Transformationsbedingte, dauerhaft schwache industrielle Basis der ostdeutschen Wirtschaft

Mit der Integration Ostdeutschlands in das westdeutsche Wirtschafts-, Rechts- und Währungssystem änderten sich schockartig und fundamental die gesamten Reproduktionsbedingungen aller industriellen P

Mit der Integration Ostdeutschlands in das westdeutsche Wirtschafts-, Rechts- und Währungssystem änderten sich schockartig und fundamental die gesamten Reproduktionsbedingungen aller industriellen Produktionsstätten in dieser Region. Das betraf sowohl die Eigentumsverhältnisse (Privatisierung), die betriebswirtschaftlichen Bedingungen (Rückständigkeit gegenüber westlichen, wesentlich produktiveren Unternehmen), die zwischenbetrieblichen Kooperations-, Liefer- und Abnahmebeziehungen (Kombinate, Planauflagen) als auch die Absatzmärkte (Verlust der Ostmärkte, scharfe Konkurrenz auf westlichen, EU-offenen Märkten mit drastisch aufgewerteter Währung). Hinzu kam, daß die übergroße Mehrheit der Unternehmen in Ostdeutschland in diese neuen Existenzbedingungen ohne akkumulierte, gar liquide Finanzreserven starten mußte. Es ist mithin nur folgerichtig, daß die industrielle Produktion unter dem Druck dieser neuen Verhältnisse bereits Ende 1990, ein halbes Jahr nach der DM-Einführung, auf die Hälfte ihres Niveaus von 1989 gefallen war. Bis 1991 schrumpften einige Industriezweige auf unter 20 vH, die gesamte Industrie auf etwa ein Drittel ihres Produktionsvolumens von 1989. Diese tiefe, historisch beispiellose Transformationskrise, die von vielen Ökonomen und Politikern vorausgesagt wurde1), wollte die Kohl-Regierung mit einer konsequent neoliberalen Wirtschaftspolitik überwinden und in wenigen Jahren die Leistungsfähigkeit der ostdeutschen Industrie auf das Niveau der westdeutschen heben, das war ihr mehrfach verkündetes politisches Ziel.
Bisher keine Kompensation der Transformationskrise
Nach zehnjähriger Entwicklung sind die industriellen Unternehmen in den neuen Ländern integrierte Elemente einer einheitlichen deutschen Industrie. Obwohl in außerordentlich hohem Umfange öffentlich gefördert (private Investoren erhielten für industrielle Anlagen im Durchschnitt staatliche Zuschüsse von 30 vH des investierten Betrages) blieben jedoch der relative Umfang und insbesondere die absolute Leistungsfähigkeit der Industrie in den neuen Ländern weit unter dem westdeutschem Niveau.

Tabelle 1
Gewicht der ostdeutschen in der gesamtdeutschen Industrie, 1998, vH

Hauptgruppen

Bruttowert-
Schöpfung3)

Bruttoanlage-
Vermögen3)

Export

Beschäftigte

         

Vorleistungsgüter

6,2

10,1

4,1

8,9

Investitionsgüter

4,6

6,2

3,5

8,4

Gebrauchsgüter

5,5

5,2

3,4

8,0

Verbrauchsgüter

8,5

8,8

3,5

11,7

       

Bergbau und Verarbeitendes
Gewerbe1)2)

5,9

8,8

3,7

9,1

Bergbau

13,0

21,2

5,5

14,8

Verarbeitendes Gewerbe

5,7

8,1

3,7

9,0

1) Ohne Recyclinggewerbe 2) Ohne Verlagsgewerbe 3) In Preisen von 1995
Quelle: DIW, Vergleichend Branchendaten für das Verarbeitende Gewerbe in Ost- und Westdeutschland, Berlin 1999
Bei einem Anteil an der gesamtdeutschen Bevölkerung von 19 vH werden in den neuen Ländern knapp sechs vH der Industrieproduktion erzeugt, damit sind sie eine industriell unterentwickelte westeuropäische Region. Das aber gilt nicht nur für den Umfang industrieller Erzeugung. Wie bereits aus der Tabelle 1 zu ersehen: die Anteile am gesamtdeutschen Anlagekapital und Beschäftigungsvolumen liegen deutlich über der damit erzielten Wertschöpfung. Die ostdeutsche Industrie produziert folglich aufwändiger als die westdeutsche. Der sehr geringe Anteil an den gesamtdeutschen Exporten signalisiert zudem, daß sie nicht über international leistungsfähige, weltmarktorientierte Kapazitäten verfügt.
Diese qualitativen Unterschiede zur westdeutschen Industrie schlagen sich in einem großen Produktivitäts- und Einkommensabstand nieder. Nach fast zehnjähriger Entwicklung (1998) erreichte das verarbeitende Gewerbe (der Kern der Industrie) in Ostdeutschland 62 vH der westdeutschen Produktivität. Die Beschäftigten in diesem wichtigen Wirtschaftsbereich erhielten 67 vH des durchschnittlichen Einkommens ihrer westdeutschen Kollegen. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang, daß die Industriebeschäftigten in den neuen Ländern, obwohl sie 1998 rund 9 vH der gesamtdeutschen industriellen Beschäftigten stellten, nur 6 vH der entsprechenden gesamtdeutschen Bruttolohn- und -gehaltssumme verdienten.
Diese große Produktivitäts- und Einkommenslücke wird sich, wenn überhaupt, nur sehr langsam in einem sehr langen Zeitraum schließen, darüber gibt es gegenwärtig keine Zweifel. Das wird deutlich, wenn die Ursachen betrachtet werden, die zu diesem Ergebnis des bisherigen "Aufbau Ost" geführt haben.
Tabelle 2
Produktivitäts- und Einkommensniveau der Industrie in Ostdeutschland, 1998

Hauptgruppen

Bruttowert-
schöpfung3)

Bruttolohn- und -gehaltssumme

 

je Beschäftigten,
WD = 100

D = 100

Vorleistungsgüter1)

67,2

71,0

6,5

Investitionsgüter

52,4

68,6

5,9

Gebrauchsgüter

67,6

69,2

5,6

Verbrauchsgüter2)

69,7

61,9

7,6

Bergbau und Verarbeitendes Gewerbe1)2)

62,4

679

6,4

Bergbau

85,9

90,7

13,6

Verarbeitendes Gewerbe

61,6

67,0

6,2

1) Ohne Recyclinggewerbe 2) Ohne Verlagsgewerbe 3) In Preisen von 1995

    Quelle: DIW, Vergleichend Branchendaten für das Verarbeitende Gewerbe in Ost- und Westdeutschland, Berlin 1999

Die Eigenart der Transformation - Ursache der industriellen Schwäche
Die mit der Eingliederung in die Bundesrepublik überkommene Industrie in den neuen Ländern war infolge ihrer Eigentumsstruktur (staatliche Kombinate), ihrer technischen und betriebswirtschaftlichen Ausstattung und Organisation nicht wettbewerbsfähig. Sie mußte folglich eine Phase "nachholender Modernisierung" durchlaufen, um zum Leistungsniveau der westlichen Konkurrenten aufzuschließen. Dies war ein bisher beispielloses Unterfangen, einer derart großen Region, voll integriert in ein wesentlich produktiveres, kapitalistisch geprägtes Wirtschaftsumfeld, voll der westlichen Konkurrenz ausgesetzt, die Chance zu einer eigenständigen, sozialorientierten, regionalen Entwicklung zu ermöglichen.
Die großen Probleme einer solchen Zielstellung waren durchaus bekannt und hätten einer behutsamen, langfristig angelegten Wirtschaftsstrategie bedurft, um sie erfolgreich zu lösen. Die damalige Bundesregierung aber startete eine neoliberale, kurzatmige Transformationsstrategie, sie setzte auf die schnelle und möglichst restlose Privatisierung der THA-Unternehmen sowie auf die vollständige Öffnung des gewonnenen ostdeutschen Marktes für Waren und Kapital.
Nirgendwo wurden bisher aufholende Entwicklungen unter solchen Bedingungen beobachtet. Dort wo sie erfolgreich verliefen, z.B. in Japan und der BRD nach dem zweiten Weltkrieg, oder in einigen "New Industrialised Countries" handelte es sich jeweils um abgegrenzte Staatsgebiete mit Währungs- und Zollschranken, die erst mit wachsender inländischer Konkurrenzfähigkeit durch die jeweiligen Regierungen gelockert und sukzessive überwunden wurden. Auch das Saarland, das immerhin kapitalistische Wirtschaftsstrukturen hatte, wurde erst nach mehrjähriger Übergangszeit als neues Bundesland eingegliedert.
Diese Erkenntnisse berücksichtigend, hatte die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik bereits ab 1990 vorgeschlagen, der ostdeutschen Wirtschaftsregion längerfristig besondere Entwicklungsbedingungen zu gewähren, sie unter den Schutz von erprobten "local content Klauseln" zu stellen und vor allem ihre großen Industrieunternehmen erst zu sanieren und dann zu privatisieren.
Die Kohl-Regierung negierte diese Erfahrungen. Statt dessen bot die von ihr beauftragte THA das industrielle ostdeutsche Anlagevermögen privaten Investoren zum Kauf an. Dies hatte zwei wesentliche sozialökonomische Folgen:
1. Der Marktpreis der zum Verkauf stehenden THA-Unternehmen fiel drastisch bereits durch das massenhafte Angebot und infolge der politischen Strategie der Regierung, das gesamte THA-Vermögen sehr schnell und restlos zu privatisieren. Hinzukamen die realen Abwertungen infolge vielfältiger Konkurrenzschwächen und -defizite der THA-Unternehmen.
2. Da in der Region kein anlagesuchendes Kapital existierte, konnte es nur über exogene Anleger gewonnen werden. Der mit dem westlichen Kapitalzustrom verbundene Import von westlichen Eigentümern und Managern war ein wesentliches sozialökonomisches und politisches Ziel der Bundesregierung.
Weil die Bundesregierung und die THA diesen Weg der schnellen und rigorosen Privatisierung des industriellen Anlagekapitals in den neuen Ländern gingen, legten sie das Fundament für eine ökonomische Entwicklung, die heute generell als ungenügend und eine schwere Hypothek für die Zukunft eingeschätzt wird. Ihr sozialökonomisches Ergebnis ist eine in dominierende westliche Investoren und in endogene, kleinbetriebliche, ostdeutsche Unternehmen gespaltene Eigentumsstruktur der Industrie.
An sich ist es für eine Wirtschaftsregion nicht so bedeutsam in welchem Eigentum sich die ansässigen Unternehmen befinden, wenn diese Region eine eigenständige, langfristige Entwicklung genommen hat, ihre Wirtschaftsstruktur mithin organisch gewachsen ist. Für Ostdeutschland aber hatte die schlagartige Ansiedlung exogener Unternehmen einschneidende sozialökonomische Konsequenzen. Sie riß die von westlichen Eigentümern erworbenen Produktionskapazitäten aus den in der ostdeutschen Region gewachsenen Produktionsstrukturen heraus und integrierte sie in die jeweiligen unternehmensinternen Verbünde und Netze westlicher Konzerne und Firmengruppen. Dies war infolge der übereilten und rigorosen Privatisierung, der mangelhaften regionalen Infrastruktur und anderer Umstände auch nicht anders möglich. Damit aber gingen der Region Ostdeutschland in großem Ausmaße Zulieferer und Kooperationspartner mit entsprechenden endogenen Kapazitäten und Arbeitsplätzen verloren. Hinzu kommt, daß die ostdeutschen Produk-tionsstätten der westlichen Eigentümer überwiegend peripheren Charakter tragen, also z.B. nicht mit arbeitsintensiven FuE-Abteilungen, strategischen Leitzentralen und vor allem konzentrierten Kapazitäten für Finalerzeugnisse ausgestattet sind, die natürlich am Hauptsitz der jeweiligen Investoren verblieben.
In großem Umfange erwarben westliche Investoren aus dem THA-Vermögen spezialisierte Kapazitäten mit hochqualifizierten Fachkräften für Zulieferungen. Die Produkte solcher Unternehmensteile aber realisieren ihre Wertschöpfung nur z.T. am ostdeutschen Standort. Ihre Beiträge zur Innovations-, Wertschöpfungs- und Exportintensität schlagen sich in vollem Umfange erst in den Finalerzeugnissen nieder, die in den westlichen Standorten, den Hauptsitzen der jeweiligen Muttergesellschaften gefertigt und auch von dort realisiert werden.
Schließlich bleibt eine stark von exogenen Produzenten abhängige Region mit hohen Risiken behaftet. Bei wesentlichen Veränderungen der Expan-sionsstrategien durch die Muttergesellschaften, wie Kapazitätsabbau oder gar Ausgliederung bestimmter Erzeugnisse werden natürlich vorrangig die peripheren Standorte überprüft, oft mit der Konsequenz ihrer Veräußerung oder gar Stillegung.
Im Ergebnis dieser neoliberalen Privatisierungspolitik der THA dominiert heute westliches Eigentum mit den oben genannten Konsequenzen die Industrie in den neuen Ländern.
Die wenigen Großbetriebe, bis auf eine Ausnahme, die Jenoptik AG, befinden sich durchweg im Eigentum westlicher Firmen und Konzerne. Der dominierende Anteil westlichen Eigentums aber gilt auch für die starken Mittelbetriebe und im Bereich der leistungsfähigen, vor allem exportintensiven KMU. Vom gesamten Umsatz der Betriebe im Besitz (allein) "westdeutscher Unternehmen" entfielen 1997 40 vH auf das frühere Bundesgebiet und 19 vH auf den Export.2) In der nach der Eingliederung sofort boomenden Baustoffbranche waren 1998 52 vH aller Industriebetriebe im Besitz westlicher Unternehmen. In der Chemie waren es 33 vH, im Straßenfahrzeugbau 51 vH, in der Elektrotechnik und im Maschinenbau jeweils 20 vH3) Diese Zahlen aber vermitteln nur ein sehr ungenaues Bild, weil die jeweiligen Anteile an der "Zahl der Betriebe" wesentlich niedriger liegen als die am Umsatz, an den Beschäftigten und am Export . Das verraten bereits die in der Tabelle 3 wiedergegebenen Daten: bei einem Anteil von 23 vH an der Gesamtzahl der ostdeutschen Industriebetriebe konzentrierten die Westeigentümer die Hälfte aller industriellen Beschäftigten auf sich.

Tabelle 3
Westdeutsche oder ausländische Unternehmen in der ostdeutschen Industrie, 1998, Anteile vH

 

Anteile vH

Gesamtzahl der Industrieunternehmen

23

Gesamtzahl der Beschäftigten in der ostdeutschen Industrie

50

Zahl der Industriebetriebe mit 500 und mehr Beschäftigten

85

Quelle: IWH Forschungsreihe, Heft 5/1999, Halle, Juni 1999; S. 31, 144

Die Integration ostdeutscher Industriebetriebe in die westlichen Eigentumsstrukturen brachte auch eine Reihe positiver Effekte, selbst wenn sie weit unter den von der Bundesregierung prophezeiten Erwartungen blieben. Dazu zählen die raschen und umfangreichen Modernisierungsinvestitionen in die Produktionsausrüstungen und eben auch die Einbindung in westliche Bezugs-, Liefer- und Kooperationsverbünde. Die so integrierten Betriebe erlangten rasch Produktivitätsvorteile und vor allem Absatzsicherheiten gegenüber denen, die im reinen Ostmanagement verblieben.
Die ökonomische und betriebswirtschaftliche Situation der Unternehmen im ostdeutschen Management unterscheidet sich erheblich von der, die sich im westlichen Eigentum befinden - auch heute noch. Insgesamt bieten die im ostdeutschen Eigentum befindlichen Industriebetriebe ein ähnlich zwiespältiges Bild von positiven und negativen Merkmalen wie oben bereits ausgeführt. Positiv auf die Entwicklung wirkte sich aus, daß die ostdeutschen Käufer von bzw. Ausgründer aus THA-Unternehmen zumeist
- Betriebsteile ehemaliger Kombinate übernahmen, die über relativ moderne und leistungsfähige Ausrüstungen verfügten;
- sich auf ein eingespieltes (kleines) Kollektiv qualifizierter, hochmotivierter Mitarbeiter stützen konnten;
- Produkte fertigten, in denen sich in hohem Maße FuE-Vorleistungen aus den früheren Kombinaten kristallisierten;
- die Fertigungstiefe ihrer Produkte erheblich verminderten infolge der nunmehr freien Nutzung von Zulieferungen;
- mit den neuen Betrieben alte Kunden übernahmen, in besonders günstigen Fällen gar traditionelle Kontakte zu westlichen Abnehmern erhalten und ausbauen konnten.
Alle diese Vorteile trugen zusammen mit dem zügigen Ausbau der Kapazitäten im westlichen Eigentum zum relativ raschen Wachstum der Industrieproduktion nach Überwindung der Transformationskrise bei.
Den positiven aber stehen schwerwiegende negative Merkmale gegenüber. Auch hier nur die wichtigsten: Betriebe im ostdeutschen Eigentum
- sind in der Regel Kleinbetriebe, sie beschäftigen vielfach nur wenige Mitarbeiter
- litten und leiden unter Kapitalmangel, insbesondere unter Mangel an liquiden Mitteln, um vorübergehende Auftragslücken und akute Zahlungsschwierigkeiten überbrücken zu können;
- sind häufig gezwungen ihre Marktpositionen mittels Niedrigpreise zu verteidigen bzw. damit überhaupt Markteinstiege zu erschließen4);
- sind gegenwärtig noch ungenügend in produktivitätssteigernde Bezugs-, Liefer- und Kooperationsnetze eingebunden;
- verfügten und verfügen nicht über hinreichend akkumuliertes Kapital, mit dem ein existenzsichernder Vorlauf von Produkt- und Prozeßinnovationen finanziert werden könnte;
- sind vielfach hochverschuldet, weil sie für unabdingbare Modernisierungsinvestitionen in höherem Maße als ihre westlichen Konkurrenten auf Kredite angewiesen waren und noch sind. Sie tragen deshalb auch eine hohe Zinsbelastung.
Die Folgen dieser negativen Merkmale widerspiegeln sich in der großen Anzahl von Insolvenzen sowie in den Strukturschwächen und -defiziten der Industrie in den neuen Ländern insgesamt.

Keine klassische aufholende Entwicklung in der ostdeutschen Industrie
Ein Grundmerkmal des aufholenden Wirtschaftstyps ist das überdurchschnittliche Wachstum während einer relativ langen Periode. Auf den ersten Blick scheint die Industrie in Ostdeutschland dieses Kriterium zu erfüllen.
Die in Tabelle 4 ausgewiesene Dynamik der ostdeutschen Industrieproduk-tion, insbesondere gegenüber der westdeutschen muß relativiert werden.
1. Im Zuwachs gegenüber 1991 wirkt sich erheblich das niedrige Ausgangsniveau aus (Basiseffekt). Die tiefe Transformationskrise dauerte zudem in der ostdeutschen Industrie bis einschließlich 1993, erst im folgenden Jahr war das (gegenüber 1989 drastisch abgestürzte) Niveau von 1991 wieder erreicht.
2. Auch nach Überwindung der tiefen und langanhaltenden Transformationskrise entwickelte sich kein zügiges, aufholendes Wachstum. Es kam vielmehr zu erheblichen Schwankungen, die für dynamische Wirtschaftsregionen, die sich in einem nachholenden Aufschwung befinden untypisch sind (siehe Tabelle 4). So betrug die Jahresdurchschnittliche Wachstumsrate der Industrie in Ostdeutschland von 1991-1998 nur rund 4 vH, gegenüber denen in Westdeutschland und Japan in der Nachkriegsphase ist dies ein relativ langsames Tempo.
3. Die Schwankungen der ostdeutschen Zuwachsraten zeigen eine starke Abhängigkeit vom Wachstum der westdeutschen Industrie. Als diese in den Jahren 1995/96 in eine Konjunkturflaute geriet, wirkte sich das auch auf die ostdeutsche aus, die relativ hohe, aufholende Rate von 1994 fiel drastisch zurück. Erst mit der Erholung im früheren Bundesgebiet beschleunigte sich auch im Osten wieder das Wachstum.
Tabelle 4

Bergbau und Verarbeitendes Gewerbe, Produktionsindex, Ost- und Westdeutschland

   

Deutschland-

 
 

Zeitraum

Ost

West

Ost

West

 
   

1991 = 1001)

Veränderung geg. d. Vorjahr

 
 

1991

100,0

100,0

-

-

 
 

1992

93,4

97,9

- 6,6

- 2,1

 
 

1993

94,1

89,2

0,7

- 8,9

 
 

1994

104,6

92,0

11,1

3,1

 
 

1995

111,4

92,3

6,5

0,4

 
 

1996

115,1

92,2

3,4

0,2

 
 

1997

123,1

95,5

6,9

3,6

 
 

1998

133,5

100,2

8,5

4,9

 
 

Umbasiert, Originalindex 1995 = 100

     
 

Quelle: St.BA. Wiesbaden, Tabellensammlung zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in den neuen Ländern, Arbeitsunterlage, Ausgabe 1/99, S. 76

4. Die ostdeutsche Zuwachsrate im Jahre 1994 von 11 vH erklärt sich überwiegend daraus, daß zu diesem Zeitpunkt ein großer Teil der seit 1991 erfolgten Modernisierungsinvestitionen produktionsreif wurde. Das Jahr 1994 zeigt mithin eine relativ selbständige ostdeutsche, aufholende Dynamik, ausgelöst von Veränderungen der endogenen Produktionskapazitäten. Allerdings blieb dieser investitionsbedingte Schub auf ein Jahr begrenzt.
Die empirischen Daten zeigen folglich für die Industrie in den neuen Ländern einen Wachstumstyp, der zwar von einer endogenen nach- und aufholenden Entwicklung geprägt ist, was sich in den relativ hohen Zuwachsraten niederschlägt, sich aber gleichzeitig in einer starken Abhängigkeit von der Wachstumsdynamik der Industrie in Westdeutschland befindet. Konjunkturzyklen und aufholende Entwicklung überlagern sich mithin wobei letztere auch gegenwärtig relativ günstig, d.h. mit recht hohen Zuwachsraten verläuft. Noch wichtiger aber ist, daß diese Entwicklung überwiegend betriebswirtschaftlich aufholende Effekte brachte. Die überlebenden, privatisierten, neugegründeten Unternehmen ordneten sich in die Produktions- und Marktstrukturen der Bundesrepublik ein, modernisierten ihre Produktionsausrüstungen und erhöhten die Produktivität. Viele einzelne Unternehmen erreichten inzwischen die Leistungsfähigkeit gleichartiger westlicher Konkurrenten. Dagegen blieben Produktion und Effektivität der Industrie in der Region Ostdeutschland insgesamt weit hinter dem westdeutschen Niveau zurück, wie oben gezeigt. D.h. die aufholende Entwicklung verwirklichte sich nicht für die Region Ostdeutschland, bescherte ihr vielmehr, infolge der Eigenarten der Transforma-tion, eine schwache, für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der neuen Länder völlig unzureichende industrielle Basis.
Transformationsbedingte Investitionsschübe und -defizite
Der eigenartige Wachstumstyp der Industrie in den neuen Ländern wird von der Entwicklung ihrer Investitionen weiter verdeutlicht. Sie offenbaren nicht nur die Abhängigkeit von Kapitalimporten schlechthin, vielmehr auch jene von den Interessen der westlichen Investoren.
Im Jahre 1992 erreichte die erste besitzergreifende Investitionswelle west-licher Anleger ihren Höhepunkt, die Zuwachsrate kletterte gegenüber 1991 für die Industrie insgesamt auf 35,4 vH (siehe Tabelle 5). Alle Hauptgruppen der Industrie zeigen das gleiche Bild. Ins Auge fallen die Anlagen in den Bereichen der Grundstoff- und der Nahrungs- und Genußmittelindustrien. Hier widerspiegeln sich die Modernisierungsinvestitionen im Energiesystem und in die auf die lokalen Märkte gerichteten ostdeutschen Kapazitäten. Beide Bereiche waren das Ziel von Konzernen und großen Firmengruppen, die sich diese Märkte sicherten.
Infolge der hohen Kapitalintensität von Anlagen im Grundstoffbereich, wozu auch die Gewinnung von Baustoffen zählt, jener Bereich der ostdeutschen Industrie, der in den ersten 90er Jahren boomte, setzte sich hier die Investi-tionswelle bis 1994 fort und ist seitdem bis einschließlich 1999 rückläufig. In den Nahrungsmittelindustrien brach sie bereits 1993 ab, schwoll 1994 noch einmal an und läuft seither ebenfalls aus.

Tabelle 5
Investitionen des Verarbeitenden Gewerbes in den neuen Bundesländern 1), jeweilige Preise

 

 

Hauptgruppen

Jahr

Industrie insg.

Grundstoff u.
Prod.-güter2)

Investitions-güter

Verbrauchs-
güter

Nahrungs- und Genußmittel

 

Mio. DM

Veränderung gegenüber dem Vorjahr, vH

 

 

 

   

 

19913)

12.850

-

-

-

-

19923)

17.400

48,9

22,7

21,2

43,5

19933)

18.350

14,9

- 6,5

10,0

3,0

19943)

18.350

22,1

-13,9

- 4,5

26,5

19954)

18.400

-10,6

34,5

2,4

-20,0

19964)

17.250

- 3,6

- 3,4

- 9,3

-22,5

19974)

16.400

- 1,2

- 8,0

2,6

-22,6

19984)

15.000

-16,3

5,8

-20,0

0,0

19995)

13.800

-14,9

1,8

-15,6

- 4,2

1) Nur Betriebe mit 20 und mehr Beschäftigten; unter Einschluß noch nicht produzierender Einheiten.
2) Einschl. Investitionen in den Mineralölvertrieb (Tankstellenerrichtung) auch von Konzernen, die in OD keine Mineralölverarbeitung betreiben.
3) Vom ifo mit der amtl. Statistik abgestimmte Zahlen.
4) Nicht mit der amtlichen Statistik abgestimmte Hochrechnungen des ifo.
5) Daten von ifo aufgrund der Angaben von befragten Unternehmen hochgeschätzt.

Quelle: ifo Schnelldienst, München, 8 /1999, S.11

Ein anderes Bild bieten die Investitionsgüterindustrien. Nach der Einstiegswelle, schwächer als in den anderen Hauptgruppen, gab es zunächst eine ausgeprägte Investitionsflaute, eine erneute Welle 1995 gefolgt von absoluten Rückgängen der Investitionen 1996/97 (Konjunktureinflüsse) und stark schwankender Entwicklung in den folgenden Jahren (siehe Tabelle 5). Das sich hier bereits grob abzeichnende Muster der transformationsbedingten Investitionsentwicklung wird deutlicher, wenn die Strukturen betrachtet werden (siehe Tabelle 6).
Tabelle 6
Bruttoanlageinvestitionen der Industrie in Deutschland, 1991 - 1998, vH

Hauptgruppen/Zweige

Struktur

Jahresdurchschnittliche
Veränderungen

 

Deutschland

 

Ost

West

Ost

West

Vorleistungsgüter1)

61,7

52,7

2,9

- 3,5

Investitionsgüter

18,0

28,7

- 1,4

- 0,9

Gebrauchsgüter

2,3

3,5

- 1,7

- 5,8

Verbrauchsgüter2)

17,9

15,2

-10,1

- 5,1

Bergbau und Verarbeitendes Gewerbe1)2)

100,0

100,0

- 0,1

- 3,1

Bergbau

9,9

3,0

-21,8

- 7,9

Verarbeitendes Gewerbe

90,1

97,0

2,8

- 2,9

davon:

       

Nicht FuE-intensive Zweige

57,7 3)

40,9 3)

0,4

- 5,4

FuE-intensive Zweige

42,2 3)

59,1 3)

8,5

- 1,0

1) Ohne Recyclinggewerbe 2) Ohne Verlagsgewerbe 3) Verarbeitendes Gewerbe = 100
Quelle: DIW, Vergleichende Branchendaten für das Verarbeitende Gewerbe in Ost- und Westdeutschland, Berlin 1999
Rund 80 vH der gesamten Investitionen flossen bis 1998 in die Grundstoff- und lokalorientierten Bereiche der ostdeutschen Industrie. Da nach vorliegenden Schätzungen zwei Drittel der industriellen Investitionen von westlichen Anlegern kamen, ist diese Proportion, wie bereits dargelegt, Ausdruck ihrer Interessen. Es ging ihnen nicht um Schaffung von wachstums-, export- und innovationsorientierten, schon gar nicht um beschäftigungsintensive Produktionsstätten, vielmehr um Markteroberung auf der Basis ihrer bereits außerhalb der ostdeutschen Region installierten Kapazitäten. Eine andere Anlagestrategie war nicht zu erwarten, sie ist systemimmanent, das aber hätte die Regierung berücksichtigen und die Transformation entsprechend gestalten müssen.
Während in Westdeutschland fast 30 vH der industriellen Investitionen in die innovativen Investitionsgüterbereiche flossen, waren es in den neuen Ländern nicht einmal 20 vH Die exakt umgekehrte Proportionalität der Investitionsverteilung auf "nicht FuE-intensive" und "FuE-intensive" Zweige, nämlich 60 zu 40 für Ost- und 40 zu 60 für Westdeutschland unterstreicht die Fehlleistung der Transformationsstrategie (siehe Tabelle 6).
Die Dynamik der Investitionsentwicklung verdeutlicht zudem, daß sie keine aufholende Entwicklung prägen konnte, die drei vH jahresdurchschnittlicher Zuwachs für das Verarbeitende Gewerbe bis 1998 deckten gerade den Modernisierungsbedarf der transformierten Betriebe, konnten aber keine zusätzlichen, wachstums- und beschäftigungsintensiven Industriekapazitäten in den neuen Ländern hervorbringen.
Positiv ist das Tempo der Investitionsentwicklung im Bereich der "FuE-intensiven Zweige" (8,5 vH). Allerdings muß sie relativiert werden.
Sie startete von einem sehr niedrigen Niveau (Basiseffekt). 1991 waren es 3,8 Mrd. DM (zu jeweiligen Preisen) die in diese Zweige investiert wurden. (In die "nicht FuE-intensiven" Zweige flossen 5,7 Mrd. DM im selben Jahr.) In den folgenden Jahren wurde relativ kontinuierlich investiert, 1998 war die Investitionssumme auf 6,8 Mrd. DM angewachsen. Hier widerspiegeln sich zwei erfreuliche Tendenzen: das wachsende Engagement westlicher Anleger für FuE-intensive Zweige, vor allem aber die Anstrengungen ostdeutscher Eigentümer in diesem Bereich, ihre Betriebe zu modernisieren und auszubauen.
Die bisher erfolgten Investitionen in die innovativen Zweige waren jedoch viel zu gering, um weder national noch international bedeutende Kapazitäten herauszubilden. Der Anteil ostdeutscher an der Bruttowertschöpfung der gesamtdeutschen FuE-intensiven Zweige betrug 1998 4,2 vH Der höchste Anteil entfiel auf den sonstigen Fahrzeugbau mit 10,4 vH; das sind die krisen-anfälligen Kapazitäten im Schiff- und Wagonbau. Auch in der Meß- und Regeltechnik, Bereiche in der sich überkommene ostdeutsche Unternehmen erfolgreich entwickelt haben, bestimmte Nischen innovativer Produktion besetzen konnten, wurde nur ein Anteil von 7,5 vH erreicht.
Die Exporte zeigen das gleiche Bild: Ostdeutsche "FuE-intensive Zweige" hatten 1998 einen Anteil von 3,3 vH an den deutschen Gesamtexporten dieser Zweige. Auch hier entfiel der größte Anteil auf den sonstigen Fahrzeugbau (11,5 vH), gefolgt von den Produzenten von EDV-Geräten und Büromaschinen, die einen Anteil von 6,4 vH erzielten.
Aufschlußreich ist auch, daß die von Opel und VW in den neuen Ländern errichteten modernen Kapazitäten im Kraftwagenbau, diesem innovativen Bereich der ostdeutschen Industrie 1998 2,4 vH der gesamten Bruttowertschöpfung und 3,0 vH der gesamtdeutschen Exporte eintrugen.5) Hier ist anzunehmen, daß konzerninterne Arbeitsteilung und Verrechnungspraktiken zu diesem Ergebnis beitrugen, wobei die Konzentration von FuE sowie von wertschöpfungsintensiven Erzeugnissen auf die traditionellen westlichen Standorte dieser Konzerne sicher den Hauptanteil ausmachen (siehe Tabelle 7).
Tabelle 7
Gewicht der FuE-intensiven Zweige Ostdeutschlands in der deutschen Industrie und im Niveauausgleich zu Westdeutschland (WD) 1998

 

 

Bruttoanlage-
vermögen3)

Bruttowert-
schöpfung3)

Export

Hauptgruppen / Zweige

absolut

je Besch.

absolut

je Besch.

Absolut

Export
quote4)

 

D = 100

WD = 100

D = 100

WD=100

D = 100

vH

Chemische Industrie

7,2

112,1

6,1

79,8

2,8

27,6

Chemische Grundstoffe

9,1

102,5

4,1

66,8

3,1

26,0

Übrige chemische Industrie

4,4

87,8

4,9

83,1

2,5

30,0

Kunststoff-, Gummiwaren

6,1

78,8

4,9

62,4

2,9

11,4

Maschinenbau

5,4

76,4

3,7

50,8

2,7

25,9

Kraftmaschinenbau

5,1

84,8

3,9

64,7

2,0

23,1

Spezialmaschinenbau

6,1

79,0

3,8

49,0

3,3

36,4

Werkzeugmaschinenbau

5,4

72,2

3,6

47,0

3,3

28,3

Übriger Maschinenbau

5,0

70,8

3,3

46,1

2,0

15,6

EDV-Geräte, Büromaschinen

3,5

64,7

5,1

94,8

6,4

30,5

Elektrotechnik

3,1

39,1

3,1

38,3

2,8

16,4

Verteil- und Schalteinrichtg.

2,0

31,9

2,0

30,6

1,6

14,6

Übrige Elektrotechnik

4,4

46,1

5,3

55,2

4,3

17,3

Medientechnik

6,9

66,4

6,0

57,7

4,7

38,2

Meß- und Regeltechnik

3,6

45,9

7,5

98,5

3,5

23,4

Kraftwagenbau

3,6

94,6

2,4

63,3

3,0

42,2

Kraftwagen und -motore

1,1

44,0

1,5

60,9

3,2

58,2

Kraftwagenteile

8,7

161,9

4,3

76,5

1,8

10,7

Sonstiger Fahrzeugbau

24,5

124,1

10,4

44,2

11,5

41,0

             

FuE-intens. Zweige insgesamt

6,0

112,3

4,2

56,7

3,3

29,0

Verarbeitendes Gewerbe 1)2)

8,1

88,6

5,7

61,6

3,7

18,8

1)Ohne Recyclinggewerbe
2) Ohne Verlagsgewerbe
3) In Preisen von 1995
4) Anteil der Exporte am Umsatz des jeweiligen Zweiges
Quelle: DIW, Vergleichende Branchendaten für das Verarbeitende Gewerbe in Ost- und Westdeutschland, Berlin 1999
Die transformationsgeprägte Investitionsstruktur brachte überwiegend Klein- und Mittebetriebe hervor, es fehlen fast vollständig Großkapazitäten in den Bereichen der technik-, wertschöpfungs- und exportintensiven Massenfertigung. 1998 standen 35 Großbetrieben mit 1.000 und mehr Beschäftigten im Osten 719 solcher Betriebe im Westen gegenüber. Im Osten konzentrierten sie 16 vH im Westen rund 40 vH des Umsatzes auf sich. Hätten sich z.B. die Beschäftigten in der ostdeutschen Industrie 1998 auf die einzelnen Betriebsgrößenklassen in den gleichen Proportionen verteilt wie dies im Westen der Fall war, so hätte der Umsatz je Beschäftigten bei 88 vH des westdeutschen Niveaus gelegen, statt real bei 74,5 vH6) Dieses Defizit in der Größenstruktur der Industrie in den neuen Ländern ist zugleich auch eine wesentliche Ursache für ihren generellen Produktivitätsrückstand gegenüber dem früheren Bundesgebiet.

Tabelle 8

Vergleichsdaten zwischen der Industrie in Ost- und Westdeutschland nach Betriebsgrößenklassen, Sept. 1998

 

Betriebe mit ... Beschäftigten

Verarbeitendes Gewerbe

1 -19

20 - 99

100 - 499

500 u. m.

Alle Gr.-Kl.

 

Verteilung der Betriebe vH

Neue Länder und Berlin-Ost

53,7

36,0

9,4

0,9

100,0

Früheres Bundesgebiet

58,6

28,2

11,0

2,2

100,0

 

Verteilung der Beschäftigten, vH

Neue Länder und Berlin-Ost

8,1

35,2

38,7

18,0

100,0

Früheres Bundesgebiet

5,2

18,7

32,7

43,4

100,0

 

Verteilung des Umsatzes, vH

Neue Länder und Berlin-Ost

6,2

26,3

39,5

28,0

100,0

Früheres Bundesgebiet

3,2

13,0

29,1

54,7

100,0

 

Beschäftigte je Betrieb

Neue Länder und Berlin-Ost

7

45

189

954

46

Früheres Bundesgebiet

6

46

208

1.362

70

 

Umsatz je Betrieb

Neue Länder und Berlin-Ost

 

     

 

Westdeutschland = 100

102,9

77,5

77,4

64,0

48,8

 

Umsatz je Beschäftigten

Neue Länder und Berlin-Ost

 

     

 

Westdeutschland = 100

90,9

79,9

84,9

91,4

74,0

Quelle: Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Fachserie 4, Reihe 4.1.2., 1998; eigene Berechnungen

Tabelle 8 offenbart die enormen Unterschiede in den Größenstrukturen zwischen der Industrie in Ost- und Westdeutschland. Während der Umsatz in den Kleinbetrieben (Betriebe mit bis zu 19 Beschäftigten) je Betrieb das westdeutsche Niveau bereits knapp überstiegen hat, je Beschäftigten bei über 90 vH liegt, zeigen die entsprechenden Daten für alle anderen Größenklassen erhebliche Differenzen. Der durchschnittliche Umsatz je Betrieb erreichte 1998 in der ostdeutschen Industrie nicht einmal die Hälfte des westdeutschen Niveaus. Hierin widerspiegelt sich die ungünstige Größenstruktur der ostdeutschen Betriebe im verarbeitenden Gewerbe. Bemerkenswert ist, daß insbesondere die Kleinbetriebe bereits weitgehend westdeutsches Effektivitätsniveau erreicht haben, eine Folge der scharfen Konkurrenz und des harten Ausleseprozesses in diesem Größenbereich. Überhaupt ist auffällig, daß die Effektivitätswerte in jeder einzelnen Größenklasse dem westlichen Niveau erheblich näher liegen als die der Gesamtheit aller Betriebe (Größenstruktur-effekt).
Dauerhaft große Ost-West-Lücke im Industriealisierungsgrad
Mit der Transformation entstand in Ostdeutschland ein industrieller Entwicklungstyp, dem die endogenen Potentiale für eine eigenständige, rasch aufholende Expansions- und Akkumulationsfähigkeit fehlen. Das gilt auch im Hinblick auf die Ansiedlung leistungsfähiger Großanleger in schnell expandierenden Bereichen. Damit ist die Produktivitätslücke dauerhaft geworden. Zwar wird die Produktivität auch in den nächsten Jahren im Osten schneller wachsen als im Westen, wobei es denkbar wäre, daß sie in mehreren weiteren Dekaden das westliche Niveau erreichen könnte, allerdings ist eine Vorschau über eine derart lange Periode mit vielen Unsicherheiten behaftet und wissenschaftlich nicht machbar. Für die allgemeinen Entwicklungschancen einer Region aber ist auch bedeutsam, welchen Anteil die Industrieproduktion am Sozialprodukt insgesamt gewinnt. Nach zehnjähriger Entwicklung ist nun eindeutig zu erkennen, daß in den neuen Ländern die Industrie das relative Gewicht, das sie z.Z. im früheren Bundesgebiet hat, nicht mehr erreichen wird.
Tabelle 9
Betriebslücke im Bergbau und Verarbeitenden Gewerbe zwischen Ost- und Westdeutschland (Stand 1998)
Bestand/Lücke Anzahl der Betriebe Betriebe auf je 100.000

            Einwohner

        insges. darunter: insges. darunter:
        Kleinbetriebe Kleinbetriebe

Vorhandene Betriebe
Neue Länder u. Berlin-Ost 13.497 7.254 88,22 47,41
Früheres Bundesgebiet 86.429 50.632 129,58 75,91

Betriebslücke
Neue Länder u. Berlin-Ost 6.329 4.360 - -
1) Betriebe mit 1 - 19 Beschäftigte
Quelle: Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Fachserie 4, Reihe 4.1.2, 1998;
eigene Berechnungen
Wie Tabelle 9 ausweist, klafft in den neuen Ländern noch immer eine große Differenz zum relativen Besatz an Industriebetrieben im früheren Bundesgebiet. Nach der letzten vorliegenden amtlichen Erhebung, gab es im September 1998, in Relation zur Zahl der Einwohner im Osten nur 68 vH der relativen Zahl der Industriebetriebe, die im Westen existierten. Selbst bei den Kleinbetrieben liegt die relative Anzahl weit unter dem westlichen Niveau (62 vH des westdeutschen Industriebesatzes).
Diese Lücke wird sich kaum schließen. In der Kategorie von Betrieben mit 20 und mehr Beschäftigten wuchsen im Zeitraum von 1991 bis 1998 ganze 250 Betriebe zu.
Daß diese Lücke nicht nur ein quantitatives Problem darstellt wurde bereits durch die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland in den Branchen- und Betriebsgrößenstrukturen deutlich. Zu diesen qualitativen Unterschieden gehört auch der unterschiedliche Organisationsgrad der industriellen Produktion, d.h. die Verbindung vieler Betriebe zu "Unternehmen" wie dies im Rahmen von Firmengruppen und Konzernen geschieht. Diese Eigentumsstruktur hat erhebliche Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situa-tion der einzelnen, jeweils in Unternehmen integrierten Betriebe. Produk-tionsstätten, die sich im Eigentum starker Firmengruppen oder gar global operierender Konzerne befinden, verfügen über wesentlich günstigere Bedingungen gegenüber Einzelbetrieben. Sie können sich nicht nur auf die Finanzkraft, die Marktpositionen, die interne Arbeitsteilung etc. ihres Unternehmensverbandes stützen, vielfach sind sie auch in firmen- bzw. konzerninterne Info-Systeme, FuE-Abteilungen oder Innovationsprojekte integriert. Die Transformation hat zwar auch in den neuen Ländern dazu geführt, daß solche Eigentumsstrukturen entstanden, aber in weitaus geringerem Umfange und vor allem von geringerer Effektivität als im Westen.
Im Jahre 1998 gab es in den neuen Ländern relativ nicht mehr Betriebe oder Unternehmen als im früheren Bundesgebiet: auf je ein Unternehmen im Osten kamen etwa sechs im Westen und ebenso bei den Betrieben. Deutliche Differenzen aber zeigen sich, wenn die Leistungsfähigkeit der Unternehmensstrukturen in beiden deutschen Regionen verglichen werden.
Werden die Betriebe in beiden deutschen Regionen jeweils als Maßstab gesetzt (= 100), so liegen zwar in Ost und West gleichermaßen sowohl die Zahl der Beschäftigten als auch der erzielte Umsatz in den Unternehmen höher als in den Betrieben, was zu erwarten war7). Während diese Differenz in den neuen Ländern jedoch relativ gering ist, klafft sie in Westdeutschland deutlich auseinander. Der Umsatz je Unternehmen liegt im Westen fast dreimal höher als der in westdeutschen Betrieben (siehe Tabelle 10).
Tabelle 10
Industrieunternehmen und -betriebe1) in Ost- und Westdeutschland, 1998, relative Vergleichsdaten, vH

 

Beschäftigte je Unternehmen

Umsatz je Unter-nehmen

Hauptgruppen

Deutschland

 

Ost

West

Ost

West

 

Betriebe = 100

         

Vorleistungsgüter

113,4

128,4

112,0

294,3

Investitionsgüter

105,3

115,9

112,9

361,3

Gebrauchsgüter

105,5

114,6

103,9

311,4

Verbrauchsgüter

107,4

113,8

100,5

210,4

Industrie insgesamt2)

109,5

121,1

109,4

293,2

    1) Nur Betriebe und Unternehmen mit jeweils 20 und mehr Beschäftigte
    2) Betriebe und Unternehmen im Bergbau und Verarbeitenden Gewerbe

Quelle: Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Fachserie 4, Reihen 4.1.1 und 4.3.2

Der in einem langen Konzentrationsprozeß gewachsene Vergesellschaftungsgrad der Produktion bleibt folglich der quantitativen Betriebslücke hinzuzurechnen, um ein reales Bild vom Industrialisierungsgrad in den neuen Ländern zu gewinnen.
Eine weitere grobe Überschlagsrechnung bestätigt vor allem die Dauerhaftigkeit der gegenwärtigen Ost-West-Differenz im Industrialisierungsgrad. Im Jahre 1998 gab es rund 0,6 Millionen Beschäftigte im Verarbeitenden Gewerbe Ostdeutschlands. Wird nun unterstellt, daß künftig im Osten, relativ zur Zahl der Einwohner ebenso viele Beschäftigte Arbeitsplätze in der Industrie erhielten, wie dies gegenwärtig im Westen der Fall ist, so müßten 1,3 Millionen zusätzliche industrielle Arbeitsplätze entstehen. Der Bedarf an Anlagekapital dafür beliefe sich, berechnet nach dem realen Bruttoanlagevermögen je Beschäftigten im Verarbeitenden Gewerbe des früheren Bundesgebietes, auf mehr als 350 Mrd. DM (zu Preisen von 1995). Im Zeitraum von 1991 bis 1998 wurden insgesamt 104 Mrd. DM im Verarbeitenden Gewerbe der neuen Länder investiert.8) Selbst bei einer Verdoppelung der gegenwärtigen jährliche Investitionssumme, 1998 betrug sie 12,5 Mrd. DM (in jeweiligen Preisen), würde es Jahrzehnte dauern, bis diese Kapazitäten aufgebaut wären. Die Zielstellung, in den neuen Ländern den gegenwärtigen Industrialisierungsgrad Westdeutschlands zu erreichen, ist folglich völlig unrealistisch.
Realistischer erscheint es, im nächsten Jahrzehnt 100.000 zusätzlich Arbeitsplätze in der ostdeutschen Industrie zu schaffen. Dafür wären etwa drei Mrd. DM jährlich an zusätzlichen Investitionen erforderlich. Dies wäre finanziell denkbar. Gegenwärtig ist jedoch nicht erkennbar, in welche Bereiche diese Anlagen fließen und schon gar nicht, welche Investoren sich dafür engagieren könnten. Zur Überwindung der transformationsbedingten Deindustrialisierung in den neuen Ländern sind nicht nur schlechthin neue Produktions-kapazitäten erforderlich, vielmehr solche, die FuE-, innovations-, export-, beschäftigungsintensive und nicht zu letzt umweltgerechte Erzeugnisse herstellen. Dazu aber lassen sich z.Zt. keine wissenschaftlich gestützten Aussagen machen. Es ist ohnehin fragwürdig, ob Produktionsausweitungen dieses Umfangs angesichts der vorhandenen Kapazitäten und der ökologischen Probleme in der Bundesrepublik überhaupt angestrebt werden sollten.
Diese Überlegungen verdeutlichen, sicher im Nachhinein, welche realen Probleme mit der Integration Ostdeutschlands in die Wirtschaft der Bundesrepublik verbunden waren und sind. Um so deutlicher aber wird, mit welcher Fahrlässigkeit die damalige Bundesregierung und ihre verantwortlichen Akteure der Transformation ans Werk gingen und wie katastrophal ihr wirtschaftspolitisches Konzept versagte, wie sehr ihr neoliberales Leitbild ein Trugbild war und ist.

1 Siehe z.B. Oskar Lafontaine, Das Herz schlägt links, München 1999, S. 18 f., 31

2 IWH Forschungsreihe, Heft 5/1999, Halle, Juni 1999, S. 120

3 Ebenda, S. 106

4 Siehe ebenda, S. 128

5 Alle vorstehend genannten Daten des Ost-West-Vergleichs sind berechnet aus: DIW, Vergleichende Branchendaten für das Verarbeitende Gewerbe in Ost- und Westdeutschland, Berlin 1999

6 Quelle: Berechnet nach: St. BA. Wiesbaden, Fachserie 4, Reihe 4.1.2, 1998

7 Die Zahl der Betriebe schließt jene, die in Unternehmen integriert sind ein.

8 Die Berechnung basiert auf Daten aus: DIW, Vergleichende Branchendaten für das Verarbeitende Gewerbe in Ost- und Westdeutschland, Berlin 1999