RENTE AUS KAPITALFONDS KONTRA SOZIALRENTE

in (25.01.2001)

Die Dreißig- bis Vierzigjährigen sind fast einhelligder Überzeugung, sie müssen im Alter verarmen, wenn das System derumlagefinanzierten Sozialrente nicht endlich auf Kapitalfonds umgestellt werde

Die Generation der heute Dreißig- bis Vierzigjährigen ist fast einhellig
der Überzeugung, sie müsse im Alter verarmen, wenn das System der
umlagefinanzierten Sozialrente nicht endlich auf Kapitalfonds umgestellt
werde. Und es wächst der Unmut, daß ihnen heute gesetzliche
Rentenbeiträge vom Bruttogehalt abgezogen werden, die zusammen mit dem,
was der Arbeitgeber für sie zu zahlen hat, bis zu 1600 Mark monatlich
ausmachen können ­ für sie anscheinend verlorenes Geld. Denn die
staatlich organisierten Rentenkassen verteilen diese Beträge doch gleich
an die heutigen Rentner; das Geld wird sofort aufgebraucht. Die Jungen
glauben nicht mehr daran, daß für sie selber im Alter genügend
Nachgeborene da sein werden, die ihnen die Rente einzahlen könnten.
Kapitalfonds sollen nun die Rettung sein. So kann bis zum Alter jede und
jeder leicht zu Millionären werden und dann allein von den Zins- und
Zinseszinsen frei von Sorgen "die schönsten Jahre des Lebens" bis zum
seligen Ende genießen. Kapitalfonds wachsen ja von selbst...
Die Politiker tun alles, um diesen Glauben zu stärken. So rechnen die
Rentenexperten der rot-grünen Koalition mit einer Verzinsung der Fonds
um 5,5 Prozent jährlich, obwohl zum Beispiel die Deutsche Bank
gegenwärtig nur vier Prozent garantieren will. Zugleich plant Walter
Riester langfristig eine gravierende Absenkung der umlagefinanzierten
Rente auf ein Niveau, das Norbert Blüm wohl kaum gewagt hätte
vorzuschlagen. Als neuesten Schocker hat die Regierung versprochen,
jedem jüngeren Arbeitnehmer künftig in regelmäßigen Intervallen per
Computerauszug Prognosen ins Haus zu schicken, wie wenig Sozialrente er
im Jahre 2030 oder 2050 zu erwarten hat.
Nehmen wir einmal an, die Befürchtungen der jüngeren Generation würden
Realität. Die Regierungen sorgten mit ihrer Kinder- und Jugendpolitik
dafür, daß die Geburtenrate noch weiter zurückginge. Für Flüchtlinge und
andere Zuwanderer würden die Grenzen ganz dicht gemacht; eine
reaktionäre bis faschistoide Bewegung sorgte dafür, daß auch die hier
schon lebenden AusländerInnen das Land verlassen müßten, Deutschland den
Deutschen! Zugleich wäre die bisherige umlagefinanzierte Rente völlig
auf Kapitalfonds umgestellt, entweder mit Pflichtbeiträgen oder den
Einzelnen teilweise freigestellt. Gehen wir außerdem von der Hypothese
aus, daß die Kapitalfonds wirklich in dreißig Jahren ihre heutigen
Verheißungen wahr machen, was nur möglich wäre, wenn die Renditen
überwiegend im Ausland erwirtschaftet würden. In jedem Fall müßte der
Aufbau dieser Kapitalfonds, ob hier im Land oder außerhalb, von der
Konsumrate der arbeitenden Bevölkerung erspart werden, und zwar
zusätzlich zu den noch jahrzehntelang erforderlichen gesetzlichen
Abzügen für die bestehenden Rentenkassen der erst nach und nach
aussterbenden älteren Generation.
Im Jahre 2030 also hielten die heute 35jährigen die schönen monatlichen
Geldanweisungen aus ihrem Kapital in Händen. Kann man Geld essen? Die
dann Alten benötigen das Geld, um ihre Wohnung zu bezahlen, sich Essen
und Kleidung zu kaufen, Verkehrsmittel zu benutzen usw. Sie wollen bei
Bedarf zum Arzt gehen, bei Krankheit und Siechtum gepflegt werden. Ihr
Geld soll dazu dienen, von der jüngeren Generation produzierte Waren und
Dienstleistungen zu erwerben. Die Jüngeren aber wären entsprechend den
heutigen Ängsten eine aussterbende Spezies, damit beschäftigt, ihre
Ein-Kind-Familie durchzubringen und in die rettenden Fonds für die
eigene Rente einzuzahlen. Wenn sie für die Alten auch noch tätig werden
sollen, müßte das schon ordentlich Geld bringen, d. h. die Preise für
Waren und besonders für Pflegedienste würden steigen. Ob die Fondsrenten
dann noch ausreichten?
Als die iranische Elite 1979 fluchtartig mit ihrer gestürzten
Schahfamilie das Land verlassen mußte, zogen einige hundert Familien
zusammen auf eine Insel in der Karibik in Hotels und schnell gekaufte
Bungalows. Sie wollten ihr gewohntes Dasein in Sprache und Kultur weiter
leben. Sie hatten nur wenige Wertsachen mitnehmen können, dafür hatten
sie aber Zugriff auf ihre seit langem angelegten Auslandskonten in
Dollar. Dummerweise aber hatte sich ihre Dienerschaft überwiegend der
Revolution in Teheran angeschlossen und war nicht mitgekommen. Wer jetzt
nicht auf die gewohnten Dienste verzichten konnte, mußte bald für einen
guten iranischen Diener das Fünffache zahlen.
Wenn im Jahre 2030 nicht mehr genügend Erwerbspersonen im Lande sind,
von deren Bruttolöhnen sich Renten an die dann alt Gewordenen ­ heute
noch 35jährigen ­ auszahlen ließen, wie sollen dann genügend
arbeitsfähige Menschen da sein, die glücklichen Fonds-Pensionisten bis
ins gesegnete Alter am Leben zu erhalten? Spätestens zu jenem Zeitpunkt
müßte die Regierung in großem Umfang wieder "GastarbeiterInnen" ins Land
holen, z.B. philippinische Krankenschwestern. In der realen
kapitalistischen Volkswirtschaft eines entwickelten Industrielandes, das
weiter Wachstumsraten einfahren will, um nicht in Krisen, Kriegen und
Bürgerkrieg zu versinken, ist dies aber schon viel früher nötig.
Entgegen dem dummen, demagogischen Gerede der Konservativen wird die
Zahl der Erwerbstätigen selbstverständlich entsprechend den Bedürfnissen
der kapitalistischen Mehrwertproduktion aufrecht erhalten werden. Oder
dieses System wird überwunden...
Ob eine Rente an die ältere Generation über direkte Umlage oder über den
Kapitalmarkt mit angesammelten, angeblich persönlichen Konten
aufgebracht wird, läuft gesamtökonomisch gesehen auf das Gleiche hinaus.
In jedem dieser beiden Fälle muß die arbeitsfähige Bevölkerung ihre
Älteren durch eigene Mehrarbeit mit durchbringen. "Ob Renten
kapitalgedeckt sind oder über ein Umlageverfahren finanziert werden: In
jedem Fall stellen diese Einkommen der Nichterwerbsbevölkerung einen
Abzug vom Einkommen der Erwerbsbevölkerung dar." (Memorandum 2000 der
Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik) Der Streit kann also nur
darum geführt werden, wem vertraut werden soll: dem demokratisch
legitimierten Staat oder dem marktförmig agierenden Kapital.
Oder der Kapitalismus geht auch in seinen Zentren daran, alles Soziale
über Bord zu werfen. In England werden die Kosten bestimmter
Operationen, z. B. Bypässe, für Menschen über 80 nicht mehr vom
staatlichen Gesundheitssystem übernommen ­ was aber die Reichen nicht
schrecken muß. Es ist die Verheißung der Teilhabe an solchem Reichtum,
der die jüngere und mittlere Generation heute so verrückt und aggressiv
werden läßt gegen die vielen fitten Rentner. Deren angeblich so dicke
Renten sollen der Grund dafür sein, daß das Kapitalsparen der Jüngeren
nicht richtig voran kommt. Die Regierung sagt das auch ­ und
verabschiedet entsprechende Gesetze, die die bestehenden Rentenansprüche
nach und nach herabsetzen. Das Schüren der Ängste vor wachsender Armut
im Alter bleibt also nicht auf Propaganda beschränkt, die Demontage der
sozialen Sicherungssysteme macht die Gefahr real. Eben diese produzierte
Mischung aus begründeter Furcht und Hoffnung auf individuellen Reichtum
hat die öffentliche Meinung gegen das umlagefinanzierte Rentensystem
aufgebracht.
Die herkömmliche Rente hat große Schwächen: Altersarmut für Frauen,
besonders für alleinerziehende, geringe Rentenansprüche nach
unterbrochenen Erwerbsbiographien, überhaupt Fortschreibung sozialer
Benachteiligungen auch im Alter und mehr. Diese Nachteile zu korrigieren
durch geänderte Anrechnungszeiten und durch Einbeziehung möglichst aller
Bevölkrungsgruppen in die gesetzliche Altersversicherung, wäre legitimes
Anliegen einer sozialen Politik. Doch von "Reform" zu reden und einzig
die Demontage des Solidarsystems voranzutreiben, um jede und jeden den
Unsicherheiten des Kapitalmarktes auszuliefern, wird die Gesellschaft
weiter fragmentieren und den Haß auf Alte und Schwache weiter schüren.
Solidarität wird unmodern, der Kampf aller gegen alle zum Glaubensziel
einer entwickelten Menschheit. Solcher Gesellschaft ist dann nur noch
eine "Banknote etwas Göttliches".