Ökodiktaturen gestern und heute

Die Debatte, welche Gefahren ein Raubbau an der Natur und der Ökosphäre für die Menschen bereithält, läuft aus dem Ruder. Zwei Beiträge an prominenter Stelle zeigten dies jüngst überdeutlich: Am 18. Juli forderte Kristin Joachim in den Tagesthemen eine drastische Anhebung der Flugpreise, auch wenn dies die geringer Verdienenden treffe. Das Fliegen aber sei kein unveräußerliches Grundrecht. Nötig sei eine härtere Gangart. „Der Mensch funktioniert eben nicht über Freiwilligkeit“, so die Journalistin.
Drastischer schrieb Walter Wüllenweber am 27. Juli im Stern: Nur mit „Zwang, Kontrolle und Strafe“, mit der autoritären Durchsetzung von Fahr- und Flugverboten, sei die Erde zu retten. Demokratische Entscheidungsprozesse stünden dem im Wege. „Es tut weh, so etwas Autoritäres zu schreiben. Aber wir müssen solche zivilisatorischen Rückschritte in Kauf nehmen, um die Zivilisation zu retten. Das Soziale kommt ab jetzt erst an zweiter Stelle.“
Solche schrillen Töne mögen Manche verstören. Dem Historiker sind sie aber nicht neu. Erste Warnungen vor einer Klima- und Umweltkatastrophe sind fast siebzig Jahre alt, erinnert sei an Bücher von Fairfield Osborn, „Unsere geplünderte Erde“, und von William Vogt, „Road to Survival“, die beide 1948 erschienen. Den eindringlichsten, zugleich die Konsequenzen am radikalsten ausbuchstabierenden Kassandraruf aber stieß Wolfgang Harich (1923–1995) aus.
Einer jüngeren Leserschaft muss vielleicht gesagt werden, dass Harich 1957 in der DDR zum Sturz Walter Ulbrichts aufrief, wofür er mit acht Jahren Zuchthaus zu zahlen hatte. Nach seiner Haftentlassung durfte er zu einigen Gastaufenthalten in den Westen. Dort erschien die Mehrzahl seiner Bücher, darunter 1975 bei Rowohlt „Kommunismus ohne Wachstum“.
Worum ging es darin? Laut Harich werde eine die gesamte Menschheit gefährdende Umweltkrise auch um eine kommunistische Gesellschaft keinen Bogen machen. Als Allheilmittel empfahl Harich, jedes Wirtschaftwachstum zu beenden. Dazu sei nur ein kommunistisches Regime imstande, das das kapitalistische Profitprinzip außer Kraft setze.
Angesichts begrenzter und schrumpfender Naturressourcen werde, so Harich, der Kommunismus „nicht die Überflussgesellschaft sein, die man sich unter ihm seit den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts […] immer vorgestellt hat. Der Kommunismus wird daher auch nie ohne staatliche Autorität und kodifiziertes Recht auskommen, wie dies die Klassiker des Marxismus-Leninismus, darin letztlich mit den Anarcho-Kommunisten übereinstimmend, angenommen haben.“ Die kapitalistischen Industrieländer seien für den Übergang zum Kommunismus überreif, mehr noch als die Sowjetunion, China und ihre Verbündeten.
Dies sei keine Aufgabe der Zukunft, sondern dringendes Erfordernis für die Gegenwart. „Von der neuerdings zu beobachtenden Infamie der multinationalen Konzerne, die in besonders starkem Maße die Umwelt zerstören, durch Verlagerung in die Dritte Welt den Protestaktionen der alarmierten Öffentlichkeit der eigenen Länder zu entziehen, will ich einmal ganz absehen.“ Alle noch so umfangreiche Entwicklungshilfe ändere daran nichts, „solange sie in der Form des Kapitaltransfers gewährt wird, der die ökonomische Abhängigkeit von den multinationalen Konzernen steigert und die Übernahme der kapitalintensiven modernen Technologie, mit all ihren fürchterlichen Folgen, nach sich zieht.“ Erst der Übergang der nördlichen industrialisierten Regionen zum Kommunismus würde es ermöglichen, das Problem zu lösen. Dieser würde eine zentral gesteuerte Umverteilung der gesellschaftlichen Güter organisieren und dabei notwendigerweise Zwangsmaßnahmen anwenden. In einer solchen kommunistischen Gesellschaft, die das Wirtschaftswachstum zurückschraube und schließlich auf einem umweltverträglichen Maß stilllege, habe die westliche Parteiendemokratie ausgedient.
Zwar müsse die Linke den politischen Pluralismus vorerst noch gegen autoritäre Anschläge von rechts verteidigen. „Ausnutzen muss sie ihn, soweit er das zulässt, um ihren eigenen politischen Einfluss zu mehren. Aber sobald ihr, sei es auf friedlichem Wege, sei es durch gewaltsamen Umsturz, die Macht im Staate zufällt, dann schleunigst weg mit diesem System und her mit der wahren, der ursprünglichen Demokratie, die in Europa als erste die Jakobiner, geführt von Robespierre, verwirklicht haben und die Babeuf mit seiner ‚Verschwörung der Gleichen‘ wiederherstellen wollte!“ Nur eine zentral gesteuerte kommunistische Weltwirtschaft, die die Bedürfnisbefriedigung der Menschen restriktiv einschränke, könne einen ansonsten irreparablen Raubbau an der Natur verhindern.
Die wohl durchdachteste Kritik an Harichs Vorstellungen äußerte der Zukunftsforscher Ossip Flechtheim (1909–1998), der Harich nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis materiell und politisch unterstützt hatte. Harichs „grandiose Vision“ sei, schrieb Flechtheim in seinem Buch „Von Marx bis Kolakowski“ (1978), „in ihrer Einseitigkeit doch wohl unrealisierbar oder selbstzerstörerisch“. Abstrakt gesehen mochte eine Diktatur die Umweltplanung vielleicht besser angehen können als ein am Profit orientierter Kapitalismus. Doch würde eine autoritäre kommunistische Weltregierung, wie jede Diktatur, schon wegen der Natur ihrer Herrschaftsordnung kaum derart uneigennützig dem Wohl der Natur und der Menschen dienen, wie Harich dies voraussetze. Als eine unkontrollierbare Herrscherschicht würden diese Regierung und ihr Apparat, und dies zeigten alle Erfahrungen, dem korrumpierenden Einfluss immenser Machtfülle erliegen. „Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut“ – dieser Satz von Lord Acton gelte noch immer, und er gelte ganz bestimmt in einem von Harich erhofften kommunistischen Zwangsstaat.
Flechtheim brachte ein weiteres Argument vor: „Wenn die sogenannten sozialistischen Staaten ihren Bürgern so wenig Freiheit und Mitbestimmung bieten, wie das der Fall ist und wie Harich es ohne weiteres hinnimmt, so sind sie wohl stets versucht, als Ausgleich den Bürgern Konsummaximierung in Aussicht zu stellen.“ Harich verweise zwar auf den wirtschaftlichen Wettbewerb der westlichen und östlichen Systeme als eine der Ursachen von Konsumsteigerung und Wirtschaftswachstum. Er übersehe dabei jedoch, dass zwei andere Faktoren in dieselbe Richtung weisen: Die autoritäre Verfassung und der zwischenstaatliche Machtkampf. „Dieser mag den Konsum fördern oder nicht, auf jeden Fall beschleunigt er den Rüstungswettlauf und damit den Fortschritt der Destruktion. Das erklärt wohl auch, warum bisher im sozialistischen Lager nicht so viel mehr als im Westen getan worden ist, um die Umweltkatastrophe abzuwenden.“
Kristin Joachim und Walter Wüllenweber sind von Harichs Kommunismus-Vorstellungen weit entfernt. Doch auch ihre Vorschläge setzen letztlich den Rechtsstaat außer Kraft und führen in der Konsequenz zur Ökodiktatur. Die Restriktionen, die beiden vorschweben, treffen stets den ärmeren Teil der Bevölkerung zuerst. Wenn die Schrauben aber immer fester angezogen werden, revoltieren eines Tages die Benachteiligten. Sie niederhalten kann nur ein Polizeistaat – nicht im Interesse einer imaginierten kommunistischen Ordnung, sondern der kapitalistischen Besitzstandswahrung wegen. Wie ein solches Regime in seiner Konsequenz aussehen mag, kann man sich ausmalen. Möge es im Namen der „wahren“ Freiheit herrschen, würde es doch dem klassischen Faschismus ähneln, auch wenn die Verfechter leichtfertiger Gedankenspiele sich diese Konsequenzen nicht vorstellen können oder gar wollen.