Rüstungsexporte: Transparenz – weiter Fehlanzeige!

Sigmar Gabriel war guter Laune, als er im März 2015 im Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags erschien, um sich an der Diskussion über eine Petition der „Aktion Aufschrei – Waffenhandel stoppen“ für ein weitgehendes Waffenexportverbot zu beteiligen. Der damalige Wirtschaftsminister sah seine Teilnahme als Chance, um sein Eintreten für eine restriktivere Rüstungsexportpolitik öffentlich zu unterstreichen und zu erläutern, was er in seiner bisherigen Amtszeit schon alles erreicht habe. Besonders wichtig war Gabriel der Punkt „mehr Transparenz“: Der SPD-Politiker wies darauf hin: „Wir haben ein Maß an Transparenz bei den Rüstungskontrollberichten erreicht in dieser Legislaturperiode, die es in Deutschland noch nie gegeben hat. […] Alle Entscheidungen die wir treffen, werden öffentlich.“
Gabriel sprach Veränderungen an, die er selbst zuvor veranlasst hatte: Sein Haus belieferte Parlament und Öffentlichkeit zweimal jährlich mit Berichten über die Genehmigungspolitik der Bundesregierung für Rüstungsexporte – einmal vor der Sommerpause mit einem Jahresbericht über das vergangene Jahr und einmal zum Jahresende mit einem Zwischenbericht über die Genehmigungen des ersten Halbjahres des laufenden Jahres. Die Berichte erfolgten somit zeitnäher und häufiger als in der Vergangenheit. Am Inhalt der Berichte hingegen hatte sich kaum etwas verändert Zusätzlich wurde der Bundestag jetzt aber auch innerhalb von zehn Tagen informiert, wenn der Bundessicherheitsrat und der zugehörige Vorbereitende Ausschuss der Staatssekretäre sich mit neuen Exportgenehmigungen abschließend positiv befasst hatten. Die früher übliche Geheimhaltung der Sitzungsergebnisse war aufgehoben worden.
Sechs Monate vor Gabriels Auftritt hatte das Bundesverfassungsgericht im Herbst 2014 darüber entschieden, wann und in welchem Umfang die Bundesregierung den Bundestag über Rüstungsexportgenehmigungen informieren muss. Der damalige Bundestagsabgeordnete Hans Christian Ströbele und die Grünen hatten geklagt, weil sie sich Jahre zuvor zu spät und unzureichend über einen potenziellen Panzerexport nach Saudi-Arabien informiert sahen. Mehr Transparenz – so das Ziel – sollte helfen, umstrittene Rüstungsexportgeschäfte frühzeitig auf einer gesicherten Informationsbasis politisch debattieren zu können. Rechtzeitig, also bevor die Regierung eine Exportgenehmigung erteilen würde und – bildlich gesprochen – das „Kind schon in den Brunnen gefallen“ sei. Am 21. Oktober 2014 wurde die Klage der Grünen in weiten Teilen abgewiesen.
Die Begründung hatte es in sich.
Andreas Voßkuhle, der Vorsitzende Richter, hielt damals zunächst fest: „Die Bundesregierung ist grundsätzlich verpflichtet, Bundestagsabgeordneten auf entsprechende Anfragen hin mitzuteilen, dass der Bundessicherheitsrat ein bestimmtes Kriegswaffenexportgeschäft genehmigt hat oder eine Genehmigung nicht erteilt worden ist.“
Das klang gut, war aber von einer Vielzahl von Einschränkungen der Mitteilungspflicht begleitet. „Grundsätzlich“ heißt für Juristen nämlich: Es gibt Ausnahmen. Die Bundesregierung darf dem Parlament also manchmal auch verschweigen, ob sie eine Exportgenehmigung erteilt hat. Zum Beispiel, wenn die Auskunft das „Staatswohl“ gefährden könnte – ein dehnbarer Begriff. Die Regierung darf dem Parlament auch keine Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse der antragstellenden Firmen mitteilen. Voßkuhle sprach außerdem zwei weitere Einschränkungen an. „Darüber hinausgehende Angaben, etwa zu den Gründen der Entscheidung, sind dagegen verfassungsrechtlich nicht geboten. Ebenso wenig müssen Auskünfte zu noch nicht abgeschlossenen Vorgängen erteilt werden, also zum Beispiel über Voranfragen, da der Willensbildungsprozess innerhalb der Bundesregierung in diesem Stadium besonders geschützt ist.“
Voßkuhle redete überdies nur von Kriegswaffen, nicht aber über Geschäfte mit sonstigen Rüstungsgütern, also den größten Teil deutscher Rüstungsexporte. Das sind Militärgüter wie etwa unbewaffnete, aber militärisch ausgestattete Lastwagen, die nicht auf der Liste für Kriegswaffen stehen.
Vier Jahre nach dem Urteil des Gerichts, dreieinhalb Jahre nach Sigmar Gabriels vollmundiger Feststellung nie dagewesener Transparenz und zwei Wirtschaftsminister später muss man festhalten: Das Urteil des Verfassungsgerichts über die Informationspflichten der Bundesregierung hat in weiten Teilen das Gegenteil dessen bewirkt, was mit dem Gang der Grünen vor das Gericht angestrebt worden war. Statt mehr Transparenz zu ermöglichen, führt die Anwendung des Urteils immer häufiger zu Auskunftsverweigerungen.
Die Beamten des Wirtschaftsministeriums haben es verstanden, das Urteil Schritt für Schritt restriktiver auszulegen und immer mehr konkrete Auskünfte zu verweigern. Unter Berufung auf das Verfassungsgericht ist es den Beamten des Wirtschaftsministeriums gelungen, aus zentralen Begrifflichkeiten der Urteilsbegründung wie dem Staatswohl, den Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen und dem Privileg des Exekutivbereichs der Regierung einen sicheren Hafen für Informationen zu machen, die nur der Exekutive und den antragstellenden Firmen vorliegen dürfen. Insofern verfügt der Beamten-Apparat über ein Herrschaftswissen, das sowohl die parlamentarische Kontrolle als auch eine informierte, öffentliche Debatte behindert.
Am offensichtlichsten wird dies bei abgelehnten Exportanträgen. Richter Voßkuhle sah die Bundesregierung in der Pflicht, den Bundestag auf Nachfrage „grundsätzlich“ über endgültig abgelehnte Exporte zu informieren. Das Wirtschaftsministerium verweigert in der Regel solche Auskünfte unter Berufung auf die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Firmen oder das Staatswohl.
Ebenfalls unter Berufung auf das Staatswohl wird auf eine wachsende Zahl von Fragen nicht oder nur als Verschlusssache reagiert. Mit Bezug auf das Urteil des Verfassungsgerichtes werden immer häufiger Fragen nach konkreten Fakten nicht oder nur so allgemein beantwortet, dass der konkrete Exportvorgang nicht ersichtlich wird. In einigen Fällen wurden Informationen sogar verweigert, weil deren Bereitstellung in Verbindung mit früher öffentlich gemachten Informationen es möglich machen würde, ein bestimmtes Rüstungsexportgeschäft zu identifizieren. Journalisten machten in letzter Zeit sogar die Erfahrung, dass das Ministerium das Urteil des Verfassungsgerichts heranzog, um die Auskunft darüber zu verweigern, ob die Bundesregierung den Export eines konkreten Rüstungsguts an ein kriegführendes Land – zum Beispiel Waffenstationen für gepanzerte Fahrzeuge an die Vereinigten Arabischen Emirate -, überhaupt je genehmigt habe.
Vor etwa 20 Jahren erklärte ein für Rüstungsexportgenehmigungen zuständiger, leitender Beamte des Wirtschaftsministeriums dem Autor dieses Beitrags: Aufgabe des Wirtschaftsministeriums sei die Außenwirtschaftsförderung, nicht die Außenwirtschaftsverhinderung. An einem solchen Selbstverständnis können auch Minister scheitern. Denn bekanntlich kommen sie nicht nur, sondern gehen auch wieder. Die Beamten dagegen bleiben im Amt.

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag des Autors für die Senderreihe „Streitkräfte und Strategien“ (NDR-Info, 17.11.2018).