»Verwalter oder Spalter«

Wie weit können Gewerkschaften an der Uni gehen?

Am 27. Oktober letzten Jahres fand in Frankfurt am Main eine gut besuchte Veranstaltung des »unter_bau« zur Frage statt, welche hochschul- und wissenschaftspolitischen Probleme am meisten drängen, mit welcher Organisationsform sie effektiv anzugehen wären und ob und inwiefern ein neue, kämpferische Alternativgewerkschaft dafür ein sinnvolles Instrument sein kann. Bringt der unter_bau Schwung in die Gewerkschaftslandschaft und kann so die Position der Beschäftigten gegenüber dem »Arbeitgeber« stärken? Oder verschwendet eine solche Gewerkschaftspluralität nicht ohnehin knappe Ressourcen und leistet der Spaltung unter den Beschäftigten Vorschub? Zu diesen Fragen diskutierten Tobias Cepok von der GEW Hessen (Referent für Hochschule, Forschung und Jugendbildung), Michael Pollok von der Hilfskraft-Initiative an der Goethe-Universität, Janine Wissler, Fraktionsvorsitzende der Partei die Linke im hessischen Landtag (zudem Mitglied von attac, ver.di und Marx21) und Holger Marcks von der mittlerweile neu gegründeten Gewerkschaft unter_bau. Im Folgenden eine etwas gekürzte Zusammenfassung der Diskussion – die wir teilweise auch in ihrem detaillierten Verlauf wiedergeben, da sie zentrale Fragen und Probleme von (Alternativ-)Gewerkschaften an der Hochschule behandelt.

       Welche Probleme sind an der Hochschule auszumachen?

 

Tobias Cepok benannte in seinem Eröffnungsbeitrag die wichtigsten Probleme der gegenwärtigen Hochschulen: Prekarisierung, Ökonomisierung der Bildung und umfassende Entdemokratisierung. Für die Beschäftigten bedeute die unternehmerische Hochschule gegenwärtig insbesondere: befristete Stellen für Daueraufgaben; eine Halbzeit-Stelle zu haben – aber Vollzeit arbeiten zu müssen; unbezahlte Lehraufträge und zunehmende Arbeitsverdichtung. Die systematisch, durch Globalhaushalte und Drittmittelabhängigkeit angelegte Konkurrenz zwischen Fachbereichen und Beschäftigten führe daher, so Cepok, zu einer konformistischen, opportunistischen Zurichtung von Wissenschaft. So erhoffe man mit der Forschung bei den Geldgebern Erfolg zu haben. Hinter der Bezeichnung »Hochschulautonomie« verstecke sich der Abbau von Mitbestimmungsmöglichkeiten und die systematische Verlagerung der Entscheidungskompetenzen weg von Kollektivorganen (Senat, Fachbereichsräte) und hin zu Präsidien und Hochschulräten. Ein wichtiges Anliegen müsse zudem der Kampf für die Geschlechtergerechtigkeit sein, denn immer noch muss eine Frau zur Erreichung einer Professur im Schnitt zweieinhalbmal so viel publizieren wie ihre männlichen Kollegen.

Holger Marcks stimmte dieser Diagnose zu. Zudem führten die Spaltungen zwischen den Statusgruppen und die damit einhergehenden stark hierarchisierten Verhältnisse dazu, dass der Druck von oben nach unten abgegeben werde, wie er aus Perspektive des unter_bau ergänzte. Obwohl diese problematischen Entwicklungen alle betreffen und offensichtlich sind, würden so aber eher Misstrauen und Entsolidarisierung gefördert, statt dass sich daraus solidarische Aktivitäten entwickeln würden. Es stelle sich die Frage, warum dieser »Neoliberalisierung« so wenig entgegensetzt werden könne: »Warum gelingt es den bisherigen Organisierungsansätzen nicht, diese verschiedenen Gruppen und Probleme an den Hochschulen zusammenzubringen?« Obwohl seit 1968 viele Linke an den Unis vertreten seien, existiere dort keine organisierte Bewegung. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad sei niedrig, und radikale Linke seien weitgehend isoliert, so dass der Einfluss begrenzt sei. Marcks folgerte, dass damit auch die existierenden Organisationsformen in Frage gestellt werden müssten.

Michael Pollok berichtete zunächst von den Erfahrungen der Hilfskraft-Initiative, die 2013 gegründet wurde, um die Belange der 2.000 bis 2.500 Hilfskräfte an der Goethe-Universität ins Bewusstsein zu rücken, die bis dahin über keinerlei Personalvertretungsstruktur verfügten. Er bestätigte, dass auch hier das Hierarchiegefälle und die zahlreichen Abhängigkeiten dazu führten, dass der Druck von oben nach unten weitergegeben werde und Hilfskräfte mittlerweile mehr Arbeit und weniger bezahlte Stunden hätten. Darüber hinaus berichtete Pollok von den Schwierigkeiten der Mobilisierung, die daher rührten, dass Hilfskraftjobs zwar zentral als Einstieg in den Wissenschaftsbetrieb seien, Hilfskräfte jedoch oft über keinerlei Kenntnisse grundlegender Arbeitsrechte verfügten. Trotz des kaum zu verhehlenden Ausbeutungsverhältnisses mache es die scheinbar privilegierte Stellung der Hilfskräfte unter Studierenden besonders schwierig, solidarisch zu handeln.

Janine Wissler hielt insbesondere die Form der Finanzierung für das zentrale Steuerungsinstrument zum Umbau der Hochschulen und damit auch zur spezifischen Ausrichtung der Wissenschaft: Grundbudgets seien immer weiter zurückgedrängt worden, ohnehin knappes Geld fließe zudem weitgehend in Form von Drittmitteln, kurzfristigen Hochschulpakten und Projektförderung. Diese politisch herbeigeführte Ökonomisierung der Hochschulen sei verbunden mit einer Zurückdrängung kritischer, nicht-konformer Wissenschaften. Betriebswirtschaftliche Steuerungselemente würden dabei auf die Hochschulen übertragen: So werde etwa durch den Abschluss von Zielvereinbarungen suggeriert, dass Forschung und Lehre messbar seien. Seit der vorletzten Novellierung des hessischen Hochschulgesetzes sind Hochschulen, wie Wissler berichtete, sogar verpflichtet, Drittmittel einzuwerben. Im Landtag habe man oft den Eindruck, man rede über Wirtschaftsförderung – nicht über Hochschulförderung, so Wissler. Die Tendenz zur Konformisierung gehe soweit, dass es zunehmend um explizite Auftragsforschung für die Industrie gehe, die dann die Profite aus diesen Innovationen in die eigene Tasche stecke. Neben den aus dem befristeten Charakter resultierenden prekären Beschäftigungsverhältnissen sei dies auch eine Gefahr für die Freiheit von Forschung und Lehre. Gemeinsam mit der zunehmend autoritären Steuerung des Hochschul- und Forschungsprofils im Inneren füge sich das zu einem Gesamtbild, in dem Bildung im globalen Wettbewerb auf ihre Verwertbarkeit reduziert und lediglich als wichtiger Faktor in der Standortkonkurrenz gesehen werde. Das größte Problem, so Wissler in ihrem Fazit, sei aber die Schwäche der Gegenbewegung. Die Hochschulen seien immer Orte gewesen, von denen Impulse und Bewegungen für gesamtgesellschaftliche Veränderungen ausgegangen sind und gesellschaftliche Tendenzen in Frage gestellt wurden. Hochschulpolitik sei immer auch Gesellschaftspolitik, so Wissler an Rudi Dutschke anknüpfend. Kritische Wissenschaften sollten sich auch in gesamtgesellschaftliche Diskus­sionsprozesse einmischen.

 

       Welche Organisationsansätze für eine effektive Gegenbewegung?

 

Michael Pollok verwies darauf, dass oft überhaupt erst einmal ein Problembewusstsein geschaffen werden müsse – und ein Bewusstsein dafür, dass man etwas machen könne gegen diese Probleme. Die Erfahrung der Hilfskraft-Initiative zeige, dass die Gegenseite auf Verschleppungstaktiken setze: viele Treffen – aber kaum Ergebnisse. Und letztlich wurden die Gespräche über Tarifverhandlungen von der Gegenseite dann einfach ohne Grund abgebrochen. Als Erfolg verbuchte er, dass eine Lohnerhöhung für Hilfskräfte erkämpft und ein Bewusstsein für deren Situation geschaffen wurde. Darüber hinaus haben sich für die Tarifrunde 2017 weitere Hilfskraftinitiativen an anderen Universitäten gegründet. Für die Zukunft hat sich die Hilfskraftinitiative vorgenommen, den Fokus auf die Personalvertretungsstruktur und auf die Vernetzung mit Gewerkschaften zu richten – mit der GEW, die hierfür eine eigene Stelle geschaffen hat, sowie mit dem unter_bau, der diese Thematik sehr ernst nehme.

Die GEW ist, so Tobias Cepok, zunächst einmal die Summe ihrer Mitglieder; entsprechend mache sie an der Hochschule das, was ihre Mitglieder tun. In der Tarifpolitik hänge man jedoch von den Entwicklungen der Tarife im öffentlichen Dienst ab. Die GEW bietet Rechtsschutz, zahlreiche öffentliche Veranstaltungen und ein großes Fortbildungsprogramm. Zudem gibt es seit 2010 mit dem »Templiner Manifest« den Versuch, in die Offensive zu gehen und eine Trendwende einzuleiten: »Dauerstellen für Daueraufgaben« ist die zentrale Losung. Durch diese Kampagne sei es gelungen, zumindest in der hochschulpolitischen Rhetorik etwas zu verändern. Wie man von hier aus zu realen Verbesserungen komme, sei die nächste Frage. Die GEW versucht nun, auf die Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes Einfluss zu nehmen.

Für Janine Wissler ist es schon ein Erfolg, dass prekäre Beschäftigung an Hochschulen überhaupt zum Thema geworden ist. Die Hochschulen gingen diese Probleme aber sehr unterschiedlich an: Bei einer von Rot-Rot-Grün initiierten Anhörung zum Thema prekäre Beschäftigung an Hochschulen im Landtag hätten manche Hochschulen Probleme und Zahlen geliefert; andere hingegen (wie der damalige Frankfurter Hochschulpräsident Müller-Esterl, der die Anhörung dann auch verließ) hätten das Problem komplett negiert. Aber, so betonte Wissler, über Reden im Parlament und über Anträge verändere man keine Gesellschaft: »Wirkliche Veränderungen erfolgen nur, wenn sich Kräfteverhältnisse verändern, wenn es Druck aus der Gesellschaft gibt.«

Der Gegendruck halte sich offensichtlich sehr in Grenzen, so Holger Marcks; die Frage müsse doch sein, was eine angemessene Praxis ermögliche. Die Geschichte der Studierendenproteste zeige, dass es zwar alle paar Jahre auch größere Bewegungen »mit bisweilen sehr viel radikaleren Inhalten als denen, die heutige Studierendenbewegungen vertreten«, gebe, dass diese aber dennoch vergleichsweise wenig erreicht und wenig an bleibender Mobilisierung und Strukturen hinterlassen hätten. Es bleibe also die Frage: »Wie kann eine nachhaltige Gegenbewegung von unten aussehen?« Hier sei aus Sicht des unter_bau eine Kritik an der etablierten Gewerkschaftspraxis essentiell, die mitunter auch der Logik folge: Wenn wir zu viel fordern, verschaffen wir uns einen Nachteil in diesem simulierten Wettbewerb. Das hänge wiederum mit dem fehlenden langfristigen politischen Horizont zusammen.

Der unter_bau will ein Beispiel für eine politischere Gewerkschaftsarbeit sein: Sie dürfe sich nicht auf diese Logik einlassen, müsse kämpferisch sein und eine Programmatik vertreten, die auf eine andere Form von Universität verweise. Einerseits brauche man also eine Kritik existierender Gewerkschaften und ihrer Ansätze. Andererseits müsse aber auch linke Politik gewerkschaftlicher werden. Konkret: Streiks und andere Formen von Arbeitskämpfen müssten immer mit politischen Kampagnen verbunden werden. Konsequent müsste dann Hochschulpolitik immer in Verbindung mit konkreten Arbeitskämpfen erfolgen, da die Arbeits- und Studienbedingungen auch die Bedingungen für Hochschulpolitik bildeten. Die dafür erforderliche Gegenmacht müsse man sich sukzessive erkämpfen und aufbauen; die Akteure müssten in dieser Hinsicht auch lernen, strategisch zu denken und die einzelnen Aktionen mit Analyse, Antizipation und einer umfassenden Strategie zu verbinden.

 

       Grenzen der Organisationsformen?

 

Michael Pollok verwies bei dieser Frage vor allem auf den Spagat zwischen Selbstorganisierung und dem Anspruch, die Interessen von Hilfskräften effektiv zu vertreten, der sehr viel Arbeit und personelle Ressourcen erfordere. Die Hilfskraft-Initiative möchte mit GEW und unter_bau zusammenarbeiten und deren jeweilige Vorteile nutzen. Insofern sah Pollok hier kein Problem durch eine Spaltung, sondern die Möglichkeit der Doppelmitgliedschaft.

Holger Marcks sah dagegen in dem neuen Gewerkschaftstyp, wie ihn unter_bau darstelle, zunächst einmal auch einen gewissen Wettbewerb um die sinnvollste Organisationsform. Ein Wettbewerb, der Kooperation nicht ausschließt, aber dennoch den Ehrgeiz hervorbringt, möglichst passend und effektiv zu mobilisieren und den eigenen Ansatz und die beste Organisationsform zu schaffen. Eine solche Pluralität gehöre zum demokratischen Alltag und zur Form des freien Meinungsaustauschs. Die Vorstellung der Einheitsgewerkschaft mit zentralistischem Modell wie in Deutschland sei, so Marcks, (auch historisch) in anderen Ländern nicht unbedingt vorherrschend – ohne dass die Streikbereitschaft dort leide: In Deutschland würden Minderheitenansätze nivelliert und so falle es schwer, Akzente zu setzen, und alles bleibe bloße Rhetorik. Ein Organisationspluralismus eröffne hingegen die Möglichkeit, andere Ansätze in der Praxis aufzuzeigen. Auch Marcks plädierte allerdings dafür, sich auf das gemeinsame Interesse zu konzentrieren, einen besseren gewerkschaftlichen Organisierungsgrad und Politisierung an der Goethe-Uni zu befördern. Den DGB-Gewerkschaften hafte auch der Makel an, in den Augen junger Leute etwas Altbackenes zu sein: »Gewerkschaft? Das ist doch eine Staatsinstitution; oder so eine Versicherung wie der ADAC«. Mit einer neuen Form der Organisierung an der Goethe-Universität könne man daher auch junge Linke besser ansprechen, die sich bei DGB-Gewerkschaften nicht organisieren würden: Hier könnten viele Potentiale für gewerkschaftliche Kämpfe überhaupt erstmals mobilisiert werden.

Es gebe aber auch Risiken: In einem basisdemokratischen, sehr partizipatorischen Ansatz mit rotierenden Mandaten, der ständig über Gremien und immer nur durch die Basis entscheidet, sei es natürlich schwieriger, Effektivität zu entwickeln. Eine Gefahr sah er auch darin, dass die Autonomie der Organisationseinheiten zu einem Auseinanderdriften der Prozesse führen könne. Eine solche Organisationsform sei also kein Selbstläufer. Es gelte, eine Kultur zu entwickeln, die eine gemeinsame Arbeit ermöglicht, ohne sich von blindem Aktionismus treiben zu lassen, sondern Schritt für Schritt zu sehen, wie man eine Organisation schafft und erweitert, die dann auch ein Instrument sein kann, um den Verhältnissen effektiv etwas entgegen zu setzen.

Sofern es um die strategische Frage gehe, ob die Gründung einer eigenen, neuen Organisation notwendig und sinnvoll sei, zeigte sich Tobias Cepok eher skeptisch. Er wies in diesem Zusammenhang auch auf die bereits existierende Gewerkschaftspluralität hin: Über den DHV (Deutscher Hochschulverband) rede zwar niemand, doch dieser sei als rechte Seite des politischen Spektrums nicht zu unterschätzen. In der Professorenschaft habe er eine deutliche Mehrheit, »mehr als GEW und ver.di zusammen«; und auch unter anderen WissenschaftlerInnen sei er sehr gut aufgestellt. Inhaltlich vertrete die GEW ein sehr weitreichendes Programm: Sie will den Tarifvertrag für Hilfskräfte erkämpfen, die Befristung für MitarbeiterInnen einschränken und einen Streik für die 35-Stunden-Woche führen. Allerdings bestimme hier die größere Gewerkschaft, ver.di, wo es lang geht.

Zudem sei das Problem an den Hochschulen vor allem die niedrige Organisierung: Bundesweit sind nur 18 Prozent der abhängig Beschäftigten Mitglieder einer Gewerkschaft. Im öffentlichen Dienst, an Schulen sind knapp 40 Prozent in der GEW organisiert, an der Goethe-Universität kommen GEW und ver.di zusammen auf acht Prozent. Sich mit Organisierungsarbeit zu beschäftigen, sei ungemein zeitraubend. Die Frage sei daher, ob man wirklich die Zeit mit der Pflege der Organisation verbringen soll, statt sich mit gesellschaftlichen Kämpfen zu beschäftigen. Und: »Lenkt eine Initiative wie der unter_bau in dieser Hinsicht nicht vielmehr ab, als dass sie weiterhilft?« Man könne zwar Mitglied bei unter_bau sein und in der GEW – aber die individuellen Zeitressourcen bleiben beschränkt. Die Frage sei, ob man damit nicht auch die linken Kräfte in der GEW schwäche, wenn man sich nur außerhalb der GEW engagiert. Cepok betonte, dass man zwar für die Koalitionsfreiheit sei und es sehr begrüße, wenn sich mehr Menschen an den Hochschulen organisieren: »Da kann man viel von Eurer unter_bau-Initiative lernen. Auch die GEW will sexy, dynamisch und kämpferisch sein.« Doch schon jetzt werde in der medialen Berichterstattung im Wesentlichen über die Organisationsform geschrieben und dabei abgelenkt von den wirklichen Problemen. Eine Einheitsgewerkschaft hält Cepok daher letztlich doch für sinnvoll.

Cepok verwies noch auf eine weitere Frage: die nach der Schlüsselfunktion der Berufsgruppe im Produktionsprozess. Die großen erfolgreichen Spartengewerkschaften befänden sich an einer zentralen Stelle im Produktionsprozess. Ob das im Bildungsbereich der Fall ist, sei sehr fraglich. Insgesamt bleibe daher die Frage: »Macht man sich mit der Gründung einer alternativen Gewerkschaft nicht mehr Probleme, als man vorgibt zu lösen?«

Janine Wissler lobte zunächst die Initiative unter_bau, zeigte sich aber mehr als skeptisch, ob man dieses Projekt Gewerkschaft nennen sollte. Denn der Begriff »Gewerkschaft« bedeute ja Tariffähigkeit: »Wie stellt man die her? Durch die Streikfähigkeit! Die hat aber nicht mal die GEW.« Gewerkschaft bedeute außerdem, Schulungen anbieten zu müssen zum Betriebsverfassungsgesetz, zum Hessischen Personalvertretungsgesetz; dass man Rechtsschutz brauchen wird. Ihr sei nicht klar, wie das beim unter_bau gemeint sei. Man sollte an der Hochschule demnach eher auf eine Bündelung aller progressiven Kräfte hinarbeiten, statt auf eine Aufteilung. Statt eine eigene, neue Form von Apparat aufzubauen, sollte man hochschulintern neue Strukturen schaffen oder bestehende Strukturen erst einmal wirklich nutzen. Es sei denn, es gebe einen triftigen Grund, dass man mit den existierenden Strukturen nicht arbeiten könne. »Was will der unter_bau machen, was man nicht in den GEW-Strukturen machen kann?« Gerade die hessische GEW sei doch eine sehr fortschrittliche und politische Gewerkschaft, die sogar einen BeamtInnenstreik geführt habe – ähnliches könne man von ver.di durchaus auch sagen. Für Wissler ist das entscheidende Problem, dass der größte Teil der MitarbeiterInnen überhaupt nicht in einer Gewerkschaft ist.

Wissler verwies noch darauf, dass es gute Gründe gibt, warum in Urabstimmungen für einen Streik 80 bis 90 Prozent erreicht werden müssen. Es sei einfach nicht sinnvoll, dass nur eine Minderheit streikt, da der Streik dann nicht funktioniere. Sie führte die Abschaffung der Studiengebühren auch auf die Unterstützung von GEW und DGB zurück. Gerade für diese Kämpfe helfe es, Verbindungen zu gewerkschaftlichen Kämpfen außerhalb der Hochschule herzustellen. Es lohne sich, in den DGB-Gewerkschaften für Verbesserungen zu kämpfen. Wissler riet dem unter_bau, an GEW und ver.di heranzutreten und zu fragen: »Was könnt Ihr uns an Strukturen und Geldern bieten, damit man hier etwas Gescheites aufbauen kann? Im Gegenzug könnt Ihr anbieten, dafür zu kämpfen, dass der Organisa­tionsgrad an der Hochschule endlich mal wieder ein bisschen vernünftig wird«.

 

       Fragen und Kommentare aus dem Publikum

 

In der Diskussion betonte ein Redner, dass der unter_bau deshalb wichtig sei, weil er das Ziel verfolge, auch die Outgesourcten mit zu organisieren und solidarische Verbindungen zwischen Statusgruppen zu schaffen.

Dass der unter_bau die Spaltung unter den Statusgruppen aufbrechen will, war auch einem anderen Menschen aus dem Publikum wichtig, aber es scheine doch so, dass es wieder nur um Studierenden und um wissenschaftliche MitarbeiterInnen gehe. Zu fragen sei auch, warum sich der unter_bau selbst in das Korsett einer Gewerkschaft zwänge, denn als Gewerkschaft mache man sich doch notwendig auch zum Repräsentationsorgan von Interessen des Personals: »Wäre es da nicht sinnvoller, eine Initiative ohne gewerkschaftliche Organisationsform zu bleiben?«

Während Janine Wissler darauf mit der Notwendigkeit gewerkschaftlicher Organisierung antwortete, reagierte Holger Marcks mit der Gegenfrage, was mit Gewerkschaft gemeint sei. Während der Gewerkschaftsbegriff in anderen Ländern wesentlich weiter gefasst sei, dominiere in Deutschland ein sehr rechtshöriges Verständnis, das zudem den Begriff der »Gewerkschaft« mit »Tariffähigkeit« gleichsetze. Das entspreche nicht einmal der aktuellen Rechtsprechung, und selbst in der aktuellen Rechtsprechung gingen Verengungen dieser Art erst auf Entwicklungen der letzten Jahre zurück. Die Bedingung der Tariffähigkeit sei ein Konstrukt gewesen, um sich gegen gelbe Gewerkschaften zu schützen. Doch in den letzten Jahren habe sich eine Entwicklung breitgemacht, dieses Mittel nicht gegen gelbe, sondern gegen kämpferische Gewerkschaften einzusetzen – wozu man teilweise mit formalen Tricks arbeite.

Das seien Erfahrungen, die die Leute aus DGB-Gewerkschaften wegtreiben. »Auch aus dem unter_bau haben einige Leute ein paar Jahre lang Erfahrungen in und mit anderen Gewerkschaften gemacht«. Zudem hätten sich Gewerkschaftslinke, die eine andere Vorstellung von Gewerkschaft hatten, über Jahrzehnte den Mund fusselig geredet und sich nicht gegen bornierte FunktionärInnen und starre Strukturen durchsetzen können. Der unter_bau habe kein naives Verständnis von Institu­tionen und deren Veränderbarkeit. Und auch die Gewerkschaften seien eben Institutionen, die zudem Teil eines sozialpartnerschaftlichen Kompromisses seien, in dem sie eine konstitutive Rolle für die Herrschaftsverhältnisse spielten – so sein Plädoyer für Alternativgewerkschaften, die sich davon freimachen könnten, um Alternativen überhaupt wieder aufzeigen zu können. Sein Credo: Druck von außen führe erfahrungsgemäß viel schneller dazu, dass sich auch derartige Institutionen reformierten. Selbstverständlich könne man in der Zwischenzeit nach den gemeinsamen Momenten suchen, solidarisch zusammenarbeiten und beispielsweise in einem Streik gemeinsam agieren. Doch die Entsolidarisierung gehe eben erfahrungsgemäß nicht von den Alternativgewerkschaften aus. Dies betreffe nicht unbedingt nur kleinere Basisgewerkschaften, sondern auch beispielsweise die GDL, die unter Beschuss durch die DGB-Gewerkschaften geraten sei.

Bezogen auf die Frage, wie eine statusgruppenübergreifende Organisierung gelingen könne, verwies Marcks zunächst auf die real existierende Spaltung zwischen den verschiedenen Beschäftigtengruppen, die durch die Organisationsstruktur und das Präsidium geschaffen, durch die Gewerkschaften aber noch zementiert werde. Auch dem unter_bau gelinge es bislang nicht, z.B. Mensa-Beschäftigte mit seinen Flyern zu erreichen. Eine Praxis wie die des unter_bau zeige jedoch, dass Gewerkschaft und linke Politik anders aussehen könnte. Sofern man gewissenhaft vorangehe, werde es mit der Zeit auch gelingen, andere Leute anzusprechen. Damit würden auch linke Inhalte wieder für andere Menschen erfahrbar – jenseits der ritualisierten Funktionen von Gewerkschaft.

Der unter_bau wolle erfahrbar machen, dass Gewerkschaft auch ein »kultureller Raum« sein könne: »eine Schule der Revolution – wie das klassische Gewerkschafter genannt haben«. Ein Raum also, in dem neue Verhaltensweisen und soziale Beziehungen untereinander eingegangen und eingeübt und angemessene Formen der Wissensweitergabe geschaffen werden können.

Danach befragt, was man sich unter dem Slogan »Die Transformation der Hochschule organisieren« vorzustellen habe, antwortete Marcks: Dem unter_bau gehe es darum, an konkreten Interessenslagen anzusetzen und davon ausgehend Praktiken zu entwickeln, die dann auch langfristig Besseres vorbereiten können. »Was man sich für die spätere Umgestaltung der Universität und Gesellschaft vorstellt, das soll sich bereits in der bestehenden Organisation widerspiegeln: eine funktional ausdifferenzierte Organisation mit den Ansprüchen: föderal, autonom und feministisch.«

 

*  Johannes Röß und David Walter sind aktiv im unter_bau.

 

Quelle:
https://unterbau.org/2016/11/28/verwalter-oder-spalter-wie-weit-koennen-gewerkschaften-an-der-uni-gehen/

 

express im Netz unter: www.express-afp.info