Silicon Valley:

Industriearbeit und soziale Bewegungen im Detroit der

in (11.03.2001)

Wohl kaum ein anderer Ort verkörpert die "New Economy" und ihre Mythen mehr als das im Süden der San Francisco Bay Area gelegene Silicon Valley...

Einer dieser Mythen, vielleicht der hartnäckigste, besteht darin, die zeitgenössische Informationstechnik(IT)-Industrie als eine fortgeschrittene Manifestation dessen zu interpretieren, was Daniel Bell einst mit dem Begriff der Dienstleistungsgesellschaft beschrieb. Das Stichwort dafür lautet heute Informationsgesellschaft oder auch "informational economy" (vgl. Carnoy u.a. 1993, Castells 1996). Damit korrespondiert eine zweite auch in der Linken populäre Vorstellung, die "New Economy" der USA als ein System des "Kasinokapitalismus" aufzufassen, in welchem eine von der realen Kapitalakkumulation entkoppelte finanzkapitalistische Spekulation die Entwicklung spektakulärer "Durchbruchs-Innovationen" (Florida/Kenney 1990) belohnt, die Modernisierung und Rationalisierung der Produktion aber in den Hintergrund drängt. In der Debatte um die "New Economy" gibt es aber nur wenige Autoren, die darauf aufmerksam gemacht haben, dass neue Formen industrieller Massenproduktion auf der Basis flexibilisierter Niedriglohnarbeit eine für die Erfolgsstory der US-Ökonomie in den 90er Jahren zentrale Rolle gespielt haben. Am deutlichsten hat dies vielleicht Robert Brenner (1998) mit seinem auch für viele Marxisten provozierenden Essay The Economics of Global Turbulence getan, sowie - mit Blick auf die in der "neuen Ökonomie Nordamerikas" entstehenden sozialen Bewegungen - Kim Moody (1997a und b). In Bezug auf Silicon Valley ist dieses Thema in den heutigen, auf das Theorem der "flexiblen Spezialisierung" (Piore/Sabel 1984) aufbauenden Standardinterpretationen der Erfolgsgeschichte dieses "Innovationsmilieus" (Saxenian 1994, daran anknüpfend Castells/Hall 1994) kaum präsent. Allein einige zumeist an Schumpeter orientierte Ökonomen beschäftigen sich mit den tiefgreifenden Umbrüchen in der Produktionsorganisation (Borrus 1988, Leachman 1996 Borrus/Zysman 1997, Sturgeon 1999) - allerdings ohne dabei näher auf den Arbeitsprozess Bezug zu nehmen. Unsere im folgenden auszuführende These lautet demgegenüber, dass die erfolgreiche Entwicklung der IT-Industrie Silicon Valleys im letzten Jahrzehnt nicht denkbar ist ohne den dort lokalisierten, den gesamten Industriesektor umfassenden Umbau von Produktionsstrukturen und Fertigungsprozessen. Für den IT-Sektor hat Silicon Valley in dieser Hinsicht eine ähnlich zentrale Position erlangt, wie einst die Automobilstadt Detroit für die Schlüsselindustrie des Fordismus. Das im letzten Jahrzehnt entstandene Industriemodell lässt sich anknüpfend an Borrus und Zysman (1997) mit dem Begriff "Wintelismus" bezeichnen. Dieses auf die Markennamen der beiden Führungsunternehmen der PC-Industrie bezogene Kunstwort umreisst zugleich das US-amerikanische Alternativprogramm zum "Toyotismus" des einstigen Erfolgsmodells Japans. Die damit verbundenen tiefgreifenden Veränderungen in den Strukturen industrieller Produktion und Arbeit definieren auch wesentliche strategische Herausforderungen für eine soziale und politische Reorganisierung der Lohnabhängigen in der Leitbranche des "post-fordistischen" Kapitalismus - ein Problem, um das sich heute einige Gewerkschaften in den USA und gerade auch in Silicon Valley wieder verstärkt bemühen. Wir wollen hier an Überlegungen aus der französischen "Regulationsschule" anknüpfen und das Konkurrenz- und Unternehmensmodell des "Wintelismus" als einen spezifischen Typus "post-fordistischer" Produktions-, Tausch- und Technologienormen beschreiben (zur theoretischen Diskussion Lüthje 1998, Esser u.a. 1997). Dabei soll es um drei Thesen gehen: (1) Die Akkumulationsstrukturen im Zentrum der "New Economy" lassen sich nicht einfach als erfolgreiche Durchsetzung eines neuen "Paradigmas" kapitalistischer Produktion und Technikentwicklung beschreiben. Vielmehr ist die Gestalt der neuen Produktions- und Technologienormen selbst unsicher und permanent umkämpft. Die Desintegration der Produktionsketten und ihre Rekonsolidierung im globalen Rahmen ist ein wesentlicher Modus zur Regulierung dieser Unsicherheiten. (2) Die entstehenden Strukturen von Ökonomie, Technik und Arbeit sind im Kern "politisch" geformt, also im Zusammenhang der institutionellen Regulationsstrukturen des US-amerikanischen Kapitalismus und der ihnen zugrundeliegenden innerkapitalistischen und gesamtgesellschaftlichen Konkurrenzkämpfe und Kräfteverhältnisse. Auch die gemeinhin mit dem Begriff des "Kasinokapitalismus" assoziierten finanziellen Regulierungsformen (insbesondere die Wagniskapitalbanken) haben sich dabei als wichtige Transmissionsriemen industrieller Modernisierung erwiesen. (3) Die entstandenen Regulationsstrukturen von Produktionsarbeit und Lohnverhältnis sind keineswegs ausschließlich "marktförmig". Gerade das für Silicon Valley und andere neue High-Tech-Zentren im Süden und Südwesten der USA charakteristische Nebeneinander von relativ qualifizierter Produktionsarbeit, niedrigen Löhnen und prekären Beschäftigungsbedingungen kann nur im Kontext der in diesen Regionen herrschenden politischen und sozialen Strukturen erklärt werden. Eine besondere Rolle spielen dabei die Ethnisierung und Feminisierung von Arbeitsmärkten und -praktiken sowie die ihr unterliegenden Strukturen rassisch-ethnisch begründeter Diskriminierung in der US-Gesellschaft. Diese Zusammenhänge wollen wir im folgenden etwas näher beleuchten. Wir werfen zunächst einen kurzen Blick zurück auf das Produktionsmodell der neuen Mikroelektronikunternehmen in der Entstehungsphase Silicon Valleys in den 70er Jahren. Daran anknüpfend wollen wir die Umstrukturierung dieses Produktionsmodells im Zuge der Auseinandersetzung mit den auf dem Gebiet der Fertigungstechnik überlegenen Elektronikkonzernen Japans im Laufe der 80er Jahre nachzeichnen. Die entstandenen "wintelistischen" Produktionsstrukturen auf lokaler Ebene wollen wir im dritten Abschnitt, die daraus resultierenden Arbeitsstrukturen im vierten Abschnitt darstellen. Abschließend gehen wir auf einige zentrale politisch-soziale Rahmenbedingungen der "vernetzten Produktion" und die strategischen Positionen von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen in diesem Kontext ein. 1. "Bloody Taylorism": Das Produktionsmodell der Gründerjahre Die Entstehung Silicon Valley in den 1960er und 70er Jahren ist immer wieder als ein Bruch mit den im US-Kapitalismus der fordistischen Ära etablierten Formen industrieller Organisation und technologischer Innovation beschrieben worden. Das "Aussteigen" von Pionierunternehmern der Halbleiterbranche wie Robert Noyce, Charles Sporck oder Gordon Moore aus den Strukturen der an der Ostküste beheimateten Elektronik- und Rüstungsunternehmen und die Aufnahme der neuen Erfinderkultur in die vom Stanford-Professor Frederick Terman am Campus der Universität geschaffenen Industriepark gelten als die Geburtsstunde der neuen Branche. Die in den 70er Jahren entstandenen subversiv angehauchten Zusammenschlüsse der Gründergeneration der PC-Branche sind oft als das sozialkulturelle Ferment der "mikroelektronischen Revolution" porträtiert worden (Siegel/Markoff 1985, Saxenian 1981 und 1994). Die Entstehung der für den "offenen Markt" produzierenden Hersteller integrierter Schaltkreise (merchant producers im Branchenjargon) hatte allerdings einige Voraussetzungen und Konsequenzen auf dem Gebiet der Produktion. Hierzu gehörte erstens die Kreation eines völlig neuen Fertigungsverfahrens, des sog. "Planar-Prozesses". Bei der Entwicklung dieses Verfahrens, das sich als eine Art chemisch-physikalischer Offset-Druck für das Aufbringen der integrierten Schaltkreise auf das Silikon der Chip-Wafer beschreiben lässt, wurde in Silicon Valley Pionierarbeit geleistet (Borrus 1988: 55-63). Ein zweites wesentliches Element bestand darin, dass die Einführung und Weiterentwicklung dieser alsbald recht komplex werdenden Produktionstechnik unter dem Druck äußerst kurzfristiger Verwertungshorizonte vorangetrieben werden musste. Die dritte für die damalige, auf den Binnenmarkt zentrierte Industrie der USA geradezu revolutionäre Neuerung bestand darin, dass die Chip-Hersteller ihre Produktion von Anfang an konsequent internationalisierten, vor allem durch den bereits in den 60er Jahren begonnenen Aufbau von Betrieben für die arbeitsintensiven Prozesse der Chip-Verdrahtung und Endmontage (Henderson 1989). Die spezifische Dynamik dieses Produktionsmodells entstand aus dem Zusammenspiel der von Beginn an beträchtlichen Innovationsgeschwindigkeit auf der Seite der Produkte einerseits und der chronisch knappen Kapitaldecke der Unternehmen andererseits. Die in der Tat revolutionären Erzeugnisse der neuen Industrie wurden mit Produktionsmethoden hergestellt, die nicht nur nach heutigen Maßstäben recht primitiv waren. Besonders sichtbar wurde dies auf dem Gebiet der Qualitätskontrolle. Technisch anspruchsvolle Verfahren zur Überwachung der Produktion konnten sich die neuen Unternehmen kaum leisten. Zugleich hatten auf den entstehenden kommerziellen Chip-Märkten nur die Firmen eine Überlebenschance, die ein neues Halbleiterprodukt zuerst an den Markt bringen konnten. Um das knappe Zeitfenster zur Realisierung eines first mover-Profits nutzen zu können, wurde die Produktion oft in einem Ausmaß hochgefahren, das auch bei extremen Ausschussraten von z.T. 80 und 90% eine genügende Marktabdeckung ermöglichte. Dort, wo für den militärischen Bedarf produziert wurde, wurde dies noch durch die Finanzierungspraktiken des US-Verteidigungsministeriums unterstützt. Das Pentagon zahlte garantierte Höchstpreise, die es den Unternehmen ermöglichten, die Produktionskapazitäten großzügiger auszulegen, als es das zu erwartende Absatzvolumen gerechtfertigt hätte (Borrus 1988: 66). Existieren konnte ein solches Produktionsmodell nur durch die Nutzung industrieller Niedriglohnarbeit, die dem extremen Auf und Ab der Produktionszyklen jederzeit angepasst werden konnte. Zugleich mußte dafür gesorgt werden, dass möglichst keinerlei innerbetriebliche Regularien das Herauf- und Herunterfahren der Arbeitszeiten und die rasche Entlassung von Arbeitskräften behinderten. Nicht ohne konkreten Grund stellte ein Branchenpionier wie der damalige Intel-Chef Robert Noyce fest, dass "der Erhalt einer gewerkschaftsfreien Umwelt essentiell für das Überleben der Industrie" sei (zit. nach Rogers/Larsen 1984). Die für ihre nicht-hierarchischen Strukturen, eine lockere Atmosphäre und offene betriebliche Kommunikation bekannte Arbeitswelt des Silicon Valley war auf diesem Hintergrund von Anfang an tief gespalten. Die auf Selbständigkeit und unternehmerische Risikobereitschaft ausgerichteten neuen Arbeitsformen waren im wesentlichen im Ingenieurs- und Angestelltenbereich zu finden. Sie waren ein wichtiges Mittel, um die beschränkten finanziellen Kompensationsmöglichkeiten der Unternehmen durch ein attraktives Arbeitsumfeld zu ersetzen und so den nötigen "Nachschub" an Ingenieurstalent aus den etablierten Unternehmen und Hochschulen zu sichern. Für die Produktionsbeschäftigten herrschten ganz andere Verhältnisse. In den Fertigungsbetrieben von Chip-Herstellern wie National Semiconductor, Intel, AMD oder Signetics und in den ersten Montagestätten der PC-Industrie und ihrer Subunternehmen wurden außerordentlich niedrige Löhne gezahlt, die z.T. nur die Hälfte oder ein Drittel vergleichbarer Industriebereiche betrugen. Das ständige Heuern und Feuern und das an den Arbeitsplätzen herrschende Willkürregime von Vorarbeitern und Managern bedingte eine permanente Existenzunsicherheit - das häufige Wechseln des Arbeitsplatzes (job hopping) wurde gerade für die am schlechtesten gestellten Arbeiterschichten zum Ersatz für eine dauerhafte Beschäftigung (Hayes 1989, Sevilla 1992). Dramatisch war die Situation beim Arbeits- und Gesundheitsschutz. Die in der Chip-Produktion zahlreich verwendeten giftigen und gesundheitsschädlichen Substanzen wurden in den Anfangsjahren der Industrie in offenen Behältnissen und oft unter völlig unzureichendem Schutz für die Beschäftigten verarbeitet (Eisenscher 1993, Bacon 1997). Die katastrophalen Folgen dieser Bedingungen und ihre Langzeitwirkungen sind bis heute nicht vollständig bekannt. Viele der damals Beschäftigten warten noch immer auf finanzielle Kompensation (LaDou/Rohm 1998). Die soziale, kulturelle und politische Grundlage eines solchen Produktionsregimes bestand in einer umfassenden Feminisierung und Ethnisierung von Belegschaften und Arbeitspraktiken. Die Produktionsbeschäftigten wurden fast ausschließlich aus den Reihen neuer Immigrantengruppen rekrutiert, vor allem aus Lateinamerika und Asien. Mexican-Americans und Filipinos waren traditionelle Niedriglohnarbeitskräfte in der kalifornischen Agro-Industrie, in den siebziger Jahren kamen Zuwanderer aus Südostasien und die in der Region von der US-Regierung besonders zahlreich angesiedelten Flüchtlinge aus (Süd)-Vietnam hinzu (Sevilla 1992). Die Zusammensetzung der Belegschaften spiegelte in vieler Hinsicht die Verhältnisse in den Offshore-Produktionsstätten der Chip-Unternehmen in Hongkong, Singapur, Malaysia oder den Philippinen wider (Hossfeld 1988 und 1990, Henderson 1989). Der diskriminierte Status der Produktionsbeschäftigten bildete zugleich eine wesentliche Barriere gewerkschaftlicher Organisierung. Das Problem war dabei keineswegs die mangelnde Bereitschaft der ImmigrantInnen zu einer kollektiven Interessenvertretung - auch wenn einige Gruppen aufgrund ihrer politischen Vorerfahrung in dieser Hinsicht negativ eingestellt waren. Vielmehr waren die relevanten US-Gewerkschaften an der Gewinnung der nicht-weißen und zumeist weiblichen "Leichtlohn"-ArbeiterInnen der neuen Industrie nicht interessiert oder lehnten diese entsprechend der in vielen US-amerikanischen Gewerkschaften herrschenden rassistischen Denkweisen ab (vgl. Lüthje/Scherrer 1997). Die wenigen ernsthaften Organisierungsversuche stützten sich überwiegend auf politisierte ImmigrantInnen unter den Beschäftigten. Die Aktiven wurden bis Mitte der 80er Jahre fast ausnahmslos aus den Betrieben entlassen (Eisenscher 1993). 2. Von der "japanischen Gefahr" zum Triumph des "Wintelismus" Die Jahre 1985 und 1986 markierten die erste strukturelle Krise für die IT-Industrie in Silicon Valley. Firmenzusammenbrüche und Massenentlassungen bei den neuen Chip-Produzenten waren mit einem Mal an der Tagesordnung, der kapitalistische Alltag hielt auch in Silicon Valley Einzug. Dieser Einbruch fiel zusammen mit dem bis dahin wenig beachteten Aufstieg japanischer IT-Unternehmen. Allein beim Schlüsselprodukt Speicherchips eroberten diese bis 1986 in den verschiedenen Leistungsklassen Weltmarktanteile von 50-90% (Borrus 1988: 173). In der Produktion von IT-Geräten, Telekommunikationsausrüstungen und bei halbleitertechnischem Produktionsgerät mussten die USA rasch wachsende Einfuhrdefizite hinnehmen (Ferguson 1990: 56; Stowsky 1987). Als eine wesentliche Ursache dieser Entwicklung wurde alsbald auch das Produktionsmodell der US-Halbleiterhersteller ausgemacht. Die großzügige Nutzung von Niedriglohnarbeit in den USA wie auch in den überseeischen Produktionsstätten habe - so der Tenor einschlägiger Analysen - die US-Unternehmen zum Nachlassen bei der Modernisierung von Fertigungstechnologien und Qualitätsmanagement verführt und eine gegenüber den auf diesem Gebiet besonders engagierten japanischen Konzernen kaum zu deckende Blöße geschaffen (Borrus 1988; Florida/Kenney 1990). Der (gerade in Kalifornien) mit vielen Ressentiments besetzte Kampf gegen die "japanische Herausforderung" und der bemerkenswerte Wiederaufstieg der IT-Industrie der USA seit Ende der 80er Jahre ist inzwischen breit dargestellt worden (Angel 1994, Saxenian 1994, Voskamp/Wittke 1994, Drüke 1997). Seine wichtigste unternehmensstrategische Komponente stellte der Rückzug der führenden Chip-Hersteller aus dem Standardprodukt Speicherchips und die Spezialisierung auf komplexere Produkte wie z.B. Mikroprozessoren dar. Ein zweites wesentliches Element war die Entstehung einer neuen Generation von Chip-Herstellern, die sich ausschließlich auf Entwicklung und Vermarktung spezialisierter Chiptypen (sog. ASICS) verlegten und die Produktion an (zumeist in Asien ansässige) Auftragsfertiger (sog. Chip foundries) vergaben. Der dritte wesentliche Aspekt war die Schaffung neuer Organisationsformen der Produktentwicklung, mit dem die großen Chip-Hersteller ihre Ingenieursteams auf die parallele Entwicklung mehrerer Chipgenerationen hin organisierten (concurrent engineering). Ein vierter wesentlicher Aspekt war die Reorganisation der Fertigungsketten, die unter dem Schlagwort product development vorangetrieben wurde. Hierunter verstand man die Konzentration der Kernbetriebe an den Heimatstandorten der Chip-Hersteller auf die immer komplexeren Prozesse der Prototypen- und Anlauffertigung. Die Massenproduktion von Chip-Wafern wurde demgegenüber an andere Niedriglohnstandorte in den USA, etwa in Texas, Oregon oder Arizona, verlagert. Zugleich wurden die Montagebetriebe in Südostasien technologisch deutlich aufgerüstet (Angel 1994, Borrus/Leachman 1994, Grove 1996, Cordova u.a. 1997, Mazurek 1999). Abgestützt wurden diese Entwicklungen schließlich durch massive politische Interventionen der amerikanischen Regierung. Diese fanden zum einen auf dem Gebiet der Handelspolitik statt (Tyson 1992); zum anderen wurden unter Federführung des US-Verteidigungsministeriums neue industrielle Kooperationsmodelle gefördert, für die vor allem das sogenannte Sematech-Programm stand (Borrus 1988). Relativ wenig bekannt ist der Umstand, dass Sematech und seine Parallelprojekte auch Schwerpunkte bei der Modernisierung von Produktions- und Arbeitsstrukturen hatten. Dabei ging es um die Verbesserung des sog. yield management - also der Prozessausbeute in den Halbleiterfabriken - und um die effiziente Bewältigung der "Lernkurve" beim An- und Hochfahren der Produktion hochintegrierter Chips. In diesem Zusammenhang wurden auch neue, am japanischen Modell der Teamarbeit orientierte Arbeitsformen in der Produktion propagiert. Zugleich wurden neue Formen der beruflichen Aus- und Weiterbildung entwickelt, die auf eine bessere Qualifikation, ganzheitlichere Berufsbilder und eine stärkere Integration von Produktionstätigkeiten und Instandhaltung zielen (NOVA 1996, Sematech 1998, Buss/Wittke 1995). Der Schwerpunkt des Programms blieben allerdings die prozesstechnischen Aspekte und die damit zusammenhängende Förderung des halbleitertechnischen Geräte- und Anlagenbaus (Stowsky 1987). Die Konsolidierung dieses Branchensegments - also des "Maschinenbaus des Informationszeitalters" - war sicherlich der beeindruckendste und gerade für die Industriestrukturen des Silicon Valley bedeutsamste Erfolg Sematechs (Grindley u.a. 1994). Die in diesem Kontext entstandenen neuen Unternehmensformen sind recht treffend mit dem Begriff der "virtuellen Integration" beschrieben worden (Voskamp/Wittke 1994). Gemeint ist damit die zunehmende unternehmensübergreifende "Vernetzung" von Entwicklungsprozessen und Marktzyklen, für die beispielhaft die vertikale Quasi-Allianz von Microsoft, Intel, den führenden Hardware-Herstellern sowie den strategisch wichtigen Firmen des Chip-Anlagenbaus in der PC-Industrie steht. Die neuen Integrationsformen haben freilich eine über das Einzelkapital hinausgehende sektorale Dimension, die in der US-Debatte mit dem Schlagwort "Wintelism" umrissen wird. Damit gemeint ist die Entstehung vertikal spezialisierter, aber global ausgelegter Organisationsformen der Branchenkonkurrenz, die auf der dauernden Definition neuer Produktmärkte, ihrer Regulierung durch temporäre Technologiemonopole und damit verbunden der Schaffung neuer spezialisierter Branchensegmente beruhen (Borrus/Zysman 1997). Das Branchenmodell des Wintelismus ist somit auch ein Modus der sektoralen Kapitalbewegung, welche von einer dauernden "Fragmentierung und Zentralisierung" der Branchenstrukturen im globalen Maßstab gekennzeichnet ist (Ernst/OÂ’Connor 1992). Sein Kennzeichen ist die permanente Definition neuer Produktions- und Technologienormen (Esser u.a. 1997), die jeweils eigenständige Verwertungssphären mit spezifischen Marktzyklen und Produktionsmodellen markieren (Lüthje 1998 und 1999). Dieser Umbau der Branchenstrukturen und die relativ erfolgreiche Konsolidierung des neuen Verwertungsmodells gegenüber dem von den Traditionen des Toyotismus geprägten Strategien der Elektronikindustrie Japans und Südkoreas ist das vielleicht bemerkenswerteste und für die gesamte Weltmarktkonkurrenz folgenreichste Ergebnis der Restrukturierung der IT-Industrie in den USA und in Silicon Valley. Als schon fast archetypisches Beispiel für die Kreation eines neuen Branchensegments kann die PC-Industrie gelten, deren Führungsunternehmen dem Begriff "Wintelism" ihren Namen gegeben haben (Borrus/Zysman 1997, Grove 1996). Ein anderer Schlüsselbereich für diese Entwicklung ist die heute von Unternehmen wie Seagate, Maxtor und EMC beherrschte Festplatten- und Speicherindustrie, die sich im Laufe der 80er Jahre fast vollständig aus den früher dominierenden vertikal integrierten IT-Unternehmen vom Schlage IBM oder Digital Equipment herausgelöst hat. Das vielleicht spektakulärste Erfolgsbeispiel ist die in Silicon Valley networking industry genannte Branche der Hersteller von Datennetzwerksystemen, deren "Flaggschiff" (Ernst 2000) Cisco auf dem Höhepunkt des Technologieaktienbooms im Sommer 1999 eine höhere Marktkapitalisierung als General Motors erreichte (im Überblick Lüthje 1999). Diese Veränderungen implizieren tiefgreifende Umbrüche auf dem Gebiet der Produktion. Ein wichtiges Stichwort hierfür lautet Contract Manufacturing (CM) oder Electronics Manufacturing Services (EMS). Diese Begriffe bezeichnen ein neues Produktionsmodell, das zunächst aus der im Süden der USA angesiedelten PC-Fertigung IBMs und dann vor allem in Silicon Valley entstand (Sturgeon 1997 und 1999). Sein wesentliches Kennzeichen besteht darin, dass praktisch die gesamte Produktionskette für die Montage von z.B. PCs, Servern, Workstations oder Netzwerkgerät von spezialisierten Auftragsfertigern übernommen wird. Diese führen die Kernelemente des Montageprozesses, nämlich die Bestückung von Leiterplatten und die Geräte-Assemblierung aus sowie wesentliche Elemente von produktionsnahem Engineering, Logistik und Reparaturdienstleistungen. Mit jährlichen Wachstumsraten von etwa 25% ist das Contract Manufacturing heute eines der am stärksten wachsenden Branchensegmente des IT-Sektors. Seine größten Unternehmen - allesamt nordamerikanischer Herkunft - waren vor zehn Jahren kaum bekannt, heute liegen ihre Jahresumsätze bei 10-20 Mrd. $. Diese neue Form des Outsourcing, bei der anders als im "Toyota-Modell" japanischer Prägungen die "Zulieferer" praktisch die Herstellung des Gesamtproduktes übernehmen, wird in raschem Maße zu einer übergreifenden Produktionsinfrastruktur für alle wesentlichen Bereiche der IT-Herstellung und anderer elektronikrelevanter Industriezweige. Die global agierenden CM-Firmen gehören inzwischen zu den größten Arbeitgebern von ProduktionsarbeiterInnen in der US-Elektronikbranche. Ihre Namen sind aber kaum bekannt und auch an den gefertigten Produkten nicht erkennbar (Lüthje 2001, Lüthje/Schumm/Sproll forthcoming). 3. Transformation der lokalen Produktionsstrukturen Die "Wiederauferstehung" des Silicon Valley nach der existenzbedrohenden Krise der Chip-Industrie Mitte der 80er Jahre und die außerordentlich erfolgreiche Entwicklung im letzten Jahrzehnt erklärt sich aus der zentralen Stellung der Region im Umbruch der sektoralen Arbeitsteilung (Walker/Sayer 1992) in der globalen IT-Industrie. Von einem eher exotischen Außenposten der US-Ökonomie ist Silicon Valley zu einem Knotenpunkt transnationaler Produktionsnetze im "post-fordistischen" IT-Sektor geworden, an dem auch wesentliches strategisches Produktions-know-how generiert und reproduziert wird. Im Verlauf dieser Entwicklung hat sich die lokale Branchenstruktur rasch diversifiziert. Im Silicon Valley der 90er Jahre geht es längst nicht mehr nur "um Chips und Computer" (so der San Jose Mercury News, die lokale Tageszeitung im Jahre 1997). Die Region beherbergt vielmehr eine Anzahl strategischer Schlüsselsegmente der vertikal desintegrierten IT-Produktion, die in ihrer Konzentration wohl einmalig ist. Silicon Valley ist damit zugleich zur exportstärksten Industrieregion der USA geworden - eine Position die traditionell von den Industriezentren Detroit und New York gehalten wurde (San Jose Mercury News 30.9.1997). Legt man die im vorigen Abschnitt, ausgehend vom regulationstheoretischen Konzept der Produktions- und Technologienormen entwickelten Branchengliederungen zugrunde, so lassen sich in der Mitte der neunziger Jahre sechs zentrale Industriesegmente identifizieren: - die Chip-Industrie mit den Spitzenunternehmen Intel, National Semiconductor und AMD sowie zahllosen kleineren spezialisierten Herstellern und Designhäusern; - der halbleitertechnische Geräte- und Anlagenbau, sozusagen der "Maschinenbau des Informationszeitalters", mit dem Weltmarktführer Applied Materials an der Spitze; - die Computersystemherstellung mit Unternehmen wie Apple, Hewlett-Packard oder Sun; - die Hersteller von Datenvermittlungssystemen wie Cisco oder 3Com, die im Zuge des Internet-Booms der letzten Jahre phänomenal gewachsen sind und heute etablierten Telekomherstellern wie Lucent, Nortel oder Siemens Konkurrenz machen; - die Produktion von Festplatten, deren weltweit führende Unternehmen wie Seagate, Quantum und Maxtor überwiegend in Silicon Valley ansässig sind; - und schließlich ein großer Sektor der Auftragsfertigung elektronischer Komponenten (contract manufacturing), der mit Solectron und Flextronics ebenfalls die beiden führenden Unternehmen des Weltmarktes stellt. Struktur der IT-Industrie des Silicon Valley 1995:

Industriesegment
Beschäftigte
Global/Lokal

 

Führende Unternehmen
Halbleiter
82.000/16.400
Intel, National Semi., AMD, LSI, VLSI
Halbleitergeräte
26.700/14.500
Applied Materials, Lam, Varian, KLA/Tencor
Computersysteme
141.000/33.000
Hewlett-Packard, Apple, Sun, SGI, Tandem
Festplatten/Speichersysteme
122.000/12.500
Seagate/Conner, Maxtor, Quantum, IBM, Storage Division
Netzwerkausrüstungen
12.000/8.000
Cisco, 3Com, Bay Networks

Kontraktfertigung/
Leiterplattenherstellung
7.000/9.000

Solectron, SCI, Flextronics, Sanmina, Zycon

Daten: Business Journal Publishers 1996, Geschäftsberichte Alle diese Bereiche unterhalten eine eigene Produktionsstruktur, die eng mit den in den jeweiligen Sektoren vorherrschenden Formen der Internationalisierung zusammenhängt. Die führenden Halbleiterhersteller haben ihre Massenfertigung weitgehend an anderen Orten in den USA, Südostasien und auch Europa konzentriert. In der Region führen sie aber die strategisch entscheidende Anfangsfertigung neuer Produktgenerationen durch, deren Abläufe dann detailgenau auf andere Fertigungsstandorte übertragen werden. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Kooperation mit den Geräte- und Anlagenherstellern in Silicon Valley. Die Hersteller von PCs, Workstations und anderen Computersystemen haben Silicon Valley als Fertigungsstandort seit den 80er Jahren weitgehend aufgegeben, sie unterhalten in der Region allerdings strategisch wichtige Beziehungen mit den größeren Kontraktfertigungsunternehmen. Ähnliches gilt für die Hersteller von Netzwerksystemen, die von Anfang an als "fabriklose" Unternehmen agierten. Die Festplattenindustrie, deren drei welteit führende Hersteller am Ort ansässig sind, konzentrieren sich ebenfalls auf die Anlaufproduktion, wichtige Produktionsbetriebe sind hier die hochspezialisierten Hersteller von Festplattenbeschichtungen und -köpfen wie Komag oder ReadRite (im Detail: Lüthje 1999). Die Produktionsinfrastruktur für mehr oder weniger alle diese Bereiche bildet heute die lokale EMS-Branche. Neben den genannten Großunternehmen und den Niederlassungen anderer führender contract manufacturer gibt es eine Vielzahl von kleinen und kleinsten Unternehmen, die zusammen mit den Herstellern von Leiterplatten und eher traditionellen Betrieben der Metallbearbeitung den Löwenanteil der lokalen Systemmontage ausführen. Auch die kleinen Unternehmen haben ihre Fertigung auf Grundlage programmgesteuerter Bestückungstechniken (im Fachjargon: SMT) automatisiert. Die größeren EMS-Firmen sind weit mehr als bloße Zulieferer. Sie agieren als "global supply chain facilitators", also als Manager ausgedehnter globaler Produktionsketten, die den auftraggebenden Unternehmen Fertigungsstätten, Engineering-know-how und Logistik in allen wichtigen Märkten der Triade und ihren Niedrigkostenstandorten wie China, Mexiko oder Osteuropa zur Verfügung stellen. Die größten Unternehmen sind zu veritablen multinationalen Konzernen herangewachsen. Solectron verfügte 1996 über zehn Produktionsstätten und Niederlassungen weltweit. Heute sind es über fünfzig. Die Beschäftigtenzahlen der CM-Unternehmen übersteigen die in unserer, auf die Mitte der 90er Jahre bezogenen Zahlen inzwischen um ein Mehrfaches (Lüthje/Schumm/Sproll forthcoming). Der Sektor der Systemmontage ist allerdings von einer tiefgreifenden Spaltung gekennzeichnet, die zwischen international ausgerichteten Großunternehmen einerseits und lokalen Klein- und Mittelbetrieben andererseits verläuft. Diese in den 70er und 80er Jahren sehr ausgeprägte Struktur, die als Kennzeichen einer "dualen Ökonomie" analysiert wurde (Harrison 1994), ist auch in den 90er Jahren noch vorhanden, in ihrer Bedeutung allerdings eingeschränkt. Die kleineren Unternehmen des Montagesektors entsprechen nach wie vor den in vielen US-Elektronikzentren vorhandenen subcontractors (Scott 1993), die in ihrer Geschäftstätigkeit fast völlig von ihren oft sehr großen Auftraggebern abhängen und für diese als "Lückenbüßer" bei Kapazitätsengpässen oder kleineren Montageaufträgen fungieren. In diesem Bereich, der für die lokale Industriestruktur eine wichtige "Flexibilitätsreserve" darstellt, finden sich in Silicon Valley auch besonders viele Unternehmen im Besitz eingewanderter, nicht-weißer Unternehmer zumeist asiatischen Ursprungs. Die meisten dieser ethnic entrepreneurs waren ursprünglich als Ingenieure bei größeren Unternehmen der Region tätig und haben diese wegen der dort allen Lippenbekenntnissen zum Trotz herrschenden Benachteiligungen für nicht-weiße Techniker und Spezialisten verlassen. Da diese Unternehmen oft auch ArbeiterInnen der eigenen Nationalität oder Ethnie beschäftigen, trägt dieses untere Ende der lokalen Produktionsstruktur viele Züge einer ethnisierten metropolitanen sweatshop-Ökonomie (Park 1992). Nicht aufgeführt in unserer Übersicht sind die in Silicon Valley reichhaltig vertretenen Softwarefirmen. Die einzigartige Agglomeration hochinnovativer, zumeist recht junger Unternehmen schafft einen ständigen Fluss an kleinen und großen Neuerungen bei Systemarchitekturen und Anwendungsprogrammen, die für die Kontrolle der Technologienormen in den vertikal spezialisierten Märkten der heutigen IT-Industrie entscheidend sind. Einige Unternehmen haben dabei ganze "Paradigmen" der fortgeschrittenen Informationstechnik definieren können - so z.B. Netscape oder das Datenbankunternehmen Oracle für die Internet-basierte Datenverarbeitung (Cusumano/Yoffe 1998). Diese Unternehmen sind eng verknüpft mit einer anderen Schlüssel-"Industrie" des Silicon Valley, nämlich den in Palo Alto und Menlo Park angesiedelten Wagniskapitalbanken. Silicon Valley zieht etwa ein Viertel bis ein Drittel des jährlich in den USA investierten venture capital an (SJMN/Price Waterhouse 1998). Die Branche hat sich seit Mitte der 80er Jahre von ihrer Fixierung auf spekulative breakthrough innovations (Florida/Kenney 1990) gelöst und auch zunehmend produktionsbezogene Technologieprojekte gefördert, etwa im Bereich der Chip-Geräteindustrie oder des Chip- und Hardware-Designs. Längst vorbei sind die Zeiten, in denen die Vertreter führender Produktionsunternehmen wie z.B. der Chef des Chip-Herstellers AMD, Jerry Sanders, die Wagniskapitalbranche als vulture capitalism (Geierkapitalismus) abqualifizierten (zit. n. Gilder 1988: 49). Kennzeichen des heutigen venture capitalism ist eine enge funktionale Verflechtung mit allen wesentlichen Bereichen des lokalen Innovationssystems. Die Risikofinanziers treten auch an führender Stelle in den politischen Organisationszusammenhängen der Industrie auf. In dieser Rolle haben sie die industrielle Modernisierungspolitik des letzten Jahrzehnts ebenso orchestriert wie die seit Beginn der Präsidentschaft Bill Clintons ins Rampenlicht der amerikanischen Politik getretenen nationalen Lobbyinitiativen von Silicon Valley in Bereichen wie der Telekommunikations-, der Wettbewerbs-, der Einwanderungs- oder der Bildungspolitik (Lüthje 1999). 4. Industriearbeit im Zentrum der New Economy Die Transformation des bloody Taylorism der 70er Jahre in ein hochentwickeltes System vernetzter Massenproduktion hat auch die Arbeitsmärkte und die soziale Zusammensetzung der Produktionsarbeiterschaft in Silicon Valley nachhaltig verändert. Trotz der massiven Betriebsverlagerungen in der Chip-Herstellung infolge der Krise 1985/86 (Sevilla 1992) ist die Gesamtzahl der Beschäftigten in der lokalen IT-Branche (ohne Rüstungsproduktion und Dienstleistungen) mit etwa 160.000 - 180.000 über das letzte Jahrzehnt hinweg relativ stabil geblieben. Auch wenn die offiziellen Statistiken in dieser Hinsicht höchst ungenau sind, so kann man die Zahl der lokalen Produktionsjobs auf etwa 40.000 bis 50.000 schätzen. Diese Zahlen sagen allerdings kaum etwas über die Strukturveränderungen der Arbeit und der Belegschaften aus. Waren nämlich zu Anfang der achtziger Jahre die Chip-Hersteller die größten Arbeitgeber im Produktionsbereich, so hat sich mit der Diversifizierung der lokalen Industriebasis das Gewicht eindeutig in den Kontraktfertigungssektor verlagert (Lüthje 1999). Hier waren Ende der 90er Jahre etwa die Hälfte aller Produktionsbeschäftigten angestellt. Ein Viertel davon - also etwa 10.000 - stehen auf den Lohnlisten von Zeitarbeitfirmen (Benner 1996; WPUSA/EPI 1998). Für die 90er Jahre lassen sich vier Sektoren der lokalen Produktionsarbeiterschaft ausmachen (ausführlich Lüthje 1999). (1) Die Kernbelegschaften in den Chip-Fertigungsbetrieben. Diese Beschäftigten - etwa 5000 an der Zahl - sowie auch die zahlenmäßig sehr kleine Gruppe der Anlageninstallateure der Halbleitergerätehersteller sind in den außerordentlich komplexen Prozessen der Anfangsproduktion neuer Chip-Produkte tätig. Mit Stundenlöhnen von 14-18$ handelt es sich um die am höchsten bezahlten ProduktionsarbeiterInnen; ihre Stundenlöhne liegen allerdings immer noch deutlich unter denen angelernter Arbeitskräfte in gewerkschaftlich organisierten Branchen wie z.B. der Automobilindustrie (20$ und mehr). Die gestiegenen Qualitätsanforderungen in der Chip-Produktion haben die Unternehmen zum massiven Ausbau ihrer Aus- und Fortbildungsmaßnahmen veranlasst, höherwertige Überwachungs- und einfache manuelle Hilfstätigkeiten in den Clean-Rooms werden derzeit zu einem einheitlichen Berufsbild mit einer immerhin zweijährigen Fachausbildung zusammengefasst. In den meisten Bereichen der Chip-Produktion herrscht eine Teamwork-orientierte Arbeitsorganisation vor - wie bereits gesagt ein wesentliches Element der produktionspolitischen Modernisierungsstrategien der letzten 15 Jahre. (2) Die Beschäftigten der größeren Montagebetriebe - neben den wenigen verbliebenen Eigenfertigungsbetrieben der Festplatten- und Computerhersteller vor allem in der Kontraktfertigung. Trotz unterschiedlicher Produktmärkte sind die Arbeitsstrukturen recht ähnlich: es handelt sich um Automatenbedienertätigkeiten vor allem an den Leiterplattenbestückungslinien, die Grundkenntnisse der Computerbedienung und der englischen Sprache sowie die allgemein geforderte "Kommunikationsfähigkeit" voraussetzen. Die Löhne sind hier allerdings erheblich niedriger als in der Chip-Produktion: die unterste Grenze bildet der gesetzliche Mindestlohn von 5,75$, eine erfahrene Arbeiterin mit speziellen Qualifikationen kann es auf 8-9,50$ pro Stunde bringen. Auch in diesem Bereich herrschen neuzeitliche Formen von Arbeitsorganisation und Qualitätsmanagement vor - der contract manufacturer Solectron war gar zwei Mal Träger des prestigeträchtigen Malcolm Baldridge Quality Award, des nationalen Innovationspreises für Produktions- und Arbeitsorganisation. (3) Die Beschäftigten in den kleineren Kontraktfertigungsbetrieben und der Leiterplattenherstellung. Hier sind Löhne knapp über dem gesetzlichen Minimum und schlechte Arbeitsbedingungen an der Tagesordnung. Moderne Arbeitsformen sind nur rudimentär entwickelt. Es dominiert der traditionelle kleinbetriebliche Paternalismus, der in den von eingewanderten Unternehmern geführten Betrieben auch intra-ethnisch oder -kulturell begründet ist. Besonders in der mit zahlreichen chemischen Prozessen verbundenen Herstellung der "rohen" Leiterplatten herrschen teilweise unhaltbar erscheinende Verhältnisse des Gesundheitsschutzes. Wie in der Frühzeit der Chip-Produktion, so ist die toxische Belastungssituation in der Leiterplattenherstellung kaum untersucht - einschlägige Projekte der US-Umweltbehörde EPA (U.S. EPA 1995) haben bislang selbst an der Datenlage nicht viel ändern können. (4) Verhältnisse, die an Günther Wallraffs berühmte Reportage Ganz unten erinnern, herrschen schließlich auch in manchen sog. business services, insbesondere bei Gebäude- und Reinigungsdiensten sowie Entsorgungsfirmen. Dominiert wird dieser Sektor von zahlreichen Kleinbetrieben, die als Subunternehmer in verschachtelten Ketten von einigen Großfirmen kontrolliert werden. Öffentliches Aufsehen erregte in den letzten Jahren der Fall des Entsorgungsunternehmens Romic in East Palo Alto, in dem Arbeiter bei der Reinigung von Kesseln mit toxischen Substanzen aus der Chip-Produktion lebensgefährliche Verletzungen erlitten hatten (New York Times 21.7.1998). Obwohl sich also der technisch-ökonomische Zuschnitt der Produktionsnetze von Silicon Valley in den meisten Bereichen längst von dem sweatshop-artigen Milieu der siebziger Jahre entfernt hat, sind viele Züge des Betriebspaternalismus der Gründertage keineswegs verschwunden. Nach wie vor gilt, dass sich Silicon Valley keineswegs an der Spitze der "Teamwork-Revolution" bewegt. Trotz der von der Industrie und den beteiligten staatlichen und halb-staatlichen Institutionen proklamierten Kooperationsideologie sind die Teamwork-Konzepte in den größeren Betrieben von Silicon Valley überwiegend von einer Dominanz des Managements und geringer Partizipation der Beschäftigten gekennzeichnet (vgl. Brown 1996). Die von Kritikern US-amerikanischer Lean Production-Praktiken wie Jane Slaughter oder Mike Parker (1993) geprägte Bezeichnung "Management-by-Stress" scheint auch auf die Betriebe der Region zu passen. Die bis in die Betriebe am unteren Ende der Produktionsketten reichende Einführung von Gruppenarbeit hat keineswegs die Trennung von "Ausführung" und "Kontrolle" (die immer noch weitgehend in der Hand von Produktionsingenieuren liegt) beseitigt. Das "Total Quality Management" in Silicon Valley ist dabei von zwei ganz besonderen Faktoren geprägt: Erstens nämlich von einer extremen Nutzung unregelmäßiger Beschäftigungsverhältnisse: Liegt deren Anteil an der Gesamtzahl der gewerblichen Arbeitsplätze in den USA mit knapp 30% ohnehin sehr hoch, so können nach Schätzungen des gewerkschaftsnahen Forschungsinstituts Working Partnerships USA in San Jose etwa 40% aller Jobs im Silicon Valley dieser Kategorie zugeordnet werden. Neben den zahlreichen Formen der Scheinselbständigkeit, die bei z.T. recht hoher Bezahlung etwa im Ingenieurs- und Dienstleistungsbereich an der Tagesordnung ist, herrscht bei einfachen Dienstleistungs- und Produktionsjobs Zeitarbeit vor. Die meisten Unternehmen der Region stellen in diesem Bereich neue Arbeitskräfte nur noch über Zeitarbeitsfirmen ein (Benner 1996). In manchen Großbetrieben, wie z.B. Solectron, waren 1997 nach Firmenangaben über 40% der Produktionsbeschäftigten Angestellte von Zeitarbeitsagenturen. Zur Mitarbeiterrekrutierung unterhält das Unternehmen ein von fünf Agenturen geführtes Einstellungsbüro - allerdings nicht auf dem Werksgelände, sondern im größten Einkaufszentrum der San Franciso Bay Area in der überwiegend von asiatischen Einwanderern bewohnten Stadt Milpitas (Chun 1998). Die extreme Flexibilisierung der Arbeit ist zweitens eng verknüpft mit einer starken Ethnisierung und Feminisierung von Kontrolle und Ausbeutung. Wie in den Anfangszeiten des Silicon Valley besteht die Mehrheit der Produktionsbeschäftigten aus Frauen aus Südostasien und Mexiko, die immer noch zumeist über die Beziehungsnetze ihrer jeweiligen communities in die Betriebe gelangen. Allerdings hat sich die soziale Differenzierung unter diesen Arbeitskräften erheblich verstärkt. Ein nicht unerheblicher Teil ist in höherqualifizierte oder Aufsichtspositionen aufgerückt. Der "klassische" Gegensatz "weiße Manager gegen eingewanderte Arbeiter" besteht meistens nur noch in den Betrieben am unteren Ende der Produktionskette. Hier findet sich allerdings auch zunehmend das entgegengesetzte Extrem eines "ethnischen Betriebspaternalismus": eingewanderte Unternehmer zumeist asiatischer Herkunft beschäftigen ArbeiterInnen der eigenen Nationalität und nutzen deren Abhängigkeitssituation zum Druck auf Arbeitsbedingungen, Löhne und Arbeitszeiten (Park 1992). Diese Verhältnisse beherrschen allerdings heute nicht mehr das Gesamtbild. Die Faktoren "Ethnizität" und "Rasse" spielen indes auch im arbeitspolitischen Regulierungssystem der meisten Großbetriebe eine zentrale Rolle (McLaughlin/Cha 1999). In vielfältiger Weise nämlich wird "Multikulturalität" als Teil der Unternehmensphilosophie propagiert (LEAP 1997), vor allem bei größeren Firmen. In der Praxis beinhaltet dies aber zumeist den nationalistisch verbrämten Appell an die Leistungsbereitschaft der jeweiligen Einwanderergruppen - namentlich an den sprichwörtlichen Arbeitsfleiß "der Asiaten". In manchen Betrieben konkurrieren auch Arbeitsteams verschiedener Nationalität und Sprache (Park 1992). Zur Pflege der multikulturellen Unternehmenswerte bieten die meisten Unternehmen schließlich jene Hilfestellungen an, auf die Immigranten besonders angewiesen sind: nämlich Kurse in Englisch, Geschichte und Staatsbürgerkunde, welche die für die Erlangung der US-Staatsbürgerschaft notwendigen "Kulturkenntnisse" vermitteln (Chun 1998). Diese neuzeitlichen Formen des Sozialmanagements sollen nicht zuletzt die nach wie vor niedrigen Löhne kompensieren. Trotz des Beschäftigungsbooms, der sich in einer äußerst niedrigen Arbeitslosenquote in Santa Clara County von derzeit etwa 3% niederschlägt, haben sich in den letzten Jahren die Löhne der IndustriearbeiterInnen kaum erhöht (WPUSA/EPI 1998; Joint Venture: Silicon Valley 1999). Silicon Valley zeigt so besonders ausgeprägt, dass die "New Economy" der USA - wie es der Kolumnist Alexander Cockburn einmal in der Zeitschrift The Nation formulierte - von einem "faktischen Lohnstopp" getragen wird. Aus europäischer Perspektive erscheint zuweilen schwindelerregend, wie diese Entwicklung mit der Neuzusammensetzung einer relativ qualifizierten regionalen ArbeiterInnenklasse einhergeht, in der asiatische und mexikanische Einwanderer zu industriellen Kernbelegschaften mit einem rasch wachsenden Qualifikations- und Erfahrungspotential werden. 5. Produktionspolitik, Gewerkschaften und soziale Bewegungen Die vernetzte Massenproduktion in Silicon Valley ist allen dort herrschenden neo-liberalen und libertären Ideologien zum Trotz ein politisch hochgradig organisiertes System. Nur wenige Autoren wie Annalee Saxenian (1994) oder Richard Walker (1995) haben hierauf hingewiesen. Die relativ engmaschigen Verbindungen des lokalen Innovationsmilieus zur Politik und sein sensibles Reagieren auf Veränderungen in den ökonomisch-politischen Rahmenbedingungen gehören zu den wenig bekannten Erfolgsgeheimnissen von Silicon Valley. Dies unterscheidet die Region auch von anderen, eher traditionell strukturierten High-Tech-Zentren wie z.B. der Route 128 in Boston (Saxenian 1994). National und international bekannt sind inzwischen auch die politischen Initiativen Silicon Valleys, so etwa das hier formulierte und vom früheren Vizepräsidenten Gore propagierte Konzept eines "Information Superhighway", die zahlreichen Vorstöße zum Erhalt eines weitgehend unregulierten Status des Internet oder das Kartellverfahren gegen Microsoft, hinter dem einige Schlüsselunternehmen der Region wie Netscape, Sun oder Oracle stehen. Das dichte Netzwerk der formellen und informellen Zusammenhänge der Industrie spielt auch eine wichtige Rolle auf dem Gebiet der Produktionspolitik. Die wichtigsten Unternehmerverbände der Region, die Santa Clara County Manufacturing Group und die heute national agierende American Electronics Association (AEA) sind bereits in jenen Zeiten entstanden, in denen die "Garagenunternehmen" Nordkaliforniens noch um ihren Rang im industriellen Establishment des amerikanischen Fordismus kämpfen mussten. Seit den 70er Jahren haben diese Organisationen typische Funktionen von Arbeitgeberverbänden übernommen. Neben der Ermittlung und der industrieinternen Verbreitung von Lohn- und Einkommensstandards und der Beratung der Unternehmen in Fragen von Arbeitsorganisation, Qualitätsmanagement und beruflicher Bildung gehörte hierzu immer wieder die Unterstützung der Mitgliedsfirmen gegen gewerkschaftliche Organisierungsversuche (Sevilla 1992, Eisenscher 1993). Besonders die Beratungsfunktionen auf dem Gebiet vom Qualitätsmanagement und Ausbildung sind im Zuge der Modernisierungspolitik der 80er und 90er Jahre stark ausgebaut worden, die AEA fungiert heute als eine zentrale Instanz des benchmarking von Teamarbeitsmodellen (AEA 1996). In enger Verbindung damit tritt seit etwa einem Jahrzehnt auch Joint Venture: Silicon Valley hervor - eine von der Industrie als Antwort auf die Krisenerscheinungen der 80er und frühen 90er Jahre gegründete non-profit Organisation zur Förderung der regionalen Industrieentwicklung. Beteiligt sind auch zahlreiche Akteure in der lokalen Politik, neben staatlichen Stellen auch Umweltverbände und Gewerkschaften. Mit ihren umfangreichen Aktivitäten auf dem Gebiet der Industrie-, Infrastruktur-, Ausbildungs- und Wohnungspolitik sowie mit ihrer zentralen Rolle als Clearing-Stelle für die lokale Industriestatistik agiert Joint Venture heute fast als eine Art ideeller Gesamtkapitalist der lokalen Industrie (Lüthje 1999). Als "korporatistisch" lässt sich der institutionelle Rahmen der lokalen Produktionspolitik allerdings kaum charakterisieren. Dies liegt vor allem an der historisch ausgeprägten Schwäche der Gewerkschaften, die bis heute in der IT-Industrie so gut wie gar nicht und in den meisten anderen Industrien der Region nur relativ schwach vertreten sind (eine bemerkenswerte Ausnahme bildet hier allein das Baugewerbe, wo die traditionell relativ starken lokalen Facharbeitergewerkschaften von dem anhaltenden Bauboom der Region profitieren können). An diesem Bild haben sich allerdings in den letzten Jahren einige bemerkenswerte Veränderungen ergeben. Diese sind in vielerlei Hinsicht mit dem Namen des Präsidenten des Gewerkschaftsdachverbandes AFL-CIO, John Sweeney, verknüpft, dessen Amtsantritt im Jahre 1995 für einen deutlichen Politikwechsel innerhalb des Gewerkschaftsbundes sowie einiger maßgeblicher Einzelgewerkschaften steht (ausführlich Lüthje/Scherrer 1997). In diesem Kontext ist auch die gewerkschaftliche Organisierung der IT-Industrie wieder zu einem Thema geworden - eine politische Frage, die in der Vergangenheit nur von einer kleinen Minderheit innergewerkschaftlicher Kritiker angesprochen und praktisch verfolgt wurde (Eisenscher 1993). Diese Veränderungen, die am spektakulärsten wohl in dem erfolgreichen Streik der Transportarbeitergewerkschaft gegen das Paketunternehmen UPS im Jahre 1997 zum Ausdruck kamen, schaffen auch in den neuen Massenproduktionsbranchen wie der Informationselektronik eine andere Situation. Vor allem ist die traditionelle Abwehrhaltung der Gewerkschaften gegenüber den ArbeiterInnen aus nicht-weißen Minderheiten quasi an höchster Stelle aufgegeben und deren Organisierung gar zu einem vorrangigen strategischen Ziel erklärt worden. Auch in Silicon Valley schlägt sich dies in einer noch vor wenigen Jahren kaum denkbar erscheinenden Erneuerung der Gewerkschaftsstrukturen nieder. Zentrum dieser Bemühungen ist der South Bay Central Labor Council in San Jose - das "Ortskartell" der lokalen Gewerkschaften - mit einer stark verjüngten, aus dem Umfeld Sweeneys stammenden Führungsmannschaft. In der zweiten Hälfte der 90er Jahre wurden in der vormals eher verschlafenen Organisation zahlreiche Initiativen entwickelt, die den lohnabhängigen Normalverdienern im kommunalen Raum eine Stimme verschaffen sollen (Dean 1995). Dazu dient vor allem ein verstärktes Auftreten der Gewerkschaften in der lokalen Wirtschafts- und Arbeitspolitik, die eine Mitarbeit im Aufsichtsrat von Joint Venture: Silicon Valley genauso einschließt, wie in Bewegungen der lokalen Immigranten-communities gegen ausländer- und minderheitenfeindliche Gesetzgebungsmaßnahmen. Ein zentrales Feld ist dabei auch die Mobilisierung dieser und anderer Gruppen der lokalen Lohnabhängigen als Wähler, womit zugleich auch die Position der Gewerkschaften als politischer Lobby vor allem innerhalb der demokratischen Partei gestärkt werden soll. Darüber hinaus wird auch an Konzepten zur Organisierung der wachsenden Masse der unregelmäßig Beschäftigten gearbeitet. Modellprojekt ist hier eine gewerkschaftliche Vermittlungsstelle für Zeitarbeitskräfte, die konzeptionell auch an die Traditionen gewerkschaftlicher hiring halls etwa bei den Bau-, Hafen- oder Farmarbeitergewerkschaften anknüpft (Benner 1996). Das Potential für eine gewerkschaftliche Organisierung liegt besonders in den lokalen Immigranten-Gruppen, insbesondere der Latinos. Welche Mobilisierungen in diesem Rahmem möglich sind, zeigen die in den letzten Jahren geführten Kämpfe der ReinigungsarbeiterInnen der Computerunternehmen, die von der Dienstleistungsgewerkschaft SEIU vertreten werden. Die sog. Janitors, die von großen Immobilien-Serviceunternehmen in zahllosen Subunternehmen beschäftigt sind, begannen zu Anfang der 90er Jahre, ihre "eigentlichen" Arbeitgeber - bekannte Firmen wie Apple, Hewlett-Packard oder Intel - für die bei den Reinigungsfirmen herrschenden miserablen Verhältnisse verantwortlich zu machen. In vielfältigen, den Bürgerrechtsbewegungen der sechziger Jahre nachempfundenen Protestaktionen sorgten die zumeist mexikanischen ArbeiterInnen insbesondere bei den relevanten "User"-Gruppen der Produkte der einschlägigen Firmen für Empörung und konnten so die Unternehmen veranlassen, nur noch gewerkschaftlich organisierte Reinigungsfirmen zu beschäftigen. Das Reinigungsgewerbe ist heute das einzige gewerkschaftlich organisierte Segment der IT-Industrie von Silicon Valley. Durch die Verbindung mit ähnlichen regionalen Kampagnen in Großstädten wie Los Angeles, San Francisco oder Seattle strebt die SEIU einen die gesamte Westküste abdeckenden Flächentarifvertrag an (Bacon 1997). Weniger spektakulär, aber vielleicht nicht minder bedeutsam, waren einige Arbeitskonflikte, die in den Jahren 1992-1994 bei kleineren IT-Kontraktfertigungsfirmen stattfanden. Diese ebenfalls von einem breiten politischen Bündnis aus den lokalen Einwanderergruppen unterstützten Kämpfe endeten damit, dass die Betriebe kurzerhand geschlossen und die Beschäftigten entlassen wurden (ebd.). Dennoch erscheint gerade der Kontraktfertigungssektor heute ein zentrales Feld für eine gewerkschaftliche Reorganisierung zu sein. Angesichts der Tatsache, dass diese neue Branche zu einer wichtigen Fertigungsbasis praktisch aller elektronikintensiven Industrien heranwächst, stellt sich ein Problem, das weit über den lokalen Rahmen hinausgeht. Gefragt sind hier nicht zuletzt auch große Industriegewerkschaften wie die der Automobilarbeiter (UAW), der Maschinisten (IAM), der Elektroarbeiter (IUE und UE) oder die (auch im Fertigungsbereich präsente) Telekommunikationsgewerkschaft CWA, deren Mitglieder von der zunehmenden Verlagerung der Elektronikproduktion auf den "gewerkschaftsfreien" Kontraktfertigungssektor betroffen sind (Lüthje 2000). Der entscheidende Schwachpunkt des "neuen AFL-CIO" in der Region bleibt allerdings die kaum vorhandene Verankerung in den Betrieben. In dieser Hinsicht ist sicherlich noch manches von den Organisierungsversuchen der United Electrical Workers zu Anfang der 80er Jahre zu lernen. Von ebensolcher Bedeutung sind die Erfahrungen des recht bunten Spektrums von Basisorganisationen aus den Immigranten-communities aber auch der in der Silicon Valley Toxics Coalition zusammengeschlossenen lokalen Umweltbewegung, die sich seit vielen Jahren auch mit der Situation in den Betrieben auseinandersetzen. Manche Lehren für die Elektronikbetriebe enthalten sicherlich auch die Erfahrungen der Belegschaft des mitten im Elektronik-Korridor von Fremont, Milpitas und San Jose gelegenen NUMMI-Werkes von General Motors - bekanntlich das weltweite Vorzeigebeispiel des Konzerns in Sachen Lean Production. Es dürften indes die Auseinandersetzungen in den "klassischen" Organisationsbereichen der lokalen Gewerkschaften sein, die auch über die Chancen für zukünftige Organisierungsprojekte im High-Tech-Bereich entscheiden. Eine der bedeutendsten gewerkschaftlichen Bewegungen in den alten und neuen Niedriglohnindustrien der Region fand seit Ende der 90er Jahre unter den mexikanischen LandarbeiterInnen in den Erdbeerfeldern der nahegelegenen Stadt Watsonville statt. Wichtig war und ist diese vom AFL-CIO von höchster Ebene gestützte Mobilisierung nicht nur aufgrund der räumlichen Nähe zu den IT-Betrieben. In ihr kommt auch die nach wie vor äußerst lebendige Orientierung der mexikanischen und einiger asiatischer Immigranten-communities im Santa Clara Valley an der Bürgerrechtstradition der Landarbeitergewerkschaft United Farm Workers und ihres aus San Jose stammenden langjährigen Präsidenten Cesar Chavez zum Ausdruck. Der civil rights unionism der 60er und 70er Jahre ist heute für alle gewerkschaftlichen Erneuerungs- und Organisierungsversuche in der Region ein unbestrittenes politisches und kulturelles Leitbild. 6. Fazit Das Zentrum der "New Economy", so können wir unsere Beobachtungen zusammenfassen, ist auch am Ende der beispiellosen Erfolgsperiode des letzten Jahrzehnts kein Ort unbegrenzter Prosperität und sozialer Harmonie. Der noch immer nicht endende Aufstieg des Silicon Valley sollte weder als Produkt einer entfesselten marktwirtschaftlichen Innovationskonkurrenz noch als Ergebnis besonders geschickter Strategien der industriellen "Netzwerkbildung" missverstanden werden. Die Region taugt auch nicht als paradigmatisches Modell für einen stabilisierten "post-fordistischen" Kapitalismus (vgl. Lüthje 1998) - auch wenn sich die hier kreierten "wintelistischen" Unternehmensstrukturen in der Konkurrenz mit den traditionellen industriellen Organisationsformen im IT-Sektor als recht erfolgreich erweisen. Gerade der Blick auf die komplexen Zusammenhänge zwischen den neuen Formen der Technologieerzeugung und der Umstrukturierung ihrer Produktionsbasis zeigt, dass die Kernbranchen der "New Economy" nicht ohne permanente Erneuerung der industriellen Grundlagen kapitalistischer Mehrwertproduktion auskommen. Die permanente "Fragmentierung und Zentralisierung" (Ernst/O‘Connor 1992) der Produktions- und Branchenstrukturen ist die für die fortgeschrittene IT-Produktion kennzeichnende Form der Kapitalbewegung. Das Wechselspiel von vertikaler Desintegration und Spezialisierung der Produktmärkte einerseits und Globalisierung der Produktions- und Technologienormen andererseits ist zugleich ein wesentlicher Regulierungsmodus für die Instabilität der "post-fordistischen" Branchenstrukturen wie auch für die permanenten Steigerungen der Kapitalintensität bei den Leit- und Spitzenprodukten des Sektors. Besonders augenfällig illustriert dies derzeit das rasante Wachstum des IT-contract manufacturing. Die Zentralisierung des "back end" der IT-Produktion und ihrer Logistikketten in globalen Großunternehmen ist nicht zuletzt auch ein Mechanismus zur Kompensation der exorbitant gestiegenen Entwicklungskosten für immer neue Generationen von Mikrochips, Software- und Systemkonzepten (vgl. Lüthje 1999). Seine zentrale Stell4ung in der IT-Industrie, der auch die Bezeichnung eines "Detroit der New Economy" nahelegt, verdankt Silicon Valley seiner Knotenfunktion in den transnationalen Produktionszusammenhängen des Sektors. Anders als der Fordismus kennt der zeitgenössische Kapitalismus aber nicht nur ein einziges, sondern eine ganze Anzahl von "Detroits", also von regionalisierten Industrie-Clustern, die in strategischen Segmenten der Branche kontrollierende Funktionen ausüben. Gerade aus diesem Zusammenhang heraus ist die ökonomische Entwicklung von Silicon Valley heute vielleicht stärker denn je von der industriellen Entwicklung in konkurrierenden High-Tech-Zentren innerhalb der USA, in Ostasien und auch Europa abhängig. Die Krise der Jahre 1997/1998 in Ostasien und die darauf folgenden raschen Produktions- und Absatzeinbrüche bei wichtigen Unternehmen Silicon Valleys demonstrierte erst vor kurzem die starke Abhängigkeit der Region von der Entwicklung in anderen Zonen des kapitalistischen Weltmarktes. Der nunmehr anstehende Abschwung der US-Ökonomie und seine absehbaren Folgen gerade in den für Silicon Valley zentralen newly industrializing countries könnte diese Zusammenhänge erneut in vielleicht recht dramatischer Weise demonstrieren. Die Frage, ob Silicon Valley auch aus der Perspektive der Gewerkschaftsbewegung zu einem "Detroit" werden kann - also zum historischen Geburtsort einer "neuen" Arbeiterbewegung wie die Industriegewerkschaften in den 30er Jahren - dürfte bis auf weiteres zurückhaltend zu beantworten sein. Die Äußerungen maßgeblicher Repräsentanten des "neuen AFL-CIO" in San Jose evozieren zwar gelegentlich solche Vergleiche. Dennoch klafft hier eine große Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Neben der bereits angesprochenen Schwäche in den Betrieben scheinen die offenen Probleme auf eher traditionelle und keineswegs für den IT-Sektor spezifische Defizite der amerikanischen Gewerkschaften zu verweisen. Vor allem stellt sich die Frage nach branchenweiten Strategien einer gewerkschaftlichen Reorganisierung des IT-Sektors. Diese von Aktivisten aus dem Bereich der Chip-Fertigung wie auch aus dem Telekommunikationssektor schon früher angesprochene Problematik (vgl. Eisenscher 1993, Newman 1993) ist auch in der Ära Sweeney ungelöst. Allein die Kommunikationsarbeitergewerkschaft CWA ist hier in den letzten Jahren durch die Unterstützung kleiner, aber strategisch wichtiger Gruppen von Angestellten oder Zeitbeschäftigten bei Unternehmen wie Microsoft, IBM oder zuletzt Amazon hervorgetreten (Lüthje 2000). Für den Produktionsbereich - der gerade den großen Industriegewerkschaften nahe liegen sollte - gibt es in den USA heute praktisch keine strategisch relevanten Konzepte und Initiativen. Die Erfahrungen der NiedriglohnarbeiterInnen des Silicon Valley zeigen, dass eine solche Organisierung schwierig, aber nicht von vornherein unmöglich ist. Diese Erfahrungen zeigen aber auch, dass die Grundlagen dafür nicht "von oben", sondern nur aus den Betrieben und den sozialen Netzen der Immigranten-communities entstehen können. Der Fall Silicon Valley illustriert in dieser Hinsicht ganz besonders, dass eine Abstützung oder gar eine Abkürzung betrieblicher Organisierungsprozesse über die Partizipation der Gewerkschaften an den Netzwerken und Institutionen der regionalen Wirtschafts- und Industriepolitik kaum möglich ist. Dies liegt nicht nur am relativen Mangel korporatistischer Politikverbünde in der Region. Die Entwicklung hier - insbesondere die erfolgreiche Krisenbewältigungspolitik der 80er und 90er Jahre - demonstriert vielmehr anschaulich, dass eine massive Modernisierung von Produktion und Arbeitsstrukturen auch ohne eine organisierte Repräsentation der Arbeitnehmerseite möglich und erfolgreich ist. Dies ist sicherlich eine Lektion, die über Silicon Valley hinaus Konsequenzen hat - wie man spüren kann, auch in den korporatistisch regulierten und sozialdemokratisch regierten Kapitalismen Europas. Dieser Aufsatz basiert auf einer am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Frankfurt und dem Institute for the Study of Social Change der University of California Berkeley entstandenen Habilitationsschrift, die demnächst im Campus-Verlag, Frankfurt/M., erscheint (vgl. Lüthje 1999).