Geschichtsakrobatik

in (25.09.2017)

An den deutschlandpolitischen Positionen des Kaczyński-Lagers werden die Bundestagswahlen wohl nichts ändern. Ohnehin waren in Polen fast alle Beobachter seit längerem davon ausgegangen, dass im Nachbarland fast alles beim Alten bleibe. Doch die Nationalkonservativen dürften ein wenig frohlocken, denn mit der AfD ist nun eine kräftig auf Nation und aufrechtem Konservatismus pochende Kraft in den Bundestag eingezogen, die zuletzt oft genug als Beispiel herhalten musste, wenn in den eigenen Gazetten die Verletzung der Medienfreiheit in Deutschland angeprangert wurde, weil die AfD eben dortzulande ausgegrenzt werde. Nun wird sich zeigen, ob eher die Gemeinsamkeiten zwischen der Kaczyński-Partei und der Gauland-Partei überwiegen, oder ob doch die gewichtigen Unterschiede zwischen den beiden nationalkonservativen Parteien den Ausschlag geben werden.
Einig sind sich die beiden rechten Gruppierungen in der Ablehnung der Europäischen Union. Kaczyńskis Chefberater in der Deutschlandpolitik heißt Zdzisław Krasnodȩbski, derzeit in Brüssel und Straßburg Europaparlamentarier für die Nationalkonservativen, zuvor langjähriger Professor für Politikwissenschaften an der Universität Bremen. Krasnodȩbski hält die EU in ihrer jetzigen Gestalt für gescheitert und überholt, der bevorstehende Brexit sei nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Er rät also unentwegt, das sinkende Schiff zu verlassen – allein dem klugen Mann steht außer kräftigem Poltern gegen Brüssel und Berlin auch kein Rettungsweg vor Augen. Insofern nützt er Kaczyński mit seiner Expertise nur wenig, so dass dem nichts weiter bleibt, als auf einer Insel Zuflucht zu suchen: „Niemand wird uns von außen den Willen aufzwingen. Selbst wenn wir in einigen Fragen in Europa alleine sein werden, so werden wir bestehen bleiben und wir werden die Insel der Freiheit, der Toleranz und all dessen sein, was so überaus stark in unserer Geschichte gegenwärtig gewesen ist.“
Während die Kaczyński-Partei in ihrer Ablehnung der EU zuletzt aber immer mehr die viel gescholtene deutsche Dominanz in Anschlag brachte, sieht die Entscheidungsriege der AfD es genau umgekehrt – zu viele mästen sich da schmarotzend unter dem Deckmantel der EU an der deutschen Tüchtigkeit. Dass eigenwillige Vermittlungen aber dennoch ganz gut funktionieren, hat Vaclav Klaus bewiesen, ging er im Wahlkampf doch bereits auf Tuchfühlung zu den AfD-Leuten. Dessen Sohn, Vaclav Klaus jr., hat für die kommenden Parlamentswahlen in Tschechien übrigens einen aussichtsreichen Platz in der gemäßigt-konservativen ODS, trällert aber kräftig nach rechts gegen alle Untergrabung der nationalen Identität, die bei weiterer EU-Mitgliedschaft unweigerlich drohe – er schreckt nicht einmal vor dem unsinnigen Vergleich mit dem Protektorat Böhmen und Mähren zurück, was in Tschechien natürlich als Deutschlandschelte verstanden werden soll.
Ähnlich verstiegen in der Geschichte hat sich das Kaczyński-Lager, als im Sommer die Keule der angeblich noch ausstehenden Reparationen herausgeholt wurde, die Deutschland an Polen nun zu zahlen habe. Da wäre nach Berechnungen der Nationalkonservativen pro Person in Polen eine Summe von bald 25.000 Euro fällig gewesen. Keine Frage, dass solche Geschichtsakrobatik bei den AfD-Leuten nicht auf Gegenliebe stoßen wird, denn dort will man ja umgekehrt nun wieder die Selbstbezichtigung der Deutschen für die Zeit des Zweiten Weltkriegs beenden, weil das ein Einfallstor für die vielen Zumutungen sei, die Deutschland im Rahmen der EU-Mitgliedschaft vor allem finanziell schlucken müsse.
Egal aber, aus welchen unterschiedlichen Gründen auch immer gespeist – was zusammenfinden will ist die EU-Skepsis beziehungsweise offene Feindschaft. Der Auszug der Briten wird als Fanfarenstoß gesehen, jetzt dem eigenen Kampf für mehr nationale Souveränität bis hin zum Austritt aus den Gemeinschaftsstrukturen neuen Schwung zu geben. Allerdings beteuern die Kaczyński-Leute unentwegt, allein die Gegner würden ihnen in böser Absicht Ausstiegswünsche unterstellen, denn sie selbst wollten lediglich eine gründlich an Haupt und Gliedern reformierte EU, aber kein Ende der Gemeinschaft. Doch das angeführte Kaczyński-Zitat verrät, wie weit da der Reformgedanke bereits getrieben wird. Insofern kann die Reparationsdebatte, die nun wohl klammheimlich wieder zurückgezogen wird, auch als das Winken mit dem Zaunpfahl verstanden werden: Sollte Berlin uns in die Ecke drücken, hätten wir etwas entgegenzusetzen!
Und nach innen gerichtet wird Geschichtspolitik entsprechend stromlinienförmig zugerichtet: Das staatliche IPN-Institut, das in Sachen öffentlicher Erinnerung die Linie vorgeben soll, vertritt offiziell die Auffassung, der Zweite Weltkrieg sei für Polen erst 1989 beendet worden. 1944/45 sei das Land demzufolge von den westlichen Bündnispartnern verraten worden und sei unter die Fuchtel Moskaus geraten, aus der es sich dann 1989 selber befreit habe, allerdings sei der Sieg dann doch wieder gestohlen worden – durch den schmählichen Verrat am Runden Tisch. Geschichte hin, Geschichte her, alle diese verqueren Debatten verdeutlichen letztlich, wie wenig Kaczyński und seine Leute der eigenen Stärke trauen. Sie fühlen sich in den Grenzen, die Polen 1945 sichern konnte, nicht restlos heimisch. Die Jahrzehnte der Entwicklung in der Volksrepublik Polen gelten ihnen als eine Zeit, in der die Polen im eigenen Land nichts zu sagen hatten. Die Zeit nach 1989 ist durchtränkt mit Verrat. Wenn es richtig bedacht wird, so sind das aber alles Voraussetzungen, die eine Osterweiterung der EU im Jahre 2004 überhaupt erst möglich gemacht haben, denn die Oder-Neiße-Linie hat sich für die europäische Nachkriegsgeschichte auch dank der Entwicklungen in Polen als ein wahrer Glücksfall erwiesen. Auch deshalb, so hat es manchmal den Eindruck, ist den Nationalkonservativen an der Weichsel die EU-Mitgliedschaft nicht ganz geheuer.