, legten sich auf den Boden und schrien, solange bis die Kindergärtnerinnen entnervt das Weite suchten. Kinder zusammen sind ziemlich stark. Das nennt man Revolution. Einige Kindergärtnerinnen hörten von dem, was ihren Kolleginnen passiert war. Sie boten ihren Kindern an, sich von ihnen wählen zu lassen, dann hätten sie doch auch Demokratie. Oder sie gaben ihnen kleine Zettelchen und sagten: Hier, da steht drauf, daß dir jetzt ein Stückchen Küche gehört, das ist doch auch Sozialismus. Schlaue Kindergärtnerinnen! Einige Kinder gingen darauf ein, weil sie es sich ersparen wollten, in die haarigen Waden ihrer Kindergärtnerin beißen zu müssen. Das nennt man Reformismus.

Jetzt hätte es eigentlich Pudding geben können. Was, hätte, es mußte Pudding geben! Komischerweise gab es aber keinen. Nicht so richtig.

Sozialistischer Pudding, demokratischer Pudding

Vielleicht sind deine Großeltern noch in eine sozialistische Kindergruppe gegangen. Dann können sie dir sicher erzählen, daß es da auch nie Pudding gab. Die Kinder durften ihre Kindergärtnerin zwar mit du anreden, aber davon kam kein Pudding. Was brauchst du Pudding, sagten die Kindergärtnerinnen, die Kinder in Vietnam brauchen auch keinen! Heute, wo es Kinderfernsehen gibt, klappt das natürlich nicht mehr, weil man da sehen kann, daß die Kinder in Vietnam auch gerne Pudding essen würden, wenn sie könnten, aber damals klappte das. Den Kindern gehörte zwar der Kindergarten, aber Puddingpulver wurde keins gekauft. Immer war was anderes wichtiger: der Kindergarten mußte neu gestrichen werden, für die Küche mußten neue Maschinen angeschafft werden, und man schickte kleine Fernlenkautos in den Garten, um nachzusehen, ob es dort vielleicht Pudding gäbe. Die Kinder arbeiteten hart, weil ihnen ja alles selber gehörte, und die Kindergärtnerinnen wurden grau und rund vor lauter Sorge und Verantwortung. Wahrscheinlich aßen sie heimlich Pudding, wegen der vielen Verantwortung. Es gab sogar Kindergruppen, wo Kinder, die öffentlich übers Puddingessen nachgedacht hatten, sich vor der Gruppe für ihre schlechten Gedanken entschuldigen mußten, wo doch die Kinder in Vietnam ... Das nennt man Maoismus, aber das gibt's heute auch nicht mehr.

Meine Eltern sind in einen demokratischen Kindergarten gegangen. Da war Puddingessen nicht direkt verboten. Bloß Pudding mußte man haben. Die dicken Kinder aßen dicken Pudding, die anderen packten ihre Mohrrübe aus. Das muß auch so sein, hieß es, Pudding ist ein Menschenrecht, das darf man den dicken Kindern nicht wegnehmen. Die müssen sogar aus der Kindergartenküche noch was dazukriegen. Die dicken Kinder sind nämlich auch die, die am stärksten den Rührbesen schwingen und den Kindergärtnerinnen helfen können, damit es später mal Pudding für alle gibt. Wenn man den dicken Kindern den Pudding wegißt, der sie stark macht, ist es genauso, wie wenn man sich selbst den Pudding wegessen würde, den man in Zukunft mal kriegen wird. Irgendwie zog das. Manche Kinder erpreßten heimlich in Gruppen ein dickes Kind, aßen regelmäßig seinen Pudding und wurden selber dick. Als dicke Kinder wollten und bekamen sie dann auch Pudding aus der Kindergartenküche dazu. Das stabilisierte das System ungemein. Man nennt das Marktwirtschaft.

"Damals wollten wir noch Pudding ..."

Im Laufe der Jahre schliff sich das alles ein bißchen ab. In den sozialistischen Kindergruppen wurde nicht mehr so feindlich über Pudding geredet. Es gab jetzt Speisekarten, und man konnte Pudding bestellen; blöd war nur, daß er meistens gerade ausgegangen war. Wo der Pudding hinging, wenn er ausging, erfuhr man nicht. Die dicken Kinder hatten jetzt plötzlich auch in den sozialistischen Kindergruppen Pudding, weiß der Teufel woher, und am Schluß hielten die Kindergärtnerinnen Reden in denen es hieß: "Wir brauchen den Pudding wie die Luft zum Atmen." Das war kurz bevor der ganze Laden geschlossen wurde. Die meisten Kinder sahen jedenfalls weder vorher noch nachher welchen.

In den demokratischen Kindergärten wurde jetzt öffentlich Pudding ausgeteilt. Aber das half auch nicht so viel. Entweder setzten sich die dicken Kinder mit ihren dicken Ellenbogen in der Warteschlange durch, und die anderen bekamen nichts ab. Oder die Kindergärtnerinnen prüften, ob die Kinder auch Pudding brauchten. Komischerweise fanden sie immer bei den dünnen Kindern heraus, daß sie nach Pudding riechen würden und ganz bestimmt irgendwo einen heimlichen Sack Pudding hätten, und deshalb würden sie, die Kindergärtnerinnen, ihnen, den dünnen Kindern, bestimmt keinen Pudding mehr geben. Im Prinzip schon, aber in diesem Fall eben nicht. Das wäre nämlich Puddingbetrug. Die Kindergärtnerinnen führten jetzt Wahlkämpfe gegeneinander. Die einen sagten, "Wir schaffen gerechtere Essensschlangen", und die anderen sagten, "Wir schaffen dickere Kinder", und ganz fiese sagten, "Puddingbetrüger raus!". Aber wenn man nach der Wahl wieder in der Schlange stand, war es eigentlich immer genauso wie vorher.

Zu Zeiten unserer Eltern, also deiner Großeltern, soll es deshalb viel Unruhe gegeben haben in den Kindergärten. Heißt es! Wenn du Oma und Opa mal fragst, werden sie dir sagen, oh ja, wir waren dabei, wir hatten noch Ideale, wir wollten noch Pudding! Aber wenn du ein bißchen genauer nachfragst, war die Unruhe meistens gerade woanders. Aber viel Unruhe soll es gegeben haben, viel Unruhe! Es war eine wirre Zeit. Die Kinder in den sozialistischen Kindergruppen sagten, wir wollen mehr Demokratie, und die Kinder in den demokratischen Kindergärten sagten, wir wollen mehr Sozialismus, und die Kindergärtnerinnen tippten sich an die Stirn. Ganz Schlaue hier wie dort sagten, wir wollen demokratische und sozialistische Kindergärten, und die Kindergärtnerinnen kugelten sich vor Lachen. Sie waren ja sehr viel freundlicher jetzt, die Kindergärtnerinnen, und sie wurden sehr viel vorsichtiger. Aber Pudding rückten sie keinen raus. Nicht für unsereinen, und schon gar nicht zum Essen.

Postsozialismus und Pudding

Die beiden großen Fragen stellten sich also immer noch: Warum gab es nie Pudding, und was mußte man tun, damit es Pudding gab? Warum, weitergefragt, gab es weder in den demokratischen noch in den sozialistischen Kindergärten Pudding? Warum half es nichts, die Küche zu übernehmen oder sich neue Kindergärtnerinnen zu wählen? Wiese stimmte es nicht, daß die Entwicklung der Kindergärten im Prinzip zum Pudding hindrängte? Die Kinder standen vor neuen Rätseln. Man nennt das Postsozialismus. Nein, das hat nichts mit der Post zu tun, wo deine Ma die Briefe hinbringt; "post" sagt man immer, wenn einem was weh tut, und man weiß nicht genau wo.

Die Kinder dachten angestrengt nach. Na ja - einige Kinder dachten nach. So Kinder wie du, die ihre Schnürsenkel selber binden und viel fragen. Die meisten Kinder aßen halt, was es gab, und wenn die Kindergärtnerinnen es so wollten, sagten sie auch "Pudding" dazu. Dumpfkartoffeln eben, so was kennst du ja selber zur genüge. So wie der dicke Andi oder Paula mit der kahlen Puppe, na siehst du, du weißt was ich meine.

Aber manche dachten eben nach, und sie waren sich uneiniger als je zuvor. Manche sagten, Kindergärtnerinnen wählen oder Küchen übernehmen, das sei alles Quatsch! Die Kinder sollten heimgehen und es bei ihren Müttern versuchen, da gäbe es eher Pudding. (Das nennt man Subsistenz.) Andere sagten, die Kinder müßten mit den Kindergärtnerinnen reden und ihnen beweisen, daß es auch im Interesse des Kindergartens wäre - eines modernen, zufriedeneren, leistungsfähigeren Kindergartens - daß die Kinder Pudding bekämen. (Das nennt man Regulation.) Wieder andere rieten dazu, grundsätzlich die Küchen in die Luft zu sprengen, weil Küchen nie zum Puddingkochen da seien, sondern immer nur dazu, die Kinder am Puddingessen zu hindern. (Das nennt man sozialrevolutionär.) Und wieder andere empfahlen, die Mädchen, die nie Pudding abbekamen, sollten sich mit den ausländischen Kindern verbünden, die keinen Pudding mochten, und mit den Putzfrauen, die hinterher den Boden aufwischen, falls es Pudding gegeben hätte. (Das nennt man Triple Pudding.) Na, du siehst schon, an Ratschlägen war kein Mangel; wenn du groß bist, kannst du das alles mal im "Elchtest Befreiungstheorien" nachlesen, wenn du Lust hast. Manches wurde probiert, vieles scheiterte; die Mehrheit der Kinder hatte aber auch kein großes Vertrauen in diese Ideen.

Noch mehr Puddingfragen

Trotzdem fingen die Kindergärten ab dieser Zeit an, so auszusehen, wie du sie heute kennst. Die Kinder wurden z.B. ganz doll beteiligt. So wie du: Du bist ja auch Vitaminbeauftragte im Kinderausschuß für gesunde Ernährung, obwohl du eigentlich vor allem Puddingesserin werden wolltest. Oder es passiert das, worüber du dich immer das ganze Wochenende ärgern kannst: daß ihr am Freitag gefragt werdet, Was wollt ihr Montag essen?, und du denkst, au ja, eine Puddingabstimmung, und dann steht irgendein Dödel auf und sagt: Broccoli ist gesund und schmeckt gut!, und alle klatschen, und das war's dann wieder mit dem Pudding.

Aber das schärfste war: Es gab jetzt Pudding! Man konnte ihn sehen! Die Kindergärtnerinnen und die dicken Kinder aus den verschiedensten Kindergärten arbeiteten jetzt ganz viel zusammen, und neben vielen Dingen, von denen man nicht versteht, wozu sie gut sein sollen, kochen sie auch Pudding zusammen. Den stellen sie dann auf Wanderausstellungen aus und sagen: Diesen Pudding bekommt der Kindergarten, der am wenigsten davon isst! Das nennt man Standortpolitik. Und dann schreien alle: Gebt ihn uns, wir essen gar nichts und frieren ihn bloß ein! Und du stehst vor einem Kühlschrank voll mit gefrorenem Pudding, an den du nicht rankommst, und kannst dir sagen, au fein, wir sind ein reicher Kindergarten.

Deshalb begannen die Kinder, die Fragen stellen, jetzt andere Fragen zu stellen. Wieso half es nichts, die Kinder abstimmen zu lassen? Wieso kriegten die Kindergärtnerinnen immer das dabei raus, was sie wollten? Wieso geht es dir selber so, daß du im Gesunde-Ernährung-Ausschuß manchmal selber schon fast ein Ekelgefühl gegenüber Pudding spürst, wenn du lange genug zugehört hast? Und was sollte man mit den neuen, großen Puddingküchen und überregionalen KindergärtnerinnenUndDickeKinderVersammlungen tun, die man schier gar nicht zu sehen bekam? Immer noch war guter Rat teuer, und die Kinder dachten weiter nach, aber weniger jetzt über Küchen und Kindergärtnerinnen, sondern auch über Kinder und sich selber. Es waren auch immer mehr Kinder von immer weiter her, die mitredeten, was die Sache zwar interessanter, aber noch verwirrender machte. Weil man immer noch nicht genau weiß, wo es wehtut, nennt man das auch Postsozialismus.

Die einen sagten, hört euch mal die Lieder an, die sie uns singen lassen! "Brav und Brot, macht Wangen rot"; ist doch völlig klar, daß da gar niemand an Pudding denkt. (Das nennt man Poplinke.) Welche von den Mädchen sagten, diese feisten Jungs, die sie immer auf die Packung malen, ist doch klar, daß Mädchen sich da vor Pudding ekeln. (Das nennt man Dekonstruktion.) Welche aus den weiter entfernten Kindergärten sagten, daß wir immer bloß Schokopudding und nie Vanillepudding kriegen sollen, weil das unserer Kultur entspricht, haha, das ist doch die Höhe! (Das nennt man Postkolonialismus.) Andere von den Mädchen sagten, Mädchen müssen sich mit Mädchen zusammenschließen und sonst mit gar niemandem, wenn sie den ganzen Mist aus dem Kopf kriegen wollen, der über Pudding erzählt wird. (Das nennt man Affidamento, weil es italienische Mädchen waren, die das sagten.) Und wieder andere sagten, daß wir hier Pudding wollen, heißt doch bloß, daß es wird dicke Kinder werden wollen und es weiter andere Kinder geben soll, die in den großen Puddingküchen schuften und nicht essen. Deshalb müssen wir unseren eigenen Kindergarten kaputtmachen statt Pudding zu fordern. (Das nennt man Antinationalismus, und die anderen Kinder zogen lange Gesichter darüber, denn deshalb waren sie eigentlich nicht zusammengekommen.)

Kommt aus Mexico vielleicht Pudding?

In der Folge bildeten sich viele kleine Grüppchen, und alle redeten durcheinander. Statt mit Pudding kam man mit Kopfschmerzen aus dem Kindergarten heim. Die Kindergärtnerinnen hatten eine tolle Zeit. Sie konnten die Füße auf den Tisch legen, zuschauen und Pudding essen. Ab und an warfen sie ein paar Stichworte ein: "Aber Harry hat gesagt ..." oder "Aber denk doch mal an Amina!", und schon ging es auf dem Teppich wieder rund, und sie konnten sich derweil einen neuen Pudding aus dem Kühlschrank holen.

Deshalb gibt es heute keinen Pudding, obwohl wir so viel drüber wissen, und deshalb versuchen heute einige Kinder, wieder was gemeinsames zu machen. Sie sagen, okay, wir werden vielleicht nie wieder eine einige Gruppe von Wadenbeißern, aber wir sollten wenigstens sowas wie gemeinsame Pudding-Parties bilden, sonst wird das nie was. Also im Moment gibt es vier solcher neuen Pudding-Parties, manche sind ein bißchen enger, manche ein bißchen schwammiger, aber so sieht's aus im Postsozialismus.

Da gibt es die Kinder, die sagen, laßt uns erstmal wieder einen gemeinsamen Feind finden. Den nennen wir Neoliberalismus, und weil sich jede und jeder drunter vorstellen darf, was er oder sie mag, können wir uns trotzdem einig sein, quer durch alle Kindergärten. Nur aus den Ausschüssen für gesunde Ernährung und dem ganzen Quatsch müssen wir raus, und stattdessen sowas wie eigene Kindergärten im Kindergarten aufbauen, wo wir wieder selber lernen herumzubrauen, und den Pudding aus den großen neuen Küchen nehmen wir nicht mehr. Man nennt das Zapatismus. Das sind nette Leute (aber der gute Pudding von Dr.Oetker ist halt auch was Feines).

Auf der anderen Seite gibt es die Kinder, die sagen, es gibt gar nicht genug Ausschüsse, wir müssen selber noch welche gründen! Auch wenn wir nicht genau wissen, wo es hingehen soll, durch immer mehr Ausschüsse werden wir den Kindergärtnerinnen immer mehr Steine in den Weg legen. Wir wollen zwar alle was verschiedenes, aber einig können wir darin sein, daß alle über alles mitreden und mitentscheiden sollen. Ausschüsse, das ist die moderne Form des Wadenbeißens! Man nennt das Postmarxismus (einige sagen auch "radikaler Reformismus" dazu). Die sagen auch, bevor wir Pudding erkämpfen können, müssen wir erst eine allgemeine Stimmung für Pudding erkämpfen (was richtig bemerkt ist, aber der Pudding ist dann oft schon ganz kalt).

Die dritte Pudding-Party ist die, die sich als eine Art "Club der Verlierer" sieht. (Das kennst du, stimmt's? Steven King, "Es"!) Alle Kinder sollten sich zusammenschließen, die nicht sind wie die dicken Kinder. Weil z.B. Mädchen sind, Türken, oder Plattfüße haben. Gemeinsam müßten sie die ganzen Bilderbücher durchforsten und alle Seiten herausreißen, wo von glücklichen, dicken Kindern die Rede ist, und in der Essensschlange gelten strenge Quoten. Man nennt das Regenbogen-Koalitionen. Manchmal sind die bißchen verbiestert; wenn man z.B. nicht mal mehr "Das ist ja fett!" sagen darf, weil das an die dicken Kinder erinnert und so. Und deine Freundin hat natürlich recht, daß in ihrem Multikulti-Kindergärten, wo die Kinder ganz friedlich, verschieden und respektvoll miteinander umgehen, das Essen besonders beschissen ist. Weil im Essen weder Schweinefleisch (wegen den Muslimen), noch Zucker (wegen den Diabetikern), noch Obst (wegen den Allergikern), noch Erbsen (wegen Heiner, der kriegt Blähungen) drin sein dürfen.

Na und schließlich gibt es noch den sogenannen Neosozialismus. Sozialismus, sagst du, das hatten wir doch schon mal? Ja, richtig, aber eben "neo". Auch nicht "post", sondern "neo". Denn die sagen, wir haben zwar sehr verschiedene Probleme und wollen sehr verschiedene Puddings, aber wir haben es mit den selben Kindergärtnerinnen zu tun, und die können gut miteinander. Und daß wir in unserem kleinen Kindergarten die Kindergärtnerinnen wählen und oft sogar in der Küche was zu sagen haben, das ist doch bloß Spielzeug. In den Großküchen müssen wir was zu sagen haben, und die Großen Kindergärtnerinnen wählen, sonst wird das nichts. Also versuchen sie entweder die Kinder in den Großküchen zu organisieren (was schwierig ist, weil die das nicht dürfen und keiner auf sie hört), oder sagen, laßt uns erstmal bei uns Kindergärtnerin werden, und dann rücken wir auch den Großen Kindergärtnerinnen zu Leibe (was aber zu Mißtrauen Anlaß gibt).

Mehr Pudding gibt es bislang noch nicht, aber durch die großen Pudding-Parties ist das Gebalge auf dem Teppich schon etwas übersichtlicher geworden, und so ...

Du meine Güte, sagst du, das ist ja schrecklich! So viele Fragen? So viel Streß? So ein Durcheinander? Vielleicht will ich heute lieber noch keinen Pudding.

Siehst du, genau das ist es. Deshalb gibt es eben immer noch keinen.

Begleitende Literatur für Erwachsene:

Arif Dirlik: The Postcolonial Aura. Third World Criticism in the Age of Global Capitalism, Boulder/Col. 1997.

Gustavo Esteva: Der Zapatismus als Aufstand der Gesellschaft, in: Mittelstädt/Schulenburg, Der Wind der Veränderung, Hamburg 1997.

Stuart Hall: Einige "politisch nicht korrekte" Pfade durch PC, Argument 213, 1996.

Glen Jordan/Chris Weedon: Cultural Politics. Class, Gender, Race and the Postmodern World. Oxford 1995.

Ernest Laclau/Chantal Mouffe: Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus, Wien 1991.

und aus der alaska natürlich der Elchtest (Nr. 217).