Ethnizität, Differenz und Hybridität in der Migration: Eine postkoloniale Perspektive

in (10.10.2000)

Ab Ende der 70er Jahre wurde als Reaktion auf den entwicklungspolitischen Stillstand der BRD die Diskussion über die "multikulturelle Gesellschaft" angestoßen.

Kien Nghi Ha ist Autor von "Ethnizität und Migration", Einstiege: Grundbegriffe der Sozialphilosophie und Gesellschaftstheorie Bd. 9, Münster [Westfälisches Dampfboot] 1999
http://members.tripod.de/ethnizitaet/

Ab Ende der 70er Jahre wurde als Reaktion auf den entwicklungspolitischen Stillstand der BRD, die sich in ihrem rechtlichen Selbstverständnis letztlich immer noch als "völkische Schicksalsgemeinschaft" verstand, die Diskussion über die "multikulturelle Gesellschaft" angestoßen. Dieser linksliberale Reformversuch forderte neben der überfälligen Anerkennung der BRD als Einwanderungsland vor allem das Festhalten an moralischen Grundgeboten wie Toleranz ("keine Gewalt"), Völkerfreundschaft ("Mein Freund ist Ausländer") und Menschenwürde ("Auch Ausländer sind Menschen"). Politische Gleichberechtigung und soziale Gleichstellung wurden dagegen, obwohl sie sich als Konsequenz aus dem Bekenntnis zur Immigration ergeben, kaum thematisiert. Stattdessen wurden einseitige Forderungen an die Adresse der MigrantInnen nach "kultureller Anpassung" und Integration gerichtet, die als eine Art Gegenleistung für das gesittete Verhalten der deutschen Mehrheitsgesellschaft erbracht werden sollten. Der fatale Fehler dieser gut gemeinten, aber doch verfehlten Multikulti-Diskussion war, dass sie ein falsches, unwirkliches Idyll aufbaute, in dem die Rhetorik des Dialogs und der Bereicherung über die real-existierende soziale Benachteiligung, kulturelle Nicht-Repräsentation und politische Fremdbestimmung hinwegtäuschte, anstatt diese zu benennen und dies sowohl innerhalb der Gesellschaft wie auch innerhalb dieses Diskurses. Eine Folge dessen ist die Fetischisierung, Exotisierung und Verobjektivierung der MigrantInnen und Flüchtlinge als eine Form der "positiven" Diskriminierung, in der die Ausbeutung der Andersheit für die eigenen Wünsche und Projektionen zur politischen Korrektheit erklärt wird. Ein erster Schritt aus diesem Dilemma wäre getan, wenn wir nicht wie bisher üblich, von vereinheitlichten Kulturen ausgehen, die ethnisierend wirken (Radtke 1996). Stattdessen gilt es das dahinter stehende Verständnis von Kultur als ein vergemeinschaftetes Gut aus Traditionen und Überlieferungen zu hinterfragen, das einheitlich und konstant in "uns" als "unsere" Identität ruht. Dahinter steht eine determinierte binäre Vorstellung von kultureller Identität, die das Wir von dem Anderen, das Eigene von dem Fremden trennt und sich dabei in eine privilegierte Position setzt. Nur durch diese Naturalisierung sozialer Verhältnisse im totalisierenden Kultur- und Identitätsbegriff war es möglich, essenzialistische Ethnien und homogene Nationen zu denken, die in der geistigen Nähe der manichäischen Welt des kulturellen Rassismus angesiedelt sind.

Gegensätzliche Überlebensstrategien:
Assimilierung und Selbstethnisierung
Neben der Fremdethnisierung durch staatliche Ausländerpolitik, rassistische Stereotypen und folkloristische Multikulti-Diskurse leistete auch die Selbst-ethnisierung der MigrantInnen einen Beitrag zu einem Prozess, in dem ihre vielfältigen kulturellen Identitäten auf eine einzige ethnische Identität reduziert wurden. Die Selbstethnisierung ist eine Reaktion auf das Scheitern der Assimilierungsbestrebungen vieler MigrantInnen. Angesichts einer übermächtigen rassistischen Dominanz, die eine der gesellschaftlichen Hierarchien ethnisch etikettiert, versuchen sich viele ihrer Opfer unter Verleugnung ihrer Herkünfte unsichtbar zu machen. Um Diskriminierungen und Angriffe zu vermeiden, sind sie bereit, Assimilierung als goldene Brücke zur Mehrheitsgesellschaft in Kauf zu nehmen (Auernheimer 1992, 129). Durch Anpassung an herrschende Kultur- und Sprachstandards, durch Akzeptanz weißer Schönheitsideale, durch sozio-ökonomische Anspruchslosigkeit und politische Verzichtsleistungen suchen sie eine wesensgleiche Übereinstimmung mit dem rassistischen Subjekt. Diese Identifikation mit dem Unterdrücker, die an Fanons (1980) bekannte Beschreibung der Kolonisierten mit schwarzer Haut und weißen Masken erinnert, kann immer nur partiell und nie vollständig sein. Im Rahmen dieses pragmatischen Arrangements, das den Weg des geringsten Widerstandes geht, gibt es kein Entkommen aus der rassistischen Unterscheidung. Die Marginalisierten bleiben in ihr gefangen, da der Rassismus Opfer braucht und sie durch eine Aktualisierung unwirksamer oder Erfindung neuer Differenzmarkierungen schafft. Die Verleugnung der eigenen Spezifik führt zu einer Abwertung des eigenen Selbstbildes, der Angst vor der eigenen Selbstwahrnehmung und letztlich zum Selbsthass, der symptomatisch für eine gefährdete Identität ist (hooks 1994, 9ff.). Aus dieser an Selbstunterwerfung grenzenden Unterdrückung der eigenen Aggressionen gegenüber einer Dominanzstruktur ergeben sich nicht zu unterschätzende Folgekosten, die möglicherweise die bisherige ohnmächtige Marginalität in irrationale Gewalt und reaktionäre Ideologie umschlagen lässt. Wie Stuart Hall schreibt, wurden diese Menschen nicht nur im Sinne Edward Saids (1978) als Andere konstruiert, sondern durch die Ausübung von kultureller Macht und einem Normalisierungsregime dazu gebracht,
"dass wir uns selbst als ‚Andere' wahrnahmen und erfuhren. … Es ist eine Sache, ein Subjekt oder eine Gruppe in einem herrschenden Diskurs als das Andere zu positionieren. Es ist jedoch etwas ganz anderes, sie diesem 'Wissen' nicht nur durch das Aufzwingen eines Willens und einer Herrschaft, sondern auch durch die Macht des inneren Zwangs und durch subjektive Anpassung an die Norm zu unterwerfen" (Hall 1994, 30).

Im Gegensatz zur Assimilierung versucht der ethnische Gemeinschaftsglauben Kontinuität durch das unerschütterliche Festhalten am eigenen Ursprung herzustellen. Ethnische Identität erfüllt in einem Leben, das in ständiger Auseinandersetzung mit rassistischen Bildern, dem ungesicherten Ausländerstatus sowie der fehlenden Anerkennung als ImmigrantIn geführt wird, eine wichtige soziale Funktion. Der Zukunftsunsicherheit und der Verweigerung der Gesellschaftlichkeit kann das Gefühl, in einer historischen Kontinuität zu stehen, die kollektive Gewissheit vermittelt, entgegengesetzt werden. Diese Eingliederung des Subjektes in eine längere Geschichtskette und eine größere Gemeinschaft wird als persönliche Selbstbestätigung und -aufwer-tung erfahren. Gerade in rassistisch strukturierten Gesellschaften ermöglicht ethnische Identität MigrantInnen ein positives Selbstbild, indem die eigene ethnische Herkunft vom Zeichen der Minderwertigkeit und Unterlegenheit zum identitätsstiftenden Privileg umgewertet wird. Die ethnische Gemeinschaft als so genannte Heimat in der Fremde, als Raum sozialer Beziehungen und ethnischer Ökonomie, die die vorhandenen Bedürfnisse nach sozio-kultureller Reproduktion und Repräsentation abdecken (Heckmann 1992, 96-116), stellt eine lebensweltlich-organisatorische Abbildung des Versprechens der ethnischen Identität nach essenzialistischer Verbundenheit mit einem kollektiven Wesen jenseits historisch konkreter Zeit dar. So wird der Rückzug auf das Fundament einer scheinbar gegebenen ethnischen Identität zu einer Frage von Selbstbehauptung, die durch den Mythos Heimat untermauert wird. Diese Mythologisierung erwächst aus dem Gefühl, in der BRD nie angekommen zu sein, weil die Eingewanderten hier meist als Fremde behandelt werden. Diese Fremdheitserfahrung bedingt die Sehnsucht nach einer verklärten Heimat, die umso stärker überhöht wird, je größer die Konflikte und je bedrückender die eigene Machtlosigkeit in der Migration erlebt werden. Als innere Projektionsfläche muss "die Heimat" für die verdrängten Entbehrungen und unerfüllten Sehnsüchte nach einem Ort, der Aufgehoben-Sein, Harmonie und emotionale Verbundenheit verspricht, eine ausreichende Entschädigung bieten. Die Hinwendung zum ethnischen Narzissmus ist trotz seiner zum Teil aggressiv-nationalistisch vorgetragenen Identifikationsformen letztlich nur eine Abwehrhaltung. Nachdem alles andere zuvor geopfert wurde, wird die ethnische Identität als letztes verbliebenes Heiligtum zur Aufwertung von Minderwertigkeitsgefühlen durch kollektive Selbstidealisierung und -überschätzung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigt. Das nationalistische Gefühl und der ethnische Glaube sind dann nicht mehr verhandelbare transzendente Bekenntnisse. Als Mythen paralysieren sie die Menschen, da es "der Zweck der Mythen ist, die Welt unbeweglich zu machen" (Barthes 1964, 147). Daher erweisen sich Assimilierung und Selbstdisziplinierung wie ethnische Identität und Rückkehrorientierung als ambivalente Überlebensstrategien. Indem diese Praxen des sozialen Handelns durch Unterordnung, Anpassung, Ertragen und Konfliktvermeidung bzw. durch verbissen hochgehaltenen ethnischen Stolz und Fluchtbereitschaft nur die sozialen Symptome des Rassismus erträglicher gestalten können, bleibt es ihnen versagt, eine Perspektive anzubieten, die diesen Zustand jemals beendet.

Es wäre aber ein grundlegender Fehler, Fremd- und Selbstethnisierung gleichzusetzen, da sie aus unterschiedlichen Positionen im machtbesetzten Gesellschaftsdiskurs sprechen und die Selbstethnisierung vor allem eine Reaktion auf die Fremdethnisierung darstellt. Beide Ethnisierungspraktiken doch identisch zu lesen, würde bedeuten, die relative Differenz zwischen Privilegierten und Ohnmächtigen, Tätern und Opfern aufzuheben, was politisch fatal und analytisch unseriös wäre. Der Status der marginalisierten MigrantInnen wurde durch die Erfahrungen der postkolonialen Migration geprägt, die als ein historischer Prozess zu verstehen ist, der Menschen aus der Peripherie an den Rand der westlichen Gesellschaften geworfen hat. Diese sozio-kulturellen Bewegungen haben Positionen geschaffen, die die "farbigen" MigrantInnen ungeachtet ihrer jeweiligen ethnischen Identität, geschlechtlichen Zugehörigkeit und sozialen Klassenstellung miteinander teilen. Obwohl es genau genommen weder eine gemeinsame, d.h. übereinstimmende, noch eine einzige Migrationserfahrung und -geschichte gibt, ist es zur Erkennung wesentlicher Unterschiede zunächst wichtig darauf zu insistieren, dass ein Kern-bestand an grundlegenden Erfahrungen existiert. Er wird von MigrantInnen als kollektive Signatur, wenn auch in biographisch variablen Versionen, miteinander geteilt, wodurch sie sich von anderen sozialen Gruppen unterscheiden. Durch die gesellschaftlich sanktionierte Gegenwart des Rassismus, der die Unterdrückten als Opfergemeinschaft erschafft, werden sie durch "Ras-sen-konstruktion" einer Zwangsvergemeinschaftung ausgesetzt (Miles 1991). Wie die schwarzen Nachfahren der amerikanischen Sklavenhaltergesellschaft und die übergesiedelten Überlebenden des europäischen Kolonialismus werden auch die heutigen MigrantInnen der internationalen Arbeitsteilung durch Ausgrenzung in den zeitgemäßen "Gettos" der "ethnischen Kolonien" konzentriert. Diese sozial, kulturell und geographisch relativ eingegrenzten Territorien sind zunächst nicht aus selbstbestimmten Entscheidungen ihrer BewohnerInnen entstanden, sondern reflektieren das Machtgefälle, das den gesellschaftlichen Ausschluss zuvor vereinheitlichter Bevölkerungsgruppen durchsetzen konnte. Ihre Existenz in den subalternen Positionen der Einwanderungsgesellschaft, wo sie sich mit repressiver Ausländerpolitik und sozio-ökonomischer Benachteiligung auseinander setzen müssen, ist eine fundamentale Erfahrung, die sie miteinander teilen.
Bei aller Problematisierung der Selbstethnisierung sollte nicht vergessen werden, dass ethnische Identifikation auch ein Gefühl von Zusammengehörigkeit, Solidarität und Handlungsfähigkeit ermöglicht, das sich bei der praktischen Bewältigung des konfliktgeladenen Alltags als zum Teil unersetzlich erweist. So war auch die Bildung von "türkischen" Jugendgangs in deutschen Großstädten in erster Linie ein Versuch, durch Kontrolle von Territorium, Konstruktion von Gruppenidentität und gemeinsame Aktivitäten sich vor Diskriminierungen im Alltag, rassistischer Gewalt und polizeilichen Übergriffen zu schützen. Darüber hinaus ging es auch darum, Flagge zu zeigen und Farbe zu bekennen, um aus der Unsichtbarkeit herauszukommen. Sicherlich spielten noch andere Motive und Interessen hinein, die aber den politischen Aspekt der Selbstorganisation nicht verdecken können. Das allgemeine Lebensgefühl, befremdet und bedroht zu werden, überwog und ließ auch eine diffuse wie widersprüchliche politische Praxis und Militanz entstehen (Jähner 1998). Parallel zu den Kriminalisierungs- und Repressionserfahrungen wuchs auch das subjektive Bedürfnis nach Halt in einer Betroffenengruppe. Unter Bezugnahme auf sozio-kulturelle "Verwandtschaft", geschichtliche Erfahrungen und/oder eine gemeinsame Herkunft begannen rassistisch Unterdrückte, eine kollektive, eine ethnische Identität zu entwickeln. Sie drückte ein Bewusstsein gegen vorherrschende Negativzuschreibungen aus, die keine Selbstidentifikation erlaubte und kein Gefühl von Gemeinschaftlichkeit zuließ (Blaschke/Greussing 1980). Auch wenn die politische Rechtlosigkeit und die soziale Unsicherheit vielfach bestehen bleiben, die Narben aus den wiederkehrenden Demütigungen in Alltagssituationen und die heimliche Angst vor körperlicher Gewalt nicht vergehen, verändert die Entdeckung der eigenen Körperlichkeit, Subjekthaftigkeit und Historizität und das Wissen um die kolonisierenden Funktionen des Rassismus die Handlungsoptionen grundlegend. Rassistisch Bedrohte brauchen dann nicht länger durch die Einschränkung der persönlichen Bewegungsfreiheit, vorauseilende Höflichkeit, selbstverleugnende Unsichtbarkeit, gehorsame Passivität oder andere selbstdisziplinierende Konfliktvermeidungsstrategien ein Leben im permanenten Belagerungszustand zu führen. Ethnische Communities sind daher als Antwort auf den gesellschaftlichen Rassismus zu verstehen (Sivanandan 1992, 12ff.).
Selbstethnisierung als ausgesprochenes Wir-Bewusstsein war ein wichtiger Ausgangspunkt auf dem Weg vom namenlosen, sprachlosen und unsichtbaren Objekt zum handelnden politischen Subjekt. Sie war der Beginn einer selbstbewussten Positionierung, einer Selbstrepräsentation in den Diskursen. Identitätsbezeichnungen als kollektive Symbole sind kulturelle Zeichen, die uns repräsentieren, unsere gesellschaftliche Stellung anzeigen, die als semantische Sinnbilder der Manipulation, Kontrolle und Fremdbestimmung ausgesetzt sind. In der Auseinandersetzung um
"kulturelle Symbole spiegeln (sich) auch immer Kämpfe um Macht und Wohlstand wider, weil Gesellschaften mittels der Kultur regeln, was verboten und was erlaubt ist, wer ‚dazugehört' und wer nicht, wer sprechen darf und wer zu schweigen hat" (Lipsitz 1993, 143).

Daher muss Identität als Ort politischer Kämpfe um Definitionsmacht und Selbstaneignung angesehen werden. Ethnisches Bewusstsein war auf der einen Seite ein strategischer Versuch, kulturelle Hegemonie zu erlangen, Begriffe wie "schwarz" aus ihren alten Bedeutungszusammenhängen herauszulösen und als symbolische Kategorie des Widerstandes neu zu besetzen. Auf der anderen Seite ging es um den Versuch, eine starke, möglichst einheitliche soziale Bewegung zu formieren, die ethnisches Bewusstsein als Organisationsstruktur und Mobilisierungsinstrument im Kampf um gesellschaftliche Ressourcenverteilung und politische Mitbestimmung nutzte. Dazu wurde an ein wesenhaftes Kollektiv in Form eines essenzialistischen Subjekts appelliert, dessen Homogenität keine Differenzen mehr zuließ. Gerade in der Selbst-ethnisierung wurde die solidarische Überwindung der unterschiedlichen sozialen und kulturellen Herkünfte, aber auch das Abschütteln eines rassistischen Herrschaftsinstruments des "divide et impera" gesehen. Diese Differenz galt es durch die Hervorhebung einer gemeinsamen Erfahrung aufzuheben. Um die Möglichkeit zum Überleben abzusichern, wurde nach einer möglichst starken Begründung gesucht, die daher ins Transzendentale verlegt wurde.

Der Tod des "schwarzen" Subjekts

In den neueren anti-rassistischen Diskussionen wird ein essenzialistisches Verständnis von Ethnizität inzwischen als problematisch angesehen. Dabei wird die Fiktion einer ungebrochenen Einheit als totalisierend und naturalisierend zurückgewiesen. Weder die wesenhafte Konstruktion ethnischer Zugehörigkeit, noch andere soziale Kategorien können in spätmodernen Gesellschaften alleine kollektive Identitätsformen ohne Ausschluss und Unterdrückung disparater Erfahrungen und Geschichten bestimmen. Auch wenn ethnische Identitäten politische Projekte sind, die auf der Grundlage der gegenseitigen Anerkennung als Gleiche Teilhabe an der Gesellschaft fordern, ist diese Identitätsform nie durch einfache, singuläre Identifikation zugänglich. Die "ethnische Gemeinschaft" erweist sich beim näheren Blick als ein äußerst vielfältiges und widersprüchliches Gebilde, das keine monolithische Einheit und einstimmige Loyalitätsbekundung kennt. Ebenso sind Migrationserfahrungen unentwirrbar mit biographischen und kulturellen Brüchen verbunden, die eine ungetrübte Sehnsucht nach "Heimat" in den Bereich der sozialen Imaginationen und kollektiven Mythen ansiedeln (Ha 1999, 20ff.). Dementsprechend ist und kann die Community kein Ort einer fraglosen Homogenität und uneingeschränkten Solidarität mehr sein. Nur durch die Überzeugung, dass die alten wie die neuen, gruppeninternen wie gesellschaftlichen Konflikte dort ihren Platz finden, kann ein Begriff von Gemeinsamkeit entwickelt werden, der die bestehenden Interessengegensätze ausgleicht. Während die Migrationsgemeinschaft in den bisherigen Fremd- und Selbstethnisierungsdiskursen meist unter dem Gesichtspunkt der Gleichartigkeit naturalisiert und vereinheitlicht wurde, ist es inzwischen unumgänglich geworden, durch das Erkennen der unterdrückten Differenzen eine kritische Position einzunehmen. Denn die bisher ausgeblendeten geschlechtsspezifischen, kulturellen, sozialen, politischen, religiösen, sexuellen, generationsbedingten und auch individuellen Differenzen sind eben nicht als unerheblich anzusehen. Vielmehr bestimmen sie bei der Frage nach der Bedeutung des Lebens in der Migration wesentliche Inhalte der vielschichtigen Antwort mit. Diese internen Unterschiede wurden bisher in der gängigen Geschichtsschreibung den "großen Erzählungen" geopfert. Um sie herauszuarbeiten, ist es notwendig, ethnische Identität, Tradition und Homogenität als soziale Konstrukte zu hinterfragen und durch die Begriffe der Differenz, Veränderung und Hybridität zu erweitern. Durch die Anerkennung dieser verleugneten Unterschiede, die einen Unterschied um das Ganze bedeuten, kann ein umfassender kultureller Identitätsbegriff entwickelt werden. Erst dadurch wird das Verständnis der Migration als ein Leben im Übergang ermöglicht, in der das Subjekt sich seine Identität durch die aktive Gestaltung kultureller Transformationen aneignet.

Dieser Perspektivwechsel führt uns zu der Einsicht, Black-Power-Nationalismus in den 60er Jahren und das "ethnic revival" in den 70er Jahren kritisch zu betrachten, da sie die bestehenden Spaltungen zwischen den unterschiedlichen Marginalisiertengruppen aufgriffen und vertieften. Obwohl "schwarz" als politische Farbe, als Kristallisationspunkt einer anti-rassis-ti-schen Politik definiert wurde, blieb die Praxis häufig auf phänotypische "Schwarze" fixiert. Diese begriffliche Verengung führte nicht nur in England dazu, dass MigrantInnen vom indischen Subkontinent sich inzwischen als "Asians" bezeichnen und der politische Kampfbegriff "schwarz" diskreditiert wurde (Mama 1992, 80f.). "Schwarz" als Opferkainsmal legte nicht nur eine Verdinglichung des "schwarzen" Subjekts nahe, sondern beinhaltete auch, dass der Grad der Betroffenheit von rassistischen Praktiken anhand der Dichte der Melaninpigmentierung gemessen wurde.
Der Ausschluss, das Übergehen von Menschen, die keine direkte Verbindung zu Afrika haben, ist als Problem immer noch zu wenig im Bewusstsein. "Schwarz-Sein" bedeutete auch auf der richtigen, d.h. der guten Seite zu stehen, während der Rassismus nur als äußerliches Phänomen gedacht wurde - aber selten als verinnerlichter Rassismus gegen andere (Kalpaka 1992, 118). Fehlende Wahrnehmung bedeutet nicht, dass diese verdeckte Form des Rassismus in den Beziehungen nicht existent ist, sondern nur die verpasste Chance, einen bewussteren Umgang damit zu finden. Aber selbst dieses afrozentrierte "Schwarz-Sein" bezog sich nicht in gleicher Weise auf alle "Schwarzen", sondern blendete die geschlechtsspezifischen Erfahrungen von Frauen mit Rassismus und Sexismus in der Migrationssituation, in der Arbeitswelt, in der Community und in der Privatssphäre aus. "Schwarz" war kein geschlechtsneutraler Begriff. Er drückte die Dominanz "schwarzer" Männlichkeit - oft in ihrer militant-heterosexuellen Form - und das Tabu gegenüber einer "schwarzen" Weiblichkeit aus, die in ihrer Selbstständigkeit nicht anerkannt wurde (hooks 1994, 123ff.).

Die Kategorie "schwarz" machte zuweilen auch für den Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit blind. "Schwarze" ArbeiterInnen distanzierten sich von einem Ansatz des "ethclass", der die heftigen Industriekämpfe in der ausgeprägten Klassenstruktur Englands nur aus der Perspektive einer rassistischen Aneignung und Ausbeutung von Arbeitskraft interpretierte (Düvell 1992). Was solche Ein-Punkt-Analysen bisweilen übersehen, sind die ethnisch übergreifenden sozialen Segmentierungen der Gesellschaft, die auch die Vorstellung einer sozial homogenen MigrantInnenklasse brüchig machen. Wahrscheinlich trifft das Modell einer internen Kolonie mit einer linear progressiven Zunahme der Zahl der rassistisch Diskriminierten von den Eliterängen bis zu den Marginalisiertenpositionen eher auf die soziale Lage der Eingewanderten zu (Kühler 1989, 77ff.).
Die Beschwörung einer einzigen gemeinsamen Erfahrung aller ethnisch Marginalisierten kann daher auch hegemonial sein. Das ist besonders dann der Fall, wenn die innere Differenz, die von Anfang an in jeder menschlichen Gemeinschaft, in jeder sozialen Gruppe, sogar in jedem menschlichen Subjekt selbst anwesend ist (Werbner 1996), durch eine okkupierende Definitionsmacht verdrängt wird. Durch einen solchen selektiven Bezug wird die Herausbildung neuer Verhältnisse von Dominanz und Inferiorität innerhalb der Positionen der Marginalität gefördert. Diese Gefahr wird noch dadurch verstärkt, dass ethnische Zugehörigkeit bisher anhand bestimmter soziokultureller und religiöser Merkmale festgelegt wurde, die ihrerseits auf Transzendenz abzielen. Am Ende solcher Homogenisierungsprozesse werden nicht politische Solidarität, Gleichheit in der Differenz oder gegenseitige Anerkennung stehen, sondern durch den totalisierenden Anspruch eine Vertiefung der Spaltung und Ungleichheit erfolgen. Bei der Konstruktion von Ethnizität fließen unweigerlich Macht- und Anerkennungskämpfe mit ein, die um die Besetzung umstrittener Begriffe und Bedeutungen ringen. Erfundene Traditionen und symbolische Ethnizitäten, die beim Abwehrkampf gegen die rassistisch konnotierte Geschichts- und Subjektlosigkeit mit ihren selektiven Rekonstruktionen von Geschichte operieren, müssen sich von dem Versuch distanzieren, eine neue Totalität zu errichten. Tun sie dies nicht, werden sie durch die Okkupation des zuvor Verdrängten neues Unrecht begehen. Durch das Verschweigen anderer Perspektiven und die Verleugnung anderer Subjekte im Namen des Anderen wäre aber nicht viel gewonnen.

Die weit gehende Verunsicherung einer "schwarzen" Identität liegt nicht alleine in der Anerkennung innerer Differenzen begründet, sondern wird durch die Erschütterung jeglicher Vorstellung von Ethnizität als naturwüchsige Abstammungsgemeinschaft noch fraglicher (Gates 1985, Donald/Rat-tansi 1992). Essenzialistische Vorstellungen, die mit dem emotional-religiösen Absolutheitsanspruch des Nationalismus operieren, können heute weder soweit ergänzt noch abgeschwächt werden, dass sie aufrechtzuhalten sind. Ihre Nähe zu einem unhinterfragten Kulturdeterminismus und Naturalisierungsprozess des Sozialen, die dieses Identitätskonzept unveränderlich machen, ist offensichtlich. Dermaßen von den historischen und sozialen Kontexten abgeschnitten, können sie keine der bestehenden gesellschaftlichen Antagonismen entsprechenden Identitätsbildung mehr entwickeln, sondern werden zu einer unproduktiven Alltagsideologie.
"Die Verbindung zwischen ‚Rasse' und Ethnizität ist grundlegender und zugleich die Verbindung von ethnischem Pluralismus und Antirassismus problematischer, als diese Positionen erkennen lassen" (Anthias 1992, 96).
In kulturell-ethnisch definierten Rassekategorien zu denken, heißt die Ideologie des natürlichen Unterschieds zwischen Menschengruppen zu akzeptieren, der endgültig und nicht mehr überbrückbar ist. Solche primordialen Ethnienkonstruktionen können allzuleicht durch rassistische Differenzmarkierungen vereinnahmt und ersetzt werden, die über eine größere Macht verfügen. Die rassische Metaphorik im "schwarzen" Gegennationalismus schließt an einen im rassistischen Diskurs gepflegten Naturalismus an - allerdings unter umgekehrten Vorzeichen. Zwar lässt sich in der relativen Machtlosigkeit kein "umgekehrter Rassismus" praktizieren, aber durch diese Übernahme einer bestehenden Ideologieform wurde das System der binären Gegensätze reproduziert und gleichzeitig das Modell der nationalen Gemeinschaft untermauert (Müller 1992, 38ff.). Ohne eine Überschreitung dieses dualistischen Denkens konnte keine wirkliche Selbstbestimmung, sondern nur begrenzte Freiräume innerhalb der Diaspora geschaffen werden. Ethnische Zugehörigkeit als menschlicher Wesenszug bleibt als politisches Konzept gefährlich, weil sie jederzeit ins Reaktionäre umschlagen kann und konstruierte Faktizität in einen naturhaften Zustand verwandelt. Dagegen muss heute in erster Linie betont werden, dass "objektive" und "unveränderliche" Faktoren wie Sprache und Phänotypus keine natürliche Identifikation ethnischer Gruppen ermöglichen. Giddens (1989, Kap. 8) hat darauf aufmerksam gemacht, dass kulturelle Kriterien zur Bestimmung von Ethnizität wie Sprache, Geschichte oder Religion verobjektiviert sind, sie dadurch unserer Wahrnehmung vorausgehen, unsere Unterscheidungsmerkmale vorstrukturieren und damit unsere Auffassung von Realität vordefinieren. Er betont, dass ethnische Grenzziehungen nie natürlich oder naturwüchsig gegeben sind, sondern immer einem Prozess des sozialen Lernens unterliegen.
Ethnisierung als partikularistische Identitätspolitik kann letztlich keine gesellschaftliche Utopie anbieten, weil eine Mindestanforderung an jede Version des guten menschlichen Zusammenlebens im Universalismus, d.h. in der Nicht-Ausgrenzung liegt. Diesen ideologischen Bruch zu vollziehen, ist eine mutige Entscheidung für Menschen, die noch nie die Macht hatten, im Zentrum zu stehen und sich bisher immer auf die historische Wahrheit verlassen mussten. Ohne diese Sicherheit in der Marginalität zu leben, ist eine Herausforderung, da sie Selbstkritik nur mit größerer Komplexität und Unsicherheit belohnt. Die Lösung aus diesem Dilemma kann nicht darin bestehen, auf jede Form von Ethnizität zu verzichten. Wie John Rex (1996) bekräftigt hat, wären kulturell definierte Gruppen auch noch in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, die die formale individuelle Gleichberechtigung für sich verwirklicht hätte: zum einen, weil gerade "ethnisch" organisierte Netzwerke in ausdifferenzierten Gesellschaften als intermediäre Organisationen zwischen Individuum und Staat vermitteln könnten; zum anderen, weil das Vertrauen in diese solidarischen Netzwerke zur Absicherung gleicher Rechte gerechtfertigter erscheint, als sich allein auf den Staat zu verlassen. Es sollte nicht vergessen werden, dass kollektive Identitäten, die auf Ethnizität, Geschlecht oder Klassenbewusstsein beruhten, in der Vergangenheit als politische Bewegungen positive Veränderungen in der Gesellschaft bewirkt haben (Steiner-Khamsi 1996, 368f.). Die großen sozialen Bewegungen der Moderne gingen aus einer notwendigen Fiktion hervor, die an der Schnittstelle zwischen Identität und Politik gebildet wurden und in ihren Kämpfen an der strukturellen Transformation der Gesellschaft arbeiten.

Ethnizität als Selbstkonstruktion?

Aus dieser Kritik ergibt sich ein Verständnis von Ethnizität als Wir-Gruppe, die dieses "Wir" nicht voraussetzt und festschreibt, sondern seine einheitliche Substanz hinterfragt (Elwert 1989, 18f.). Diese Revision des Ethnizitätsbegriffs, die ihn pluralisiert und für viele Erfahrungen und Stimmen öffnet, muss klarstellen, dass Ethnizität keine Frage einer wie auch immer definierten statischen Merkmalsliste, sondern eine Frage der Grenzziehung ist, deren Bedeutungen dem sozialen Wandel unterliegen (Barth 1969). Ziel eines solchen Verständnisses ist es, den Zusammenhang von Politik und kultureller Identität bei der Erörterung von Ethnizität ins Zentrum des Diskurses zu stellen. Dadurch kann die fortbestehende Existenz und gesellschaftliche Wirkung einer rassistischen Fremdethnisierung beim Entwurf selbstbestimmter Identitäten thematisiert werden, ohne dass die Marginalisierten dazu genötigt werden, sich bei ihren Befreiungsversuchen auf diese rassifizierenden Konstrukte zu beziehen. Jede noch so fortschrittliche Identitätspolitik, die sich auf eine ursprüngliche Substanz in einer fernen Vergangenheit berufen muss, baut ihre Grundlagen auf eine ideologische Fiktion auf, die auf Grund fehlender Selbstreflexivität letztlich in ein Verschweigen mündet. Der Mythos einer nicht entfremdeten, authentischen Identität und die kollektive Geschichte des Leidens sind durch die Erkenntnis zu ersetzen, dass jede transzendentale Einheit unwiderruflich obsolet geworden ist, da Menschen nie einzig als Opfer und damit automatisch als gute Menschen vorausgesetzt werden können. Denn wir befinden uns in einer Welt, in der die rückwärts gewandte Suche nach Traditionen und vormodernen Ritualen keine homogenen Gemeinschaften und kollektiven Sinnstiftungen mehr begründen kann. Ethnizität ist keine angeborene Identität oder in uns schlummernde Eigenschaft, die als unser innerstes, wahres Ich unter dem Meer der Entfremdung auf uns wartet. Sie stellt keinen verloren gegangenen Kontinent des Bewusstseins dar, der wieder entdeckt werden könnte, sondern ist ein dynamisches Gebilde, das in Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Antagonismen und kulturellen Repräsentationen ständig neu geschaffen wird.
Das "Ende der Unschuld" (Hall) zwingt zu einem nachhaltigen Umdenken, in dem die Anerkennung der Singularität der Subjekte, ihrer sozialen Positionen und kulturellen Einschreibungen Grundlage der Identitätsbildung ist. "Schwarze" Ethnizität, die sich nicht als einfache Umkehrung des Rassismus begreift, sondern gänzlich aus der binären Opposition heraustreten will, kann nicht mehr ihren historisch vielfältig überlagerten Konstruktionscharakter ableugnen und auf das von Natur aus gute einheitliche "schwarze" Wesen verweisen. Eine Kulturpolitik, die von einem marginalisierten Standpunkt aus operiert, darf nicht vergessen, dass politische Strategien, die auf Identität basieren, sich immer auf einer Gratwanderung befinden. Ohne angemessene Balance zwischen Autonomie und Mainstream, Differenz und Gleichheit, Individuum und Kollektiv, deren Verhältnisse zueinander jeweils nur in einem konkreten Kontext ausgehandelt werden können, droht die Gefahr, jenen kritischen Moment zu verfehlen, der der Identitätspolitik erst gesellschaftliche Sprengkraft verleiht. Identität an sich und Kulturpolitik für sich bieten keine ausreichende Gewähr für kritisches Denken oder ein emanzipatorisches Projekt. Aber ohne historische Subjekthaftigkeit, die Identität immer wieder kulturell und politisch neu gestalten muss, ist keine Politik als soziale Bewegung vorstellbar. Statt klassenbewusste, schwarze, weibliche, schwul/lesbische Subjekte als natürliche Garanten für die richtige Politik zu nehmen, ist es inzwischen wichtiger geworden, nach politischen Inhalten zu fragen, die von ihm oder ihr artikuliert werden (Gilroy 1996, 224ff.).
Ethnizität kann nach ihrer Entmystifizierung am ehesten als imaginärer Selbstentwurf bzw. als vielfach zusammengesetzte kulturelle Identität verstanden werden, die als soziale Kategorie nicht mehr auf natürliche oder transzendentale Entsprechungen angewiesen ist. Der Vorteil in diesem neuen Verständnis liegt darin, dass sie keine Zwangsvergemeinschaftung und Repression zulässt, die mit der Bemächtigung des Subjekts unter dem Hinweis auf eine höhere Macht einhergehen. Stattdessen nimmt Ethnizität eine bestimmte Position im gesellschaftlichen Diskurs ein, die Raum für eine Verbindung zwischen verschiedenen sozialen Lebenspraxen, abweichenden Interpretationen von Geschichte, Kollektivität und Kultur sowie die Anerkennung interner Unterschiede und Widersprüche bietet. Ethnizität als kulturelle Identität zu begreifen, bedeutet, sie als eine Positionierung zu verstehen, die einerseits durch die Ambivalenz der gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmt wird und andererseits aus den polymorphen Zusammensetzungen von Politik und Kultur sowie aus der selektiven Rekonstruktion von Geschichte besteht. Als ein Ort der Aushandlung zwischen Gesellschaft, Community und Individuum müssen politische Loyalitäten und kulturelle Identitäten in einem Wechselspiel in diesem Dreieck zwischen gesellschaftlicher Determinierung und selbstbestimmter Aneignung immer wieder neu zusammengesetzt werden.
Ebenso wie der Begriff der Ethnizität selbst in "postmodernen" Zeiten nicht obsolet geworden ist, ist auch an der Vorstellung von gemeinsamen Erfahrungen festzuhalten, obwohl sie immer wieder reinterpretiert werden müssen und sich in ihnen ein Spielraum auftut. Die Geschichte ist als eine kollektive Erzählung über uns selbst mit ihren fiktiven und realen Anteilen zu verstehen, die nicht von unseren sozialen und kulturellen Kontexten getrennt werden kann. In dieser von unterschiedlich denkenden, fühlenden, handelnden und sich widerstreitenden menschlichen Subjekten geschaffenen Welt sind es diese Kontexte, die, obwohl sie jeweils spezifische Erfahrungen zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten lokalen Ort von einer bestimmten Perspektive aus artikulieren, uns auch immer mit anderen Geschichten, anderen Quellen der Erinnerung und ihren sozialen Erfahrungen verbinden. Diese sich überschneidenden Geschichten zu kennen, ist wichtig, weil sie auch Teil unserer eigenen Geschichte sind. Geschichte als Erinnerungsarbeit, als Reise zurück in die Zeit, die eine Wiederentdeckung der Vergangenheit, aber keine wirkliche Rückkehr in die vorgestellte Heimat ermöglicht, verbindet uns mit Stätten der anderen Geschichte wie der "Middle Passage", dem Pfad der Tränen, Angel Island, der Shoah oder Solingen. Zu Reisen bedeutet daher nicht nur Aufbruch, Weiterziehen und neue Ziele ansteuern, sondern auch zu wissen, woher wir kommen. In diesem Sinne sind wir Menschen situiert, weil wir aus einer bestimmten Geschichte kommen, in ihr stehen und weil diese Geschichte viel über uns aussagt, ohne uns jedoch jemals gänzlich repräsentieren zu können.

Auf die Unhintergehbarkeit der naturalistischen Metaphysik zu verzichten, bedeutet nicht, das Feld der Identitätskonstruktionen dem freien Spiel der Signifikanten zu überlassen. Die Zusammensetzung kultureller Identitäten kann keine gänzlich freie Wahl sein, da die Existenz sexistischer, kolonialistischer, sozialer und rassistischer Zwänge unserer jeweiligen Definition von Identität vorausgeht und wir in einer Geschichte stehen, die uns unabhängig von unseren willentlichen Entscheidungen positioniert hat. Der Spielraum zur Aushandlung von Identität ist für marginalisierte Subjekte begrenzt. Identität ist demnach eine gesellschaftliche Position, die uns vorausgeht, weil wir in ihr von der Geschichte, die uns schrieb und der Sprache, die uns benannte, eingesetzt werden. Auch die dekonstruierte Identität ist nur auf der Basis eines "strategischen Essenzialismus" (Spivak 1993) annehmbar, der auf kollektiven Praktiken beruht und nicht beliebig zu besetzen ist. Als eine strategische Position, die aus der Notwendigkeit des Subalternen entsteht, ihr offensichtliches politisches Interesse an gesellschaftlichen Veränderungen einzufordern und umzusetzen, ist sie unter den bestehenden Verhältnissen noch unverzichtbar (Hall 1992, 29). Längerfristig stellt sich die Frage immer drängender, wie marginalisierte Subjekte ohne die Sicherheit einer kollektivistischen Ideologie erfolgreich Politik treiben können. Denn das Beharren auf einer "schwarzen Andersartigkeit" führt in die gesellschaftliche Isolation und politische Bedeutungslosigkeit. Daher müsste
"Ethnizität zugleich ein Mittel sein, sich gegen die zugeschriebene Andersheit zu wehren, und das Ergebnis einer Politik des Kulturellen und der Identität, in der die gemeinsamen Erfahrungen und nicht die Vorfahren betont werden" (Anthias 1992, 93).

Eine wichtige Forderung für eine zeitgemäße Politik der kulturellen Identität lautet, "schwarze" Identitäten und Subjekte für gesellschaftliche Auseinandersetzungen zu öffnen, was die Fähigkeit zur Durchsetzung gesellschaftlicher Partizipationsforderungen voraussetzt. Ethnizität kann somit als die zwei diametralen und doch zueinander in einer komplexen Beziehung stehenden Seiten einer Medaille begriffen werden, die eine fremdbestimmte, durch die Geschichten des Kolonialismus, der Migration und der rassistischen Marginalisierung geprägte, soziale Realität und eine potenziell selbstbestimmte, durch Imagination, Differenz und Selbstaneignung definierte kulturelle Realität kennt. Diese Realitäten bilden unterschiedliche Bereiche einer zusammenhängenden Lebenswelt, wobei ihr Verhältnis zueinander durch Konflikt, Aushandlung und Überlagerung ständig neu bestimmt wird. Daher muss ein Begriff von Ethnizität als bewusst vorgestellte Gemeinschaft, die auf Erzählungen, kulturellen Entwürfen und politischen Überzeugungen beruht, nicht grundsätzlich zu einer Auffassung von ethnischer Identität, die darin eine Abbildung kollektiver Erfahrungen, kultureller Gemeinsamkeiten und gemeinsamer Herkünfte erblickt, in einem Widerspruch stehen (Bader 1995, 91ff.). Die Unterscheidung zwischen "schwarz" und "Schwärze" benennt diese beiden unterschiedlichen Seiten der Ethnizität, die eine ethnische und eine kulturelle Identität in sich anerkennt. Die politisch relevante Identität ist kulturell und nicht ethnisch definiert (Marable 1992, 295). Die kulturelle Identität des "schwarzen" Subjekts ist ohne den Zusammenhang von sozialem Geschlecht, gesellschaftlicher Stellung und einer ambivalenten Geschichte, die der Kolonialismus/Rassismus schrieb, nicht länger vorstellbar. Sicherlich stehen diese unterschiedlichen Identitätsanteile selten harmonisch zueinander, sondern verursachen eher Unsicherheit und Widersprüche in uns selbst, die es im Namen der Selbstanerkennung anzunehmen gilt. Solche modernen Subjekte sind aber nicht dazu verurteilt, sich mit dem Bewusstsein ihrer gespaltenen Persönlichkeit ins Private zurückzuziehen. Je nachdem in welchem Kontext, in welcher politischen Situation wir uns bewegen, müssen wir uns neu entscheiden, neue Bündnisse schließen und das Andere in uns befragen. Diese Identitätspolitik in der Differenz verlangt mehr, als nur das Bewusstsein auf der richtigen Seite zu stehen. Sie stellt das Subjekt wieder in das Zentrum des Denkens, des politischen Handelns und der gesellschaftlichen Veränderungen. Kulturelle Identität als diskursiver Entwurf ist etwas Prozesshaftes, das durch permanente Herausbildung keinen gesicherten Endzustand kennt; etwas, das, obwohl es aus einer bestimmten Position heraus spricht, sich wie die Subjektivität selbst neu konfiguriert und nur durch fließende Grenzen von den Anderen getrennt ist. Diese Differenz ist, da sie den Rahmen der binären Opposition sprengt und darüber hinausgeht, nicht wie im rassistischen Nationalstaat unaufhebbar, starr oder unversöhnlich. Die Anerkennung der Differenz ermöglicht einen fundamentalen Umwertungsprozess, in dem die Differenz nicht mehr als Zeichen der Ungleichheit, Unterordnung und Minderwertigkeit fungiert, sondern zu einem Ort des politischen Selbstbewusstseins, des Sprechens und der Selbstermächtigung geworden ist (Hall 1994, 84).

Postkolonialer Diskurs und Hybridität

Die politische Landschaft ist ohne Zweifel unübersichtlicher geworden, aber in dieser Unsicherheit wird nicht zuletzt die Chance zur Artikulation marginalisierter Stimmen gesehen. Der postkoloniale Diskurs repräsentiert den marginalisierten Blick in und aus den kapitalistischen Peripherien und verfolgt dabei die gegenwärtige Multikulturalismus-Debatte bis zu den historischen Formen der Globalisierung im Zeitalter des Kolonialismus zurück.
"Postkolonial" ist - ähnlich wie postmodern - weniger ein chronologischer Epochenbegriff, der die Zeit nach der formellen politischen Unabhängigkeit von der westlichen Kolonialmacht markiert, sondern eher eine Analysekategorie der historischen, politischen, kulturellen und diskursiven Aspekte des unabgeschlossenen Kolonialdiskurses (Ashcroft u.a. 1995). Da der postkoloniale Diskurs vielfach die Erfahrungen von "farbigen" Gruppen und MigrantInnen zuerst literarisch verarbeitet und sie im Laufe der wissenschaftlichen Aufarbeitung im Rahmen der britischen und amerikanischen "Cultural Stu-dies" zu einem kritischen Theorieansatz ausgeweitet hat, bietet er Anknüpfungspunkte bei der Aufarbeitung und Theoretisierung lokaler Migrationserfahrungen (Michel 1993). Als Gegendiskurs, der sich vor allem durch seine große Diversität und Uneinheitlichkeit auszeichnet, versucht er, die kolonialen Praktiken, Texte und Institutionen in Sinne einer Dekonstruktion neu zu lesen. Er führt die Diskussionen des Postmodernismus fort, kritisiert ihn und bedient sich seiner, um sich ein eigenes Bild von sich selbst zu machen, und spezifiziert dadurch den historischen und sozialen Bezugsrahmen beim Entwurf kultureller Identitäten. Dabei erweitert er den Diskurs um die Außen- und Innenperspektiven der marginalisierten MigrantInnen. Denn
"wird die kulturelle Differenzierung universal, besteht der ‚feine Unterschied' in der Position des Betrachters des kulturellen Feldes. Es macht einen Unterschied, wer differenziert, ob man am Rande des Feldes oder in seiner Mitte steht" (Wägenbaur 1996, 132).

Statt sich selbst ins Zentrum zu setzen, versuchen sich die TheoretikerInnen des Postkolonialismus durch die Rekonstruktion ihrer Erzählungen und Texte, Subjektivität, Historizität und Artikulation anzueignen, um eine politische Perspektive zu gewinnen, in der die Möglichkeit zum Widerstand noch gedacht werden kann. Um kritische Impulse zu erhalten, besteht zudem die Notwendigkeit, nicht nur die Themen neu zu bestimmen, sondern auch den theoretischen Blickwinkel, statt auf den Anderen zu richten, so umzukehren, dass wir von ihm ausgehen. Statt die bisherige hegemoniale Setzung von Differenz durch Nation und Rassismus unhinterfragt zu übernehmen, versucht der postkoloniale Diskurs aus der Position der subalternen und zum Schweigen gebrachten Marginalisierten, die Differenz neu zu definieren. Indem ihre Wahrnehmungen der gesellschaftlichen Verhältnisse und Alltagspraxen selbst in den Vordergrund gestellt werden, kommt es zu einer Verschiebung der Perspektive. Diese doppelte Umkehrung der Sichtweise durch das Aufbrechen der Fixierungen im Diskurs ist wichtig, weil sich aus diesem Schritt die weit reichende Konsequenz ergibt, die Dichotomien von außen und innen, aktiv und passiv neu zu lesen. Durch diese zur gesellschaftlichen Rollenfestschreibung ins Gegenteil gekehrte Positionierung wird es möglich, dass MigrantInnen sich von ihrem Status als Objekte verabschieden und die Anerkennung ihrer Subjekthaftigkeit fordern können.
Im Verlauf der Diskussion um postkoloniale Kulturkritik wurde die Idee einer Kultur ohne Zentrum, ohne Ort und ohne feststehende Bedeutung entwickelt. Dahinter steht die Vorstellung einer hybriden Kultur, die sich an den Rändern übersetzt, anstatt vom Zentrum aus zu kontrollieren, die die Unreinheit der stetigen Vermischung preist, anstatt ihre ungetrübte Ursprünglichkeit vorzutäuschen (Bhabha 1994). Der Entwurf eines solchen Kulturbegriffs wirft unweigerlich Fragen der kulturellen Selbstkonstruktion, der Grenzüberschreitung und der multiplen Identitäten auf. Dabei wird das als unveränderlich und homogen angesehene Wir-Kollektiv durch den Bezug zu seine kontinuierlichen Metamorphosen in Bewegung gesetzt und als ideologisches Naturkonstrukt mit dem heilsamen Gift der kulturellen Differenz aufgelöst. Dadurch wird eine Perspektive ermöglicht, in der Ethnizität und Differenz zusammen gedacht werden, anstatt sich wie im Nationalismus auszuschließen. Dazu werden marginalisierte Geschichten, Kulturen und Identitäten rekonstruiert und für die kulturellen Praktiken der Grenzüberschreitung und Hybridisierung geöffnet. Diese kulturellen Repräsentationen der Differenz und ihre wandelbaren Identitäten können für eine Borderland-Kultur bedeutsam werden. Als eine politische Praxis, die die Eindeutigkeit von sozialen, kulturellen, politischen und geographischen Grenzen verwirrt, kann sie die Grundlage des Freund-Feind-Schemas, auf die jeder Rassismus und Nationalismus angewiesen ist, in die Irre führen. Um dieses politische Terrain theoretisch abzusichern, ist neben einer dekonstruktivistischen Reformulierung des Ethnizitätsbegriffs auch eine andere, komplexere und widersprüchlichere Sichtweise von Kultur nötig. Edward Said hat in "Culture & Imperialism" den provokanten Gedanken ausgesprochen, dass die eigene Kultur als das Andere zu denken sei: "Far from being unitary or monolithic autonomous things, cultures actually assume more 'foreign' elements, alterities, differences, than they consciously exclude" (Said 1994). Es geht um einen Kulturbegriff, der seine differenziellen Anteile nicht ableugnet, sondern sie als Bestandteil seines Selbst, als das Wesentliche seiner Existenz betrachtet. Kultur ist demnach immer eine Kultur des Vermischens (gewesen), das Unreinheit, Unschärfe und Interferenz produziert:

"Jede Kultur ist in sich selbst ‚multikulturell', nicht nur, weil es immer eine vorgängige Akkulturation gegeben hat und es keine einfache und reine Herkunft gibt, sondern grundlegender deshalb, weil der Gestus der Kultur selbst einer des Vermischens ist: es gibt Wettbewerb und Vergleich, es wird umgewandelt und uminterpretiert, zerlegt und neu zusammengesetzt, kombiniert und gebastelt" (Nancy 1993, 5f.).

In den heutigen spätmodernen Migrationsgesellschaften entstehen durch Fragmentierung, Karnevalisierung und Kreolisierung immer mehr unreine Vermischungen in den sozialen Lebenswelten. Solche Hybridformen des Kulturellen wirken sich als inter- und transkulturelle Phänomene besonders auf die Alltags- und Populärkultur aus. In zunehmendem Maße entwickeln sich Prozesse einer grenzüberschreitenden Transkulturalität, die kulturelle Symbole aus ihren gewohnten "traditionellen" Zusammenhängen von Zeit, Ort und Gemeinschaft herauslösen und neu situieren, wodurch neue Kulturträger und Bedeutungen geschaffen werden. Mit dem Auftauchen des Anderen und der Entstehung neuer Formen der kulturellen Synkretisierung in der populären Musik, Literatur, den Filmen und Medien vollzieht sich eine bedeutsame Veränderung im Kulturbetrieb (Ha 1999, 137ff.). Angesichts des sich verwandelnden gesellschaftlichen Umfeldes im Zeichen der Globalisierung (rasante Innovationen in den Bereichen Kommunikations-, Informations- und Transporttechnik, interkontinentale Migrationsbewegungen, Schwächung des Nationalstaates, Entstehung neuer "Minderheiten" in interkulturellen Gesellschaften, virtuelle Welten etc.) spricht vieles dafür, dass es sich nicht um eine kurzzeitige Modeerscheinung, sondern um einen tiefergreifenden Umbruch handelt. In dieser Hinsicht ist das Entwicklungsland BRD dabei, sich mit zaghaften Reförmchen von seinem kulturnationalen Anachronismus im öffentlichen Raum zu verabschieden und sich dem angloamerikanischen Standard der Zelebration der Multikulturalität anzunähern (Welz 1996). Um sich den "Standort Deutschland" im internationalen Wettbewerb und die politische Loyalität großer Einwanderungsgruppen zu sichern, kann der deutsche Nationalstaat immer weniger nach dem Prinzip der völkischen Kulturnation verfahren, sondern muss beginnen, die interkulturelle Alltagsrealität in der Migrationsgesellschaft anzuerkennen. Damit entwickelt sich der vorherrschende Repräsentationsmodus von Ausgrenzung und Totschweigen zu einer "Integration" des fremd gemachten Anderen. Hinter dieser massenmedialen Abbildung der Migrationsrealität steht sicherlich weniger eine politische Strategie der Repräsentation der Marginalisierten, sondern eher die Modernisierung des antiquierten Nationalstaats und der Wunsch mächtiger Medienkonzerne, neue Märkte zu erschließen und potenzielle KonsumentInnen zu binden. Was auf den ersten Blick positiv aussieht, birgt beim genaueren Hinsehen neue feine und subtile Formen der Marginalisierung im Modernisierungsprozess. Das Spektrum der Repräsentationen ist weit gespannt und wird sich zwischen diesen Polen abspielen. Im Mainstream dürfte die Ausbeutung der kulturellen Kompetenzen des Anderen und die Ausnutzung der als fremdartig empfundenen Differenz als exotische Zutat für langweilige, veraltete und unattraktiv wirkende Produkte im kapitalistischen Verwertungsprozess im Vordergrund stehen. Auf der anderen Seite wird es auch immer wieder Versuche geben, kulturelle Repräsentation als politisches Medium der gesellschaftlichen Artikulation zu nutzen. Dazwischen bestehen unzählige Mischformen aus Kommerz und Kunst, Fun-Factory und Agitation. In diesem unübersichtlichen Feld finden sich altbekannte Stereotypen wieder, aber es entstehen auch neue, sodass Fragen nach Besitzverhältnissen, Definitionsmacht, Zugangskontrolle und Dominanz auch im sich neu konfigurierenden Metropolenumfeld zwischen Cyberkultur und postmoderner Hybridität nichts an Aktualität eingebüßt haben.

Bei der Entwicklung hybrider Kulturformen ist es aber bemerkenswert, dass die professionelle Hochkulturelite, die sich den kosmopolitischen Luxus schon immer leisten konnte, nicht wie sonst ein Monopol darauf erheben kann. Auf der Ebene des international Etablierten findet politisch Brisantes häufig nur Zugang, wenn es als schmückendes Ornament ins Radical-Chic-Konzept passt oder durch Nachweis von Authentizität zum weltläufigen Flair beiträgt. Die sozio-kulturelle Grundlage hybrider Kulturen bildet viel mehr Borderland-Existenzen, die sich am Rande der dominanten Kultur- und Wohlstandsgemeinschaft befinden oder von ihr explizit ausgeschlossen werden. Es ist kein Zufall, dass vor allem "schwarze" Subkulturen und die kulturellen Praktiken der MigrantInnen aus der 2. und 3. Generation bei der Suche nach Möglichkeiten zur Grenzüberschreitung von Bedeutung sind. Dass solche marginalisierten Gruppen ins Zentrum des Interesses rücken, hängt nicht zuletzt mit der Aufwertung ihrer Marginalität zusammen. Statt die Marginalität wie bisher bestenfalls zu bedauern, kann sie auch als ein Ort begriffen werden, der den Marginalisierten "alleine" gehört. Schon auf Grund ihrer einzigartig beidseitigen Perspektive nach innen und außen ist diese Marginalität trotz allem auch irgendwo "privilegiert", weil sie sich als fruchtbares und widersprüchliches Grenzgebiet zu ihren "overlapping territories and intertwined histories" (Said) bekennt. Sicherlich ist dieser Platz nicht so privilegiert, dass das Leben dort als selbstbestimmt anzusehen wäre. Aber diese Marginalisierten haben gelernt, am Rand zu überleben und von dort aus Politik zu machen. Mit der auferzwungenen und doch eigenen Vergangenheit vertraut und vielleicht auch versöhnt, wurde es möglich, die vielschichtigen Seiten der Marginalität anzunehmen und aufzuwerten. Ihre Erlebniswelten sind für MigrantInnen und andere Existenzen an der gesellschaftlichen Peripherie längst zum Bestandteil der eigenen Biographie, zur ungeliebten und doch vertrauten Heimstätte geworden.

So gesehen stand Marginalität nicht länger ausschließlich für das kollektive Leid und die gesellschaftliche Ohnmacht, sondern konnte auch einfach nur bedeuten, nicht im imperialistischen Zentrum zu stehen, das die Begegnung mit dem Anderen meist als Chance zur Eroberung, Unterwerfung und Kolonisation verstanden hat. Sich nicht im Zentrum dieser Praxen zu befinden war eine große Erleichterung und ging mit dem Erkennen einer kulturellen Freiheit einher, die Selbstbestimmungspotenziale in sich birgt. Wer am Rand lebt, wird am ehesten mit anderen kulturellen Zwischenräumen konfrontiert, kann sich nicht verwurzeln, sodass er oder sie frei und fähig ist, sich auf das jeweils Andere einzulassen und sich darauf zuzubewegen (Anzaldua 1987). Solche GrenzgängerInnen haben ein kreatives Potenzial, weil sie die ihnen zugeteilte Opferrolle ablehnen und in ihrer kritikfähigen und unbequemen Position zwischen den Kulturen vermitteln können. Sie besitzen keine feste eindeutige Identität und sind dadurch in der Lage durch vielfältige Kulturaneignung multiple Identitäten zu entwickeln. Der Ansatz multipler Identitäten geht mit einer kulturellen Praxis einher, die es uns erlaubt verschiedenen Kulturen und Gemeinschaften zur gleichen Zeit anzugehören. Menschen, die sich weigern ausschließlich das eine zu sein und sich unterschiedlichen Orten, Geschichten und Identitäten verbunden fühlen, können die willkürlichen und damit veränderbaren Grenzen zwischen den Kulturen und Nationen mit ihrer Uneindeutigkeit sukzessiv auflösen.

Politik der Selbstaneignung

Die Aufwertung der Marginalität ist erst durch eine Politik der Differenz ermöglicht worden, die Räume für marginalisierte Stimmen innerhalb der dominanten Kultur aufgebrochen hat. Es ist ein Versuch, kritische Politik innerhalb der bestehenden Diskurse produktiv und kreativ einzubinden, um durch Repräsentation des Nicht-Repräsentierten handlungsfähige Positionen für ausgeschlossene Gruppen zu gewinnen, die die Diskurse als solche verändern sollen. Der postkoloniale Diskurs schlägt ein Denken in den Kategorien der Differenz, der Selbstkonstruktion und Unbestimmtheit vor, ohne dabei die Geschichte des Rassismus zu vergessen. Im Hinblick auf die selbstbestimmte Aneignung zukünftiger Selbstdefinitionen gilt es, neue politische Landschaften, befreite Identitäten und autonome Handlungsperspektiven zu entwerfen. Mit dem Verlust von reiner Konsistenz und widerspruchsloser Kontinuität wird unsere Welt, werden die sozialen Beziehungen, die Menschen eingehen, unter die Bedingung dauerhafter und unumkehrbarer Unsicherheit gestellt. Differenz wie Gemeinschaft können dann nicht mehr als sicheres Wissen, als gegeben vorausgesetzt werden, sondern müssen unter der Kondition ständigen Wandels bestehen.
Das Recht auf Selbstkonstruktion erlaubt mehr individuelle Emanzipation, wenn ein Abgleiten in die ideologischen Verstrickungen essenzialistischer Ethnien verhindert und die schwierige Gratwanderung bei der Bestimmung von Differenz zwischen rassistischer Determinierung und kultureller "Entbettung" erfolgreich ausgeglichen werden kann. Entbettung meint den Prozess der Selbstformierung des Subjekts, sein Recht, eine eigene Identität zu wählen und richtet sich gegen die Zwangsvergemeinschaftung von Individuen in Ethnien und Nationen. Dann könnte sich auch die Idee erfüllen, dass Geschlecht und Ethnizität nicht mehr unvermeidbare Kriterien zur Beschreibung von Menschen sind. Sie wären dann nicht mehr wie bisher Schicksal, sondern Bestandteil einer freiwillig angenommenen Identität. Wie Zygmunt Bauman betont, sind es gerade die Fremden, die MigrantInnen, die die Freiheit aus der Ungewissheit ihrer Identität schöpfen. Indem sie geographische, politische und kulturelle Grenzen überschreiten, verstoßen sie (gegen) das moderne Bedürfnis nach einer fundierten Kollektivbiographie, verweigern sie sich dem Bekenntnis, einem festen Territorium anzugehören und eine unveränderliche Identität zu besitzen (Bauman 1995). Es ist gerade der "Verlust" von überkommenen Bindungen und sozialen Fesseln in der Migration, der Erneuerung ermöglicht und die bestehenden Grenzen herausfordert. Mit der Vorstellung einer kulturellen Identität, die einen unbequemen, aber aufregenden Blick auf die eigene Position in der Zwischenwelt eröffnet, beginnt die aktive Suche nach politischen Selbstinszenierungen im Feld der historischen Zuschreibungen und kulturellen Codes, die ein radikal anderes Verständnis von Kultur nahe legen. Bei dieser Politik geht es keinesfalls um eine Kulturalisierung des Sozialen, sondern darum, Kultur als einen wichtigen Kampfplatz von Politik zu verstehen, auf dem Marginalisierte sich positionieren müssen, wenn sie sich nicht von vornherein kampflos zurückziehen wollen. Selbstverständlich erfordert eine Politik der Repräsentation nicht weniger, sondern eine Universalisierung und Weiterentwicklung der BürgerInnenrechte, den Abbau des Staates, wo er autoritär strukturiert ist oder repressiv handelt, sowie den Aufbau einer radikaldemokratisch-politischen Kultur der Zivilgesellschaft. BürgerInnenrechte stellen eine unverzichtbare Voraussetzung politischen Handelns dar, die die gesellschaftliche Repräsentation überhaupt erst ermöglicht. Aber der Kampf gegen Rassismus/Nationalismus ist, wie die Beispiele USA, Großbritannien und Frankreich zeigen, mit der Erlangung der formalen BürgerInnenrechte nicht beendet. Um Rassismus als ideologischen Diskurs und gesellschaftliche Praxis einzudämmen, müssen wir vielmehr verstehen, wie er mit sozialer Ungleichheit und Sexismus verbunden ist, sich mit ihnen überlappt und reproduziert. Diskurspolitik zu betreiben heißt nicht, das Engagement der MigrantInnen für ihre politischen Rechte als Gesellschaftsmitglieder aufzugeben oder zu vernachlässigen, sondern diese Auseinandersetzung auf einem weiteren Schauplatz auszutragen und durch Bündnisse mit Frauen, Linken, Homosexuellen, Arbeitslosen, Obdachlosen und Basisbewegungen in der "Dritten Welt" auszuweiten. Eine Politik der Repräsentation übernimmt keine symbolische Funktion, sondern ist an eine politische Verpflichtung gebunden, die kritische Gegendiskurse initiieren und Modelle für Gegenkulturen anbieten will.