Say it loud

Rap als Medium von Verschwörungstheorien

Verschwörungstheorien machen auch vor der Rap-Szene nicht halt: Beyoncé sei ein Reptilienmensch, ihr Ehemann Jay-Z Angehöriger der Illuminaten und diese hätten wiederum 2Pac auf dem Gewissen. Hierzulande leugnet Fler das Erdenrund, Prinz Pi rappt über Weltverschwörungen, Haftbefehl über Chemtrails – und dann gibt es noch Kollegah und Xavier Naidoo. Wieso ist gerade Rap so anfällig für Verschwörungstheorien?

Kurz vor der sogenannten Golden Era im Hip Hop folgten 1991 FunktionärInnen US-amerikanischer Plattenfirmen dem Ruf zu einem Geheimtreffen nach Los Angeles. Dort wurde über das zukunftsträchtige Genre Gangsta-Rap getagt und beschlossen, wie es mit der vielversprechenden Cash-Cow weitergehen soll. In den Jahren zuvor hatten Rapper wie Ice-T oder die Formation N.W.A. in ihren Songs lebensweltliche Einblicke in afroamerikanische Armutsviertel gewährt und aggressiven, gewalt- und drogenverherrlichenden Rap salonfähig gemacht.

Nun wartete man nur noch auf den ganz großen Durchbruch – und dieser sollte auf besagtem Geheimtreffen forciert werden. Die Idee: Gangsta-Rap als Straßenfeger. US-amerikanische Major Labels, so erfuhren die Geladenen, hielten neuerdings Anteile an Privatknästen und verdienten – künftig subventioniert durch die Regierung – am Gefängnisbetrieb mit. Je erfolgreicher also die Glorifizierung von Gewalt und Drogen verbreitet werden würde, desto mehr (afroamerikanische) Jugendliche würden in ihrem jugendlichen (Nach-)Eifer im Knast landen. Eine klassische Win-win-Situation: Die Musikindustrie sahnt doppelt ab und für den Staat regelt sich die soziale Selektion von selbst…

So oder so ähnlich erzählt man sich im Internet die Geschichte vom Gangsta-Rap, nachdem ein Bericht über das vermeintliche Geheimtreffen zwanzig Jahre später im Netz viral ging. Dieses Narrativ ging in den Kanon der HipHop-Mythologie ein, obwohl (oder weil?) es eine nahezu klassische Verschwörungstheorie bildete: Kleine Eliten lenken im Verborgenen die Geschicke der Welt und sorgen dafür, dass jene, die unten sind, genau dort bleiben. Die reelle Kritik am Gangsta-Rap, der für die Verrohung der Jugend verantwortlich sei, vermischt sich mit einer pseudo-plausiblen Erklärung für seine Entstehung.

Nicht immer explizit markiert

Verschwörungstheorien haben häufig antisemitische Züge. Seit Kollegahs Eklat bei der Verleihung des Musikpreises Echo, der 2018 erschöpfend besprochen wurde, ist Antisemitismus im Rap auch in Deutschland Thema. Moderne Verschwörungstheorien und moderner Antisemitismus bedingen sich historisch und sind bis heute eng miteinander verbunden. Insofern gibt es derzeit keine besondere Konjunktur von Verschwörungstheorien. Es gab sie immer. Sie werden nicht plötzlich aus der Vergangenheit hervor gezerrt, sondern waren stets unter uns. Konstitutiv für moderne Verschwörungstheorien ist deren Erweiterung durch antisemitische Stereotype im 19. Jahrhundert. VerschwörungstheoretikerInnen müssen keine glühenden AntisemitInnen sein, doch ist auch in der albernsten Verschwörungstheorie Antisemitisches strukturell mit angelegt – was aber nicht immer explizit markiert sein muss.

Im Fall von Kollegah fing man beispielsweise erst aufgrund seiner Auschwitz-Textzeile an, anderes Material auf Antisemitismus zu prüfen und förderte in weniger offensichtlich Markiertem Problematisches zu Tage. Antisemitismus ist eben nicht immer explizit, sondern kann aus der Idee einer gelenkten Welt bestehen, in deren Zentrum der »Jude« steht. Man kennt das Narrativ bereits und denkt sich das Nötige dazu. Auch in der Erzählung über das Geheimtreffen in L.A. gibt es keine expliziten Marker. Wer aber über die Stereotype verfügt, die mit der US-amerikanischen Film- und Musikbranche verbunden sind, weiß schon, wer mit den »FunktionärInnen« gemeint ist.

Warum ist Rap besonders anfällig für Verschwörungsdenken? Wird dort bloß aufgegriffen und reproduziert, was anderswo geschaffen wird, oder schaffen die KünstlerInnen sogar mit, was sie bloß zu vermitteln scheinen? Rap, der in seinen Anfängen als Counter Culture zum popkulturellen Mainstream gelesen wurde und sich aus dem Kampf gegen die sozioökonomische Überlegenheit der »Weißen« heraus etablierte, ist ähnlich wie andere progressive Subkulturen nicht frei von Reaktionärem. Auch dort setzen sich Rassismus, Sexismus und Antisemitismus fort. Ökonomische Konflikte, die eigentlich klassenkämpferisch begriffen werden müssten, werden auf irrationale Feindbilder gelenkt, die in der Gesellschaft bereits existieren. Blickt man auf den typischen Habitus von RapperInnen, erscheinen Verschwörungstheorien als probates Mittel zur Selbstinszenierung.

Eingeweiht in die Zirkel der Macht

Kein anderes Musikgenre lebt so sehr von der Hyperstilisierung seiner Kunstfiguren. Das Narrativ des Rap-Stars liest sich fast immer als Kampf von unten nach oben. Um sich aus der eigentlich gesellschaftlich unterlegenen Position heraus als mächtig zu gerieren, gibt es im Bezug auf Verschwörungstheorien zwei Möglichkeiten: Entweder man stilisiert sich als Opfer von Verschwörungen, durch die die eigene soziale oder ethnische Gruppe unten gehalten wird, was man aber durchschaut und an die Hörerschaft weitergibt (each-one-teach-one). Oder man inszeniert sich selbst als eingeweiht in die Zirkel der Macht, wie es etwa Jay-Z mit seiner Illuminaten-Koketterie handhabt. Dazu gehört dann auch, einen »jewish lawyer« zu beschäftigen und von den »Juden« gelernt zu haben, wie man es hält mit dem Geld.

Beides verweist in den USA auf das komplizierte Verhältnis zwischen der afroamerikanischen und der jüdischen Bevölkerung: Es hält sich die Idee, Juden hätten die Versklavung der Schwarzen finanziert und vorangetrieben. Als sich in den 1960er Jahren die aus der Black Muslim-Bewegung hervorgegangene Nation of Islam (NoI) radikalisierte, vertrat sie recht bald antisemitische Positionen. Durch den Beitritt von Malcom X erhielt die Bewegung enormen Zulauf. Später übernahm Louis Farrakhan die NoI und stellte die Idee von einer jüdisch-weißen Weltverschwörung ins Zentrum der Agitation. Bis heute verkehrt er mit zahlreichen RapperInnen. Brand Nubian und Public Enemy bezogen sich in Texten und Interviews auf seine Reden. In dem Song »Yakub the Jeweler« knüpft Lord Jamar von Brand Nubian beispielweise an die NoI Auslegung des biblischen Jakobs an, welcher die Juden als künstliche »weiße Rasse« erschaffen und sie mit List und Tücke ausgestattet habe. 1994 trat Ice Cube der NoI bei, 2009 Snoop Dogg. In den letzten Jahren ist es der NoI zudem gelungen, die Black Lives Matter-Bewegung zu unterwandern.

In der deutschen Szene laufen Verschwörungstheorien ein wenig anders, weil die Zugänge andere sind. Im Gegensatz zu US-RapperInnen, die ihren muslimischen Hintergrund fast nie thematisieren, gehören Themen wie Herkunft, Migration und Glaube zum festen Repertoire deutscher RapperInnen mit entsprechenden Hintergründen. So hat man sich immer wieder am Nahost-Konflikt abgearbeitet. Selten kam es dabei zu einer wirklichen Auseinandersetzung oder zu umfassender Kritik. Massiv, ein Berliner Rapper mit palästinensischen Wurzeln, postet ein Bild von den 9/11 Anschlägen mit dem Satz: »Am 11. September sind 4000 Israelis im World Trade Center nicht zur Arbeit erscheinen…«. Haftbefehl, der anfänglich noch durch Aufrufe zum Israel-Boykott auffällig wurde, feierte nach den ersten großen Erfolgen in einem Video mit jüdisch-orthodoxen Diamanthändlern, nur um wenig später wieder über die »Rothschild-Theorie« zu rappen. Prinz Pi textet schon zwanzig Jahre lang über böse US-Mächte, Templerorden und Banken. Ansonsten greifen RapperInnen eben auf, was im Netz herumschwirrt: Chemtrails, BRD GmbH oder Flatearth.

Verschwörungstheorien als mediales Ereignis

Ist Rap aber nun besonders verschwörungstheoretisch? Verschwörungstheorien sind vor allem mediale Ereignisse. Daraus lässt sich folgern, dass gerade Popkultur ihnen außerordentlich zuträglich ist. Rap ist derzeit das erfolgreichste Musikgenre. RapperInnen sind immer Abbild ihrer Gesellschaft, sie sind nicht verschwörungstheoretischer als NormalbürgerInnen. In einer Szene, die von Provokation lebt, in der man sich in hypermaskulinem Gebaren und Machtphantasien ergeht, erscheinen Verschwörungstheorien aber als logische Konsequenz der Stilisierung. Dennoch ist Fler kein Flatearther, nur weil er Rapper ist, und Kollegah ist im Grunde ein gewöhnlicher Antisemit. Der Heimatpopper Andreas Gabalier hat bestimmt kein besseres Weltbild, nur lässt sich auf der Hütten-Gaudi denkbar schlecht zu Balladen über Chemtrails schunkeln. Das Künstler-Ich der RapperInnen lässt sich einfacher mit kruden Theorien vereinen, als es in anderen Genres der Fall ist.

Rap wird dadurch zum Multiplikator, über den Verschwörungstheorien zu dem medialen Ereignis werden, durch das sie erst gedeihen. RapperInnen kommen in Interviews in einen Plauderton, reden über das Wetter in Hamburg und im nächsten Moment über Chemtrails. Für unbedarfte Fans ist das Dickicht aus Verschwörungstheorien, dessen Wurzel immer die gleiche ist, dann nur ein paar Klicks weit entfernt. Die »Verrohung« der Jugend durch Rap geschieht also vielleicht tatsächlich. Bei welchem Geheimtreffen man sich das wohl ausgedacht hat?