Der Atomdeal

Von der Kür zur Pflicht der Energiepolitik

Prof. Dr. Peter Hennicke ist Direktor der Energieabteilung und Vizepräsident des Wuppertal Instituts

Die Börsenachricht am Tag nach dem sogenannten ,,Atomkonsens" lautete: ,,Die Papiere von Viag und Veba verzeichneten die größten Kursgewinne ... Börsianer begrüßten die erzielte Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Stromversorgern über Rahmenbedingungen für den Ausstieg aus der Atomenergie" (FR, 16.6.2000). Die Botschaft ist eindeutig: Die Betreiber, nicht die Regierung haben gewonnen. Die Share-holder sind erleichtert, sie hatten Schlimmeres erwartet. Es wäre allerdings zu einfach, die kurzfristigen Aktienkurse als einzigen Bewertungsmaßstab des zäh ausgehandelten Deals heranzuziehen.

Der Preis des Atomdeals

Denn auch die Atomindustrie wird zurückstecken müssen. Zum Beispiel ist das internationale Signal bedeutsam: Regierung und Betreiber stellen im Konsens fest, dass die derzeitigen Reaktorlinien eine technologische Sackgasse darstellen. In Frankreich, in Japan, in Osteuropa und anderswo wird man dies aufmerksam zu Kenntnis nehmen. Auch der deutsche Nuklearexport wird kritischer geprüft werden. Hinzu kommt: Die lähmende Debatte um ein energiewirtschaftliches Sekundärthema, den weltweit geringen (7%) und bundesweit nicht entscheidenden nuklearen Primärenergieanteil von 12%, wird vorerst beendet. Nun könnte die deutsche Energiepolitik sich endlich dem eigentlichen Thema zuwenden, nämlich: Wie kann der Übergang (,,die Energiewende") zu einer klimaverträglichen und zukunftsfähigen Energieeffizienz- und Solarenergiewirtschaft, beschleunigt werden?

Auch eine direkte staatliche Entschädigung und ein langwieriger Streit vor Gericht wurden vermieden. Wozu auch, wo doch alle Kernkraftwerke spätestens nach 25 Jahren Betriebsdauer sich mit Gewinn amortisiert haben? (vgl. Wuppertal Institut 1999) Eine direkte Entschädigung für entgangene Extraprofite wäre für die Steuerzahler provozierend und nur mit hohem politischen Schaden durchsetzbar gewesen. Stattdessen gewährt die Regierung quasi durch eine Bestands- und Verwertungsgarantie während der Regellaufzeit von 32 Jahren eine indirekte Entschädigung, allerdings zu Lasten der Sicherheit und - wie bei unveränderter Energiepolitik befürchtet werden muss - auf Kosten der sozial- und ökologisch verträglicheren Alternativen.

Der Preis für diesen Deal ist zweifellos hoch, wie die Schlachtordnung nach dem Kompromiss zeigt: Von einem gesellschaftlichen Konsens kann keine Rede sein. Zufriedenheit signalisieren nur die Konzernmanager. Gespielte Freude herrscht in der politischen Mitte, der sich die SPD-Mehrheit und die Regierungs-GRÜNEN zuordnen.Viele NGOs, der BUND, Greenpeace und IPPNW fordern energisch einen rascheren Ausstieg, die CDU/CSU kündigt für den Fall einer Regierungsübernahme den Ausstieg aus dem Ausstieg an.

Es fehlt die energiepolitische Strategiedebatte

Aber dieses politische Nachbeben verdeckt nur die Ratlosigkeit, die der ohne energiewirtschaftliche Fundierung ausgehandelte Deal hinterlassen hat. Eine Kostprobe der Verwirrung auf der Seite der Atomkritiker schildert die Frankfurter Rundschau unter dem Titel: ,,Kernenergie-Gegner uneins über die richtige Strategie": Eine Gruppe ,,Politikwissenschaftler für den Atomausstieg" wird mit folgender Erkenntnis zitiert: ,,Für einen schnellen Ausstieg wäre es sinnvoll, dass möglichst viele Verbraucher möglichst viel Strom verbrauchen". Also alle mal herhören: Der Letzte macht das Licht an, damit die Atommeiler möglichst schnell ausverkauft sind! Eine absurde Idee. Die Gegenposition ist zwar sympatisch, aber ohne drastisch veränderte energiepolitische Leitplanken naiv: ,,Mit einer Werbetour für sogenannten Ökostrom und das Energiesparen will der BUND die Bürger zu einem Wechsel ihres Elektrizitätslieferanten animieren ... So könne jeder dazu beitragen, dass der jüngst beschlossene Atomausstieg schneller als in den vereinbarten Frist umgesetzt werde". (FR. 12.7.2000).

Jetzt rächt sich, dass es seit Jahrzehnten keine Strategiediskussion über die Zukunft der Energieversorgung gegeben hat. Die lange Sklerose in der deutschen Energiepolitik ist noch keineswegs überwunden, sie hat nur eine andere Form angenommen: Deregulierung und Wettbewerb dienen nun vielen Energiepolitikern als Rechtfertigung für Attentismus. Ein szenariengestützter gesellschaftlicher Diskurs über neue energiepolitische Leitziele und die sozioökonomischen Implikationen alternativer Energiepfade mit Klimaschutz und ohne Kernenergie (wie letztmalig 1980 entwickelt) (Enquete 1980) ist dringend notwendig!. Die Chance, die Szenarienergebnisse der Klima-Enquete-Kommission von 1995 breit zu kommunizieren, hat die Kohl-Regierung verspielt. Wirtschaftsminister Müller hat einen ,,Energiedialog" zwischen Interessenvertretern moderieren lassen, der folgenlos bleiben wird: Es fehlt die strategische Zielorientierung und eine Szenarien- und Instrumentenanalyse für alternative Energiepfade.

Ansätze für einen echten Konsens

Das ist um so bedauerlicher, weil auf wissenschaftlicher Grundlage ein Energiekonsens formulierbar ist, den eine große Bevölkerungsmehrheit akzeptieren könnte. Weltweite und nationale Szenarien zeigen übereinstimmend: Ein zukunftsfähiges Energiesystem muss - unabhängig von der Rolle der Kernenergie - in jedem Fall vorrangig auf den ,,drei grünen Säulen" rationelle Energienutzung (REN), Kraft-Wärme/Kälte-Koppelung (KW/KK) und regenerativen Energien (REG) aufbauen. Ist dies nicht der Fall, führt dies unweigerlich zu Grenzüberschreitungen und zu inakzeptablen, weil vermeidbaren Risiken. ,,Zukunftsfähig" bedeutet immer auch ,,Risikomimierung", das heißt vor allem: Forcierte Steigerung der Energieeffizienz als Voraussetzung für die Streckung der Öl- und Gasvorräte um (d.h. geostrategische Entspannungspolitik) und zur Sicherung des Klimas (d.h. weltweite CO2-Reduktion um 50% bis 2050). Der Ausstieg aus der Atomenergie spielt dabei eine dialektische Rolle: Aus Klimaschutzgründen muss der Verzicht auf die KKWs einerseits durch eine schnellere, aber ohne Zweifel realisierbare Markteinführung von REN, KWK/KK und REG flankiert werden. Durch vorzeitige Stilllegung und Verbot nuklearer Neuinvestitionen entsteht aufgrund des hierdurch erfolgten Abbaus von Überkapazitäten andererseits die notwendige Anreizstruktur für die schnellere Erschließung der genannten ,,grünen" Zukunftsmärkte und für eine neue Investitions- und Innovationsdynamik. Ein aktuelles Weltenergieszenario des Wuppertal Instituts (Lovins/Hennicke 1999) zeigt, dass diese Strategie technisch möglich ist und wirtschaftlich attraktiv sein kann. Die volkswirtschaftlichen Mehrkosten eines vorzeitigen Atomausstiegs in Deutschland (25 Jahre Betriebszeit; 50% CO2-Reduktion bis 2030) liegen nach neuesten Szenarien (WI/ÖI/DIW 2000) für jede verkaufte Kilowattstunde zwischen 0,2 bis 0,5 Pf/kWh. Der weit überwiegende Teil dieser Mehrkosten ergibt sich aus den Anforderungen des ambitionierten Klimaschutzziels (50% CO2-Reduktion bis 2030); für die verbleibenden relativ geringen Zusatzkosten des Atomausstiegs ist entscheidend, wieviel für die langfristig vermiedenen Kosten für Transport, Verteilung, Reserve und Verluste infolge der dezentraleren Erzeugungsstuktur unterstellt werden kann.

Eine Risikominimierung ist daher nicht nur technisch möglich, sie ist auch mit vertretbaren Mehrkosten - quasi mit einer marginalen gesellschaftlichen Versicherungsprämie - finanzierbar. Aber ohne schnelle und drastische Kursänderung in der Energiepolitik, ohne klare Vorrangregeln für REN, REG und KW/KK ist dieses Ziel nicht erreichbar. Ein Siemens-Mitarbeiter bringt die zukünftige risikominimierende Angebotsstruktur auf den Punkt: ,,Die Zukunft ist dezentral" (Bitsch 1998). Die Shell AG geht weltweit von einem forcierten Ausbau der erneuerbaren Energien bis 2060 aus und erwartet ab 2020 deren Wirtschaftlichkeit.

Widerstände

Schwachpunkt dieses - in bezeichnender Weise ,,Sustained Growth" benannten - Szenarios ist, dass die Energiezukunft quasi aus der Verkäuferperspektive vorgedacht wird. Zusätzlich zu den vorübergehend weiter wachsenden fossilen und nuklearen Märkten ergibt sich bis 2060 eine Verdreifachung des Weltenergieangebots durch REG. Insgesamt steigen die CO2-Emissionen bis 2050 noch erheblich an, statt, wie vom IPCC gefordert, absolut um 50% zu sinken. Hätte Shell in dieses ,,sustainable"-Szenario die Effizienzsteigerung von 2% pro Jahr eingerechnet, die das alternative Shell-Szenario ,,Dematerialisation" (Shell 1996) für möglich hält, hätten sich sehr ähnliche Ergebnisse wie im Faktor 4-Szenario des Wuppertal-Instituts ergeben.

Warum erscheint diese Perspektive heute noch als zu schön um wahr zu sein? Erstens, weil die Techniken der Vergangenheit (die großen Kohle- und Nuklear-Kraftwerke) und die Megafusionen der Gegenwart noch das Bild prägen. Zweitens, weil das Primat der Energiepolitik über den Markt und die Energiewirtschaft noch zu wenig wahrgenommen wird. Es ist ,,nur" eine Frage der Zeit, bis sich dieses Bild dramatisch ändern wird. Aber es ist eben genau dieser Zeitfaktor, der die notwendige Wende in der Energie- und Umweltpolitik knapp werden läßt. Denn der Umbau hängt entscheidend - so die These - von der Dauer des Atomausstiegs ab. Wäre ein Ausstieg kurzfristig möglich gewesen, hätte dies die Energiewende enorm beschleunigt (Hennicke et al 1999). Andererseits gilt: Gäbe es keinen Energiekompromiss würde die Energiewende noch weiter in die Zukunft verschoben. Das energiewirtschaftliche Hauptproblem des langfristigen Auslaufprogramms ist, dass Betreiber mit Überkapazitäten und abgeschriebenen Atomkraftwerken im Rücken nur einen geringen Anreiz haben, eigene zukunftsfähige Alternativen in den Markt zu bringen, aber gleichzeitig durch ihr Rückstellungsprivileg (etwa 70 Mrd. im Nuklearbereich) über ein großes Verhinderungs- und Verdrängungspotential gegenüber innovativen Newcomern verfügen.

Nach der jetzt vereinbarten langen Dauer des Atomausstiegs hängt es von der Energiepolitik ab, ob aus wirtschaftlichen und klimapolitischen Gründen ein schnellerer Aus- und Umstieg erfolgt.

Denn Szenarien zeigen: Sowohl das Großverbund-System als auch eine vorrangig auf marktwirtschaftliche Selbststeuerung setzende Energiepolitik sind Übergangserscheinungen, wenn mit dem Klima- und Ressourenschutz Ernst gemacht wird: Die Erkenntnis und die Verpflichtung (durch das Kyoto-Protokoll) wächst, dass ausreichender Klimaschutz allein durch Preiswettbewerb und unregulierte Marktsteuerung nicht erreichbar ist. Die EU und alle Nationalstaaten müssen durch veränderte Rahmenbedingungen neue attraktive Geschäftsfelder im Klimaschutz mit erschließen helfen oder die notwendigen CO2-Reduktionsziele werden verfehlt. Zweitens ist der historische Trend zu immer größeren Kraftwerken beim Neubau längst gebrochen. Das Zeitalter der Größenvorteile geht zu Ende, in der die Monopolstellung, die Kapitalkraft und das technische Potential von Großkonzernen die Voraussetzung für den Zugang und die Beherrschung des Strommarkts bildeten. Der über viele Jahrzehnte vorherrschende Größenvorteil schlägt um in einen Nachteil sobald die Erneuerung des Kraftwerksparks (in Deutschland etwa ab 2005) in großem Stile notwendig wird. Es fehlt den Großkonzernen an Kunden- und Marktnähe zur Erschließung der ortsgebundenen Potentiale. Mit den Gas-Kombi-Kraftwerken (GuD-Technik), der Marktreife von immer mehr REG-Techniken (insbesondere Windkraft, Biomasse) und der absehbaren Markteinführung von Brennstoffzellen hat ein säkularer neuer Trend zur Dezentralisierung der Angebotstechnik eingesetzt.

Was Not tut

Aber wir können aus Gründen des Klimaschutzes nicht warten, bis sich dieser Trend im unregulierten marktwirtschaftlichen Selbstlauf sehr langfristig von allein durchsetzt. Die energiepolitische Steuerungsnotwendigkeit kann quantitativ damit begründet werden, dass die vorliegenden Trendszenarien die CO2-Minderungsziele sowohl kurz- (bis 2005) als auch insbesondere mittelfristig (2010) deutlich verfehlen (WI/ÖI/DIW 2000). Szenarienanalysen liefern vielmehr den folgenden Zielkorridor, in den die Energiepolitik und der Wettbewerb etwa bis zum Jahr 2010 steuern muss, wenn die gesellschaftlich gewünschten energiepolitischen Leitziele "Atomausstieg mit Klimaschutz" realisiert werden sollen:

· eine Anhebung der jährlichen Steigerungsrate der Energieproduktivität auf mindestens 3% p.a.;

· mindestens eine Verdoppelung der Kapazität der industriellen und kommunalen Kraft-Wärme/Kälte-Koppelung;

· mindestens eine Verdoppelung der Energiebereitstellung aus regenerativen Energien.

Dieser ,,Zielkorridor" ist vom Zeitpunkt des Atomausstiegs (Laufzeiten zwischen 25 und 35 Jahren) weitgehend unabhängig und gegenüber zentralen Szenarioannahmen sehr robust. Dies bedeutet, dass entweder die Leitziele aufgegeben werden müssen oder die Zielerreichung muss durch entsprechende Rahmenbedingungen und Programme sowie durch einen energiepolitisch unterstützten Bruch mit den riskanten Vergangenheitstrends sichergestellt werden.

Ein solcher Trendbruch kann erheblich beschleunigt werden, wenn mit ,,ökologischen Leitplanken" (z.B. einer Reform der Ökosteuer) und dem Aufbau einer Energiespar-Infrastruktur (z.B. durch Aufbau einer Bundesenergieagentur und eines Bundes-Energieeffizienzfonds, Förderung von Contracting und Demand-Side-Managment (DSM) oder Integrierte Ressourcenplanung (IRP)) ein funktionsfähiger Markt für Energiedienstleistungen (EDL) geschaffen würde (vgl. Hennicke 1999). Nicht ,,billige und riskante" Kilowattstunden, sondern volkswirtschaftlich preiswürdige EDL (z.B. Kraft, Licht, Kommunikation, warme Räume) sind das Ziel. Wenn ein funktionsfähiger (Substitutions-) Wettbewerb zwischen fossiler bzw. nuklearer Energieerzeugung und Effizienztechniken herrschen würde, ist das Ergebnis klar: Die Energieeffizienz gewinnt.

Die Effizienzrevolution bei Geräten, Gebäuden und Prozessen, die Erschließung endogener REG-Potentiale und der Einsatz von Brennstoffzellen für KW/KK wird die Energie-"versorgung" vor Ort aufwerten, zum Verbraucher hin verlagern und den Bedarf an maßgeschneiderten Systemlösungen für Energiedienstleistungen steigern. Bei diesen Komplettangeboten aus einer Hand (z.B. im Rahmen von Contracting- bzw. Intracting-Aktivitäten) wächst auch der ortsnahe Wertschöpfungsanteil. Ansätze hierzu gibt es in vielen Kommunen, z.B. in Paderborn, in Detmold, in Schönau, in Bremen oder in Hannover. Werden die nach der EU-Binnenmarkt-Richtlinie Strom möglichen Vorränge für REN, KW/KK und REG europaweit umgesetzt, dann wird aus den noch vereinzelten Erfolgsgeschichten ein weltweit beispielgebender Erfolgsroman; dieser wurde bereits durch die deutsche Windkraftentwicklung vorgestellt (erwartete Gesamtleistung Ende 2000: ca. 6000 MW d.h. etwas mehr als 2 % der Stromerzeugung), deren Erfolgsstory zukünftig durch das ,,Erneuerbare Energien-Gesetz" (EEG) bei allen regenerativen Stromerzeugungsquellen fortgesetzt werden könnte. Auch ein KWK-Ausbaugesetz (Verdoppelung der Kapazität bis 2010) wird jetzt endlich ernsthaft diskutiert. Es zeichnet sich also ein Durchbruch für REG und KW/KK ab.

Dagegen wird der ,,Vorrang der Energieeffizienz vor der Energieerzeugung" (Rot-grüne Koalitionsvereinbarung, Berlin 1998) bisher nur postuliert, aber - außer durch zaghafte Schritte bei der Öko-Steuer - nicht in die Tat umgesetzt. Diese Umsetzungslücke bei REN besteht allerdings aus strukturellen Gründen weltweit. Obwohl der gesellschaftliche Konsens für REN groß ist und auch der World Energy Council (WEC) die rationelle Energienutzung in seinem Abschlussstatement in Houston/USA (1998) als ,,größtes, schnellstes und kostengünstigstes Potential" für den Umwelt- und Ressourcenschutz bezeichnet hat, geschieht zu wenig. Der Grund: Eine besondere Vielfalt von Umsetzungshemmnissen machen staatliche Interventionen und eine "intelligente Regulierung" zugunsten der Energieeffizienzsteigerung zu einer conditio sine qua non einer modernen Energiepolitik. Der Staat muss quasi als öffentlicher Lobbyist, Propagandist, Manager und Organisator für den Energieeffizienzmarkt auftreten, sonst dominieren die Interessen der Energieverkäufer. Die Notwendigkeit, vor allem auch eine aktivere Rolle der Energiewirtschaft bei der Steigerung der Energieeffizienz und eine wettbewerbsneutrale Finanzierung von Stromsparprogrammen zu fördern, wird zwar in vielen europäischen Ländern wie z.B. in Dänemark, England, Norwegen, Italien, Portugal, Flandern und in US-Staaten, die ihre Strom- und Gasmärkte liberalisiert haben, anerkannt, ist aber bisher nur halbherzig umgesetzt worden (vgl. WI 1999).

Eine EU-weite Harmonisierung der Rahmenbedingungen für die Bereitstellung von EDL kann erreicht werden, wenn die EU-Richtlinie für ,,rationelle Planungstechniken" (CEC 1997) in weiter entwickelter Form beschlossen wird. Eine wettbewerbsneutrale und EU-konforme Finanzierung von REN-Programmen durch die Stromanbieter kann auf nationaler Ebene wie folgt geregelt werden: Alle Stromanbieter werden im Sinne einer ,,public service obligation" verpflichtet, entweder in Höhe von 3% ihrer Erlöse Energiesparprogramme (z.B. DSM/IRP-Maßnahmen; Contracting) bei ihren Kunden durchzuführen oder die gleiche Summe als Abgabe an einen nationalen Energieeffizienzfonds abzuführen. Die Mittel des Fonds werden über Ausschreibungen an alle ,,NEGAWatt"-Akteure, die Stromsparprogramme durchführen wollen (Energieagenturen, Contractoren etc.), als Zuschuss vergeben, oder von einer Bundesenergieagentur für eigene Aktivitäten zur beschleunigten Marktdiffusion von Effizienztechniken verwendet. Diese optionale Regelung hat den Vorteil, dass sie einerseits - ohne Nachteile im Wettbewerb - den Energieanbietern Anreize zur Kundenbindung durch Energiesparprogramme bietet; dadurch kann das vorhandene Know How bei der Durchführung von DSM/IRP-Programmen (in Deutschland allein etwa 500 Programme) fortentwickelt werden. Zum anderen wird für eine Vielfalt neuer ,,NEGAWatt"-Akteure ein Weg eröffnet, sich bei Ausschreibungen um die Mittel des Fonds zu bewerben und flächendeckend zur Energieeinsparung beizutragen. Der Regulierungsaufwand wird durch die optionale Verteilung der Mittel reduziert und der volkswirtschaftliche Nutzen sowie die positiven Arbeitsplatzeffekte durch REN-Aktivitäten würden potenziert.

Um den skizierten ordnungspolitischen Vorrang für REN zu flankieren und einen Markt für Energiedienstleistungen tatsächlich flächendeckend zum Durchbruch zu verhelfen ist ein innovativer ,,Policy-Mix" aus sektor- und zielgruppenspezifischen Maßnahmen und Instrumentenbündeln notwendig (Vgl. die Empfehlungen der Klima-Enquete-Kommissionen sowie DIW et al 2000).

Dann können sich selbstragende Märkte für REN, KW/KK und REG auch gegen das bestehende Kampfpreis- und Verdrängungspotential aus den europaweiten (atomaren) Überkapazitäten schneller entwickelt werden. Es mangelt nicht an umsetzungsreifen und volkswirtschaftlich vertretbaren Vorschlägen. Ihre Umsetzung verlangt eine weitsichtige politische Führung und den Mut, für die Änderungen der Rahmenbedingungen auch entschieden einzutreten.

Literatur:

Bitsch, R. (Siemens Power Transmission & Distribution Group) (1998), Energy Concepts for the Millennium, in: Power Economics, Vol. 2, Issue 8, Oct. 1998

DIW, EWI, ISI, Öko-Institut, Prognos AG, RWI, Wuppertal Institut (2000), Voraussetzungen und energiepolitische Handlungsmöglichkeiten für eine zukunftsfähige Energieentwicklung in Deutschland

Enquete-Kommission ,,Zukünftige Kernenergie-Politik", BTDrS 8/4341 Bonn

Enquête-Komission des 12. Deutschen Bundestages "Schutz der Erdatmosphäre" (Hrsg.) (1995): Mehr Zukunft für die Erde: Nachhaltige Energiepolitik für dauerhaften Klimaschutz, Bonn

Hennicke, P., Fischedick, M., Kristof, K. (1999), Kernenergie: Schutz vor der Klimakatastrophe oder Hemmschuh für effektiven Klimaschutz, in: Gefahren der Atromkraft, Ministerium für Finanzen und Energie des Landes Schleswig-Holstein, Mai 1999

Hennicke, P./Seifried, D. (1996), Das Einsparkraftwerk - Eingesparte Energie neu nutzen, Berlin, Basel, Boston

Hennicke, P. (1999), Wa(h)re Energiedienstleistung. Ein Wettbewerbskonzept für die Energieeffizienz- und Solarenergiewirtschaft, Berlin, Basel, Boston

Lovins, A./Hennicke, P. (1999), Voller Energie.Vision: Die globale Faktor-Vier-Strategie für Klimaschutz und Atomausstieg, Frankfurt, New York

Shell (1996), The Evolution of the World's Energy System, London

Vahrenholt, F./ Deutsche Shell AG (1999), Globale Marktpotentiale für erneuerbare Energien, Hamburg

Wuppertal Institut, Öko-Institut, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Viefhues (1999), Klimaschutzpolitische Bewertung eines Ausstiegs aus der Kernenergie und der Gestaltung der künftigen Energieversorgung unter Berücksichtigung von volkswirtschaftlichen Aspekten

Wuppertal Institut, (1999), Zusatzuntersuchung zu: Klimapolitische Bewertung eines Ausstiegs aus der Kernenergie und der Gestaltung der künftigen Energieversorgung unter Berücksichtigung von volkswirtschaftlichen Aspekten; - Kraftwerks- und unternehmensscharfe Analyse.