Der Aufbau Ost braucht keinen kurzatmigen Aktionismus, sondern Stetigkeit und Verlässlichkeit.

Zur Debatte über den Status des Aufbaus Ost und die Zukunft der Förderung für die neuen Länder

Im Forum DL21 nimmt Staatsminister Schwanitz Stellung zur Situation in Ostdeutschland und den Thesen von Wolfgang Thierse

Von Rolf Schwanitz*

Gegenwärtig befinden wir uns inmitten einer wichtigen Debatte über den Status des Aufbaus Ost und die Zukunft der Förderung für die neuen Länder.

Die Pros und Contras dieser Auseinandersetzung sind hinlänglich ausgetauscht. Das Thema "Aufbau Ost" ist wieder zu einem wichtigen Zeitpunkt auf der öffentlichen Agenda, nämlich zu dem Zeitpunkt, zu dem die politischen Weichen für den zweiten Solidarpakt gestellt werden.

Jetzt gilt es, den politischen Boden zu bereiten, um den "Soli 2" zum Erfolg zu führen. Deshalb will ich offensiv die guten Gründe vertreten, die dafür sprechen, den Aufbau Ost verlässlich und dauerhaft fortzusetzen, ohne dabei den Blick auf das bisher Erreichte zu vergessen.

Aufbau Ost: Ein Erfolg!

Entscheidend ist zunächst: Der Aufbau Ost - trotz aller Fehler und Versäumnisse am Anfang - ist ein Erfolg. In den letzten 10 Jahren hat Ostdeutschland vor allem in der Infrastruktur ungeheuer aufgeholt. Das schlägt sich nieder in sanierten und neuen Wohnhäusern, einem Telekommunikationsnetz auf dem neuesten Stand der Technik und gut ausgebauten Straßen. Ostdeutschland ist aber auch auf dem Weg, ein Standort von Innovation mitten in einem sich erweiternden Europa zu werden. Über 550.000 kleine und mittlere Unternehmen haben mehr als 3 Mio. neue Arbeitsplätze geschaffen. Ostdeutsche Hochschulen behaupten sich als weithin moderne und leistungsfähige Ausbildungsstätten sowie attraktive Partner junger Unternehmen in Forschung und Entwicklung.

Wirtschaftpolitischer Strategiewechsel ist eingeleitet

Wir haben in den letzten zwei Jahren erfolgreich einen wirtschaftspolitischen Strategiewechsel vorgenommen. Die Stichworte unseres strategischen Ansatzes für Ostdeutschland lauten:
Kooperationen zwischen Unternehmen und Wissenschaft fördern, innovative Wirtschaftsregionen schaffen und stärken, technologieorientierten Existenzgründern auf die Sprünge helfen, wettbewerbsfähige Unternehmensnetzwerke aufbauen und verstärkt in Ausbildung und Hochschulen investieren. Außerdem setzen wir unser großes Engagement im Verkehrswegebereich fort: 60% aller Mittel des Bundes fließen heute in den Straßenbau. Damit entwickelt sich mittelfristig eines der modernsten und leistungsfähigsten Infrastruktursysteme in Europa.

Das wir damit die richtigen Stellschrauben gedreht haben, um die Entwicklung voranzutreiben, zeigt ein Blick auf die Wirtschaft. Natürlich steht die ostdeutsche Braubranche in einem bitteren, aber notwendigen Anpassungsprozess und verdunkelt das Bild - vor allem am Arbeitsmarkt und beim resultierenden gesamtwirtschaftlichen Wachstum. Aber das Verarbeitende Gewerbe in Ostdeutschland hat gegenwärtig Zuwachsraten, von denen Westdeutschland nicht zu träumen wagt. 2000 waren es beim Umsatz fast 13%. Auch beim Export können wir uns über Zuwächse im zweistelligen Bereich freuen.

Verläßlichkeit für Investoren

Es hat wenig Sinn zu beklagen, dass dies heute noch von einer zu schmalen Basis aus geschieht. Dies sind die Folgen der Fehler von gestern. Wichtiger ist es, den offensichtlich erfolgreichen Weg der Reindustrialisierung der ostdeutschen Wirtschaft verlässlich für die Investoren fortzusetzen. Die Investoren haben in Ostdeutschland erfolgeich an industrielle Traditionen angeknüpft und in längst totgesagten Branchen wie dem Maschinenbau und der Textilindustrie neue Horizonte eröffnet. Und diese setzen sich fort - trotz anderslautender Annahmen und Ängste.

Gerade deshalb sollten wir jetzt mit vergleichenden Bildern in dieser Debatte sorgsam umgehen: Das vielzitierte Mezzogiorno hat in mehreren Jahrzehnten der Förderung gerade einmal 100.000 industrielle Arbeitsplätze schaffen können. Genau so viele Menschen sind heute in den neuen Ländern allein in der Automobilindustrie beschäftigt. Und weitere Zukunftschancen lassen sich auch in anderen hochentwickelten Technologiebereichen identifizieren; etwas in der Mikroelektronik, der Biotechnologie und in der Chemie.

Deshalb gilbt es zu unserer Strategie der Innovation und der Entwicklung endogener Potenziale keine Alternative. Und die Geduld, Kraft und Zähigkeit hierfür müssen wir aufbringen, auch wenn es politisch unbequem ist.

Aktive Arbeitsmarktpolitik

Unabdingbar ist es deshalb auch, den erfolgreichen Umstrukturierungsprozess auf absehbare Zeit durch aktive Arbeitsmarktpolitik zu begleiten. Da darf es keine Abstriche geben. Wir haben deshalb die Arbeitsmarktpolitik nicht nur verlässlicher gemacht, sondern auch das Ziel, die Rückkehr der Arbeitslosen an den ersten Arbeitsmarkt wieder in den Mittelpunkt gestellt. Besonders für die Jugendlichen wird mit verstärkten Programmen (z. B. JUMP) ein Beitrag zu ihrer Integration in den Arbeitsmarkt geleistet - durchaus mit Erfolg, wie unabhängige Experten feststellen.

All dies ist jedoch nicht zu schaffen, ohne die Menschen selbst. Sie müssen nicht nur politisch mitgenommen werden, sondern sie müssen die Leistungen selbst erbringen, für die Politik den Rahmen setzt. Ihr Selbstvertrauen, ihre Ausdauer und die Eigeninitiative der Menschen in Ostdeutschland sowie die Solidarität der Westdeutschen sind dabei die Schlüssel zum Erfolg. Gerade deshalb stehen wir alle mit unserer Tat und unserem Wort in der Pflicht, Mut zu machen für die Bewältigung der Herausforderungen, die noch vor uns stehen. Die Bundesregierung wird das Ihre für die zweite Hälfte dieser Wegstrecke tun.

Der Bundeskanzler hat im Mai letzten Jahres gegenüber den Ministerpräsidenten der neuen Länder einen weiteren Solidarpakt zugesichert, der das Niveau der Hilfe für die ostdeutschen Länder weit über die Zeit nach 2004 hinaus sichert. Das ist wichtig, um die positiven Entwicklungen langfristig zu stärken und finanzielle Sicherheit und Perspektive für Länder, Kommunen, Investoren und Bürger auch nach 2004 zu gewährleisten.

Dies ist möglich und notwendig zugleich. Denn es geht nicht um kurzatmigen Aktionismus, sondern um dicke Bretter, die wir noch zu bohren haben beim Aufbau Ost.

* Rolf Schwanitz ist Mitglied des Deutschen Bundestages und als Staatsminister im Bundeskanzleramt Beauftragter der Bundesregierung für Angelegenheiten der
neuen Länder