Geheime Absprachen

Verschwörungstheorien und Antisemitismus

https://www.gen-ethisches-netzwerk.de/node/3928

In der Kritik an Konzernen und Bankenwesen finden sich teils hinter Codes versteckte Verschwörungstheorien (Vt) wieder. Politikwissenschaftlerin Laura Hammel forscht zu dem Thema und zeigt im Interview das antisemitische Bild auf, welches vielen Verschwörungstheorien zugrunde liegt.

Das Interview führte Judith Düesberg Mitarbeiterin des GeN und Redakteurin des GID.

Das Internet und die sozialen Medien ermöglichen es uns, unendlich viele Geschichten zu hören und zu erzählen. Einige dieser Geschichten basieren auf Verschwörungstheorien. Gibt es Elemente an denen man eine Verschwörungstheorie erkennen kann?

In einer Verschwörungstheorie gibt es immer eine Gruppe von Akteur*innen, die einen gemeinsamen Plan haben – und zwar die Macht zu übernehmen. Die Reichweite der Machtübernahme kann ganz unterschiedlich sein. Mal ist es eine Institution, mal ein Land, aber die Verschwörungstheorien, mit denen wir es momentan am meisten zu tun haben sind Weltverschwörungstheorien. Hier deutet sich auch ein weiteres Merkmal an: Vt sind immer vom Dualismus von Gut und Böse geprägt. Die bösen Verschwörer*innen und die guten Menschen, die noch nicht begriffen haben was passiert. Eine wichtige Message ist: Nichts ist wie es scheint – die Realität ist immer anders als sie auf den ersten Blick wirken mag. In einer Verschwörungstheorie hängt alles miteinander zusammen und es gibt keinen Platz für Zufall. Dadurch bieten sie einfache Erklärungen für die Vorgänge in einer komplizierten und verwobenen Welt an. Das trägt entscheidend zu ihrer Attraktivität bei.

Das Wort Verschwörungstheorie ist im deutschen Sprachgebrauch negativ behaftet. Was ist Ihres Erachtens nach das Problematische an Verschwörungstheorien?

Ein sehr problematischer Aspekt an Verschwörungstheorien ist, dass Menschengruppen zu Sündenböcken gemacht werden und damit der Hass auf diese Gruppen geschürt wird. Diese Gruppen sind von außen konstruiert und einzelne Menschen werden, auf Grund von angeblich gemeinsamen Eigenschaften als Mitglieder einer Gruppe betrachtet. Dabei wird häufig auf Gruppen zurückgegriffen, die einem als unbekannt oder anders erscheinen, einen Minderheitenstatus in der Gesellschaft haben oder zumindest so wahrgenommen werden. In der Extremform nehmen Menschen diese hassschürenden Theorien als Motivation für ihr Handeln – wie die Attentäter in Christchurch oder Norwegen.(1, 2)

Braucht es eine in sich geschlossene Theorie um verschwörungstheoretische Gedanken zu verbreiten?

Nein, nicht immer sind die Theorien vollständig ausformuliert. Oft findet man auch nur Versatzstücke oder Andeutungen. Sehr häufig werden beispielsweise Namen genannt, die auf die angeblichen Verschwörer*innen hindeuten. Der Familienname Rothschild ist ein solcher Name. Vor allem im deutschsprachigen Raum ist er der Code für das Bild einer mächtigen jüdischen Familie, die im Finanz- und Bankenwesen verankert ist und dieses angeblich kontrolliert. Wenn man den Namen kennt, reicht die Nennung oder Andeutung aus um das antisemitische Bild der jüdischen Weltverschwörung hervorzurufen. Ähnliche Beispiele sind die Namen des jüdischen Milliardärs George Soros oder im US-amerikanischen Kontext vor allem der Name Rockefeller.

Wer verbreitet Verschwörungstheorien?

Verschwörungstheorien werden von ganz unterschiedlichen Akteur*innen verbreitet. Das Internet wo jede Person sich in sozialen Netzwerken, in Blogs und anderswo mitteilen kann ist eine großartige Basis um Wissen, aber eben auch Verschwörungstheorien zu verbreiten. Es gibt auch prominente Redner*innen aus dem halbwissenschaftlichen Bereich wie zum Beispiel den Schweizer Historiker Dr. Daniele Ganser und politische Akteur*innen wie Parteien. Im Grundsatzprogramm der AfD von 2016 wird beispielsweise eine Verschwörung der Eliten gegen die Bevölkerung angedeutet und auch international gibt es prominente Vertreter wie den US-Präsidenten Donald Trump, der auch noch nach seiner Wahl zum amerikanischen Präsidenten Verschwörungstheorien einsetzt, um sein Image als politischer Underdog aufrechtzuerhalten. Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nutzt immer wieder Verschwörungstheorien um politische Gegner zu attackieren oder für innere Spannungen im Land Kräfte von außen verantwortlich zu machen.

Erdogan, Trump, AfD… alles Akteure die ich mindestens dem rechtskonservativen Spektrum zuordnen würde. Werden Verschwörungstheorien auch in linkspolitischen Kreisen verbreitet?

Wir finden Verschwörungstheorien und ihre Elemente vor allem bei Sprecher*innen, die ein vereinfachtes „wir“ und „die“ Bild vermitteln, egal ob sie nun eine eher linke oder rechte Politik vertreten. Das gilt auch für vereinfachende Erklärungsmuster und klare Feindbilder. Gerade eine stark vereinfachende Kapitalismuskritik finden wir auch unter Linken, und diese ist wiederum anfällig für verschwörungstheoretische Zuschreibungen. Die Kritik an einem ausbeuterischen Wirtschaftssystem wird zum Beispiel auf die Kritik an den Taten böser, gemeinsam agierender Kapitalist*innen verkürzt. Hier kann dann wieder das antisemitische Bild der jüdischen Weltverschwörung leicht ansetzen, unabhängig wie sich die Leute politisch verorten.

Das Wort Antisemitismus ist ein paar Mal gefallen. Können Sie den Begriff und den Zusammenhang zu Verschwörungstheorien erläutern?

Das Wichtige beim Antisemitismus ist, dass es sich nicht um eine religiöse Feindschaft handelt. Es geht weit über das hinaus. Jüdische Menschen werden als Kollektiv begriffen, die als solches mit Hass konfrontiert sind. Dieser Hass kann sich durch Taten oder Worte ausdrücken. Jüd*innenfeindlichkeit gibt es schon seit dem Mittelalter und seitdem bestehen auch Stereotype und Vorurteile gegenüber Jüd*innen, wie das Nachsagen von Gier und Einfluss. Antisemitische Bilder entstammen sowohl dem Vorurteilsrepertoire des Antijudaismus als auch dem modernen Antisemitismus und sind in der deutschen Gesellschaft noch weit verbreitet. Nach dem Nationalsozialismus hat sich in Deutschland zwar öffentlich ein Tabu durchgesetzt, das dazu führt, dass Antisemitismus selten offen aufritt. Verschwörungstheoretische Elemente, Namen und Symbole, welche mit dem Judentum assoziiert werden, bieten aber weiterhin eine Möglichkeit, eine bewusste oder unbewusste antisemitische Haltung über Umwege zu artikulieren ohne große Ablehnung auszulösen. Da Verschwörungstheorien sich immer um Macht und Einfluss ranken ist die Verbindung zu antisemitischen Vorurteilen schnell gemacht. Beispiele sind die schon genannten Namen Rothschild und Soros, die für eine Finanzelite mit weltweiter Macht stehen und auf die Stereotype der jüdischen Gier und Einflussnahme zurückgreifen.

In Ihrer Magisterarbeit haben Sie zum Thema antisemitische und antiamerikanische Verschwörungstheorien gearbeitet. Vorhin sagten Sie, dass häufig Menschengruppen als Sündenböcke ausgemacht werden, die als Minderheiten wahrgenommen werden. Wie passt das mit antiamerikanischen Verschwörungstheorien zusammen?

Antiamerikanische Verschwörungstheorien sind neueren Ursprungs und treten nicht gesondert von anderen Verschwörungstheorien auf. Aus einer antiamerikanischen Perspektive wird der Kapitalismus in den USA als allumfassend beschrieben. Dort würde es nur um Profit gehen und das Kapital würde das Land regieren. Das Leben in den USA wird als anonym beschrieben, der technische Fortschritt dominiere das Zusammenleben. Dem wird ein Bild der gemeinschaftlichen sozialen Marktwirtschaft und eines imaginierten Zusammenhaltes in Europa oder anderswo entgegengestellt. So wird ein „die“ und „wir“ konstruiert und mit Vereinfachung und Überspitzungen aufgeladen.
Es geht hierbei auch um die Konzepte von Multikulturalismus und Urbanismus – die man historisch gesehen, ab der Zeit der Moderne der Gruppe der Jüd*innen zugeschrieben hat. Auch der Verweis aufs Bankgeschäft, Kapitalismus und Profit bringt uns wieder zu antisemitischen Ideen. Häufig werden die USA und Israel zusammen gedacht, als Verbündete, als imperialistische Staaten. Es besteht folglich eine Analogie zwischen Antisemitismus, Antizionismus und Antiamerikanismus.

Worauf kann ich achten, wenn ich selbst Kritik formuliere um keine verschwörungstheoretischen Argumente zu nutzen?

Es ist wichtig sich klar zu machen, dass man sich in einem komplexen, globalen Gefüge befindet und es mit komplizierten Fragen zu tun hat. Man sollte den Anspruch an sich selbst haben das anzuerkennen, differenziert zu bleiben, nicht zu vereinfachen und zu verallgemeinern. Daraus folgt natürlich nicht, dass tatsächlich bestehende Absprachen und Kartelle nicht benannt oder kritisiert werden dürfen. Wenn allerdings Sündenböcke gesucht und Probleme personifiziert oder einer Gruppe zugeschrieben werden, sollte man aufmerksam werden. Zufälle und Grautöne müssen Platz haben in der Argumentation. Die Auseinandersetzung mit antisemitischen Codes und Namen hilft dabei diese zu vermeiden und zu benennen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Fußnoten:
(1)    Bertolaso, Marco (18.03.19): Der Attentäter und die Verschwörungstheorie vom „Großen Austausch“. Deutschlandfunk. www.kurzlink.de/gid249_zk [letzter Zugriff: 30.04.19].
(2)    Schulte von Drach, Markus C. (26.07.11): Wie Breivik sein wirres Weltbild ersponnen hat. Süddeutschen Zeitung. www.kurzlink.de/gid249_zj [letzter Zugriff: 30.04.19].